Meine Oma hört im Hühnerstall Motörhead

Marcel Marotzke geht dem Wahrheitsgehalt von historischem Liedgut auf die Spur

Vierzylindermotorrad des belgischen Herstellers FN vom 1905Der belgische Vierzylinder des Herstellers FN ist kaum wendig genug für einen durchschnittlichen Hühnerstall. Foto: Yesterdays Antique Motorcycles en Classic Motorcycle Archive, FN 363 cc viercilinder 1905, CC BY-SA 3.0

Bevor mich jemand der Urheberrechtsverletzung oder, schlimmer, des unwissenschaftlichen Arbeitens zeiht, sage ich es lieber gleich zu Anfang: Die Überschrift dieser Kolumne stammt nicht von mir, sondern vom Twitter-User @mogelpony. Sie hat auch nichts mit der eigenartigen Debatte vom Jahreswechsel zu tun, in der es, so darf man das wohl zusammenfassen, darum ging, ob und mit welchen Worten man seine Ahnen der Umweltverpestung bezichtigen darf, denn der zitierte Tweet stammt von 2012.

Und sie hat auch nichts mit meiner eigenen Oma zu tun. Denn auch wenn ihre Eltern damals eine Schmiede hatten – soweit ich weiß ohne Hühnerstall –, war es in den Zwanzigerjahren mit Heavy-Metal noch nicht so weit her. Allerdings fuhr meine Oma durchaus Motorrad, denn das Lyzeum, das man ihr zu besuchen erlaubte, war mit dem ÖPNV, den man damals noch nicht so nannte, nicht vernünftig zu erreichen. A little bit of history repeating.

Auch mein Opa litt unter dem mies ausgebauten Personennahverkehr, und so lernte er einige Jahre später meine Oma kennen, als sie wiederholt seine Taxi-Chauffeurin war. Der urgroßelterliche Betrieb hatte sich mittlerweise auf das Reparieren von Automobilen verlegt und mit den Kraftdroschken ein zweites Standbein aufgebaut. Motorisierter Individualverkehr war damals die Zukunft. Einem Rühmann-Film mit dem Titel »Die drei von der Bushaltestelle« wäre wenig Erfolg beschieden gewesen.

Zu meinen frühesten Leseerinnerungen gehört das gelbe Schild an der großelterlichen Garage, das vor einer Kohlenmonoxidvergiftung beim Laufenlassen des Motors warnte. Und als mir meine Oma das Lied mit der Motorradfahrerin beibrachte, war meine größte Sorge nicht die Verletzungsgefahr des Federviehs, sondern die giftige Luft im Stall. Meine Oma erklärte mir damals, dass es ja nicht um eine wirkliche Oma in einem wirklichen Hühnerstall ginge, sondern dass das Ganze einfach nur ein lustiges Lied sei. Deshalb besäße sie auch keinen Nachttopf mit Beleuchtung, keine Brille mit Gardinen, und sie hätte auch – zu ihrem Bedauern, wie sie anfügte – kein Radio im hohlen Zahn. Den Scherz mit der gesparten Rundfunkgebühr, den sie dann noch machte, verstand ich zwar als kleiner Knirps noch nicht, aber den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion verstand ich schon. Eine Fiktion, in der niemand zu Schaden kommt, weder die aufgescheuchten Tiere, noch die tollkühne Bikerin, so bescheuert und unvernünftig ihr Verhalten auch gewesen sein mochte.

»Wo wir gerade von hohlen Zähnen sprechen«, sagte meine Oma dann, »du musst noch Zähne putzen.« Mit der zerstörten Hoffnung auf ein eigenes Radio wurde ich ins Bad geschickt.

Meine Oma war vielleicht, wie man so sagt, »ein Kind ihrer Zeit«, aber zweifellos auch ’ne ganz patente Frau. Und wenn sie nicht kurz vor Einführung des Grünen Punktes gestorben wäre, hätte sie auch die Sache mit der Mülltrennung hinbekommen, da bin ich mir sicher.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Sebastian von Hoff wirbt um Vertrauen

Der Direktkandidat der Piraten zum Redaktionsgespräch im »Martinique«

Sebastian von Hoff mit den KuK-Redakteuren Peter S. Kaspar und Robert S. Plaul.

Foto: philsSebastian von Hoff mit den KuK-Redakteuren Peter S. Kaspar und Robert S. Plaul. Foto: phils

Mit der Frage, warum man sagt, dass Schornsteinfeger Glück bringen, hatte Sebastian von Hoff, Direktkandidat der Piraten, vermutlich nicht gerechnet, als er zum Redaktionsgespräch ins »Martinique« kam. Dabei bietet sie sich an, denn von Hoff ist Schornsteinfeger, und seine Partei braucht vermutlich Glück, wenn sie in den Bundestag einziehen will. Vor allem aber, sagt er, brauche sie Vertrauen.

Das mag in letzter Zeit etwas gelitten haben: Viel hört man über innerparteiliche Streitereien, weniger über Inhalte. Für von Hoff liegt das auch daran, dass die Piraten inzwischen wie alle Parteien kritisch betrachtet werden. Trotzdem gäbe es in Sachen Streitkultur in der Partei »bei vielen noch etwas Nachholbedarf« beim Umgang mit Meinungsverschiedenheiten.

Eindeutig jedenfalls ist die Meinung zur NSA-Affäre. Von Hoff spricht sich für eine verstärkte parlamentarische Kontrolle der eigenen Geheimdienste aus – im Zweifelsfall bis zur Abschaffung. Im Bezug auf amerikanische Dienste reiche es nicht, bloß den Zeigefinger zu heben. Hier sei das Mittel der Diplomatie gefragt, um die USA stärker unter Druck zu setzen. Zu den Maßnahmen gegen ein Ausschnüffeln durch NSA & Co. gehöre auch, dass etwa Verbindungsdaten nach Möglichkeit gar nicht erst gespeichert werden – wie das aber im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung geschieht.

Geduldig erklärte Sebastian von Hoff den KuK-Redakteuren Peter S. Kaspar und Robert S. Plaul das Konzept des fahrscheinlosen Nahverkehrs, der über eine Steuer oder Abgabe finanziert werden würde. Parallel müsste man allerdings auch die Taktzeiten verkürzen, um den ÖPNV attraktiver zu machen. Wenn man die Abgabe beispielsweise über die Grundsteuer erheben würde, könnte man die Höhe der Belastung auch indirekt an die jeweiligen Einkommensverhältnisse koppeln.

Auch das derzeit parteiintern benutzte Konzept »Liquid Democracy« ist erklärungsbedürftig, und wird auch erklärt: Zu jeder Abstimmung hat jeder eine Stimme, die auf Wunsch an eine andere Person delegiert werden kann, die sich vielleicht besser mit dem Thema auskennt. Da sich die Stimmen themenspezifisch vergeben und auch wieder zurückziehen lassen, lässt sich die eigene politische Meinung präziser zum Ausdruck bringen als mit auf Zeit gewählten Vertretern.

Mit der Forderung nach einer Mietendeckelung und dem Eintreten für eine liberalere Asylpolitik stehen die Piraten nicht allein – wohl aber mit dem Eintreten für das Bedingungslose Grundeinkommen. Wie das konkret umgesetzt werden könnte, soll nach ihrem Willen in einer Enquete-Kommission besprochen werden.Und, kurze Antwort bitte, wie ist das mit dem Mindestlohn? Sebastian von Hoff grinst: »Mindestlohn ist für uns eine Brückentechnologie. Kurz genug?«

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Hart am Wind der Utopie

KuK-Gespräch mit dem Kandidaten der Piraten

Sebastian von Hoff (Piraten) beim KuK-Gespräch.

Foto: philsSebastian von Hoff (Piraten) beim KuK-Gespräch. Foto: phils

Bringt ein Schornsteinfeger den Piraten Glück? Nötig hätten sie es auf jeden Fall, wenn sie es noch schaffen wollen, in den Bundestag einzuziehen. Sebastian von Hoff ist Pirat und ein Schornsteinfeger. Am Mittwoch war er der letzte Gast in der Veranstaltungsreihe der KuK zur Bundestagswahl 2013. Ort der Handlung war – ganz piratenaffin – das Martinique mit seinem karibischen Flair. Ja, und es stimmt. Sie sind noch immer so etwas, wie die Freibeuter der Politik. Und so segelte auch Sebastian von Hoff hart am Wind der politischen Utopien. Dass er dabei keinen Schiffbruch erlitt, zeugte davon, dass der Kandidat sich sehr gut in seine Materie eingearbeitet hatte und zeigte, dass es möglicherweise etwas verfrüht ist, die Piraten schon ganz abzuschreiben.

Der kostenlose Personennahverkehr ist bei den Piraten nicht kostenlos, sondern fahrscheinlos. Bezahlen müssen am Ende alle, über Steuern, Umlagen oder Abgaben. Das werde sich zeigen. Auf den Einzelnen kämen dann im Monat um die 30 Euro zu. Das klingt bezahlbar.

Warum außer den Piraten zwar alle Parteien das Bedingungslose Grundeinkommen ablehnen, aber alle Parteien dazu auch Arbeitsgruppen eingerichtet haben, vermag Sebastian von Hoff nicht recht zu erklären. Erklären kann er dagegen, warum die Piraten dafür sind. Er meint, dass seine Partei offenbar ein grundlegend anderes Menschenbild habe, als andere Parteien. Selbst die kniffligste Gegenfrage kontert er gekonnt. Wer solle denn die Arbeit machen, die keiner machen will? Wenn sie gut bezahlt sei, könne es doch auch sein, dass mehrere Menschen über kürzere Zeiträume arbeiteten. »Ein Müllmann könnte doch auch nur 20 Stunden arbeiten. Durch die Freizeit wäre der Job dann attraktiv.« Im Übrigen glaubt er, dass der Weg zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen gar nicht mehr so weit wäre, wenn es im Bundestag eine Enquete-Kommission geben würde, die sich mit dem Thema beschäftigt. Die wollen die Piraten einrichten, wenn man sie lässt. Und wie sieht’s für den Anfang mit Mindestlohn aus? »Der ist für uns eine Brückentechnologie.«

Wie üblich gibt es hier den kompletten Mitschnitt des Gesprächs mit Sebastian von Hoff: