Wirecard und die Bankräuber vom Hermannplatz

Rolf-Dieter Reuter hat eine spannende Theorie – oder zwei

Wirecard und Überfall? Gibt es da eine Verbindung? Foto: Mohanad Alrasheidi

Es gibt ja so lustige Beispiele für deutsche Redewendungen, die sich keinesfalls und niemals wörtlich ins Englische übersetzen lassen, etwa: »Er macht sich aus dem Staub.« Das gleiche gilt für »Schwer auf Draht sein«. Okay, es klingt etwas angestaubt und für die Jüngeren unter uns: Jemand, der schwer auf Draht ist, ist einfach ein smarter Typ.

Und genau da hätte man es doch merken müssen. Ein Start-up, das sich 1999 den Namen »Wirecard« gab: Da konnte doch schon etwas nicht stimmen. Drahtkarte? Bei mir weckt das bestenfalls die Assoziation zum »Singenden Draht«, der Telegrafenleitung, die über hunderte von Kilometern das dampfende Ross durch die amerikanische Prärie begleitet, durchaus spannend, durchaus innovativ – aber eben im 19. Jahrhundert innovativ.

Richtig schwer auf Draht schien der Namensgeber nicht gewesen zu sein, sonst hätte er das Unternehmen »Smartcard« genannt, aber der Name war wohl schon vergeben.

Aber alles, alles wäre besser gewesen als »Wirecard«. Meinetwegen auch »Detlef’s Kartenbude« mit Idioten­apostroph oder so etwas, aber doch nicht Draht-Karte.

Bei dem Namen konnte das nichts werden. Und dann tauchte plötzlich der verkrachte Ex-Verteidigungsminister und Ex-Doktor Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg auf. Aber immerhin alter deutscher Adel und bekennender AC/DC-Fan. Der machte sich nun bei der Bunderegierung dafür stark, dass sie sich in der Volksrepublik China für Wirecard stark macht, für elektronische Zahlungssysteme!

Wir reden über das Land, wo der Bettler von Welt inzwischen einen QR-Code im Hut liegen hat, damit ihm bargeldlos gespendet werden kann. Eigenlich könnte Deutschland dann auch versuchen, Ostfriesentee und Seide aus Brandenburg nach China zu verkaufen. Die Chinesen werden sich über »Xiàn ka« köstlich amüsiert haben.

Und was hat das jetzt mit dem Überfall auf die Postbankfiliale im Karstadt am Hermannplatz zu tun?

Sehen wir es mal so: Der ehrenwerte alte Beruf des Bankräubers ist doch heute so gut wie ausgestorben, wie der des Schriftsetzers zum Beispiel. Klar, jeder zahlt heute mit Karte, per Onlinebanking, Paypal oder sonst was. Bank ist total out. Ergo Bankräuber auch. Mit dem Niedergang des althergebrachten und traditionsreichen Gewerbes haben Unternehmen wie Wirecard natürlich sehr viel zu tun.

Und nun macht das plötzlich Sinn: Warum sonst sollten Männer mittags um eins im Karstadt am Hermannplatz mit Reizgas um sich sprühen (wohlgemerkt: Sie haben nicht um sich geschossen) und dann ohne Geld wieder abhauen?

War es der stumme Protest, der hilflose Aufschrei einer aussterbenden Berufsgruppe?

Romantiker, der ich bin, würde ich das gerne glauben. Wahrscheinlich war es ganz anders. Wenn Wirecard die Welt über Jahrzehnte zum Narren hielt und dieses bargeldlose Bezahlen nur eine Illusion war, dann müsste ja doch noch Geld in den Tresoren der Banken lagern. So gesehen könnten dann die Bankräuber vom Hermannplatz nur die ersten einer ganzen Reihe sein.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2020.

Mr Postman, look and see, is there a parcel in the bag for me?

Marcel Marotzke erleidet eine postapokalyptische Belastungsstörung. Ein posthumes Protokoll

Freitag, 20:11 Uhr. Per E-Mail erfahre ich, dass mein DHL-Paket in der Postfiliale in der Bergmannstraße liegt.

Samstag, 8:30 Uhr. Voller Motivation reihe ich mich in die bereits 30 Meter lange Schlange vor der Post ein. Die Filiale öffnet erst in einer Stunde, aber die guten Plätze in der Schlange sind heiß begehrt.

9:30 Uhr. Pünktlich öffnen sich die Tore. 20 Meter Schlange passen in den Vorraum. Ich stehe vor der Tür, genau wie die rund hundert Menschen hinter mir.

9:45 Uhr. Ein Mitarbeiter vom DRK verteilt alkoholfreien Glühwein gegen die Kälte.

10:00 Uhr. Ich rücke in den Vorraum auf. Hier gibt es kein Problem mit der Kälte, eher im Gegenteil.

Flaschenpost am StrandMit einer Flaschenpost wäre das nicht passiert. Foto: Settergren / Pixabay

10:15 Uhr. Die junge Frau vor mir, von der ich inzwischen weiß, dass sie Miriam heißt, bittet mich, kurz ein Auge auf ihre Kinder zu haben, die vor den Postfächern Pokémon jagen, und ihren Platz in der Schlange freizuhalten, damit sie in der benachbarten Bäckerei mal auf die Toilette gehen könne.

10:40 Uhr. Miriam ist zurück. In der Bäckerei gab es wohl eine längere Kloschlange mit Postkunden. Außerdem hatte sie etwas länger mit den Beamten der Einsatzhundertschaft diskutieren müssen, die draußen den Zugang kontrollieren.

10:55 Uhr. Ein vollbärtiger Typ mit Holzfällerhemd und riesigen Kopfhörern um den Hals hat es irgendwie an der Eingangskontrolle vorbeigeschafft und erklärt den Wartenden, er müsse nur kurz ein Paket abholen. Die Stimmung droht zu kippen, aber bevor es zu einer Schlägerei kommen kann, flüchtet der Hipster nach draußen.

11:10 Uhr. Die beiden Punks, die sich in den letzten Stunden mit dem netten syrischen Flüchtling angefreundet haben, versuchen, ihm den Zungenbrecher mit dem Potsdamer Postkutscher beizubringen. »Der Postdamer Potskutser …«, versucht er es und muss lachen. Die Stimmung ist allgemein etwas gelöster.

11:30 Uhr. Der Mensch mit dem Gitarrenkasten, der bislang eher gelangweilt herumgestanden hat, packt endlich seine Klampfe aus, und wir singen alle gemeinsam »Hoch auf dem gelben Wagen«.

12:00 Uhr. Noch eine Stunde Zeit, bis die Filiale schließt. Mal sehen, ob das reicht.

12:02 Uhr. Mir fällt ein, dass ich keinen Personalausweis dabei habe. Scheiße!

12:04 Uhr. Miriam hat ihren Ausweis dabei. Auf der Rückseite eines Flyers, der den Top-Kundenservice der Postbank bewirbt, schreibe ich ihr eine Vollmacht zur Abholung meiner Post.

12:30 Uhr. Am Horizont verschwindet gerade der einzige Mitarbeiter der Filiale mit einer Benachrichtigungskarte im Lager.

12:35 Uhr. Der Mitarbeiter ist zurück, allerdings ohne Paket. Aber die Zeit ist trotzdem rekordverdächtig.

13:02 Uhr. Es hat geklappt! Miriam wird als letzte Kundin noch bedient und übergibt mir mein Paket. Vor der Tür erteilt die Polizei gerade Platzverweise an die letzten renitenten Wartenden. Das DRK baut seine mobile Suppenküche ab.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Bankräuber scheitert an der Technik

An der Standfestigkeit zweier Mitarbeiter scheiterte gestern Nachmittag ein Räuber, der in Kreuzberg eine Postbank überfallen wollte. Der Unbekannte betrat gegen 15:45 Uhr die Filiale in der Ritterstraße, bedrohte eine 26jährige Mitarbeiterin sowie ihren 48 Jahre alten Kollegen mit einer Schusswaffe und forderte die Herausgabe von Geld. Die Angestellten erklärten dem Räuber, dass dies aus technischen Gründen nicht möglich sei, worauf er die Bank wieder verließ und auf einem Fahrrad in Richtung Prinzenstraße flüchtete. Weder die Bankmitarbeiter noch die etwa 15 Kunden wurden verletzt. Ein Raubkommissariat des Landeskriminalamtes hat die weiteren Ermittlungen übernommen.