Der Schein der Sterne scherte ihn nicht

Abschied von Thomas Bordiehn – *5. Januar 1957 + 6. April 2022

Thomas Bordiehn in Dienstkleidung in seinem Restaurant in HurghadaThomas Bordiehn. 1958 – 2022. Foto: psk

Vielleicht wäre Thomas ja ein bekannter Fernsehkoch geworden, wäre da nicht die Sache mit dem Aschenbecher gewesen. Ende der Achtziger Jahre herrschte in der Küche des Duisburger Hofs Alarmstimmung. Der junge Küchenchef hatte seine Brigade zu immer neuen Höchstleistungen getrieben. 15 Punkte im Guide Gault Millau waren der Lohn und es war nur eine Frage der Zeit, wann es den ersten der begehrte Sterne im Guide Michelin geben sollte. Natürlich musste alles perfekt funktionieren, wenn der Prüfer kommen sollte. Das Problem ist allerdings: Prüfer kommen inkognito. Jeder Gast hätte also im Namen des Guide Michelin speisen können. Diese Ungewissheit zehrte den Nerven aller. Als Thomas eines morgens seinen Kaffee nicht in die Tasse, sondern den daneben stehenden Aschenbecher goss, wurde ihm klar, dass die aufreibende Sternenjagd es nicht wert war, ihr das ganze Leben zu opfern. Thomas Bordiehn, jüngster Küchenmeister bei Steigenberger, der als junger Demi-Chef im Aachener Quellenhof einen Stern mit erkocht hatte, eines der größten Talente in deutschen Küchen kündigte – einfach so, von einem Moment zu anderen. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Es wurde zu einer Art Lebensmotto.

Die Neuorientierung war nicht einfach, nicht ohne Umwege und führte schließlich über eine Zeitungsanzeige zum Ziel. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit suchte Ausbilder für Köche. Entwicklungshilfe! Das war es! Er wollte weg von der hochgejazzten Haut Cuisine, in der er auch ein Stück Verlogenheit sah. „Wenn es nur französisch klingt, kannst du jeden Preis verlangen“, sagte er einmal. Er hatte einfach keine Lust „Pain Noire an Beurre Agricole“ für 15 Mark zu verkaufen, wenn sich dahinter nur eine einfach Butterstulle verbarg.

Der ägyptische Hotelier Mohamady Hwaidak warb Thomas und seine inzwischen angetraute Barbara ab, als sie noch auf der Entwicklungshelfer-Schule in Bad Honnef waren. Und hier, in Hurghada fand Thomas seine wahre Berufung: die Ausbildung von Köchen. Dabei war der Anfang alles andere als einfach. Die Vorstellung, das Küchenpersonal in fünf verschiedenen Hotels durch wöchentliche Seminare auszubilden, scheiterte gnadenlos. Schon war Thomas bereit, dem Schrecken wieder schnell ein Ende zu machen, da bot ihm Mohamady Hwaidak noch eine Chance: Ein eigenes Lehrrestaurant. So entstand die legendäre Villa Kunterbunt und mit ihr eine völlig eigene Küchenphilosophie – das alles mit fünf Fachkräften und 50 Auszubildenden. Zur Philosophie gehörte, dass möglichst alles, was in der Küche verarbeitet wurde, aus Ägypten kommen musste. Hochwertig sollte es aber auch sein. Für seine legendären Rindersteaks hatte er einen eigenen Züchter im Nildelta gefunden. Und dann natürlich die Kamelgerichte. Alles hatte mit einem Versuch begonnen: er verarbeitete Kamelfleisch zu Sauerbraten und kombinierte es mit Schwäbischen Spätzle. Es wurde ein Hit, ebenso wie das Kamelsteak mit Schokoladensoße. Dabei hatte, bis die Bordiehns kamen, kein Restaurant in Ägypten Kamel auf der Karte, weil es als minderwertiges Fleisch für arme Leute galt. Heute gehören Kamelgerichte schon fast zum Standard auf den Speisekarten an der Rotmeerküste.

So kreativ und phantasievoll er auch in der Küche war, so sehr stand doch die Ausbildung im Zentrum seines Lebens. Wenn er nach dem Essen an den Tisch kam und sich erkundigte, wie es geschmeckt hatte, war das kein fishing for compliments, im Gegenteil. „Ihr müsst mir es sagen, wenn etwas nicht gestimmt hat. Nur so können wir daraus etwas lernen“, gab er seinen Gästen gerne mit auf den Weg. Und wenn tatsächlich etwas nicht gestimmt hatte, dann verhandelte er das in einer sehr bildhaften Sprache. Wenn es etwa um die Hygiene in der Küche ging, breitete er die Arme aus und warnte: „Das sind Bakterien. Die sind so groß und fressen eure Kinder.“ Keiner der angehenden Köche vergaß danach jemals wieder das Händewaschen vor dem Kochen.

Ein Vierteljahrhundert bildete er in Ägypten Hunderte von Köchen aus, bekochte nicht nur Touristen, sondern auch hochrangige Gäste des Gouverneurs und andere wichtige Menschen. Die Villa Kunterbunt, die eines Tages wegen einem Streit mit den Erben Astrid Lindgrens so nicht mehr heißen durfte, hatte sich zu einer wichtigen Institution in Hurghada entwickelt, in der man nicht nur gut aß, sondern oft auch gut unterhalten oder kulturell weiter gebildet wurde. Doch als sich nach dem Rückzug Mohamdy Hwaidaks die Eigentumsverhältnisse ändert, zeigte sich, dass auch Legenden nicht vor Veränderungen sicher sind. So hieß es wieder, wie damals, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Immerhin wartete ein neues Abenteuer, diesmal auf einem Kreuzfahrtschiff. Die Rückkehr zu Steigenberger blieb ein kurzes Intermezzo – doch dann tat sich etwas auf, was sich fast wie eine Rückkehr nach Ägypten anfühlte. Er übernahm das Schloss Britz in Berlin-Neukölln, ein Lehrrestaurant, das vom Bezirk gemeinsam mit dem Hotel Estrelle betrieben wird. Es war fast wie früher. Entwicklungshilfe in Berlin statt in Ägypten.

Dann kam der verhängnisvolle Spätsommer 2020. Die Coronaepidemie schien abzuflauen, da erwischte es Thomas. Es war kein leichter Verlauf, sondern ein lebensbedrohlicher. In der Berliner Charité kämpften die Ärzte wochenlang um sein Leben. Fünf Wochen lag er im Koma, ehe er wieder langsam und zaghaft Schritte zurück in sein Leben machte, zurück zu seiner Barbara, und seinen Kindern Sophie und Laurenz. Über die sozialen Medien berichtete er über seine Krankheit und seine langsamen Fortschritte. Ein Jahr nach seiner Erkrankung kehrte er zurück ins Schloss Britz. Doch am Ende stellte sich seine Genesung doch als Illusion heraus. Morgens am 6. April ist Thomas friedlich eingeschlafen.

Für einen Kofferraum voll Enten

Peter S. Kaspar trifft sich mit Bernd Knümann

Einen Tag nachdem wir die Oktober-Ausgabe, in der dieses Porträt erschienen ist, fertiggestellt hatten, ist Bernd Knümann völlig überraschend gestorben. Wir sind tief betroffen und geschockt über seinen plötzlichen Tod, und wir sind sehr traurig darüber, dass aus dem Porträt jetzt gewissermaßen ein Nachruf geworden ist. Leider hatten wir keine Möglichkeit mehr, noch etwas an der gedruckten Ausgabe zu ändern. Das KuK-Team

Bernd Knümann: Technischer Zeichner, Entenhändler Fremdenführer.

Foto: privatBernd Knümann: Technischer Zeichner, Entenhändler Fremdenführer. Foto: privat

Allzu lange ist er noch kein Kreuzberger. Seit zweieinhalb Jahren wohnt er in der Solmsstraße. Doch der Weg, den Bernd Knümann genommen hat, um dahinzukommen, war schon ein etwas abenteuerlicher.

Im Münsterland wurde er geboren, wurde technischer Zeichner, arbeitete in einem Ingenieurbüro, heiratete, wurde in Reken in der Nähe von Münster Gemeinderat für die Grünen und Vater von zwei Kindern. Bis hierhin war das alles ganz normal, abgesehen davon vielleicht, dass er im Münsterland einer der ersten Männer überhaupt war, die Erziehungsurlaub nahmen. Doch dann veränderte ein ganz normaler Urlaub in Ägypten so ziemlich alles.

Bei einem Abstecher in das nördlich von Hur­gha­da gelegene El Gouna, jener jungen Stadt am Roten Meer, die inzwischen auch einen Campus der Technischen Universität Berlin beherbergt, verpassten er und seine damalige Frau einen Abzweig und landeten nicht in der mondänen Hotelstadt, sondern in dem Ortsteil El Bustan, der eigentlich für die einheimischen Bediensteten errichtet wurde. Und dort standen sie plötzlich vor der deutschen Hotelfachschule.

»Wäre das nicht was für dich?«, fragte er seine Frau, die Berufsschullehrerin war. Und so blieben sie in Ägypten hängen. Die Frage war nun allerdings, wie Bernd Knümann selbst seinen Lebensunterhalt verdienen sollte.

Kurz vor Weihnachten klagte ihm ein Hotelier, dass er keine Enten fürs Fest habe. Er setzte sich ins Auto, fuhr 500 Kilometer nach Kairo und tat dort einen Entenhändler auf. Er füllte den Kofferraum mit dem tiefgekühlten Federvieh und bot die Tiere in verschiedenen Hotels in Hurghada und El Gouna an.

Das ging so eine ganze Zeit lang gut, aber die ganze Sache war, wie er heute einräumt, irgendwie ein wenig grenzlegal. Da kam das Angebot der Firma Interwater gerade recht. Dort sollte er technischer Leiter werden – und wurde zum Experten für Umkehrosmose. Während dieses Verfahren in Deutschland bestenfalls für die Herstellung von alkoholfreiem Bier wichtig ist, spielt es in einem notorisch wasserarmen Land wie Ägypten eine überragende Rolle. Damit lässt sich aus Salzwasser Trinkwasser herstellen.

Dass etwas in der Luft lag, bemerkte er schon im Herbst 2010. Nach zehn Jahren brach er seine Zelte in Ägypten ab, rechtzeitig, ehe dort die Revolution ausbrach. Nach einem Abstecher in die Schweiz landete er in Berlin. Er machte eine Ausbildung zum Stadtführer, hat sich selbständig gemacht und inzwischen sein eigenes Unternehmen. Da bietet er beispielsweise so ausgefallene Dinge an, wie die »Poor but Sexy-Tour«, frei nach Klaus Wowereit.

Und was hat er aus seinen Jahren in der Wüste mitgebracht? »Ich habe in Ägypten Demut gelernt – und, dass Wasser viel kostbarer ist, als Benzin.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2013.