Langer Atem und Widerstände

Bürgerbeteiligung kann funktionieren – das sieht man eindrucksvoll am Gleisdreieckpark. Allerdings sieht man auch, dass dafür ein langer Atem nötig ist. Denn auch wenn der Westpark in Rekordgeschwindigkeit fertig wurde, waren es rund 35 Jahre von der Idee einer »Grüntangente« bis zu deren – teilweiser – Realisierung. Nichtsdestotrotz: Als Grüner Bezirksbürgermeister kann man stolz auf sowas sein. Dass sich Franz Schulz jetzt aber fast schon an die Speerspitze der Bewegung stellt, irritiert. War er es nicht, der vor vier Jahren – freilich ohne vorher nachzumessen – die Errichtung zweier wett­kampf­taug­licher Fußballplätze auf dem Gelände der Kleingärtner projektierte? In seiner Ansprache zur Eröffnung des Westparks lobte er den »Kampf von Bürgern gegen Widerstände«. Dass einer dieser Widerstände eben auch das Bezirksamt war, hat er wohlweislich verschwiegen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2013.

Im Westen mehr Auslauf

Westgelände des Gleisdreieckparks wird eröffnet

Große Flächen mit viel Grün. Naherholung zwischen U-Bahnbrücken und Luxuswohnungen.

Foto: rspGroße Flächen mit viel Grün. Naherholung zwischen U-Bahnbrücken und Luxuswohnungen. Foto: rsp

Dass Berliner Bauprojekte fristgerecht fertiggestellt werden, ist bekanntlich nicht die Regel. Dementsprechend stolz zeigte sich Senator Michael Müller bei der feierlichen Eröffnung des Westparks am Gleisdreieck Ende Mai. Nicht nur habe man die Begrünung der ehemaligen Bahnhofsgeländebrache ein halbes Jahr früher als geplant vollendet, auch das Budget sei eingehalten worden.

»Berlin kann Park«, war dann auch das Résumé des demnächst scheidenden Bezirksbürgermeisters Franz Schulz, der mit sichtlich guter Laune die erfolgreiche Bürgerbeteiligung lobte und »die 30-jährige Geschichte des Kampfes von Bürgern gegen Widerstände« hochhielt.

Weitaus kritischer äußerte sich dagegen Norbert Rheinländer von der AG Gleisdreieck, der sich bereits seit dem Kampf gegen die Westtangente in den Siebzigern für eine Zugänglichmachung des Geländes einsetzt.

Rheinländer erinnerte daran, dass sich genau in jenem Bereich zwischen Yorckstraße und Landwehrkanal jetzt ein riesiges Autobahnkreuz befinden würde, wenn es nach den damaligen Planungen des Senats gegangen wäre. Auf seinen Lorbeeren ausruhen mochte er sich aber auch nicht. Exemplarisch nannte er den derzeitigen Kampf gegen den A100-Ausbau und das Gentrifizierungsproblem direkt neben dem Park: In der westlichen Flottwellstraße entstehen gerade teure Neubauten, deren Investoren jetzt auch von der Attraktivität des Parks profitieren werden.

Ziemlich zufrieden können die Kleingärtner der Kolonie »Potsdamer Güterbahnhof« (POG) sein, die noch vor vier Jahren um ihre Parzellen bangen mussten. Damals hatte das Bezirksamt auf jenem Teil des Geländes zwei Sportplätze errichten wollen. Jetzt ist die Kolonie in den Park integriert und lädt auf einem »Marktplatz« zum Austausch zwischen Parkbesuchern und Laubenpiepern ein. »Wir stehen nicht abseits, sondern mittendrin«, so POG-Vorsitzender Klaus Trappmann zufrieden.

Und auch zufriedene Kinder gibt es. Direkt nördlich der Kolonie wurde ein Spielplatz mit großem Klettergerüst errichtet. Auch der hätte eigentlich im Rahmen der Feierlichkeiten eröffnet werden sollen. Doch das war gar nicht mehr nötig: Längst hatten die kleinen Besucher den Spielplatz in Besitz genommen. Aber das hat auf dem Gelände ja auch eine gewisse Tradition.

Kommentar: Langer Atem und Widerstände

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2013.

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Die Kleingärtner am Gleisdreieck können nun doch erstmal bleiben

Kleingärtner im BVV-SaalEmpörung auf der Empore des BVV-Saals im Kreuzberger Rathaus bei der gemeinsamen Sitzung von Bau- und Sportausschuss. Foto: cs

Für die Kleingärtner am Gleisdreieck waren die letzten Wochen trotz Frühjahrswetter alles andere als entspannend. Ohne es vorher mit ihnen zu besprechen, hatte das Bezirksamt ihr Gelände zur Disposition gestellt. Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz ließ ein Bauvorhaben für zwei wettkampfgerechte Trainingsplätze samt Funktionsräumen für den Sportverein Türkiyemspor auf die »überbezirkliche Dringlichkeitsliste« setzen und beantragte Mittel in Höhe von 5,5 Millionen Euro beim Senat. Nur ein Bruchteil der Parzellen wäre erhalten geblieben. Die anderen – und mit ihnen rund 300 Obst- und Laubbäume – wären der Planierraupe zum Opfer gefallen. Als die Laubenpieper Wind von den Plänen des Bezirks bekamen, waren sie entrüstet. »Es zeugt von mangelnder politischer Sensibilität, ausgerechnet eine interkulturelle Kleingartenkolonie und ein integratives mul­ti­eth­ni­sches Sportprojekt gegeneinander aufzustellen«, schreiben sie in einem Flugblatt. Seit gut 60 Jahren existiert die Kolonie, die von Bahnern nach dem Krieg auf den Trümmern des Potsdamer Güterbahnhofs aufgebaut wurde. »Nicht nur Prellböcke, Gleise und Kopfsteinpflaster erzählen von der Bahngeschichte, sondern auch die Kleingärten«, meint Kolonievorsitzender Klaus Trappmann. Waren es früher überwiegend Bahnarbeiter, die hier in ihrer kargen Freizeit Gemüse für den Eigenbedarf anbauten und einen Ausgleich zu ihrem harten Beruf fanden, so ist die »Kleingartenkolonie Potsdamer Güterbahnhof« heute bunt durchmischt – sowohl vom Alter her, als auch was die Herkunft angeht. Menschen aus neun Nationen verbringen hier ihre Freizeit miteinander.

Doch nun sollte all das vorbei sein. Zwar sind die Pläne, Sportanlagen auf dem Gleisdreiecksgelände zu errichten, nicht neu, bisher war man aber von Planungssicherheit bis mindestens 2014 ausgegangen. Doch nun ging alles ganz schnell: Nach dem Antrag beim Senat hatte das Bezirksamt dem Bauplanungsausschuss einen Beschluss für das Areal vorgelegt, der eine Umwidmung des Kleingartengeländes in der südwestlichen Ecke des Gleisdreiecks zu einer Nutzung als Sportfläche vorsah.

Fast zeitgleich offerierte die Senatsinnenverwaltung dem Sportverein Türkiyemspor den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im Prenzlauer Berg als Heimatstadion – verbunden mit einer Finanzspritze für den notwendigen Umbau in Höhe von 6 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II. Damit hätte der Kreuzberger Traditionsverein nach 30 Jahren endlich einen festen Platz für Training und Turniere, ohne dass Kleingärten weichen müssten. Doch dann geisterte die Meldung durch die Presse, dass das Bauprojekt am Gleisdreieck trotzdem stattfinden solle.

Ein bisschen Idylle mitten in der Stadt

Foto: pskEin bisschen Idylle mitten in der Stadt Foto: psk

Von der gemeinsamen Sitzung des Bauplanungs- und Sportausschusses am 22. April erhofften sich die Kleingärtner eine Klärung und die Möglichkeit, ihren Standpunkt nochmal darzulegen.

Als ihr Anliegen dann endlich verhandelt wurde – zuvor ging es noch um zwei Friedrichshainer Wagenburgen, deren Bewohner ebenso zahlreich wie die Kleingärtner erschienen waren – ging alles einfacher als gedacht. Klaus Trappmann bekam Gelegenheit, auf die Wichtigkeit von Kleingärten hinzuweisen, die vom Bezirk scheinbar als »Vorhaltefläche für kommunale Bauprojekte« gesehen würden und mahnte die Beteiligung der Kleingärtner an, die bereits vor einem Jahr von der BVV beschlossen worden war.

Dann kam Bezirksbürgermeister Schulz zu Wort, der eingestehen musste, dass die Planung von der Realität überholt worden war: Zum einen wusste man damals nichts von den Plänen der Senatsinnenverwaltung, zum anderen habe man festgestellt, dass der Platz auf dem Gelände der Kleingärtner überhaupt nicht ausreichen würde, um wie geplant zwei wettkampfgerechte Sportplätze zu errichten. Wenn aber höchstens ein Platz möglich sei, käme man nicht auf eine Summe von über 5 Millionen Euro. Damit ließe sich das Bauvorhaben aber nicht über die Dringlichkeitsliste vom Senat finanzieren, sondern müsste vom Bezirk bezahlt werden. Zwar beharrte Bezirksstadträtin Sigrid Klebba auf den Bau wenigstens eines großen Platzes, doch da war die Entscheidung eigentlich schon getroffen. Schulz räumte ein, der Beschluss sei zurückzuziehen, und selbst die Vorsitzende des Sportausschusses Jutta Schmidt-Stanojevic hielt ein flammendes Plädoyer für die Laubenpieper und schlug vor, über alternative Orte wie etwa das Flughafengelände in Tempelhof nachzudenken.

Zum Glück ist das keine Entscheidung, die in Kreuzberg gefällt werden muss. Dort ist man jetzt wieder auf dem Stand von 2008.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2009.

Demokratie 2.0

Ist ja schön, dass die BVV Friedrichshäin-Kreuzberg mit einem sogenannten „Bürgerinformationssystem“ im Internet Transparenz simuliert. Nachdem man sich in das System ein paar Tage lang eingearbeitet hat, kann man – ein kommerzielles Betriebssystem, einen aktuellen Browser, eine schnelle Internetleitung und einige Frustrationstoleranz gegenüber sporadischen Serverausfällen vorausgesetzt – Termine, Tagesordnungen, manchmal auch Anwesenheitslisten und in seltenen Sternstunden auch mal Protokolle von vergangenen Sitzungen der BVV und der ihr zuarbeitenden Ausschüsse nachlesen. Ärgerlich nur, wenn die politische Realität den Status Quo im Web überholt, und die Streichung eines Tagesordnunsgpunktes zwar den Ausschussmitgliedern per E-Mail mitgeteilt wird, jedoch nicht dem sich per WWW informierenden Wählervolk durch ein Update der Internetseite. Nicht wegen der zwei KuK-Redakteure, die interessante Dinge über die Sanierung des Samariterviertels im Friedrichshain gelernt haben, sondern eher wegen der Gleisdreiecker Kleingärtner, die ihre Zeit wohl lieber mit dem Pflanzen von Blumen und Gemüse in ihren Gärten zugebracht hätten – wer weiss schon, wie lange sie die noch haben – als vor dem Kreuzberger Rathaus, wo ganz andere Themen als die ihren verhandelt wurden.
Ob sie das Durchhaltevermögen haben werden, am heutigen Mittwoch nochmal wiederzukommen, wenn es dann wirklich um den Bau von Sportplätzen auf dem Koloniegelände gehen soll, steht in den Sternen – ebenso wie die Frage, ob die öffentliche Verwaltung – und zwar nicht nur die von Friedrichshain-Kreuzberg – mit ihrem Umgang mit den „Neuen Medien“ jemals im 21. Jahrhundert ankommen wird.

Vermessen und zu kurz

Es ist gerade mal zwei Jahre her, da warf sich Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz vor jede kreischende Kettensäge, um zu verhindern dass den Bäumen am Landwehrkanal auch nur ein Blättchen gekrümmt würde. Es handelte sich dabei immerhin um Bäume die teilweise so marode waren, dass sie Leben und Gesundheit von Mensch und Hund und Rad- und Schifffahrer gefährdeten. Zwei Jahre später findet jener Bezirksbürgermeister nichts dabei, mal eben so 300 Laub- und Obstbäume (von letzteren wimmelt es ja bekanntlich in Kreuzberg) platt zu machen. Und für was? Für Fußballplätze, die an dieser Stelle noch nicht mal mit einem wettkampfgemäßen Maß gebaut werden können. Nur einen Steinwurf weiter soll ein neues eigenes Stadtviertel entstehen – für 10 000 Menschen. Das heißt, mit diesem Projekt würde sich Kreuzberg schlagartig um 7,5 Prozent vergrößern. Hat sich da jemand vermessen? Vom Gleisdreieck aus sind es Luftlinie nicht mal 1000 Meter bis zum Flughafen Tempelhof. Auch dort wird ja aller Voraussicht nach ein neues Stadtviertel entstehen. Etwa wie am Gleisdreieck – nur vermutlich zehn mal so groß. Hat sich mal jemand mit der Frage beschäftigt, wer denn dort hinziehen soll? Vielleicht könnte die Planung für die Wohnanlage am Gleisdreieck auch ein wenig bescheidener ausfallen. Sagen wir mal so, dass dort noch bequem zwei Fußballfelder (in FIFA-Maß), Umkleidekabinen und vielleicht sogar noch ein paar kleine Tribünen hinpassen. Die Bäume würden ebenso stehen bleiben wie die Gartenlauben – und es gäbe am Ende vielleicht die eine oder andere Bauruine weniger in Berlin.

Bälle vs. Bäume

Die Kleingärtner am Gleisdreieck wehren sich.

Foto: pskDie Kleingärtner am Gleisdreieck wehren sich. Foto: psk

Kreuzbergs einzige Kleingartenkolonie ist in Gefahr, denn der Bezirk plant, auf dem größten Teil des Koloniegeländes am Gleisdreieck zwei Trainingsplätze für den Sportverein Türkiyemspor zur bauen. Der Dringlichkeitsantrag an den Senat, der eine Abtrennung des Gebiets vom restlichen Bebauungsplan vorsieht, sieht ein Investitionsvolumen von 5,5 Millionen Euro vor. „Es zeugt von mangelnder politischer Sensibilität, ausgerechnet eine interkulturelle Kleingartenkolonie und ein integratives multiethnisches Sportprojekt gegeneinander aufzustellen“, sagt Klaus Trappmann, Vorsitzender der „Kleingartenkolonie Potsdamer Güterbahnhof“. Was die Kleingärtner ärgert, würde die Fußballer des populären Kreuzberger Vereins freuen, denn nach 30 Jahren hätten sie damit endlich einen festen Platz im Heimatbezirk. Nun allerdings hat die Senatsinnenverwaltung dem Verein Anfang April den Zuschlag für das Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportfeld in Prenzlauer Berg erteilt – gekoppelt mit einer Finanzspritze für den Stadionumbau in Höhe von 6 Millionen Euro aus dem Topf des Konjunkturpakets II. Doch trotzdem können die Laubenpieper noch nicht aufatmen. Laut einem Bericht der Berliner Morgenpost bleibt Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz bei seinen Plänen für das Gelände zwischen S- und U-Bahn. Dann müsste ein Großteil der Parzellen dem Kunstrasen weichen – und damit auch rund 300 Obst- und Laubbäume.