Verraten und verkauft

Gentrifizierung im Kiez schreitet voran

Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen lohnt sich – zu dieser bitteren Erkenntnis kommen die Bewohner des Hausprojekts WAX 34. Vor zwei Jahren hatte die derzeitige Mehrheitseigentümerin das Haus für 1,25 Millionen Euro gekauft und hat mit dem Verkauf von acht der Wohnungen mittlerweile bereits 1,5 Millionen Euro erwirtschaftet. Jetzt werden die übrigen Wohnungen als Paket für 1,6 Millionen Euro angeboten. Beim vorherigen Besitzerwechsel im Jahre 2004 war das Haus für gerade einmal 600.000 Euro über den Tisch gegangen.

Für die Mieter in der Willibald-Alexis-Straße 34 ist klar, was das bedeutet: Die Rauskaufversuche, Mieterhöhungen, angedrohten Kündigungen sowie der Ärger mit wechselnden Hausverwaltungen und Sachbearbeitern, den sie seit Monaten beklagen, dürfte mit einem neuen Eigentümer in die nächste Runde gehen. Auch mit Schikanen wie nicht durchgeführten Mängelbeseitigungen in den Wohnungen, so die Befürchtung der widerstandsbereiten Bewohner, wird es nicht vorbei sein.

Nicht immer geben sich Immobilienspekulanten auf den ersten Blick unfreundlich. Schon im Mai berichtete die Berliner MieterGemeinschaft e.V. über die Praxis, Mieter vorgeblich »zur Abstimmung beidseitiger Interessen« zu Einzelgesprächen einzuladen. Die »Berater« von beauftragten Dienstleistern wie »Pro Soluta« seien darauf geschult, Mieter zu ungünstigen Vereinbarungen zu überreden, also beispielsweise zu einem Auszug gegen eine vergleichsweise geringe Abfindung. Der Verein rät, derartige »Gesprächsangebote« nicht anzunehmen, sondern sich stattdessen mit den gleichfalls betroffenen Nachbarn auszutauschen.

Auch bei Aufhebungsverträgen mit scheinbar attraktiven Abfindungssummen, so rechnet der Verein vor, ist das Geld durch Mehrkosten für eine höhere Miete in einer neuen Wohnung meist schnell aufgebraucht. Bei Hartz-IV-Empfängern wird die Abfindung darüberhinaus vom Jobcenter als Einkommen gewertet. Für den Vermieter hingegen ist ein solcher Vertrag immer ein gutes Geschäft – sei es, dass er mit einer höheren Miete bei Neuvermietung rechnen kann, sei es, dass er die unvermietete Wohnung teurer verkaufen kann, wie etwa in der Willibald-Alexis-Straße.

Kommentar: Bitte die Haie nicht füttern

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2012.

Club im Clinch

Hausverwaltung kündigt dem SO36

Anstatt sein 30. Jubiläum in Ruhe zu feiern, muss sich das SO36 in der Oranienstraße mit immer neuen Problemen herumschlagen.

Mitte des Monats fanden die Betreiber des über die Grenzen der Stadt bekannten Veranstaltungsortes die Kündigung ihres Mietvertrags in der Post. Der Grund: die ausstehende August-Miete, die mitt­lerweile beglichen ist. Vorangegangen waren dem Schreiben diverse Auseinandersetzungen des Betreiberkollektivs mit der Hausverwaltung über vom Ordnungsamt geforderte Baumaßnahmen – eine 80.000 Euro teure Schallschutzmauer war die letzte Hoffnung gegen einen beständig über Lärm klagenden Nachbarn des Clubs.

Immerhin die Hälfte der immensen Kosten für die Mauer sind mitt­ler­wei­le durch Spenden und ein Benefizkonzert der Toten Hosen zusammengekommen, aber die Hausverwalterin Simone Stober scheint dem Vorhaben skeptisch gegenüber zu stehen. Zumindest ließ sie dem »Tip« gegenüber verlauten, dass sie bezweifelt, ob eine Mauer überhaupt etwas bringt. Auch ihre Äußerungen in der Berliner Zeitung erwecken den Eindruck, dass der legendäre Punk-Schuppen nicht ihr Traummieter ist. Sie wünscht sich eine »harmonischere« Oranienstraße, in der sich auch Familien wohlfühlen

Fünf der sieben Häuser in der »O-Straße«, die von der Firma Retus verwaltet werden und der Schwiegermutter von Simone Stober gehören, sind bereits saniert, und die Mieten wurden deutlich erhöht.

Auch die traditionsreiche Ecke rund um den Heinrichplatz ist inzwischen von der Gentrifizierungswelle überrollt worden. Die »Aufwertung« gewachsener Kiezstrukturen durch die Schaffung von höherwertigem und -preisigem Wohnraum für Familien und Besserverdienende hat schon für so manche kulturelle Institution das Aus bedeutet, Institutionen, die gerade das spezielle Flair und damit die Attraktivität des Kiezes ausmachen.

Im Falle der Institution SO36 gibt es noch eine leise Hoffnung. Immerhin redet man inzwischen wieder miteinander. Am 24. September saßen Betreiberverein, Hausverwaltung und Bezirksbürgermeister Franz Schulz zusammen am Runden Tisch, und sowohl im Bezirksamt als auch auf der Web­seite des SO36 ist man zuversichtlich, das Gespräch soll konstruktiv verlaufen sein.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2009.