Ein Ort für Visionen

Der »Pfad der Visionäre« soll ein Zeichen für die Werte und Kulturen Europas setzen

Blick über die Granitplatten des Pfads der Visionäre in Richtung NordenEndlich begehbar: Der »Pfad der Visionäre« wurde eröffnet. Foto: rsp

»Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen« soll Alt-Kanzler Helmut Schmidt einst gesagt haben – »eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage«, wie er 30 Jahre später einräumte. Und schon deshalb ist es nicht das unbelegte Schmidt-Zitat, das den deutschen Beitrag auf dem »Pfad der Visionäre« ziert, sondern der kategorische Imperativ von Immanuel Kant: »Handle stets so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«

27 »Tafeln der Nationen« à 1,2 Quadratmeter, eine für jedes Mitgliedsland der EU, sind es, die am südlichsten Ende der Friedrichstraße in einer begehbaren Kunstinstallation dazu einladen, über gemeinsame Werte wie Frieden, Völkerverständigung, aber eben auch über die jeweilige kulturelle Identität der teilnehmenden Länder nachzudenken. Getreu dem EU-Motto »In Vielfalt geeint« ist auf jeder der Granitplatten ein Zitat eingraviert, meist das einer herausragenden Persönlichkeit, das gewissermaßen stellvertretend für das kulturelle »Mindset« des Landes steht. Eine Jury, bestehend aus Akteuren aus Politik, Kultur und Wissenschaft, wählte schließlich unter den Einreichungen der Länder aus.

Bereits 2004 hatte der Trägerverein Kunstwelt e.V. mit der Kon­zep­tion begonnen. 2006 war der »Pfad der Visionäre« zunächst als temporäre Installation eröffnet worden, musste dann aber wegen der langjährigen Baustelle der BVG weichen. Die Neugestaltung des Mehringplatzes verzögerte die Umsetzung weiter. Mit der Wiedereröffnung des Platzes Mitte Mai ist nun auch der »Pfad der Visionäre« eingeweiht worden.

Eine weitere Granittafel mit einem Zitat aus der Verfassung der UNES­CO (»Da Kriege im Geiste der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geiste der Menschen verankert werden.«) deutet bereits darauf hin, dass das Projekt mit der Einweihung zwar einen Meilenstein erreicht hat, aber keineswegs ein Ende. Geht es nach Projektleiter Bonger Voges vom Kunstwelt e.V., so soll die Installation zu einem »Pfad der Visionäre der Welt« erweitert werden. Während beim derzeitigen »Pfad« die gemeinsamen Werte der europäischen Länder im Vordergrund stehen, soll die erweiterte Version ein Zeichen für Völkerverständigung und die sich gegenseitig inspirierenden Kulturen auf globaler Ebene setzen.

Neben der UNESCO haben bereits 121 Länder einen Beitrag für das Projekt geleistet, berichten die Initiatoren auf ihrer Website. Offen ist neben der Finanzierung, die beim vorhandenen Projekt zum größten Teil von den Botschaften der Länder und privaten Sponsoren getragen wurde, derzeit auch der Standort. Der Vorschlag von Kunstwelt e.V. ist es, den »Pfad der Visionäre der Welt« als eine Art Verlängerung entlang der gesamten Friedrichstraße bis zum historischen Nordtor, also dem Oranienburger Tor, anzulegen. Noch aber ist die Erweiterung – eine Vision.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2022.

Vom Europäer zum Ausländer

Wie Adrian Garcia-Landa den Brexit erlebte

»Ich bin morgens aufgewacht und war plötzlich Ausländer«, schildert Adrian Garcia-Landa seine Gefühlslage, als er vom Votum der Briten für den Brexit erfuhr. Wenn es jemanden gibt, der so etwas wie ein fleischgewordener Ideal­euro­päer ist, dann der Sohn einer deutschen Mutter, eines spanischen Vaters, der in Frankreich aufgewachsen ist – und einen britischen Pass besitzt, der ihn als Engländer ausweist.

Doch es ist nicht der einzige Grund, warum Europa eine Herzensangelegenheit ist. Als Mitarbeiter des lokalen Senders Kiez.FM reist er einmal im Monat zum europäischen Parlament nach Straßburg, um dort zusammen mit Studenten aus verschiedenen europäischen Ländern Beiträge über die europäische Volksvertretung zu produzieren. Das hat auch sein Bild über die Staatengemeinschaft nachhaltig geprägt. Als er den Betrieb des Parlamentes in Straßburg kennenlernte, war er überrascht und fasziniert, wie gut Eu­ro­pa im Grunde funktioniert.

Die Freizügigkeit, das unkomplizierte Reisen und Arbeiten in anderen europäischen Ländern betrachtet er unter anderem als die wertvollsten Errungenschaften der Union. Allerdings sieht er die Gemeinschaft deshalb nicht unkritisch. Zum Teil geht er mit ihr sogar hart ins Gericht: »Die EU ist im Grunde ein Eliteprojekt«, meint er, »von dem vor allem die Gebildeten profitieren.« Und darin sieht er ein Problem, denn der EU ist es nicht gelungen, die eigentlich gute Arbeit und die Errungenschaften richtig zu kommunizieren.

In Großbritannien haben die jungen Menschen zwar mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt, gleichzeitig war aber ihre Wahlbeteiligung deutlich unter dem Durchschnitt. Auch das ist ein Grund für den Sieg der Brexit-Befürworter. Für Adrian ist das keine Überraschung, denn für viele junge Wähler seien die großen Errungenschaften der EU so selbstverständlich, dass sie sie gar nicht mehr richtig würdigten und deshalb seien sie auch der Wahl ferngeblieben.

Für ihn hat das durchaus persönliche Konsequenzen. Als EU-Bürger darf er bei der Berlin-Wahl zwar nicht das Abgeordnetenhaus wählen, aber für die BVV votieren. Da es eine Übergangsfrist von zwei Jahren gibt, kann er im September seine Stimme noch abgeben. Danach hat er auch kommunal kein Stimmrecht mehr.

Er wird wohl aus dieser Situation seine Konsequenzen ziehen. Großen Wert auf seinen britischen Pass legt er nicht mehr. Er wird vermutlich nun die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen, was dank seiner deutschen Mutter kein Problem sein wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.