Wenig Spannung im Titelkampf

Für kleinere Parteien sind Überraschungen bei der BVV-Wahl möglich

In vielen Teilen Deutschlands ist eine Kommunalwahl ein mühsames Geschäft. In Städten wie etwa Stuttgart kämpfen sich die Wähler durch wandtapetengroße Stimmzettel. Zudem wird von ihnen verlangt, sich mit Wahltechniken herumzuschlagen, die auf so schöne Namen wie Kumulieren, Panaschieren oder Unechte Teilortswahl hören. Das alles klingt mehr nach Kamasutra als nach demokratischem Urnengang.

In Berlin ist es dagegen denkbar einfach. Es gibt einen Stimmzettel und ein Kreuzchen für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Die 55 Sitze im Rathaus in der Yorckstraße werden dann proportional verteilt.

Klare Verhältnisse

Die Verhältnisse in der derzeitigen BVV ist sehr eindeutig. Bei momentan nur 51 Mitgliedern sind die Grünen mit ihren 22 Sitzen schon sehr nah an der absoluten Mehrheit. Dass nicht die volle Zahl der Bezirksverordneten ins Kommunalparlament einzog, lag einfach daran, dass die Piraten nach ihrem Überraschungserfolg nicht über genügend Kandidaten verfügten, um alle Sitze zu besetzen. Ihnen hätten neun zugestanden. Vier blieben frei.

Alle buhlten damals um die Gunst der Politikneulinge – und das hatte nicht nur mit Welpenschutz zu tun. Rein theoretisch hätten SPD, Linke und Piraten eine Zählgemeinschaft gegen die Grünen bilden können. Doch am Ende blieb es bei einer klassischen Rollenverteilung, die den Grünen im Bezirksamt drei von fünf Stadtratsposten bescherte.

Dass die Piraten ihren Überraschungserfolg von 2011 noch einmal wiederholen, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die kleine Fraktion blieb nicht vom Zerfall der Gesamtpartei verschont. Statt fünf hat sie heute nur noch vier Mitglieder. Eine Bezirksverordnete verließ die Fraktion.

Das Erbe der Piraten

Es geht also bei der BVV-Wahl vermutlich um die Hinterlassenschaft der Piraten, das heißt um bis zu neun Sitze, die sich nun andere Parteien erobern können – mal ganz abgesehen von den üblichen Verschiebungen, die so eine Wahl sonst mit sich bringt. Doch ganz abschreiben kann man die Piraten auch nicht, denn um in die BVV zu gelangen, benötigen sie nur drei Prozent. Das ist etwa der Wert, den Demoskopen den Piraten berlinweit derzeit einräumen. Rechnet man den Kreuzberg-Bonus dazu – nirgendwo haben die Piraten vor fünf Jahren besser abgeschnitten – dann könnte es durchaus noch reichen.

Wer überrascht?

Monika Herrmann bleibt wohl im Amt.

Foto: Sedat Mehder Monika Herrmann bleibt wohl im Amt. Foto: Sedat Mehder

Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei ebenfalls einen solchen Überraschungscoup landen könnte, und da geht der bange Blick automatisch auf die AfD. Eigentlich scheint es ausgeschlossen, dass eine so rechte Partei in Friedrichshain-Kreuzberg reüssieren könnte, denn in ganz Berlin gibt es keine linkere BVV. Wenn man die Piraten zum linken Block zählt, blieben dem rechts-bürgerlichen Lager gerade mal vier Verordnete der CDU.

Nun haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, dass die AfD bei allen Parteien wildern konnte. In den ostdeutschen Bundesländern wurde dabei aber ausgerechnet die Linke schwer gerupft.

Es ist also überhaupt nicht auszuschließen, dass die AfD mit einigen Bezirksverordneten in die BVV einzieht. Bei einem so meinungsfreudigen Parlament, das häufig große Zuschauermassen anzieht, dürfte das für noch wesentlich turbulentere Sitzungstage sorgen.

Bleibt das Bezirksamt?

Peter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim GernPeter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim Gern

Die wichtigste Aufgabe zu Beginn der neuen Legislatur wird die Wahl eines neuen Bezirksamtes sein. Derzeit stellen die Grünen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Baustadtrat Hans Panhoff und Kämmerin Jana Borkamp drei der fünf Posten. Dr. Peter Beckers (SPD), zuständig für Wirtschaft, und der Linke Knut Mildner-Spindler (Soziales), vervollständigen das Gremium.

Da die beiden letzteren als Spitzenkandidaten für ihre jeweilige Partei ins Rennen gehen und bei den Grünen wenig auf ein Abweichen von der bisherigen Rollenverteilung hindeutet, könnte das alte Bezirksamt wieder das neue sein.

Es gibt jedoch ein paar Unwägbarkeiten. Da ist zunächst die Bezirksbürgermeisterin. Monika Herrmann gilt als streitbar und hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Innensenator Frank Henkel sehr an Profil gewonnen. Vor allem dem bürgerlichen Lager gilt sie als der Fleisch gewordene Gott­sei­mit­uns. Das hilft ihr in Kreuzberg ungemein und auch die eine oder andere innerparteiliche Auseinandersetzung ist inzwischen längst vergessen. Paradoxerweise könnte Frank Henkels unsägliches Verhalten in Sachen Rigaer Straße den Grünen am 18. September ein Rekordergebnis bescheren. Der eine oder andere Grüne träumt bereits von einer absoluten Mehrheit im Kreuzberger Rathaus.

Allerdings bröckelt auch die Grüne Wählerbasis in Kreuzberg. Immer wieder bläst der Fraktion von den Zuschauerrängen im Rathaus ein rauher Wind entgegen. Von alternativem Durchregieren und mangelnder Kompromissbereitschaft im Angesicht der eigenen Stärke ist da die Rede.

Die SPD als zweit­stärks­te Fraktion ist in der BVV nur halb so stark wie die Grünen. Dass der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers den Chefposten erobern könnte, gilt als nahzu ausgeschlossen. Für ihn wird es ein Erfolg sein, den großen Abstand zu den Grünen zu verringern.

Linke muss kämpfen

Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.

Während sich die beiden größeren Parteien kein ernsthaftes Duell liefern, sondern bestenfalls die eigene Position etwas verbessern oder verschlechtern werden, stehen die Linken vor einer sehr schweren Wahl. Schon vor fünf Jahren war die Partei auf Rang vier abgeruscht. Dabei stellte sie – damals noch als PDS – vor nicht allzu langer Zeit sogar noch die Bezirkbürgermeisterin. Ihre Verluste in Friedrichshain hat sie in Kreuzberg nicht kompensieren können. Allerdings hat sie bei Bundestagswahlen immer gut abgeschnitten – davon könnte sie auch jetzt profitieren. Mehr als sieben Sitze wären schon ein Erfolg. Doch wenn sich der Trend fortsetzt, wird sie im schlimmsten Fall vielleicht den einen oder anderen Sitz an die AfD verlieren.

Splitterpartei CDU

Bleibt noch die CDU, die schon vor vier Jahren denkbar schlecht abgeschnitten hat. Nirgendwo werden die Henkelschen Eskapaden eine so starke Auswirkung haben wie in Kreuzberg. Sein Versagen am Gör­litzer Park, die Tatenlosigkeit am Kotti und die Tricksereien in der Rigaer Straße dürften die CDU eher Stimmen kosten, zumal die feurigsten Law-and-Order-Anhänger es dieses Mal eher mit der AfD versuchen werden.

Am Ende wird es bei der BVV-Wahl wohl eher wie in der Fußball-Bundesliga zugehen. Wie es oben ausgeht, scheint klar, aber unten wird es spannend.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Vom Europäer zum Ausländer

Wie Adrian Garcia-Landa den Brexit erlebte

»Ich bin morgens aufgewacht und war plötzlich Ausländer«, schildert Adrian Garcia-Landa seine Gefühlslage, als er vom Votum der Briten für den Brexit erfuhr. Wenn es jemanden gibt, der so etwas wie ein fleischgewordener Ideal­euro­päer ist, dann der Sohn einer deutschen Mutter, eines spanischen Vaters, der in Frankreich aufgewachsen ist – und einen britischen Pass besitzt, der ihn als Engländer ausweist.

Doch es ist nicht der einzige Grund, warum Europa eine Herzensangelegenheit ist. Als Mitarbeiter des lokalen Senders Kiez.FM reist er einmal im Monat zum europäischen Parlament nach Straßburg, um dort zusammen mit Studenten aus verschiedenen europäischen Ländern Beiträge über die europäische Volksvertretung zu produzieren. Das hat auch sein Bild über die Staatengemeinschaft nachhaltig geprägt. Als er den Betrieb des Parlamentes in Straßburg kennenlernte, war er überrascht und fasziniert, wie gut Eu­ro­pa im Grunde funktioniert.

Die Freizügigkeit, das unkomplizierte Reisen und Arbeiten in anderen europäischen Ländern betrachtet er unter anderem als die wertvollsten Errungenschaften der Union. Allerdings sieht er die Gemeinschaft deshalb nicht unkritisch. Zum Teil geht er mit ihr sogar hart ins Gericht: »Die EU ist im Grunde ein Eliteprojekt«, meint er, »von dem vor allem die Gebildeten profitieren.« Und darin sieht er ein Problem, denn der EU ist es nicht gelungen, die eigentlich gute Arbeit und die Errungenschaften richtig zu kommunizieren.

In Großbritannien haben die jungen Menschen zwar mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt, gleichzeitig war aber ihre Wahlbeteiligung deutlich unter dem Durchschnitt. Auch das ist ein Grund für den Sieg der Brexit-Befürworter. Für Adrian ist das keine Überraschung, denn für viele junge Wähler seien die großen Errungenschaften der EU so selbstverständlich, dass sie sie gar nicht mehr richtig würdigten und deshalb seien sie auch der Wahl ferngeblieben.

Für ihn hat das durchaus persönliche Konsequenzen. Als EU-Bürger darf er bei der Berlin-Wahl zwar nicht das Abgeordnetenhaus wählen, aber für die BVV votieren. Da es eine Übergangsfrist von zwei Jahren gibt, kann er im September seine Stimme noch abgeben. Danach hat er auch kommunal kein Stimmrecht mehr.

Er wird wohl aus dieser Situation seine Konsequenzen ziehen. Großen Wert auf seinen britischen Pass legt er nicht mehr. Er wird vermutlich nun die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen, was dank seiner deutschen Mutter kein Problem sein wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.

Die Qualen vor den Wahlen

Probleme mit den Wählerregistern noch immer nicht gelöst / Bezirk sieht sich gerüstet

Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler sah das Unheil schon im Mai kommen. Da wurde schon mal die Berlin-Wahl simuliert. »Die Erfahrungen stimmen mich nicht optimistisch«, lautete sein höflich umschriebenes Fazit.

Um so größer war seine Überraschung, wie das Landeswahlamt die Trockenübung bewertete. In den Wahlämtern der Bezirke waren alle schockiert. Als dann der Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach so langsam klar wurde, dass eben noch nichts klar war, schlug sie Alarm. Und so war Anfang Juni überall zu lesen und zu hören, dass der Termin der Berlin-Wahl am 18. September zur Disposition stehe.

Nun lappte die ganze Geschichte ins Kuriose. Die Bezirksämter, die ursprünglich Alarm geschlagen hatten, sollten an der ganzen Misere schuld sein. So sah es zumindest Innenstaatssekretär Bernd Krömer. Er warf einigen Bezirken vor, sie hätten veraltete Hardware, und die hätte die Pannen verursacht. Insbesondere nannte Krömer veraltete Drucker in Reinickendorf und Treptow-Köpenick.

Es braucht nicht viel technischen Sachverstand, um zu erkennen, dass Krömer den Bezirken auf einigermaßen dämliche Art und Weise den Schwarzen Peter zugeschoben hatte.

Tatsächlich scheint es unwahrscheinlich, dass es sich um ein Hardwareproblem handelt. Doch auch die Software scheint nicht das Problem zu sein. Tatsächlich ist es so, dass der zentrale Server und die Rechner in den Bezirken sehr langsam miteinander interagieren. Mildner-Spindler berichtet, dass es manchmal zwei Minuten dauere, bis sich die Seite eines Datensatzes aufgebaut habe. Er vermutet eine Art »Flaschenhals« auf dem Datenweg, denn das Phänomen trete auch auf, wenn der zentrale Server gar nicht ausgelastet sei. Der Stau an diesem Flaschenhals führe nun auch dazu, dass manche Anfragen einfach abgebrochen würden – mit der Konsequenz, dass es dann zu fehlerhaften Daten etwa im Wählerregister komme.

Die Berichterstattung über die Schwierigkeiten mit den Wahlämtern hat auch an anderen Stellen zu einer gewissen Konfusion geführt. Konkret geht es um die Initiative »Fraenkelufer retten«, die am 5. Juli die Unterschriften für ihr Bürgerbegehren abgeben will. Hier fürchtete man, dass das Bürgerbegehren deshalb scheitern könnte, weil der notwendige Adressabgleich wegen der Schwierigkeiten mit dem zentralen Server nicht möglich sei. Doch da gibt Bezirksstadtrat Mildner-Spindler Entwarnung. Das werde sicher nicht passieren.

Der Bezirk, der übrigens hardwaretechnisch auf den neusten Stand ist, will den Problemen jedensfalls mit mehr Personal zur Wahl begegnen, und dann werde in Schichten gearbeitet.

Ob die Probleme allerdings bis zum Wahltag wirklich gelöst werden können, weiß Mildner-Spindler nicht. Und einen Plan B gebe es nicht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.

Wollen die eigentlich?

Jahrelang war der Konflikt zwischen Fundis und Realos ein stilbildendes Element der Grünen. In keiner Partei wurde so viel und so lustvoll gestritten wie bei der Ökopartei. Inzwischen scheinen sich die Grünen aber zum Ruhepol der Republik gewandelt zu haben. Nicht einmal die absehbare Bauchlandung bei Stuttgart 21 scheint die Partei im Inneren zu erschüttern – und das, wärend sich die Konkurrenz reihenweise innerparteilich zerlegt. Die Linken haben ihre Gesine und ihren bayerischen Springteufel, die SPD ihre Nahles und die Steinis, die FDP schafft sich selbst ab, und bei der CDU ist der latente Zwergenaufstand ein chronischer Zustand geworden. Vor einem knappen Jahr hatten die Grünen die SPD sogar erstmals in Umfragen überflügelt. Das müssen sie so gefeiert haben, dass der Restalkohol heute noch wirkt. Renate Künast, von der man wohl zu Recht behauptet, sie sei eine intelligente Frau, hat seit November – als sie in Umfragen gleichauf oder vor Wowi stand – alles, aber auch alles erdenkliche getan, um ja nicht auf dem unbequemen Bürgermeisterstuhl im Roten Rathaus Platz nehmen zu müssen. Ist ja auch ein undankbarer Job, eine Stadt mit 63 Milliarden Euro Schulden zu regieren. Das entspricht übrigens ziemlich exakt dem Bruttoinlandsprodukt der Slowakei. Wer will sich das schon ans Bein hängen? Aber auch auf den Senatsstühlen sitzt es sich offensichtlich sehr hart. Wie sonst ist es zu erklären, dass Volker Ratzmann den Verzicht auf den Ausbau der A 100 zur Bedingung für eine Koalition macht. Gerade die Grünen müssten doch wissen, dass Wowereit Koalitionsverhandlungen ganz schnell platzen lassen kann. Schon vor zehn Jahren hatten die Grünen hoch gepokert und am Ende alles verloren. Doch selbst auf den Abgeordnetenbänken scheint sich’s für die Grünen nicht bequem genug zu sitzen. Wenn Renate Künast davon spricht, die Piraten müssten »resozialisiert« werden, könnte das die Grünen ein bis zwei Sitze im Abgeordnetenhaus kosten.

Es scheint fast so, als wollten die Grünen um jeden Preis eine Regierungsbeteiligung vermeiden. Dann wird es eben Rot-Schwarz. Das wird alle Autobahnfetischisten freuen, weil die A 100 dann todsicher gebaut wird. Und wenn sich die Grünen weiterhin so dusselig anstellen, wird Wowi in 20 Jahren das Band durchschneiden und feierlich die Schließung des Autobahnrings verkünden. Danach können sich die Grünen ja überlegen, ob sie vielleicht doch wieder in eine Regierung einsteigen wollen. Aber wahrscheinlich haben die Piraten die Grünen dann schon so überflüssig gemacht, wie heute die FDP überflüssig ist.