Ade, Durchgangsverkehr

Bezirk stellt Konzept zur flächendeckenden Verkehrsberuhigung vor

Unter dem Titel »Xhain beruhigt sich« hat Friedrichshain-Kreuzberg Ende Juni als erster Bezirk ein Konzept zur flächendeckenden Verkehrsberuhigung vorgestellt. Erklärtes Ziel ist es, den Durchgangsverkehr aus den Nebenstraßen zurück auf die Hauptstraßen zu bringen – eine »funktionale Klärung«, wie es Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes formuliert. Damit soll sowohl die Verkehrssicherheit als auch die Lebensqualität in den Nebenstraßen erhöht werden. Maßnahmen am Hauptstraßennetz sind explizit nicht Bestandteil des Konzepts, da sie nicht im Zuständigkeitsbereich des Bezirks liegen. Gleichwohl soll weiterhin versucht werden, einzelne Straßen zu Nebenstraßen herabstufen zu lassen, wie das unlängst für die südliche Zossener Straße geschehen ist.

Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes, und Stadträtin Annika Gerold sitzen an einem Tisch. Im Hintergrund ein Bildschirm mit einer PräsentationFelix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes, und Stadträtin Annika Gerold stellen das Konzept zur Verkehrsberuhigung vor. Foto: rsp

Das Konzept ist im Wesentlichen eine Bestandsaufnahme von bereits geplanten, beantragten und diskutierten Maßnahmen, ergänzt um Gebiete, für die es noch keine konkreten Vorschläge gab. Dabei wurden beispielsweise auch Einwohner*innen­anträge von Kiezblock-Initiativen be­rück­sich­tigt. So wurden insgesamt 280 Einzelmaßnahmen identifiziert, zusammengefasst in 15 Planungsräume.

Die einzelnen Maßnahmen funktionieren gewissermaßen nach einem Baukastenprinzip: Vorgesehen sind einerseits Querungshilfen/Gehwegvorstreckungen für Fußgänger, sogenannte Schulzonen sowie Geschwindigkeitsreduktionen durch Asphaltkissen oder Temposchwellen. Diese drei Maßnahmenarten dienen vor allem der Verkehrssicherheit und lassen sich auch ohne Beteiligungsverfahren umsetzen.

Anders sieht das mit den drei anderen Modulen aus: Modale Filter – also Diagonalsperren exklusiv für Autos –, Fußgänger*innenzonen und Einbahnstraßen finden unter Beteiligung der Anwohner statt. Bei diesen Maßnahmen geht es vor allem um das Ziel der Verdrängung des Durchgangsverkehrs. Allen Maßnahmen ist gemein, dass sie sich, anders als umfangreichere Umgestaltungen, verhältnismäßig kostengünstig umsetzen lassen. Derzeit geht man von insgesamt 2 Millionen Euro Planungs- und 1 Million Euro Baukosten aus.

Über den Stand der Planung informiert die Website xhain-beruhigt.berlin. Dort sind zu jedem Gebiet auch die zugrundeliegenden Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), existierende Machbarkeitsstudien und Ähnliches verlinkt. Darüber hinaus verweist jeder Eintrag auch auf eine dazugehörige Seite auf der Beteiligungsplattform mein.berlin.de, über die bereits im Vorfeld eines »echten« Beteiligungsverfahrens Kommentare und Meinungen von Anwohnern eingesammelt werden.

Screenshot mit einer Karte von xhain-beruhigt.berlinUnter den Maßnahmen finden sich auch »alte Bekannte« wie die seit 20 Jahren diskutierte Modalsperre Mittenwalder/Fürbringerstraße. Screenshot: xhain-beruhigt.berlin

Bis die Maßnahmen umgesetzt werden oder auch nur Detailplanungen und Beteiligungsverfahren beginnen, wird es indessen in den meisten Gebieten noch einige Jahre dauern. Einerseits ist dem Bezirksamt und Verkehrsstadträtin Annika Gerold an einer rechtssicheren Umsetzung gelegen, andererseits muss natürlich jeweils die Finanzierung geklärt werden, die unmöglich allein aus bezirklichen Mitteln erfolgen kann. Jetzt sei es an Verkehrssenatorin Schreiner, »zu zeigen, ob ihr die Sicherheit von Fuß­gän­ger*innen und Schü­ler*innen wirklich wichtig ist«, lässt sich Gerold in einer Pressemitteilung zitieren.

Tatsächlich sieht das Konzept, abgesehen von den angedachten Fußgängerzonen, kaum eine Reduktion von Parkplätzen vor, sodass es hier zu weniger Widerständen seitens der Senatorin kommen müsste als beim Radwegeausbau. Dagegen sind Verkehrs‑ und Schulwegsicherheit erklärte Ziele von Manja Schreiner.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2023.

»Wenn wir immer einig wären, wären wir in einer Partei«

Die künftige Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihr Stellvertreter Oliver Nöll im Gespräch

Oliver Nöll (Linke) und Clara Herrmann (Grüne)Oliver Nöll und Clara Herrmann beim Gespräch mit Kiez und Kneipe. Foto: rsp

Ein Blick auf das Wahlergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg ließe vermuten, dass es im Bezirksamt genau so weitergehen könnte, wie in den vergangenen fünf Jahren. Tatsächlich ändert sich aber eine ganze Menge – und das liegt nicht nur daran, dass es künftig sechs statt fünf Stadträte und Stadträtinnen geben wird. Kiez und Kneipe hat sich mit der künftigen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihrem neuen Stellvertreter Oliver Nöll getroffen, um zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten fünf Jahren vom neuen Bezirksamt erwarten können.

Die erste Erkenntnis aus diesem Gespräch ist: Zwischen der Grünen und dem Linken stimmt die Chemie. In vielen Bereichen sind die Ansichten nahezu deckungsgleich. Allerdings betont Oliver Nöll auch die Unterschiede: »Wenn wir alle einer Meinung wären, dann wären wir in der gleichen Partei.« Seine Partei, die Linke, profitiert im Übrigen von der Neuordnung, denn für sie gibt es einen Stadtratsposten mehr, den Regine Sommer-Wetter einnehmen wird. Für die Grünen rückt Annika Gerold nach. Clara Herrmann, Florian Schmidt und Andy Hehmke von der SPD gehörten dem Bezirksamt schon in den vergangenen fünf Jahren an.

Was den Zuschnitt der Ressorts bestrifft, wird sich einiges ändern: Clara Herrmann dazu: »Durch die neuen Regelungen sind wir in unseren Ressortzuschnitten eingeschränkt. Bestimmte Kombinationen sind nicht mehr möglich.« Trotzdem zeichnet sich ein Ressortzuschnitt ab: Der Bürgermeisterin fällt nun automatisch das Ressort Finanzen zu, das Clara Herrmann aber ohnehin schon in den letzten fünf Jahren verwaltet hat. An ihren Stellvertreter Oliver Nöll gehen Arbeit und Soziales sowie Bürgerdienste. Schulstadtrat Andy Hehm­ke wird das Ordnungsamt abgeben. Das geht wohl an Annika Gerold, die auch die öffentlichen Räume mit dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) verwalten soll. Jugendstadträtin wird Regine Sommer-Wetter.

Florian Schmidt bleibt Baustadtrat. Er war in der vergangenen Legislatur das umstrittenste Mitglied des Bezirksamts. Doch Oliver Nöll signalisiert, dass sich seine Fraktion dem Personalvorschlag der Grünen nicht entgegenstellen wird. Er legt auch Wert auf die Feststellung, dass die Linke sich nie gegen das Instrument des Vorkaufsrechts gestellt habe. Nur in der Umsetzung sei man nicht immer einer Meinung gewesen.

Doch das Vorkaufsrecht ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jetzt erst einmal Geschichte. Clara Herrmann nennt das »eine Katastrophe« und sieht nun die neue Bundesregierung in der Pflicht. Dem schließt sich ihr künftiger Stellvertreter ausdrücklich an.

Während auf vielen Gebieten nahezu Harmonie herrscht, gibt es einen Bereich, an dem die unterschiedlichen Standpunkte sehr deutlich werden. Es geht um das Thema Verkehr. Zwar sind sich beide einig, dass eine Verkehrswende im Bezirk umgesetzt wird, doch beim Wie gehen die Meinungen auseinander. Clara Herrmann setzt hier voll auf die Initiativen der Kiezblocks. Sie verweist darauf, dass es zwar auch bei der hochumstrittenen Umwandlung der Bergmannstraße sehr heftige Debatten gegeben habe, »aber am Ende hat das mit der Beteiligung sehr gut funktioniert. Wie wir das auf den letzten Metern gemacht haben, kann auch eine Blaupause dafür sein, wie man das in anderen Kiezen angeht.«

Hier widerspricht ihr Oliver Nöll. »In der Bergmannstraße wohnt jetzt nicht gerade das Prekariat«, meint er. Grundsätzlich sind die Linken der Meinung, dass die Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungen mehr mitgenommen werden muss.

Ein großes Thema in ganz Berlin sind die Bürgerdienste. Bürger, die monatelang auf einen Reisepass oder einen Personalausweis warten und dann von Kreuzberg möglicherweise auch noch nach Hellersdorf oder nach Spandau fah­ren müssen, sind keine Ausnahme, sondern fast schon die Regel. Bundesweit gilt das als Paradebeispiel für die dysfunktionale Verwaltung Berlins. Jüngst hatte ausgerechnet der ehemalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Bezirksämter für das Versagen verantwortlich gemacht.

Das macht die beiden Kommunalpolitiker gleichermaßen wütend. Tatsächlich sei die zentrale Terminvergabe ja unter Wowereits Regierung eingeführt worden, die gleichzeitig auch die Mittel so stark gekürzt habe, dass das Personal immer stärker zurückgefahren wurde.

Doch beide belassen es nicht bei Schuldzuweisungen, sondern haben auch ganz konkrete Vorschläge, wie die Situation entschärft werden kann.

»Beim Ausweis zum Beispiel«, meint Clara Herrmann, »würde ich mir wünschen, dass man einen Hinweis vom Bürgeramt bekommt, wenn er ausläuft, und gleichzeitig einen Terminvorschlag für die Verlängerung.«

Oliver Nöll regt an, den Antrag von Personalausweisen und Reisepässen zu digitalisieren. Der Abgleich von Bild und Unterschrift könne dann bei der Abholung geleistet werden.

Da dieser Bereich in die Zuständigkeit des Landes falle, könne der Bezirk aber immerhin versuchen, hier Einfluss zu nehmen. Für neue Verfahren könne der Bezirk auch Vorreiter sein, dazu sei er bereit.

Darüber hinaus glaubt Clara Herrmann, dass Dinge, die immer wieder neu beantragt werden müssen, nicht jedesmal mit einem Gang aufs Bürgeramt verbunden sein sollten. Sie nennt als Beispiel Anwohner-Park­ausweise. »Das könnte man machen wie mit einem Zeitungsabo, das sich auch immer wieder verlängert. Nur wenn sich etwas verändert, müsste man dann noch kommen.«

Um die Arbeit des Bezirks effektiver zu machen, benötigt es allerdings Geld. Und das ist ein Punkt, der ebenfalls beiden Sorgen macht. Während die Kommunen in den Flächenstaaten über eigene Steuereinnahmen, etwa über die Gewerbesteuer, verfügen, hängen die Bezirke Berlins komplett am Tropf des Senats. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit sogar immer wieder Bestrebungen gegeben, die Bezirke als un­ters­te Verwaltungseinheit komplett abzuschaffen. Ein sogenannter Verfassungskonvent soll in der neuen Legislaturperiode das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken klären. Bestrebungen hin zu mehr Zentralismus in Berlin erteilen beide eine entschiedene Absage. Clara Herrmann weist darauf hin, dass sowohl sie selbst als auch Oliver Nöll ja durchaus auf Erfahrungen auf Landes­ebene verweisen können, sie als ehemalige Abgeordnete und er als Bediensteter in der Senatsverwaltung für Soziales.

Allerdings droht jetzt erst einmal Ungemach: Es gibt noch keinen Haushalt, sondern nur einen Senatsbeschluss. »Wenn der zum Tragen kommt, müssen im Bürgeramt Stellen abgebaut werden«, meint Oliver Nöll und Clara Herrmann fügt hinzu: »Das betrifft nicht nur das Bürgeramt, sondern alle Bereiche.

Beide hoffen, dass es soweit nicht kommt. Oliver Nöll erinnert die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey an ihr Versprechen. »Sie hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht und versprochen, dass es allen Berlinern besser gehen wird. Das bedeutet, dass wir an dieser Stelle mehr Geld brauchen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

Zukunft Bergmannkiez

Ausstellung zur Neugestaltung

Der Bezirk hat alle Bürger, die sich für die Neugestaltung des Bergmannkiezes interessieren, zu einer Ausstellung eingeladen, die allerdings schon am 2. Oktober endete – zumindest im Rathaus in der Yorckstraße.

Doch wer keine Lust auf Mundschutz oder Treppensteigen hat (die Ausstellung ist im ersten Stock), der kann sie sich auch in den Schaufenstern des Stadtteilausschusses Kreuzberg e.V. in der Bergmannstraße ansehen. Es geht sogar noch etwas einfacher, nämlich auf der Webseite zum Modellprojekt.

In einer sehr kompakten Form wird die Ausstellung mit dem Titel: »Zukunft Bergmannkiez – Öffentlicher Raum, Mobilität, Lebensqualität« auch in fünf Filmen wiedergegeben, die ebenfalls im Internet abrufbar sind.

Die Ausstellung beschreibt minutiös den Weg bis zur jetzigen Entscheidung, stellt die Ergebnisse und auch die Streitpunkte des Verfahrens vor. Alle fünf Teile ergeben eine Gesamtlänge von etwas mehr als einer halben Stunde. Fast die Hälfte ist dem Film 4 gewidmet, der sich mit der zweiten Phase der Bürgerbeteiligung beschäftigt.

Insgesamt ist es eine spannende Dokumentation über einen Prozess, der den ganzen Kiez nun viele Jahre in Atem gehalten hat – zumindest für die, die mit Herzblut dabei waren.

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Im Westen mehr Auslauf

Westgelände des Gleisdreieckparks wird eröffnet

Große Flächen mit viel Grün. Naherholung zwischen U-Bahnbrücken und Luxuswohnungen.

Foto: rspGroße Flächen mit viel Grün. Naherholung zwischen U-Bahnbrücken und Luxuswohnungen. Foto: rsp

Dass Berliner Bauprojekte fristgerecht fertiggestellt werden, ist bekanntlich nicht die Regel. Dementsprechend stolz zeigte sich Senator Michael Müller bei der feierlichen Eröffnung des Westparks am Gleisdreieck Ende Mai. Nicht nur habe man die Begrünung der ehemaligen Bahnhofsgeländebrache ein halbes Jahr früher als geplant vollendet, auch das Budget sei eingehalten worden.

»Berlin kann Park«, war dann auch das Résumé des demnächst scheidenden Bezirksbürgermeisters Franz Schulz, der mit sichtlich guter Laune die erfolgreiche Bürgerbeteiligung lobte und »die 30-jährige Geschichte des Kampfes von Bürgern gegen Widerstände« hochhielt.

Weitaus kritischer äußerte sich dagegen Norbert Rheinländer von der AG Gleisdreieck, der sich bereits seit dem Kampf gegen die Westtangente in den Siebzigern für eine Zugänglichmachung des Geländes einsetzt.

Rheinländer erinnerte daran, dass sich genau in jenem Bereich zwischen Yorckstraße und Landwehrkanal jetzt ein riesiges Autobahnkreuz befinden würde, wenn es nach den damaligen Planungen des Senats gegangen wäre. Auf seinen Lorbeeren ausruhen mochte er sich aber auch nicht. Exemplarisch nannte er den derzeitigen Kampf gegen den A100-Ausbau und das Gentrifizierungsproblem direkt neben dem Park: In der westlichen Flottwellstraße entstehen gerade teure Neubauten, deren Investoren jetzt auch von der Attraktivität des Parks profitieren werden.

Ziemlich zufrieden können die Kleingärtner der Kolonie »Potsdamer Güterbahnhof« (POG) sein, die noch vor vier Jahren um ihre Parzellen bangen mussten. Damals hatte das Bezirksamt auf jenem Teil des Geländes zwei Sportplätze errichten wollen. Jetzt ist die Kolonie in den Park integriert und lädt auf einem »Marktplatz« zum Austausch zwischen Parkbesuchern und Laubenpiepern ein. »Wir stehen nicht abseits, sondern mittendrin«, so POG-Vorsitzender Klaus Trappmann zufrieden.

Und auch zufriedene Kinder gibt es. Direkt nördlich der Kolonie wurde ein Spielplatz mit großem Klettergerüst errichtet. Auch der hätte eigentlich im Rahmen der Feierlichkeiten eröffnet werden sollen. Doch das war gar nicht mehr nötig: Längst hatten die kleinen Besucher den Spielplatz in Besitz genommen. Aber das hat auf dem Gelände ja auch eine gewisse Tradition.

Kommentar: Langer Atem und Widerstände

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2013.

Eine Sache des Glaubens

Zur Zeit hat er richtig viel zu tun, der Dr. Franz Schulz, Bürgermeister des Kreativbezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Derzeit scheint es, als wolle er sich an die Spitze der Kreativisten setzen. Sehr kreativ ist es beispielsweise, mit dem Investor an der East Side Gallery über einen Grundstückstausch zu verhandeln, wenn man doch bis vor drei Monaten das Vorkaufsrecht hatte. Zumindest wenn er sich als Brückenbauer geriert, ist er ehrlich. Er will halt unbedigt die Brommybrücke bauen. Und das Projektehaus? Die Bürger dürfen mitentscheiden, und wenn sie einig sind, werden BVV und Bezirksamt genau das machen, was die Bürger wollen. Und wenn sich die Bürger – bei 57(!) Projektvorschlägen – nicht einig sind? Vor ein paar Jahren sollten die Anwohner in der Schleiermacherstraße auch mitentscheiden. Während sie noch im NHU diskutierten, hatte Schulz die Liegenschaft schon vergeben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2013.

57 Initiativen wollen in die Schule

Gerhart-Hauptmann-Schule soll Projektehaus werden

Viel Platz für Initiativen: Aus der Hauptmannschule wird ein Projektehaus.

Foto: pskViel Platz für Initiativen: Aus der Hauptmannschule wird ein Projektehaus. Foto: psk

Das Interesse der Anwohner ist groß. Die Skepsis allerdings auch. Rund 150 Interessierte waren in die Rosa-Parks-Grundschule in der Reichenberger Straße gekommen, um zu erfahren, was denn nun mit einer anderen Schule in unmittelbarer Nachbarschaft passieren soll.

Es handelt sich um die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Grundschule, die bundesweit als Zufluchtsstätte jener Flüchtlinge bekannt geworden ist, die seit Herbst in Berlin gegen die aktuelle Gesetzgebung für Asylbewerber demonstrieren. Das Bezirksamt hatte angesichts des strengen Winters ein Bleiberecht in der Gerhart-Hauptmann-Schule bis 31. März gewährt, das aber angesichts der vorherrschenden Witterung wohl auch verlängert werden dürfte.

Die Frage nach der Zukunft der Flüchtlinge spielte dann auch bei der Versammlung eine, aber nicht die entscheidende Rolle. Die Gerhart-Hauptmann-Schule heißt jetzt Projektehaus, und die Bürger im Reichenbergerkiez sind aufgerufen, über die Projekte mitzubestimmen, die sich in dem Haus ansiedeln sollen.

Allerdings musste Jan Kaiser vom Ingenieurbüro Steinbrecher und Partner all jene enttäuschen, die geglaubt hatten, dass es an jenem Abend schon ans Eingemachte ginge. Eigentlich sollte es mehr oder weniger um Verfahrensfragen gehen und erläutert werden, wie es nun weitergehen soll.

Trotzdem war manches schon sehr erhellend, beispielsweise die Erkenntnis, dass sich bislang 57 Initiativen und Gruppierungen mit Vorschlägen und Projekten in dem Gebäude beworben haben, das ingesamt über eine Fläche von rund 3000 Quadratmetern verfügt.

Doch es sollen noch mehr werden. Die Deadline für die Vorschläge wurde noch einmal auf den 8. April verlängert, weil nicht alle Antragsteller fertig wurden.

Schwarzlicht-Minigolf als Symbol der Skepsis

Wenn es einen einhelligen Bürgerwillen gäbe, dann werde sich die Bezirksverordnetenversammlung diesem Votum anschließen, versicherte Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz.

Wieviele von den bislang 57 Projekten überhaupt durchhalten können, ist allerdings die Frage, denn die Räume gibt es nicht kostenlos. Der Bezirk ist gesetzlich verpflichtet, ortsübliche Mieten zu verlangen. Das heißt, jede Initiative, die ihre Ideen in den Räumen der ehemaligen Schule umsetzen will, muss erst einmal 7,50 Euro Warmmiete pro Quadratmeter aufbringen. Hinzu kommt, dass die Bewerber nicht gewinnorientiert arbeiten sollen. Das macht es für künftige Nutzer nicht eben leichter, hier einzusteigen.

Es ist auch noch nicht klar, wer denn überhaupt mitstimmen darf. Auf die Frage, ob es nach den Meldeadressen gehe, erhielt die Versammlung ein deutliches Nein.

Tatsächlich fanden sich Zuhörer, die dafür plädierten, die Bewohner von Car-Lofts bei einer Abstimmung über die weitere Verwendung der Hauptmann-Schule auszuschließen.

Derzeit scheint vor allem klar zu sein, dass noch nichts klar ist. Und so lud der Versammlungsleiter zu einem Spielchen mit Pinwand und Meta-Kärtchen. In der ersten Runde sollten sich die Zuhörer melden und sagen, was sie gerne in den Räumlichkeiten sehen wollten. In einer zweiten Fragerunde sollte auf roten Kärtchen all das angepinnt werden, was die Bewohner keinesfalls als Nachbar haben wollen. So scheint es ziemlich ausgeschlossen, dass eine weitere Schwarzlicht-Indoor-Minigolfanlage in den Kiez zieht. Eine solche Einrichtung gibt es nämlich im Haus 1 auf dem Gelände des ehemaligen Görlitzer Bahnhofs. Da hätten nach dem Willen der Bürger eigentlich Einrichtungen für Kinder und Jugendliche reinkommen sollen. So wurde die Schwarzlicht-Indoor-Minigolfanlage zum Synonym für die Skepsis in Sachen Projektehaus Ohlauer Straße.

Immerhin haben die Zuhörer in einem Punkt Transparenz erzwungen. Das Ingenieurbüro bekommt 9.000 Euro.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2013.

Bürgerdeputierte und Baumscheibenvandalen

BVV-Sitzungen werden jetzt auch im Internet übertragen

Jeden letzten Mittwoch im Monat tagt die BVV Friedrichshain-Kreuberg, und seit Neuestem müssen kommunalpolitisch interessierte Menschen nicht einmal mehr die heimische Wohnküche verlassen, wenn sie wissen wollen, welche Themen im Bezirksparlament verhandelt werden. Auf Initiative der Piratenfraktion werden nämlich alle BVV-Sitzungen live als Audiostream im Internet übertragen und auch aufgezeichnet.

So kann man zum Beispiel Ohrenzeuge werden, wie eine von allen anderen Fraktionen als dringlich eingestufte Resolution gegen den Ausbau der A100 auf Antrag eines einzelnen CDU-Verordneten vertagt werden musste. Diese kann damit dann wohl nicht mehr rechtzeitig vor der bevorstehenden Räumung eines Neuköllner Baugrundstücks verabschiedet werden. Auch die längere und recht hitzige Debatte über den unsensiblen Umgang des Grünflächenamts mit Baumscheibengärtchen in der Reichenberger Straße war nicht ohne Reiz.

Außerdem war zu erfahren, dass die Einführung der Parkraumbewirtschaftung für die Kochstraße geplant und für Bergmann- und Chamissokiez mittelfristig ebenso angedacht ist.

Die Bürgerdeputierten und ihre Stellvertreter wurden (einstimmig via Konsensliste) gewählt, so dass jetzt alle Ausschüsse vollständig und arbeitsfähig sind.

Ebenfalls einstimmig beschlossen wurde, dass das Bezirksamt sich beim EU-Projekt »Linked Open Data 2« um eine kostenlose Beratung zur benutzerfreundlicheren Veröffentlichung ihrer Drucksachen und Verwaltungsdaten im Internet bewerben soll.

Transparenz, Bürgerbeteiligung und Verbesserung der IT-Infrastruktur sind derzeit ohnehin ein großes Thema im Bezirk. Ein großes Bündel von Anträgen zu diesem Themenfeld – vor allem aus der Grünen-Fraktion und von den Piraten, und in einem Fall sogar von der CDU – wurde zunächst zur weiteren Ausarbeitung und Beratung in die entsprechenden Ausschüsse verwiesen.

Wem zwei Stunden BVV-Sitzung nicht genug oder zuviel des Guten sind, dem sei – ergänzend oder alternativ – der Podcast »Nachsitzen« der Piratenfraktion ans Herz gelegt, in dem diesen Monat erstmals die Bezirksverordneten Felix Just und Ralf Gerlich sowie der Fraktionsmitarbeiter Malte Jan Kaffenberger in lockerer Runde beim Bier die Highlights der BVV-Sitzung aus piratischer Sicht resümierten und mit Hintergrundinformationen und Anekdoten aus den Ausschüssen ergänzten.

Hier geht’s zu den Audioaufzeichnungen der Piratenfraktion Friedrichshain-Kreuzberg. Der Podcast „Nachsitzen“ findet sich hier.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2012.