Kreuzberg wehrt sich

Initiative gegen Initiative gegründet

Am 12. Februar titelte der Tagesspiegel: »Kreuzberger wollen Drogenabhängige vertreiben«. Dahinter verbirgt sich die Initiative einer Anwohnerin. Ihr missfällt eine Gruppe von Leuten, die sich täglich auf dem U-Bahnhof Gneisenaustraße trifft. Es handelt sich dabei um ehemalige Drogenabhängige, die in einem Methadonprogramm untergekommen sind. Die Ausgabestelle des Substituts ist in der Heimstraße. Es sind also Leidensgenossen, die sich dort treffen. Die Anwohnerin will, dass die Substituierten verschwinden. Sie verlangt auch die Schließung der Methadonausgabestelle. Unter anderem soll sie auch schon mit Flugblättern auf das Problem ausmerksam gemacht haben.

Unterdessen hat sich aber eine zweite Initiative gegründet, die eben nicht will, dass die Menschen von dort vertrieben wären. Die allerdings wären auch gerne woanders. Doch sie haben schlechterdings keine Möglichkeit, sich andernorts zu treffen. Die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« will die Gruppe vom U-Bahnhof Gneisenaustraße nun unterstützen und erst Mal eine Vertreibung vom Bahnhof verhindert. In einem nächsten Schritt will sie mit allen beteiligten Lösungsmöglichkeiten für die verschiedenen Probleme erarbeiten. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage: Tolerantes Kreuzberg

Am Donnerstagabend wurde diese Initiative offiziell aus der Taufe gehoben. Tags darauf kommt dann auch schon die erste Pressemitteilung heraus:

Initiative wirbt für Tolerantes Kreuzberg
Über 100 Unterstützer stärken der Gruppe vom U-Bahnhof Gneisenaustraße den Rücken
»Tolerantes Kreuzberg«, diesen Namen hat sich eine neue Bürgerinitiative in Kreuzberg gegeben. Auslöser für die Gründung der Initiative waren Berichte über eine andere Initiative, die versucht, 15 bis 20 Methadon-Patienten, die sich tagsüber am U-Bahnhof Gneisenaustraße treffen, von dort zu vertreiben. Erstmals traf sich die Initiative »Tolerantes Kreuzberg« am Donnerstagabend im »Backbord« in der Gneisenaustraße. Mit dabei waren auch zwei der Betroffenen, die die Situation am U-Bahnhof aus ihrer Sicht schilderten. Dabei stellte sich heraus, dass die Gruppe sich nur deshalb dort trifft, weil sie sonst keine gar keine andere Möglichkeit habe.
Gemeinsam wollen nun die Initiative und die Gruppe vom U-Bahnhof Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Eine der ersten Maßnahmen der Initiative »Tolerantes Kreuzberg« wird eine Einladung zu einem Gespräch sein, die an den Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler geht und an die Initiative, die die Gruppe vom U-Bahnhof entfernen will. Der Verein Kiez-Community will dafür Räume in House of Life zur Verfügung stellen. Nach Vorstellung der Initiative »Tolerantes Kreuzberg« soll dieses Gespräch in der zweiten Märzwoche stattfinden.
Die Resonanz auf die Initiative im Kiez rund um den U-Bahnhof ist groß. In weniger als 48 Stunden hatten bei einer schnell improvisierten Unterschriftenaktion sich 100 Menschen solidarisch erklärt. »Vertreibung aus unserem Kiez geht gar nicht«, war dabei einer der Sätze, die die Unterschriftensammler am häufigsten zu hören bekamen. Auch die Nachbarschaftsvereine Kiezcommunity und mog61 sagten der neuen Initiative jegliche Unterstützung zu.

Bitte beachten Sie die Gegendarstellung zu diesem Artikel.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2017.

Schwamm drin oder Schwamm drüber?

Erste Ergebnisse der Initiative »Gedenkort Fontanepromenade 15«

Dringend sanierungsbedürftig: Die marode Dachkonstruktion der Fontanepromenade 15. Foto: kappaDringend sanierungsbedürftig: Die marode Dachkonstruktion der Fontanepromenade 15. Foto: kappa

In der Fontanepromenade 15 weist nur eine Stele auf die »Zentrale Dienststelle für Juden« hin, die dort ab November 1938 Juden zu Zwangsarbeitseinsätzen vermittelte. Nachdem bekannt wurde, dass das Gebäude im vergangenen Jahr an einen Investor verkauft wurde, beklagte die Stadt­teil­ini­tia­tive »Wem gehört Kreuzberg«, dass »ein solcher Geschichtsort der Immobilienspekulation geopfert wird und nicht als Gedenkort/Museum zur jüdischen Zwangsarbeit und zum Holocaust öffentlich genutzt wird« (vgl. KuK 01/2017).

Mittlerweile lud der Kultursenat zu einem ersten Sondierungsgespräch zum Gedenkort Fontanepromenade 15 ein, die BVV befasste sich in ihrer konstituierenden Sitzung damit, und das Bezirksamt stellte in Aussicht, Stellung zu nehmen und bot zwischenzeitlich zwei Gesprächstermine an, die zum Treffen mit den Akteuren, die einen sofortigem Baustopp forderten, Anfang Februar führte.

Die Initiative »Ge­denk­ort Fontanepromenade 15« (G.I. F15) hat sich am 18. Januar im Nachbarschaftshaus Urbanstraße (NHU) mit den neuen Eigentümern der Immobilie getroffen. André Schmitz-Schwarzkopf, stellvertretener Vorsitzender der Inge-Deutschkron-Stiftung und Teil der Ini, moderierte die Sitzung. In einem Artikel in der Lokalausgabe der TAZ Bremen vom 15.1. hatte der Bremer Investor und Architekt Marc Brune in Aussicht gestellt, einen Teil des Gebäudes als Gedenkort zu nutzen und dafür zu einem ortsüblichen Mietzins zu vermieten. Vor Weihnachten hatte die Ini ihn in einem Brief um einen Gesprächstermin gebeten.

Im Gespräch gewann die G.I. F15 einhellig den Eindruck, dass Marc Brune und Partnerin ein Glücksfall für den Erwerb des Hauses sind. Er und sein fachkompetentes Team legten dar, dass das Haus »maximal noch 4 bis 5 Jahre durchgehalten hätte«.

Eine Einladung auf die um die Ecke liegende Baustelle wurde ausgesprochen. Die mündlichen Schilderungen wurden praktisch erfahrbar: Schwamm-durchsetzte Balken lagen da herum, die marode Dachkonstruktion war auch für den Laien sichtbar. Der aktuelle Stand der Sanierung wurde vom Polier erläutert. Die Inaugenscheinnahme überzeugte.

Straßenland soll in das Gedenkkonzept mit einfließen

Die »Schikanepromeande« als Baudenkmal gerettet, der Investor offen für Nutzung für inhaltliche Konzepte bei Kostenbeteiligung der öffentlichen Hand – es ist ein positives bürgerschaftliches Engagement.

Ein weiteres Gespräch mit dem NHU fand statt, bei dem über inhaltliche Veranstaltungen nachgedacht wurde und die Einbeziehung der Anwohner des »Sozialraumes« in die konzeptionellen Überlegungen des Gedenkortes. Im Gespräch bestand Übereinstimmung, dass der Gedenkort nicht nur den Rest des physischen Ortes, des »jüdischen Arbeitsamtes« mit dem aktuellen Angebot des Investors der Bereitstellung eines »musealen Raumes« umfassen sollte, sondern dass das Straßenland mit Promenade in die Gedenkortkonzeption miteinfließen sollte, um einen Spannungsbogen zum politischen Heute zu spannen.

Das erste Markierungszeichen an dem Ort, die Schrifttafel von 2013, die im Rahmen des Themenjahres »Zerstörte Vielfalt« eingeweiht worden war, war eine erste öffentliche Würdigung, die von der Abteilung Gemeinwesenarbeit des NHU begleitet wurde.

Aus diesen Arbeitszusammenhängen konnte als weiteres Mitglied der G.I.F 15, die Synagogengemeinde Fraenkelufer gewonnen werden, vertreten durch ein Gemeindemitglied, das auch Historiker ist.

Die überbezirkliche Initiative »Gedenkort Fontanepromenade 15« ist in ihrer inhaltlichen Kompetenz gut aufgestellt.

Beim ersten Gespräch am 25. Januar bei der Senatskulturverwaltung wurden die Grenzen der »strukturellen Gewaltenteilung« dargelegt und die Vertreter der Ini, die aus Zeitzeugen, geschichts- und erinnerungspolitisch Erfahrenen, sowie Kunstschaffenden und sich um das historische Berlin Kümmernden, besteht, gebündelt. Die historische Expertise ist mitversammelt, wie die von Wolf Gruner, der 1997 das Grundlagenwerk zum »Geschlossenen Arbeitseinsatz der Juden« verfasste – erst ein Jahr nach der Initiierung des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus durch den kürzlich verstorbenen Bundespräsidenten Roman Herzog, der zu einem würdigen Gedenken aufrief. »Die allmähliche Eskalation der Gemeinheit fand öffentlich statt«, sagte Herzog damals, »und konnte in den Gesetzblättern nachgelesen werden.« (Komplette Rede)

Vereinbart wurde, ein Konzept zu erarbeiten, wofür sich die berlinweite Ini Anfang Februar in Klausur begibt. Mit ihrem Ergebnis wird sie wieder an den Kultursenat herantreten.

Bezirk und Senat haben sich bisher noch nicht öffentlich zu den Forderungen der Initiative geäußert und auch den offenen Brief von Inge Deutschkron unbeantwortet gelassen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2017.