They’re talkin’ about an isolation

Marcel Marotzke kennt die Profiteure der Krise

Angeschnittenes selbstgebackenes BrotWer selbst Brot bäckt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Foto: rsp

Ich bin bei dieser Zeitung gewiss nicht derjenige, der für Verschwörungstheorien verantwortlich zeichnet, aber beim Thema Corona muss ich dann doch mal die entscheidende Frage stellen: Cui bono? Wem nützt es? Die Antwort ist einfach: Leuten wie mir.

Während soziale Distanz und Isolation, Nudel- und Klopapier-Engpässe, geschlossene Kneipen und offene Rechnungen für Otto Normalverbraucher zunehmend zum Problem werden, gibt es auch Profiteure der Krise: Lesebühnenautoren und Kiezzeitungskolumnisten. Corona sei Dank können sie endlich schreiben, was noch nie jemand wissen wollte: Was für ein ödes Leben sie zu Hause in den eigenen vier Wänden führen. Wie der erste Brotbackversuch gelaufen ist. Was sie im Supermarkt gekauft haben und was nicht. Wie ihrer Meinung nach das Wort »Quarantäne« ausgesprochen wird. Wie gut die erste Videokonferenz geklappt hat. Was sie bei Netflix gesehen und auf Facebook gelesen haben.

All das haben wir Alltagsschreiber zwar schon immer geschrieben, aber erst die Krise adelt die belanglose Beobachtung zur pointierten Pulsmessung der Zeit. Geistloses wird zur Gesellschaftskritik, Genretext zur Gegenwartsliteratur.

Und noch eine Bevölkerungsgruppe darf derzeit jubilieren. Denn auch wenn fast 29 Jahre nach Erfindung der Webcam viele Menschen schon einmal Skype benutzt haben, sind Videokonferenzen doch erst seit Corona Mainstream geworden. Menschen, die derlei Hexenwerk benutzten und nicht wenigstens Journalisten oder Wirtschaftsfunktionäre waren, galten noch vor drei Monaten als hoffnungslose Nerds – genau wie jeder, der Computer bedienen konnte, die nicht im gleichen Raum waren, wie er selbst.

Und heute? Personen, die stets für ihre Tech­nik­affi­ni­tät belächelt wurden, werden plötzlich hofiert, weil nur sie erklären können, wie man das mit dem virtuellen Familien- oder Arbeitstreffen macht, und Tech­nik­skep­tiker, die das Internet bisher nur für WhatsApp, YouPorn und die elektronische Ein­kommens­steuer­erklä­rung benutzt haben, stehen plötzlich auf und sagen: »Danke, ihr Nerds dieser Welt, dass ihr damals das Internet für uns erfunden habt. Das war sehr weise von Euch.«

Tja, nein, leider tun sie das nicht. Dabei wäre es mal höchste Zeit dafür. Statt sich darüber zu beschweren, dass es beim Skypen ein Echo gibt, dass YouTube ruckelt und dass Windows schon wieder Updates installieren will, wäre jetzt eine gute Gelegenheit, sich bei denen zu bedanken, die den ganzen Kram überhaupt erst erfunden und die letzten Jahrzehnte damit verbracht haben, einer sich stetig vergrößernden Horde von Technikdeppen das Leben leichter zu machen.

Denn wie öde und kom­pli­ziert wäre das Leben in- und außerhalb der eigenen vier Wände ohne all das? Ohne Brotrezepte aus dem Internet, ohne Onlineshops für Waren des täglichen Bedarfs, ohne Kontakt zu Freunden und Familie, ohne Unterhaltung und Information aus aller Welt – und ohne Webwörterbücher, die einem die korrekte Aussprache von »Quarantäne« erklären und vorspielen? Insofern: Danke, Nerds!

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2020.

Surfen beim Saufen

Cordelia Sommhammer hat ihr Notebook in die Kneipe mitgenommen

Printausgabe vergriffen? Macht ja nix, die KuK kann man auch auf dem Notebook lesen – dank WLAN auch in der Stammkneipe. Foto: rspPrintausgabe vergriffen? Macht ja nix, die KuK kann man auch auf dem Notebook lesen – dank WLAN auch in der Stammkneipe. Foto: rsp

Ein Alster, ein Notebook, ein Plätzchen im Biergarten – im Schatten eines Sonnenschirms – so arbeitet es sich doch gleich entspannter als am heimischen Schreibtisch oder im Büro. Und wenn dann auch noch die Möglichkeit besteht, mit dem Notebook im Internet zu surfen, Mails abzurufen und das eigene Blog zu aktualisieren, macht es erst richtig Spaß.

Mittlerweile gibt es in vielen Kreuzberger Cafés und Kneipen einen kostenlosen WLAN-Hotspot für die Gäste. Die Motive der Wirte sind unterschiedlich. »Ein paar Gäste haben gefragt«, erzählt Carsten vom »Kollo«. Seit vier Wochen bietet er jetzt das drahtlose Surfen an, ohne es allerdings in der Karte oder an der Tafel zu bewerben, denn er möchte nicht die Klientel anziehen, die sich an einem Tee zwei Stunden aufhält. Dragan vom »Bierkombinat« sieht im WLAN einen zeitgemäßen Ersatz für herkömmliche Medien. »Früher haben die Leute im Café die Zeitung gelesen, heute lesen sie auf dem Notebook Spiegel Online – ich mach‘ das selber gerne.«

Eine große Umsatzsteigerung bringt der neue Service nicht. »Ich hatte gehofft, das Nachmittagsgeschäft vor 18 Uhr zu beleben«, sagt Memis vom »Che«. Aber die paar Gäste, die nachmittags zusätzlich kommen, gehören eher zur Milchkaffeefraktion. Die anderen Wirte haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Aber es ist halt ein Service, der die Gäste erfreut und der heute einfach irgendwie dazugehört. Der eine oder andere jedoch hat sich bewusst gegen diesen Service entschieden. »Die Laptop-Fraktion hier drinnen, mit ihrem kleinen Mineralwasser, das nervt die Stammgäste«, meint Joachim vom Valentin. Hätte er einen Biergarten, würde er hingegen WLAN anbieten.

Wer heute in der Kneipe sein Notebook auspackt, ist kein Exot mehr. Die meisten in den letzten vier oder fünf Jahren gebauten Geräte bringen bereits alles mit, was zum mobilen Surfen benötigt wird, älteren Modellen kann mit einem USB-Stick für wenig Geld das Funken beigebracht werden. Das richtige Funknetz heißt in der Regel so wie der Laden zu dem es gehört, und das dazugehörige Passwort kann am Tresen erfragt werden. Die meisten Wirte ändern es aus Sicherheitsgründen in regelmäßigen Abständen, damit nicht die ganze Nachbarschaft dauerhaft mitversorgt wird. Weiteren technischen Support kann der internetaffine Gast in der Regel nicht erwarten – die meisten Wirte sind selbst keine großen Computerspezialisten, bei der Einrichtung des Internet-Zuganges und des WLANs haben in der Regel Freunde oder Verwandte geholfen.

Der Surfer im öffentlichen WLAN sollte sich dessen bewusst sein, dass alles, was er unverschlüsselt über das Internet übermittelt, potentiell von jedem anderen im Umkreis einiger Meter mitgelesen und mitgeschnitten werden könnte. Dies ist vor allem relevant bei der Eingabe von persönlichen Daten und Passwörtern oder PINs. Auf der sicheren Seite ist, wer seine Daten verschlüsselt überträgt – bei Webseiten ist die verschlüsselte Verbindung an dem »https:« in der URL (statt »http:«) und an dem Symbol eines geschlossenen Vorhängeschlosses zu erkennen, das sich bei Internet Explorer und Safari neben der Adresszeile und beim Firefox unten in der Statuszeile finden lässt. Online-Banking und ähnlich Sicherheitskritisches sollte man in fremden Netzen freilich bleiben lassen.

Zum Schluss noch ein Geheimtipp: In den meisten Kneipen gibt es irgendwo im Gastraum die eine oder andere Steckdose und für den, der nett am Tresen fragt, eventuell auch ein Verlängerungskabel. So kann auch bei leerem Akku noch ein weiterer Milchkaffee oder vielleicht auch das ein oder andere Bier bestellt werden.

WLAN im Kiez unter anderem im:

  • Anno64
  • Baghira
  • Bierkombinat
  • Brauhaus Südstern
  • Cantina Orange
  • Che
  • Heidelberger Krug
  • Kollo
  • Murray‘s Irish Pub
  • Wilhelmine
  • Yorckschlösschen

Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wird aber beständig aktualisiert. Ergänzungen nehmen wir gerne unter info [at] kiezundkneipe.de entgegen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2009.