Wenig Spannung im Titelkampf

Für kleinere Parteien sind Überraschungen bei der BVV-Wahl möglich

In vielen Teilen Deutschlands ist eine Kommunalwahl ein mühsames Geschäft. In Städten wie etwa Stuttgart kämpfen sich die Wähler durch wandtapetengroße Stimmzettel. Zudem wird von ihnen verlangt, sich mit Wahltechniken herumzuschlagen, die auf so schöne Namen wie Kumulieren, Panaschieren oder Unechte Teilortswahl hören. Das alles klingt mehr nach Kamasutra als nach demokratischem Urnengang.

In Berlin ist es dagegen denkbar einfach. Es gibt einen Stimmzettel und ein Kreuzchen für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Die 55 Sitze im Rathaus in der Yorckstraße werden dann proportional verteilt.

Klare Verhältnisse

Die Verhältnisse in der derzeitigen BVV ist sehr eindeutig. Bei momentan nur 51 Mitgliedern sind die Grünen mit ihren 22 Sitzen schon sehr nah an der absoluten Mehrheit. Dass nicht die volle Zahl der Bezirksverordneten ins Kommunalparlament einzog, lag einfach daran, dass die Piraten nach ihrem Überraschungserfolg nicht über genügend Kandidaten verfügten, um alle Sitze zu besetzen. Ihnen hätten neun zugestanden. Vier blieben frei.

Alle buhlten damals um die Gunst der Politikneulinge – und das hatte nicht nur mit Welpenschutz zu tun. Rein theoretisch hätten SPD, Linke und Piraten eine Zählgemeinschaft gegen die Grünen bilden können. Doch am Ende blieb es bei einer klassischen Rollenverteilung, die den Grünen im Bezirksamt drei von fünf Stadtratsposten bescherte.

Dass die Piraten ihren Überraschungserfolg von 2011 noch einmal wiederholen, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die kleine Fraktion blieb nicht vom Zerfall der Gesamtpartei verschont. Statt fünf hat sie heute nur noch vier Mitglieder. Eine Bezirksverordnete verließ die Fraktion.

Das Erbe der Piraten

Es geht also bei der BVV-Wahl vermutlich um die Hinterlassenschaft der Piraten, das heißt um bis zu neun Sitze, die sich nun andere Parteien erobern können – mal ganz abgesehen von den üblichen Verschiebungen, die so eine Wahl sonst mit sich bringt. Doch ganz abschreiben kann man die Piraten auch nicht, denn um in die BVV zu gelangen, benötigen sie nur drei Prozent. Das ist etwa der Wert, den Demoskopen den Piraten berlinweit derzeit einräumen. Rechnet man den Kreuzberg-Bonus dazu – nirgendwo haben die Piraten vor fünf Jahren besser abgeschnitten – dann könnte es durchaus noch reichen.

Wer überrascht?

Monika Herrmann bleibt wohl im Amt.

Foto: Sedat Mehder Monika Herrmann bleibt wohl im Amt. Foto: Sedat Mehder

Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei ebenfalls einen solchen Überraschungscoup landen könnte, und da geht der bange Blick automatisch auf die AfD. Eigentlich scheint es ausgeschlossen, dass eine so rechte Partei in Friedrichshain-Kreuzberg reüssieren könnte, denn in ganz Berlin gibt es keine linkere BVV. Wenn man die Piraten zum linken Block zählt, blieben dem rechts-bürgerlichen Lager gerade mal vier Verordnete der CDU.

Nun haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, dass die AfD bei allen Parteien wildern konnte. In den ostdeutschen Bundesländern wurde dabei aber ausgerechnet die Linke schwer gerupft.

Es ist also überhaupt nicht auszuschließen, dass die AfD mit einigen Bezirksverordneten in die BVV einzieht. Bei einem so meinungsfreudigen Parlament, das häufig große Zuschauermassen anzieht, dürfte das für noch wesentlich turbulentere Sitzungstage sorgen.

Bleibt das Bezirksamt?

Peter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim GernPeter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim Gern

Die wichtigste Aufgabe zu Beginn der neuen Legislatur wird die Wahl eines neuen Bezirksamtes sein. Derzeit stellen die Grünen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Baustadtrat Hans Panhoff und Kämmerin Jana Borkamp drei der fünf Posten. Dr. Peter Beckers (SPD), zuständig für Wirtschaft, und der Linke Knut Mildner-Spindler (Soziales), vervollständigen das Gremium.

Da die beiden letzteren als Spitzenkandidaten für ihre jeweilige Partei ins Rennen gehen und bei den Grünen wenig auf ein Abweichen von der bisherigen Rollenverteilung hindeutet, könnte das alte Bezirksamt wieder das neue sein.

Es gibt jedoch ein paar Unwägbarkeiten. Da ist zunächst die Bezirksbürgermeisterin. Monika Herrmann gilt als streitbar und hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Innensenator Frank Henkel sehr an Profil gewonnen. Vor allem dem bürgerlichen Lager gilt sie als der Fleisch gewordene Gott­sei­mit­uns. Das hilft ihr in Kreuzberg ungemein und auch die eine oder andere innerparteiliche Auseinandersetzung ist inzwischen längst vergessen. Paradoxerweise könnte Frank Henkels unsägliches Verhalten in Sachen Rigaer Straße den Grünen am 18. September ein Rekordergebnis bescheren. Der eine oder andere Grüne träumt bereits von einer absoluten Mehrheit im Kreuzberger Rathaus.

Allerdings bröckelt auch die Grüne Wählerbasis in Kreuzberg. Immer wieder bläst der Fraktion von den Zuschauerrängen im Rathaus ein rauher Wind entgegen. Von alternativem Durchregieren und mangelnder Kompromissbereitschaft im Angesicht der eigenen Stärke ist da die Rede.

Die SPD als zweit­stärks­te Fraktion ist in der BVV nur halb so stark wie die Grünen. Dass der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers den Chefposten erobern könnte, gilt als nahzu ausgeschlossen. Für ihn wird es ein Erfolg sein, den großen Abstand zu den Grünen zu verringern.

Linke muss kämpfen

Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.

Während sich die beiden größeren Parteien kein ernsthaftes Duell liefern, sondern bestenfalls die eigene Position etwas verbessern oder verschlechtern werden, stehen die Linken vor einer sehr schweren Wahl. Schon vor fünf Jahren war die Partei auf Rang vier abgeruscht. Dabei stellte sie – damals noch als PDS – vor nicht allzu langer Zeit sogar noch die Bezirkbürgermeisterin. Ihre Verluste in Friedrichshain hat sie in Kreuzberg nicht kompensieren können. Allerdings hat sie bei Bundestagswahlen immer gut abgeschnitten – davon könnte sie auch jetzt profitieren. Mehr als sieben Sitze wären schon ein Erfolg. Doch wenn sich der Trend fortsetzt, wird sie im schlimmsten Fall vielleicht den einen oder anderen Sitz an die AfD verlieren.

Splitterpartei CDU

Bleibt noch die CDU, die schon vor vier Jahren denkbar schlecht abgeschnitten hat. Nirgendwo werden die Henkelschen Eskapaden eine so starke Auswirkung haben wie in Kreuzberg. Sein Versagen am Gör­litzer Park, die Tatenlosigkeit am Kotti und die Tricksereien in der Rigaer Straße dürften die CDU eher Stimmen kosten, zumal die feurigsten Law-and-Order-Anhänger es dieses Mal eher mit der AfD versuchen werden.

Am Ende wird es bei der BVV-Wahl wohl eher wie in der Fußball-Bundesliga zugehen. Wie es oben ausgeht, scheint klar, aber unten wird es spannend.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Kreuzberg wird fair

Bezirk soll zur »Fairtrade Town« werden

Angeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten.

Foto: rspAngeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten. Foto: rsp

»Bio« ist für Produkte in Friedrichshain-Kreuzberg fast schon Standard – jetzt soll der Bezirk auch zur »Fairtrade Town« werden. Hinter der Bezeichnung verbirgt sich eine Zertifizierung des Kölner TransFair e.V. für Kommunen, die sich für die Verbreitung von fair gehandelten Produkten einsetzen. Idealerweise werden dabei nicht nur gerechte Rohstoffpreise an die Erzeuger bezahlt, sondern auch direkte, langfristige und partnerschaftliche Beziehungen zu den Produzenten aufgebaut.

Nach einem entsprechenden Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, gab der Bezirk in einer Auftaktveranstaltung Ende November den Startschuss für die Kampagne. Dass Fair Trade »nicht nur Kaffee« ist, sondern auch eine politische Dimension hat, führte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann gleich bei der Begrüßung aus. Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, die auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, sei fairer Handel auch eine Möglichkeit »aktiv im Sinne der Menschen vor Ort« zu werden und Fluchtursachen zu minimieren.

Helena Jansen, die das Projekt als Promotorin für Kommunale Entwicklungspolitik unterstützt und auch beim Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael Del Sur mitarbeitet, moderierte die gut besuchte Veranstaltung im BVV-Saal und stellte klar, dass es durchaus wünschenswert sei, auch über die Mindestanforderungen der Kampgane hinauszugehen.

Was die Anforderungen sind und wie sie umgesetzt werden können, erläuterte anschließend Volkmar Lübke, langjähriger Akteur in der Fair-Trade-Bewegung. Neben dem obligatorischen (BVV-)Beschluss sowie einer hinreichend großen Zahl von Fair-Trade-Geschäften im Bezirk (in Friedrichshain-Kreuzberg: 38 Einzelhandelsgeschäfte, 19 Cafés/Restaurants), gehört dazu auch die Einbindung der Zivilgesellschaft. Produkte aus fairem Handel müssen also auch in Schulen und Kirchengemeinden verwendet werden.

Vor allem aber bedarf es der Bildung einer lokalen Steuerungsgruppe.

Über 380 Fairtrade Towns in Deutschland

Zu den Aufgaben dieser Steuerungsgruppe gehört die Koordination der Aktivitäten vor Ort.

Volkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns.

Foto: rspVolkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns. Foto: rsp

Tatsächlich fanden sich unter den gut 30 Besuchern der Veranstaltung neun Personen, die an einer Mitarbeit in einer Steuerungsgruppe interessiert wären. Wie sich in einer Vorstellungsrunde herausstellte, verfügten viele der Anwesenden bereits über einschlägige Erfahrungen im Bereich Fair Trade, beispielsweise durch jahrzehnte lange Mitarbeit in Eine-Welt-Läden.

Vorreiter in Sachen Fairtrade Town ist in Berlin der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, der sich bereits seit 2011 mit dem Titel schmücken darf. In den letzten Monaten hat es aber auch in vielen anderen Bezirken entsprechende Beschlüsse gegeben.

Die Idee der Fairtrade Towns wurde in der britischen Kleinstadt Garstang geboren, die sich 2001 zur »World’s First Fairtrade Town« erklärte. Seitdem gibt es weltweit über 1.700 Städte mit dem Siegel, über 380 davon in Deutschland.

Weitere Infos unter: fairtrade-towns.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2015.

Götz Müller will keinen Coffeeshop

Der BVV-Fraktionsvorsitzende der CDU stellt sich im »Galander« der Diskussion

Götz Müller beim Redaktionsgespräch im »Galander«.

Foto: csGötz Müller beim Redaktionsgespräch im »Galander«. Foto: cs

»Politik für die Menschen« will er machen, das sagt er ganz am Anfang, und tatsächlich ist ein gutes Dutzend Besucher ins »Galander« gekommen, um sich anzuhören, wie die Politik von Götz Müller aussehen könnte. Seit 2006 ist der gebürtige Wiesbadener für die CDU in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, jetzt will er das Direktmandat erkämpfen – und rechnet sich dafür durchaus Chancen aus.

In der »B.Z.« outete sich Müller kürzlich als Gegner des Flüchtlingscamps am Oranienplatz. Flüchtlinge, sagt er, sähe er kaum noch am Oranienplatz, sondern vielmehr »Linksradikale«, die die Flüchtlinge für »eigene Zwecke« missbrauchten. Überhaupt handele es sich bei dem Gelände um eine öffentliche Grün- und Erholungsanlage, und schon deshalb sei das Camp nicht länger zu tolerieren.

Auch die politischen Forderungen der Flüchtlinge teilt er nicht. Die Residenzpflicht diene unter anderem dazu, zu verhindern, dass alle Flüchtlinge in die Großstädte strömen. Eine Arbeitserlaubnis für Asylbewerber lehnt er ab, da er befürchtet, dass damit ein neuer Niedriglohnsektor eröffnet würde. Außerdem könne ein potentieller Arbeitgeber mit Flüchtlingen nicht planen, da im Schnitt neun von zehn Asylanträgen abgelehnt werden würden.

Eine andere »Grünfläche«, die derzeit die Gemüter in Kreuzberg erhitzt, ist der Görlitzer Park, in dem teilweise ganz offen Drogen gehandelt werden. Den Vorschlag von Bezirksbürgermeisterin Herrmann, einen Coffeeshop einzurichten, um die Problematik zu entschärfen, hält er für ein Grünes Wahlkampfmanöver. Für einen Coffeeshop sieht er nicht nur keine Rechtsgrundlage, sondern befürchtet auch, dass Dealer dann auf den Verkauf von harten Drogen umsteigen. Stattdessen erhofft er sich von einer Verstärkung der Polizeipräsenz eine allmähliche Verdrängung der Dealer.

In fast allen Parteien – auch in der CDU – gibt es Arbeitskreise, die sich mit dem Konzept »Bedingungsloses Grundeinkommens« (BGE) beschäftigen. Als Anhänger des Satzes »Leistung muss sich lohnen« glaubt Müller, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, die aus Leidenschaft arbeiten. Damit würde es bald an Mitteln fehlen, ein BGE auszuzahlen. Und auch ein flächendeckender Mindestlohn, so Müller, »ist entweder wirkungslos oder vernichtet Arbeitsplätze.«

Gegen steigende Mieten hat Müller ein einfaches Rezept: Wohnungsneubau, gerne auch am Rande des Tempelhofer Feldes. Außerdem setzt er auf staatliche Förderprogramme, die es Mietern ermöglichen sollen, die von ihnen bewohnte Wohnung zu kaufen.

Mit seinen teils recht exklusiven Ansichten stößt Müller nicht auf ungeteilte Zustimmung, und so entwickelt sich in der anschließenden Fragerunde eine kontroverse Diskussion um Asyl- und Bildungspolitik.

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Der Kandidat der exklusiven Meinung

Kiez und Kneipe sprach mit dem CDU-Kandidaten Götz Müller

Gemütliche Runde: Götz Müller (CDU) beim Redaktionsgespräch mit der KuK.

Foto: csGemütliche Runde: Götz Müller (CDU) beim Redaktionsgespräch mit der KuK. Foto: cs

Ein wenig träumen wird ja noch erlaubt sein. Und so kann sich denn der CDU Kandidat Götz Müller vorstellen, dass er vielleicht doch den Wahlkreis erobern könnte, dann nämlich, wenn der unbesiegbar scheinende Hans-Christian Ströbele ganz viele Stimmen an die beiden Damen Wawzyniak und Kiziltepe verliert – dann könnte er als lachender Vierter da stehen. Daran glaubt er zumindest eher, als dass die Union eine so satte absolute Mehrheit erreicht, die ihn als zehnter auf der Landesliste noch in den Bundestag hieven würde.

Beim Treffen mit Kiez und Kneipe im »Galander« in der Großbeerenstraße macht Müller einen aufgeräumten Eindruck. Der Fraktionsvorsitzende seiner Partei in der BVV sieht sich dann auch mit jenen drei Aufregerthemen im Kiez konfrontiert, mit denen sich schon seine vier Mitbewerber auseinandersetzen mussten: Flüchtlingscamp am Oranienplatz, Drogendealer im Görlitzer Park und Gentrifizierung. Bei den beiden ersten Themen kultiviert Müller eine sehr exklusive Meinung. Das Flüchtlingscamp ist für ihn unter anderem ein Grünflächenproblem, und die Forderungen der Flüchtlinge nach Abschaffung der Residenzpflicht und Arbeitserlaubnis teilt er erwartungsgemäß nicht. Gegen eine Arbeitserlaubnis spräche seiner Ansicht nach auch, dass damit ein weiterer Niedriglohnsektor eröffnet würde.
Dass Müller gegen einen Coffee-Shop am Görlitzer Park ist, überrascht nun niemanden. In Sachen Mietpreissteigerungen und Verdrängung weiß er sich einig mit seinem Kollegen von der FDP, Helmut Metzner. Das Rezept heißt bauen, bauen und nochmals bauen.

Damit sind alle Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien von der KuK in einem öffentlichen Redaktionsgespräch befragt worden. Doch weil’s so schön war, gibt’s noch eine Zugabe: Die Piraten schienen vor zwei Jahren schon fast sicher im Bundestag angekommen zu sein – und in die BVV haben sie es geschafft. Derzeit liegen sei bei Umfragen zwischen drei und vier Prozent. Ein Sprung ins Parlament scheint also noch möglich. Dazu und zu vielem anderen werden wir heute ab 19 Uhr im »Martinique» in der Monumentenstraße den Kandidaten der Piraten, Sebastian von Hoff, befragen.

Hier kann noch einmal der komplette Mitschnitt des Gespräches angehört werden. Leider ließen sich die typischen Bargeräusche im Hintergrund nicht vermeiden.

Franz Schulz gibt sein Amt ab

Bezirksbürgermeister hört im Sommer auf / Monika Herrmann Favorit für die Nachfolge

Franz Schulz und seine mutmaßliche Nachfolgerin Monika Hermann. Foto: pskFranz Schulz und seine mutmaßliche Nachfolgerin Monika Hermann. Foto: psk

Nun geht er doch. Dr. Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg gibt sein Amt am 31. Juli, einen Tag vor seinem 65. Geburtstag auf, wie es das Gesetz auch vorsieht. Doch Schulz wollte sich ursprünglich von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) noch bis zum Ende der Legislaturperiode wählen lassen, so, wie es auch sein Neuköllner Amtskollege Buschkowsky vorhat.

Doch Schulz, der sich Anfang des Jahres noch für kerngesund und fit für den Job fühlte, muss nun auf Anraten seines Arztes mit der natürlichen Pensionsgrenze das Rathaus verlassen.

Wer in seine Amtsräume in der Frankfurter Allee einziehen könnte, scheint schon ausgemachte Sache. Die Bezirksstadträtin für Familie, Gesundheit, Kultur und Bildung, Monika Herrmann, soll Franz Schulz nachfolgen.

Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der BVV gilt ihre Wahl als sicher. Allerdings ist mit der Nachfolge nur eine von einer ganzer Menge von Fragen geklärt.

So wird es wohl zu einem neuen Zuschnitt der Bezirksämter kommen. Dass Monika Herrmann als Rathauschefin alle Zuständigskeitsbereiche behält, scheint unwahrscheinlich, ist sie doch bereits jetzt so etwas wie eine Superministerin im Bezirksamt. So könnten Gesundheit oder Kultur wieder an Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler von den Linken wandern, der diese Ressorts schon einmal innehatte.

Mit Spannung wird eine andere Entscheidung erwartet. Wer das Amt für Stadtentwicklung übernehmen wird, das Schulz ebenfalls innehatte, bevor er Bürgermeister des Doppelbezirks wurde, ist derzeit noch nicht ausgemacht. Es dürfte eher unwahrscheinlich sein, dass es sich die mutmaßliche Nachfolgerin von Schulz selbst ans Bein bindet. Allerdings werden die Grünen dieses Schlüsselressort kaum an eine der anderen Parteien abgeben wollen.

Kommentar dazu: Neue Frau, neues Glück

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2013.

Der Reissack fällt um

Es ist ein Jammer. Reissäcke, Tetrapacks und Bäckerkisten dienen ab jetzt nur noch der Folklore. Wenn »Nomadisch Grün« ehrlich wäre, würde es ab heute auf diese Attribute verzichten und ganz normale Schrebergärten anlegen. Mit der Petition und dem Eintreten der BVV, die Prinzessinnengärten zu einer Dauereinrichtung zu machen, ist das Projekt eines Gründungsmythos‘ und seiner eigentlich sinnstiftendenden Idee eines mobilen Gartens beraubt. Es sollte doch gerade der Beweis für eine sinnvolle Zwischennutzung von Brachen erbracht werden. Wenn aber die Zwischennutzung zur Dauernutzung wird, ist dieser Beweis ad absurdum geführt. Der Garten ist schön, gewiss. Er ist ein nachbarschaftliches tolles Projekt, keine Frage. Es wäre auch schade um ihn. Auch das steht außer Diskussion. Doch wer jetzt noch mit einem sinnvollen Zwischennutzungsprojekt für ein freies Gelände kommt, wird es in Zukunft sehr schwer haben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2012.

Mobile Gärten werden sesshaft

BVV für Erhalt der Prinzessinnengärten

Bleibende Gärten: Die Chancen, dass das Projekt am Moritzplatz bleibt, stehen gut. Foto: psk

Den Prinzessinnengärten am Moritzplatz bleibt ein Umzug nun wohl doch erspart. Ohne Gegenstimmen sprach sich die Bezirksverordneten-Versammlung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg dafür aus, die Gärten zu erhalten. Das Bezirksamt soll sich nun beim Senat dafür einsetzen, dass die einstige Brache nicht, wie ursprünglich vorgesehen, nach 2013 vom Liegenschaftsfonds verkauft wird.

Zuvor hatte es bereits eine große Soldiaritätswelle für das Projekt von »Nomadisch Grün« gegeben. In einer Internetpetition hatten sich innerhalb von wenigen Tagen fast 7.000 Unterstützer für einen Erhalt des Projektes ausgesprochen.

Dabei war der mobile Garten als Zwischennutzungsprojekt angelegt worden. Die Beete in Bäckerkisten, Reissäcken und Tetrapacks sollten falls nötig innerhalb von kürzester Zeit auch an einen anderen Ort gebracht werden können.

2010 wurden die Prinzessinnengärten bei der Weltaustellung EXPO in Shanghai vorgestellt. Im gleichen Jahr wurde das Projekt mit dem Utopia-Award ausgezeichnet.

Auf dem rund 6.000 Quadratmeter großen Areal sind rund 400 Beete und drei Bienenvölker angesiedelt. Seit 2010 gibt es ein Gartencafé, ein Jahr später kam eine Küche dazu.

Die Prinzessinnengärten besitzen auch Ausstrahlungskraft. Ableger der Bienenvölker gingen an die Universiät der Künste, und auch in Hamburg schwärmen inzwischen Kreuzberger Bienen.

Kommentar zum Thema: Der Reissack fällt um

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2012.

Schlechte Aussichten für die gute Aussicht

Schöneberg setzt den Bewohnern der Eylauer Straße Eigentumswohnungen vor die Nase

Nur noch Brennholz. Foto: BI Viktoriakiez

Am Bahngraben zwischen Kolonnen- und Monumentenbrücke kreischen die Kettensägen. Die Bäume sollen Wohnhäusern weichen, und zwar zunächst je einem Eckhaus an der Monumenten- und Dudenstraße. Später sollen die Eckhäuser durch einen geschlossenen Riegel von weiteren Häusern verbunden werden, an die 30 Meter hoch, fast 300 Meter lang. Über 200 Eigentumswohnungen sollen hier entstehen, die dann laut einem Bericht der »taz« für Quadratmeterpreise zwischen 2.700 und 4.000 Euro verkauft werden sollen.

Zwar liegt das Gelände »am Lokdepot« – so der Name des Bauprojekts, für das die Projektentwicklungsgesellschaft UTB verantwortlich zeichnet – auf Schöneberger Gebiet, aber die Auswirkungen werden wohl zunächst Kreuzberger zu spüren bekommen.

Die Bewohner der Eylauer Straße wollen sich nicht damit abfinden, dass ihre luftigen, sonnigen, zur Bahntrasse offenen Hinterhöfe bald von einem »Betonklotz«, verschattet werden, und haben bereits 2010 die Bürgerinitiative »Eylauer Straße im Viktoriakiez« gegründet. Damals nämlich wurden die ersten Pläne bekannt, die die Bebauung des Geländes vorsahen, und eigentlich hatte es Ende 2010 so ausgesehen, als wäre das Thema vom Tisch, denn die Mehrheit der BVV Tempelhof-Schöneberg hatte sich gegen das Projekt ausgesprochen.

Ende 2011 aber wurde ohne weitere Einbeziehung der Politik oder der Bürger vom Leiter des Schöneberger Stadtentwicklungsamtes, Siegmund Kroll, eine Baugenehmigung für die beiden Eckhäuser erteilt. Kroll berief sich dabei auf §34 des Baugesetzbuches, der dies beim Einfügen in »die Eigenart der näheren Umgebung« und einer gesicherten Erschließung« auch ohne Bebauungsplan zulässt. Experten aus dem Umfeld der Bürgerinitiative zweifeln an, dass dieser Paragraph hier greift.

Die Gerüchteküche im Kiez munkelt, die Zusage des neuen Investors, die über die letzten Monate auf dem Gelände gewachsene illegale Mülldeponie auf seine Kosten zu beseitigen (es ist die Rede von bis zu 80.000 Euro), habe den Ausschlag gegeben, dass die Baugenehmigung so schnell und unbürokratisch erteilt wurde.

Nicht einmal das Juchtenkäferargument zieht

Dementsprechend war die gemeinsame Sitzung der Stadtplanungsausschüsse von Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg Anfang Februar so gut besucht, dass die Sitzplätze knapp wurden.

Als dann der Schöneberger Ausschussvorsitzende Reinhard Janke (SPD) aufgrund der fortgeschrittenen Zeit (zuvor war bereits über das ähnlich kontroverse Bauprojekt »Hellweg-Baumarkt« am Yorckdreieck verhandelt worden) einer Bürgerin aus der benachbarten Anwohnerinitiative »Flaschenhals/Bautzener Straße« das Rederecht verweigerte, war die Empörung groß. Anders als die Friedrichshain-Kreuzberger schreibt nämlich die Tempelhof-Schöneberger BVV-Geschäftsordnung kein grundsätzliches Rederecht für Gäste fest.

Der Schöneberger Bezirksverordnete Michael Ickes (Piraten) fand eine kreative Möglichkeit, diese Entscheidung zu unterlaufen und wiederholte jeden Satz der Bürgerin als eigenen Redebeitrag. Dies veranlasste Versammlungsleiter Janke dazu, die Sitzung abzubrechen.

Derselbe Pirat Ickes zog dann wenig später die Artenschutzkeule und formulierte einen Antrag an die BVV Tempelhof-Schöneberg, in dem er die Aussetzung der bauvorbereitenden Baumfällgenehmigung forderte, und zwar aus Rücksicht auf die in den Kellern der Eylauer Straße überwinternden Fledermäuse, die bei größeren Temperaturschwankungen gerne ihre Quartiere zu wechseln und in Baumhöhlen einzuziehen pflegen.

Aber Berlin ist nicht Stuttgart, und Fledermäuse sind keine Juchtenkäfer, und so war dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt. Zunächst wurde der Antrag in den für Fledervieh zuständigen Ausschuss für Verkehr und Grünflächen überwiesen, und auf der am 21. Februar in der Robert-Blum-Schule stattfindenden Informationsveranstaltung wurde nur noch lapidar verlautbart, dass der hinzugezogene faunistische Gutachter keine Fledermäuse wahrgenommen habe und im Übrigen auch die auf dem Gelände nistenden Singvögel gleichwertigen Wohnraum in der Nachbarschaft finden würden.

Zwei Tage nach der Informationsveranstaltung kamen die Bagger und Kettensägen und schufen vollendete Tatsachen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2012.

Ringen ums Rathaus

Bezirksamtsselbstfindung geht nicht ohne Querelen und Turbulenzen ab

Nach zähem Ringen um Wahlverfahren, Ressortverteilungen und Partnerschaften sieht es so aus, als ob Friedrichshain-Kreuzberg – als letzter der 12 Berliner Bezirke – nun doch in der BVV-Sitzung am 7. Dezember ein neues Bezirksamt wählen wird.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich aufgrund einer Gesetzesänderung in 2008 die Anzahl der Bezirksstadträte in allen Bezirken ab der aktuellen Legislaturperiode von sechs (inklusive Bezirksbürgermeister) auf fünf verringert. Dies führt nun dazu, dass den Grünen nach dem laut Gesetz anzuwendenden Sitzverteilungsverfahren nach d‘Hondt drei und SPD und Linkspartei je ein Stadtratsposten zusteht.

Diese Machtverhältnisse veranlassten die Piratenfraktion dazu, einen offenen Brief zu verfassen, in dem sie stattdessen die Verteilung der Posten nach Hare-Niemeyer vorschlugen – was dazu geführt hätte, dass die Grünen einen Stadtrat an die Piraten hätten abgeben müssen, die ja, wir erinnern uns, auf das Vorschlagsrecht für einen Bezirksstadtrat verzichten mussten, weil sie mangels Kandidaten nur fünf der neun bei der Wahl gewonnenen BVV-Sitze besetzen konnten.

Der Leiter des Rechtsamts jedoch sah das anders, so dass das Thema Piratenstadtrat für diese Legislaturperiode endgültig vom Tisch sein dürfte.

Als kleines Trostpflaster bot die Fraktion der Linken in Gestalt des derzeitigen und designierten Stadtrats Knut Mildner-Spindler den Bezirkspiraten eine »privilegierte Partnerschaft« an. In mehreren Gesprächen einigten sich die beiden Fraktionen auf Informationsaustausch, Zusammenarbeit beim Vorantreiben der Transparenz in der Bezirksverwaltung und gleichberechtigte Behandlung von Anträgen beider Parteien durch den Stadtrat. Die zeitweilig von den Piraten aufgestellte Forderung, Mildner-Spindler solle die Spenden aus seinen Stadtratsvergütungen zu gleichen Teilen unter beiden Parteien aufteilen, wurde hingegen von den Linken sowohl aus verwaltungsrechtlichen als auch aus moralischen Gründen abgelehnt.

Zu Irritationen bei den anderen Parteien führten Berichte in der Berliner Presse, denen zufolge Grüne und CDU eine Zählgemeinschaft zur Wahl des Bezirksamts beschlossen hätten, und Gerüchte, dass einige der SPD-Verordneten mit dem Gedanken spielten, zur Piratenfraktion überzutreten.

Letztendlich rauften sich dann doch die beiden stärksten Fraktionen zusammen und unterzeichneten eine Kooperationsvereinbarung zur Bildung des Bezirksamts und zur Zusammenarbeit bei Themen wie Jugend, Schule, Verkehr, Inklusion und Transparenz.

Schulz verzichtet auf Gleichstellung und macht Finanzen zur Chefsache

Ressort Stadtrat 2006 Stadtrat 2011
Stadtentwicklung Schulz (Grüne) Schulz (Grüne)
Personal Schulz (Grüne) Schulz (Grüne)
Gleichstellung Schulz (Grüne)
Wirtschaft Beckers (SPD) Beckers (SPD)
Bürgerdienste Beckers (SPD) Mildner-Spindler (Linke)
Ordnungsamt Beckers (SPD) Beckers (SPD)
Finanzen Stöß (SPD) Schulz (Grüne)
Kultur Stöß (SPD) Herrmann (Grüne)
Bildung Stöß (SPD) Herrmann (Grüne)
Sport Stöß (SPD) Beckers (SPD)
Bauen Panhoff (Grüne) Panhoff (Grüne)
Wohnen Panhoff (Grüne)
Immobilienservice Panhoff (Grüne) Panhoff (Grüne)
Gesundheit Mildner-Spindler (Linke) Herrmann (Grüne)
Soziales Mildner-Spindler (Linke) Mildner-Spindler (Linke)
Beschäftigung Mildner-Spindler (Linke) Mildner-Spindler (Linke)
Jugend Herrmann (Grüne) Herrmann (Grüne)
Familie Herrmann (Grüne)
Schule Herrmann (Grüne) Beckers (SPD)
Umwelt Panhoff (Grüne)
Verkehr Panhoff (Grüne)

Im Rahmen der Kooperationsgespräche verteilten Grüne und SPD dann auch gleich mal die Bezirksamtsressorts unter ihren Stadträten. Gleichstellung, Wohnen und Familie fallen weg, neu sind die Ressorts Umwelt und Verkehr, für die in Zukunft der Grüne Hans Panhoff verantwortlich zeichnet, der weiterhin für Wohnen und Immobilien zuständig ist. Um die Finanzen sorgt sich in Zukunft Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) persönlich, seine Parteikollegin Monika Herrmann übernimmt die Bereiche Kultur und Sport vom scheidenden SPD-Stadtrat Jan Stöß, dafür darf sich Peter Beckers künftig zusätzlich mit Schulbelangen beschäftigen. Ob der Wechsel von Knut Mildner-Spindler (Linke) aus dem Gesundheitsressort in den Bereich Bürgerdienste aus freien Stücken stattfindet, bleibt bestenfalls ungewiss.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2011.

Ein vergiftetes Geschenk

AGB-Gebäude soll an der Bezirk gehen

Teures Geschenk? Die Amerika-Gedenk-Bibliothek in Kreuzberg. Foto: psk

Auf dieses Geschenk wird der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gerne verzichten. Ob er es kann steht auf einem anderen Blatt. Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU haben nämlich ein überraschendes Zwischenergebnis gebracht. Auf der Temeplhofer Feld soll eine neue Bibliothek entstehen, eine Metropolbibliothek. Knapp 70.000 Quadratmeter auf zehn Stockwerken soll das Gebäude umfassen – und damit die Kapazität von der Bibliothek in der Breitestraße in Mitte und der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) am Blücherplatz aufnehmen. Der CDU war das alles bislang viel zu teuer. Offensichtlich haben sich die künftigen Koalitionäre noch einmal hingesetzt und mit spitzem Bleistift genau nachgerechnet. 250 Millionen Euro soll das Ganze kosten. Das ist ein stolzer Preis, gewiss, aber nun hat die CDU zugestimmt. Die Begründung lautet: Eine dringend notwendige Sanierung der beiden Standorte in Mitte und in Kreuzberg würde teurer kommen. Der Neubau und damit die Zusammenlegung kämen billiger.

Nun stellt sich allerdings die Frage, was mit den Gebäuden passiert, die so heruntergekommen sind, dass eine Viertel Millarde Euro nicht ausreicht, sie ordentlich zu sanieren? Ganz einfach. Das Haus in der Breitestraße soll an einen privaten Investor verkauft werden. Davon ist in Kreuzberg allerdings nicht die Rede. Der alte und wohl auch neue Senat habe da offenbar ganz konkrete Vorstellungen, wie der Berliner Tagesspiegel zu berichten weiß: »Nach der Eröffnung soll die alte AGB dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg für Kultur- und Bildungszwecke überlassen werden.« Das klingt zwar zunächst sehr gut, aber die Sache hat dann doch einen kleinen, nicht unbedeutenden Haken. Der Bezirk ist chronisch klamm. Um das Gebäude für Bildungs- und Kulturzwecke zu nutzen, müßte es erst einmal umgebaut und renoviert werden. Selbst wenn man die spezifischen Ausgaben, die ein Umbau der Landesbibliothek gekostet hätte, abzeiht, bleiben immer noch Kosten von mehreren Millionen Euro in bedeutender zweistelliger Höhe übrig, die der Bezirk so nicht stemmen kann.  Auf die neugewählte BVV und das künftige Bezirksamt wartet eine spannende Aufgabe.

Gerangel und Gespräche um den letzten Stadtrat

Piraten lenken ein und wollen weiter verhandeln

Ist der Alte auch der Neue? Knut Mildner-Spindler von der Linken ist derzeit Bezirksstadtrat für Gesundheiot und Soziales. Foto: psk

Jetzt ist es wohl amtlich: Es wird keinen Stadtrat der Piratenpartei im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg geben. Am 30. September hatten die Piraten noch angekündigt, sie wollten das Vorschlagsrecht für einen Stadtratsposten in Anspruch nehmen. Das wäre dann der von Knut Mildner-Spindler von den Linken gewesen. Tatsächlich waren die Piraten als drittstärkste Partei in die neue Bezirksverordnetenversammlung eingezogen und hatten die Linke dabei deutlich überholt.

Allerdings waren die Piraten nicht in der Lage, alle ihnen zustehenden Sitze in der BVV zu besetzen, da sie zu wenig Kandidaten aufgestellt hatten, beziehungsweise drei von ihnen auch für das Abgeordnetenhaus kandidierten und nun in den Preußischen Landtag eingezogen sind. Diese Sitze für die Piraten sind nun verfallen, was wiederum die Linke zur drittstärksten Fraktion machte, die noch einen Stadtrat vorschlagen darf.

Nach der Auffassung der Piraten stand aber ihnen dieses Vorschlagsrecht zu, weil sie mehr Wählerstimmen erreicht hatte. Die BVV-Newcomer kündigten ab, um dieses Recht kämpfen zu wollen. Dabei fuhren sie eine Doppelstrategie. Einerseits verhandelten sie mit der Linken, andererseits prüften sie auch die juristische Sachlage.

Im Blog der Bezirks-Piraten heißt es seit Mittwoch: »Ihr hattet recht, wir hatten unrecht.« Trotzdem wollen sie weiter das Gespräch mit der Linken suchen, um möglicherweise einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin zu finden. Im Gespräch war bereits Anke Domscheidt-Berg, einstige Microsoft-Direktorin, Frau des Wikileaks-Mitbegründers Daniel Domscheidt-Berg und Unternehmerin. Doch der Vorschlag hat einen Haken. Sie ist Mitglied der Grünen. Das würde bedeuten, dass die Stadtratsposten mit einer Ausnahme alle von den Grünen besetzt würden. Von den Linken heißt es aus gutunterrichteten Quellen, dass sie Knut Mildner-Spindler wieder vorschlagen wollen.

Die SPD hat durch ihr schwaches Abschneiden einen Bezirksstadtrat eingebüßt. Noch ist nicht klar, ob Jan Stöß, der eigentlich Bezirksbürgermeister werden wollte, oder Peter Beckers das Feld räumt.

Grüne legen zu, SPD bricht ein

Es wird sich einiges ändern in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Doch das, was vor allem die SPD angestrebt hatte, bleibt beim Alten – der Mann auf dem Chefsessel. Zu gerne hätte Jan Stöß den durchaus nicht unumstrittenen Dr. Franz Schulz als Bürgermeister abgelöst. Mit einem Stimmenanteil von 20,8 Prozent dürfte das eher schwer werden. Die SPD büßte bei der BVV-Wahl fast fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein.

Die Grünen dagegen legten um 2,5 Prozent zu und kommen jetzt auf 35,5 Prozent. Sie sind damit noch eindeutiger die stärkste Fraktion in der BVV. Die Linke, die immerhin bis 2006 noch die Bezirksbürgermeisterin stellte, verliert weiter an Boden. Vier Prozent weniger als 2006 stehen für sie zu Buche. Für ihre 12,5 Prozent stehen der Linken noch sieben Sitze im Bezirksparlament zu. Damit wäre eigentlich Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler seinen Job los, denn die Piraten sind mit Glanz und Gloria ins Rathaus an der Yorckstraße eingezogen. 14,3 Prozent der Stimmen konnten sie auf sich vereinigen. Das bedeutet acht Sitze in der BVV und damit hätten die Piraten eigentlich auf eben jenen Stadtratsposten der Linken Anspruch. Die Sache hat allerdings einen Haken. Auf der Liste der Piraten standen gerade mal acht Namen. Drei davon kandidierten auch für das Abgeordnetenhaus. In das sind sie nun auch gewählt. Auf Landesebene gilt das gleiche. Die Piraten hatten 15 Kandidaten aufgestellt. Exakt so viele haben den Sprung in den preußischen Landtag geschafft. Für Friedrichshain-Kreuzberg heißt das nun, dass die Piraten auf drei Sitze in der BVV verzichten müssen und damit auch auf einen Bezirksstadtratsposten. Allerdings könnte einer der drei neuen Abgeordneten auch auf sein Landtagsmandat verzichten und stattdessen Bezirksstadtrat werden.

Nur noch eine Randnotiz ist die Tatsache, dass eine Partei aus der BVV rausgeflogen ist. Die FDP ist in Friedrichshain-Kreuzberg nicht mehr vertreten. Außer von den Piraten wurde sie im übrigen auch von Martin Sonneborns Spaßpartei »Partei« überholt (2,8%) , sowie von der BIG (1,6%) und NPD (1,0%).  Außerdem gab es mit 1,3% 0,4 Prozentpunkte mehr ungültige Stimmen, als Kreuzchen für die FDP.

Alle Ergebnisse der BVV-Wahl gibt es auf der Webseite der Landeswahlleiterin.

Die SPD schielt auf den Chefsessel

Sozialdemokraten wollen Bezirksrathaus zurückerorbern

Berlin hat wieder die Wahl. Am 18. September sind rund zweieinhalb Millionen Berlinerinnen und Berliner dazu aufgerufen, über ein neues Abgeordnetenhaus abzustimmen und sich in ihren Bezirken neue Bezirksverordnete zu wählen.

Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind rund 170.000 Bürger wahlberechtigt. Allerdings gingen vor fünf Jahren nur 55,9 Prozent von ihnen zur Wahl. Das waren noch einmal zwei Prozent weniger als im Landesschnitt.

Im Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg geht es jetzt um sechs statt um fünf Wahlkreise im Abgeordnetenhaus, drei in Kreuzberg und drei in Friedrichshain. Der große Gewinner bei der Wahl 2006 waren die Grünen mit 31,5, gefolgt von der SPD mit 28,1 Prozent. Die Linke, damals noch PDS, die bis dato in Form von Cornelia Reinauer noch die Bezirksbürgermeisterin gestellt hatte, landete bei der Abgeordnetenhauswahl mit 16,9 Prozent ebenso auf dem dritten Rang, wie bei den Wahlen zur BVV, so dass Franz Schulz die PDS-Politikerin beerben konnte.

Eine neue Komponente wird es dieses Mal geben. Die Piraten haben in Umfragen drei Wochen vor der Wahl die FDP überholt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte es für die Grünen im Bezirk eng werden, ihre Spitzenposition zu halten. Die SPD hätte Chancen, die Rathausführung zurückzuholen.

Siehe auch: Kommentar zur Piratenpartei

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2011.

Kein blauer Dunst mehr – nirgendwo!

Kreuzberg wird Europas erster Rauchverbotsmusterbezirk

Kreuzberg staunt über das neueste EU-Pilotprojekt unter der Schirmherrschaft des frischgebackenen EU-Kommissars Günter Öttinger. Ab 1. April 2011 gilt das absolute Rauchverbot im Kiez. Weder in Raucherkneipen, noch auf der Straße oder in Privatwohnungen wird der Genuss von Tabak erlaubt sein. Die BVV beschloss in ihrer letzten Sitzung die Zustimmung zu diesem Projekt, nicht ohne stolz auf die Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit zu verweisen, der Kreuzberg als geeigneten Bezirk für diesen Feldversuch favorisierte. »Kreuzberg ist für Europa der Vorzeigekiez hinsichtlich EU-Zuwanderung, insbesondere die schwäbischen Immigranten lassen eine hohe Akzeptanz des Rauchverbots erhoffen«, meint Günter Öttinger. Vorbild für dieses Projekt ist das amerikanische Belmont, Kalifornien, in dem das absolute Rauchverbot durchgesetzt wurde.

Erste Reaktionen sind harsch: »Das ist ein weiterer Anschlag der vergnügungsfernen Bildungsschichten auf die lebensfrohe Kreuzberger Art«, meint der Vorsitzende der Hedonistischen Union, Tobias Bouwer, voller Empörung.

Schlechte Zeiten für Raucher bedeuten in diesem Fall gute Zeiten für den Arbeitsmarkt. So plant Kreuzberg eine neue Abteilung Nichtraucherschutz mit einem Personalbedarf an 2.500 Ordnungshütern. Dienststellenleiter und Dezernent wird der bundesweit bekannte Oberregierungsrat Burkhard van Nelle, der mit zwei Mitarbeitern das Nichtraucherschutzgesetz in Lokalen mit aller Härte bereits in Kreuzberg umgesetzt hat. »Ich bin stolz, diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen zu dürfen« meint van Nelle, »wir werden unter meiner Führung nicht eine Zigarettenkippe im Kiez zulassen«. Bewerbungen sind erwünscht aus dem Beamtenpool, bevorzugt werden pädagogische Mitarbeiter aus dem Schulbereich, denn »Schulen können durchaus nach der erfolgreichen Etablierung des jahrgangsübergreifenden Lernens auf Lehrer verzichten«, so Bildungssenator Klaus Zöllner. »Die Schüler der ersten drei Klassen unterrichten sich nun qualifiziert gegenseitig«. Das Rauchen wird geahndet werden mit einer Geldstrafe bis zu 1000€, Denunziation ist erwünscht und wird mit einer Kopfprämie von 300€ belohnt.

Für die Tabak- und Zeitungsläden wird mit einem umfangreichen Entschädigungspaket geworben. So erhalten Läden, die sich für einen Umzug in einen anderen Stadtteil entscheiden ein großzügiges Startkapital, Umzugskostenhilfe und Mietfreiheit für ein Jahr, finanziert über die EU. Alternativ wird für verbleibende Geschäfte eine Produktumstellung gefördert. So hat man bereits Kontakt zum Brandenburger Bauernverband aufgenommen, um ungesunden Tabak und Zigaretten mit groß und stark machender Milch von Brandenburger Bauern zu substituieren. Der Brandenburger Bauernverband musste in diesem Vertrag lediglich auf das Jammern im Jahr 2011 verzichten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2010.