Das Interesse verlagert sich

Kandidaten der Außenseiter locken mehr Zuhörer an als früher

Warten auf den Kandidaten: An sechs Abenden interviewte die KuK Abgeordnete und solche, die es werden wollen.

Foto: philsWarten auf den Kandidaten: An sechs Abenden interviewte die KuK Abgeordnete und solche, die es werden wollen. Foto: phils

Sechs Kandidaten innerhalb von zweieinhalb Wochen stellten sich der Kiez und Kneipe in sechs verschiedenen Kneipen. Etwas mehr als einen Monat vor der Bundestagswahl konnten sich die Leser der KuK selbst ein Bild von denen machen, die sie in den nächsten Bundestag schicken sollen. Hans-Christian Ströbele ist dort schon – und zwar seit drei Legislaturperioden als einziger Grüner, der bislang direkt in den Bundestag gewählt wurde. Vor vier Jahren ist neben ihm auch noch Halina Wawzyniak von den Linken für den Wahlkreis 83 ins Parlament eingezogen.

Zu den Veranstaltungen der beiden Abgeordneten waren diesmal etwas weniger Interessierte gekommen, als in den Vorjahren. Dafür zogen die Kandidaten von SPD, CDU und FDP mehr Besucher an. Wegen ihrer Präsenz in der BVV und im Abgeordnetenhaus wurde dieses Mal auch der Kandidat der Piraten eingeladen.

Es gibt nur wenige, die ernsthaft daran zweifeln, dass der Grüne Hans-Christian Ströbele auch ein viertes Mal den Wahlkreis Friedrichhain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost direkt erobern wird. Ob er es allerdings erneut mit nahezu 50 Prozent schaffen wird, ist nicht ganz so sicher. Dagegen gibt es zwei gute Gründe – und die sind beide nicht nur jung und charmant, sondern offenbar auch sehr kompetent.

Halina Wawzyniak hat nicht nur vier Jahre im Bundestag geackert, sondern auch mit ihrem Wahlkreisbüro sehr starke Präsenz im Kiez gezeigt. Das könnte sich nun in einem höheren Stimmenanteil auszahlen.

Cansel Kiziltepe von der SPD wirbt nicht nur damit, dass sie ein Kiezkind aus dem Wrangelkiez ist. Die Volkswirtin beim VW-Konzern ist der perfekte Gegenentwurf zu den umstrittenen Thesen ihres Parteigenossen Thilo Sarrazin. Auf Platz fünf der Landesliste stehen ihre Chancen gar nicht mal so schlecht.

Für sie gilt wie für Halina Wawzyniak, die als fünfte auf der Linken-Liste ist: Es kommt darauf an, wieviel Direktmandate die jeweilige Partei in Berlin erringt und wieviele Zweitstimmen abgegeben werden, die letztlich über die Listenkandidaten entscheiden.

Vor vier Jahren hatte die einstige Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld mit ihren tiefen Einblicken nicht nur Kanzlerin Angela Merkel irritiert, sondern mit ihren Ansichten auch konservative Wähler verstört. Der CDU-Fraktionsvorsitzende in der BVV Götz Müller könnte hier verlorenes Terrain ein wenig zurückerobern.

Nachdem vor vier Jahren der geschasste Landesvorsitzende der FDP, Markus Löning, im Wahlkreis 83 kandidierte, muss nun der einstige Büroleiter von Guido Westerwelle ran. Helmut Metzner stolperte über seine ganz persönliche Wikileaks-Affäre. Und so wird man das Gefühl nicht los, dass der 83er für die Liberalen so eine Art Strafwahlkreis darstellt.

Bleibt noch der Pirat Sebastian von Hoff – ein Schornsteinfeger. Wie er und seine Mitstreiter sich geschlagen haben, erfahren Sie in den folgenden Artikeln:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Helmut Metzner glaubt nicht an Gentrifizierung

Westerwelles Ex-Büroleiter verteidigt die FDP-Positionen in der Cantina Orange

Helmut Metzner lässt sich vom Blick des KuK-Redakteurs Robert S. Plaul und den kritischen Nachfragen des Publikums nicht beirren.

Foto: csHelmut Metzner lässt sich vom Blick des KuK-Redakteurs Robert S. Plaul und den kritischen Nachfragen des Publikums nicht beirren. Foto: cs

Friedrichshain-Kreuzberg ist ja nun nicht gerade als Hochburg der FDP bekannt. Und so bekundet Direktkandidat Helmut Metzner, er »kandidiere aus Solidarität mit der Idee der Freiheit, damit die Liberalen hier im Bezirk auch einen Ansprechpartner haben.« Immerhin hat er als Vierter auf der Landesliste zumindest bei einem sehr guten Abschneiden seiner Partei in Berlin die Chance auf einen Nachrückerposten.

Der 45-jährige Franke ist studierter Historiker und arbeitet derzeit als selbständiger Politikberater. Zuvor war er einige Monate als Büroleiter von Außenminister Guido Westerwelle tätig gewesen, musste dann aber nach der Wikileaks-Affäre seinen Hut nehmen.

Vor diesem Hintergrund liegt es natürlich nahe, dass die KuK-Redakteure Robert S. Plaul und Peter S. Kaspar im Redaktionsgespräch in der Cantina Orange auch auf das Thema NSA und Edward Snowden zu sprechen kommen. Metzner hätte sich einerseits gewünscht, dass Snowden seine Erkenntnisse vor einem amerikanischen Gericht dargelegt hätte, anstatt sich nach Russland abzusetzen, und hält andererseits dringend Vereinbarungen auf internationaler Ebene gegen die massenhafte anlasslose Datensammlung für nötig.

Kontrovers diskutiert werden Metzners Ansichten zum Thema Mieten und Verdrängung. Den Begriff Gentrifizierung lehnt er ab. Zwar seien die Mieten tatsächlich »in speziellen Kiezen sehr angestiegen«, aber die Herangehensweise, hier mit Verboten von Mieterhöhungen und Luxussanierungen hält er für falsch. Dass immer noch rund 10% der Berliner jedes Jahr umziehen, ist für ihn ein Zeichen dafür, dass es wohl noch genügend freie Wohnungen geben müsse, das sei zum Beispiel in München ganz anders. Er fordert, dass mehr Geld für Wohnungsneubau in die Hand genommen werde, allerdings nicht von staatlicher Seite aus, sondern von privaten Investoren, und dass dabei zugunsten von Wohnraum kein »Recht auf freie Aussicht« das Schließen von Baulücken verhindern dürfe. In speziellen Härtefällen könne ein kommunales Wohngeld, das zum Beispiel durch Einnahmen durch die Grundsteuer finanziert werden könnte, Abhilfe schaffen.

In anderen Fragen sind Metzners Ansichten deutlich kiezkompatibler. So hält er die Residenzpflicht für Asylbewerber für überholt und sieht auch keinen triftigen Grund, warum man Flüchtlingen das Arbeiten verbieten solle.

Das Thema Drogenhandel im Görlitzer Park könne sich von selbst erledigen, wenn der Verkauf von Cannabis ebenso wie der von Tabak staalich geregelt wäre. Davon abgesehen könnten Steuereinnahmen erzielt werden, und die personellen Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden könnten stattdessen für die Verfolgung »echter Krimineller« genutzt werden.

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Ein Muntermacher zeigt Mut

FDP-Kandidat Helmut Metzner stellt sich in der Cantina Orange unbequemen Fragen

Ausnahmsweise ohne Fliege: FDP-Kandidat Helmut Metzner beim KuK-Redaktionsgespräch.

Foto: csAusnahmsweise ohne Fliege: FDP-Kandidat Helmut Metzner beim KuK-Redaktionsgespräch. Foto: cs

Dass es die FDP in Kreuzberg und Friedrichshain schwer hat, bestritt der liberale Kandidat Helmut Metzner nicht einmal. Er war am Dienstagabend zum Redaktionsgespräch mit der Kiez und Kneipe gekommen, um dort seine Haltung und die seiner Partei zu erklären. In vielen Feldern ist sie nicht gerade kiezkompatibel. So glaubt er zum Beispiel, dass das Gespenst der Gentrifizierung aus den Baukasten von „grünen und roten Weltuntergangspropheten“ stammt. So nennt er die SPD und Grünen-Kollegen in seinem Blog „Muntermacher“. Der Versuch, das Lieblingsproblem im Kiez einfach wegzudiskutieren, bringt ihm in Kreuzberg wenig Freunde und noch weniger Wähler. In der Cantina Orange dürften kaum neue dazu gekommen sein. Metzner setzt, wie seine Partei, in Sachen Wohnungsproblematik voll auf den Markt. Wenn sich Wohnumfeld und Mieterstruktur verändern, dann ist das halt so.

Bei anderen Dingen hingegen passen seine Vorstellungen sehr gut zum Kreuzberger Mainstream. Ein Coffee-Shop am Görli? Warum nicht? Und was das Flüchtlingscamp am O-Platz anlangt: Natürlich müsse das Problem schnell gelöst werden. Und es wäre einfach zu lösen, wenn die Residenzpflicht abgeschafft und die Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge eingeführt würden.

Doch das half ihm letztendlich wenig. In der anschließenden, sehr munteren Diskussion war es natürlich seine Haltung zu Gentrifizierung, die die meisten Besucher engagiert kommentierten und hinterfragten.

Heute geht es weiter mit Halina Wawzyniak, um 19 Uhr im DODO in der Großbeerenstraße.

Hier der komplette Mitschnitt des Gesprächs mit Helmut Metzner:


KuK lädt die Kandidaten

Offene Redaktionsgespräche in sechs Kiez-Kneipen

An sechs Terminen werden wir mit den Direktkandidaten des Wahlkreises über ihre Positionen zu Bundes- und Lokalpolitik sprechen. Plakat: csAn sechs Terminen werden wir mit den Direktkandidaten des Wahlkreises über ihre Positionen zu Bundes- und Lokalpolitik sprechen. Plakat: cs

Die Bundestagswahl naht wieder. Am 22. September wird gewählt, und auch diesmal hat Kiez und Kneipe wieder die Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen. Es gibt dieses Mal allerdings eine Neuerung. Aufgrund ihres sensationellen Erfolges bei der Berlinwahl und der Tatsache, dass die Partei auch stark in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten ist, wollen wir in diesem Jahr auch mit dem Kandidaten der Piraten diskutieren.

Die Spielregeln sind die gleichen wie immer: Die Kandidaten werden von unseren Redakteuren etwa 45 Minuten lang befragt. Dann ist das Publikum dran. Auch hier sind ca. 45 Minuten eingeplant.

Der Auftakt gebürt dem Doyen in der Runde. Hans-Christian Ströbele wird am 7. August um 19 Uhr in das Too Dark in der Fürbringerstraße 20a kommen. Er kennt das Format und die Location bestens und kommt auch jedes Mal gerne, weil ihm nach eigenem Bekunden beides sehr gut gefällt.

Tradition hat auch die Cantina Orange als Treffpunkt mit dem Kandidaten der FDP. Das hat allerdings nichts mit der Präferenz der Wirtsleute zu tun, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass Baden-Württemberg als das Stammland der Liberalen gilt. Und so ist auch Helmut Metzner in das Schwäbische Lokal in der Mittenwalder Straße eingeladen. Er kommt am 13. August ebenfalls um 19 Uhr.

Einen Tag später ist Halina Wawzyniak an der Reihe. Vor vier Jahren zog sie über die Landesliste überraschend für den Wahlkreis als Kandidatin der Linken in den Bundestag ein. Sie kommt am 14. um 19 Uhr ins Dodo in der Großbeerenstraße 32.

Für die SPD will Cansel Kiziltepe in den Bundestag einziehen. Wie sie das machen will, wird sie am 15. August ab 19 Uhr im »Gasthaus Valentin« in der Hasenheide erklären.

Für die CDU geht Götz Müller ins Rennen. Die KuK hat ihn für den 20. August um 19 Uhr in die Bar »Galander« in der Großbeerenstraße 54 eingeladen.

Da Piraten und Karibik irgendwie zusammengehören, liegt es auf der Hand, dass der piratische Kandidat Sebastian von Hoff im passenden Ambiente befragt wird.Im »Martinique« in der Monumentenstraße 29 steht er am 21. August ab 19 Uhr Rede und Antwort.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2013.