Was lange währt, wird autofrei

Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu

War es das jetzt? Das Bezirksamt hat nun beschlossen, wie die Bergmannstraße in Zukunft aussehen soll. Vorbehaltlich der Zustimmung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wird die Bergmannstraße nach einem städtebaulichen Wettbewerb umgestaltet. Zwischen Nostizstraße und Schleiermacherstraße wird sie für den motorisierten Verkehr gesperrt. Nur noch Lieferverkehr wird in einem engen Zeitfenster erlaubt sein. Von Parklets, Findlingen und neongrünen Punkten ist keine Rede mehr, dafür soll ein munteres Bächlein durch die Bergmannstraße plätschern – und ein zweispuriger Radstreifen die Fahrradstraße der östlichen Bergmannstraße quasi verlängern.

Damit neigt sich ein Prozess dem Ende zu, der im Grunde mit der erwähnten Fahrradstraße seinen Anfang nahm. Die wurde 2008 eingeweiht. Sie mündet bis heute in den Kreuzungsbereich Friesen-/Bergmannstraße. Schon damals tauchte die Frage auf: Warum? Wäre es nicht logisch und sinnvoll gewesen, die Fahrradstraße bis zum Mehringdamm zu verlängern? Aus Sicht des Bezirks beginnt die Bergmannstraßen-Saga allerdings erst drei Jahre später mit der »Phase null«, in der bis 2014 mit »wichtigen politischen Entschlüssen die Grundlage für das Verfahren geschaffen« wurde. Damals tauchte erstmals der Begriff »Begegnungszone« auf. Drei Orte wurden benannt, wo sie ausprobiert werden sollte: Die Maaßenstraße in Schöneberg, die Bergmannstraße und der Checkpoint Charlie in Kreuzberg. Letzteres Projekt scheint aber in der Versenkung verschwunden zu sein.

Die Maaßenstraße wurde umgestaltet, doch das Ergebnis machte kaum jemanden froh. In der Bergmannstraße sollte alles anders laufen. Alle Elemente sollten zunächst provisorisch installiert werden und erst nach intensiver Bürgerbeteiligung und -befragungen sollte eine Entscheidung fallen.

Es folgte die Erprobungsphase, die zuerst zwei große, massive Holzparklets und anschließend viele kleine Metallparklets und neon­grüne Punkte auf der Bergmannstraße hinterließ. Ein Konsens wurde nicht erzielt, die Emotionen kochten so hoch, dass am Ende das Pilotprojekt vorzeitig abgebrochen wurde.

Was nun übrig bleibt, ist eine erweiterte Fußgängerzone, die Sperrung des gesamten Bergmannkiezes für motorisierte Nichtanlieger und viele, viele Einbahnstraßen.

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

100 Jahre Groß-Berlin

Wie aus Äckern Kieze wurden

Als vor hundert Jahren, am 1. Oktober 1920, das Groß-Berlin-Gesetz in Kraft trat, mit dem zahlreiche einst selbstständige Nachbarorte Berlins eingemeindet wurden, wuchs Berlin mit einem Schlag auf das 13-Fache seiner Fläche und auf unfassbare 3,9 Millionen Einwohner. Tatsächlich spiegelte der Verwaltungsakt nur wieder, was längst Realität war: Denn spätestens seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der unvorstellbar hohe Reparationszahlungen in Preußens Staatskasse gespült hatte und damit die Phase der Hochindustrialisierung vorantrieb, waren Berlin und das Umland immer mehr (zusammen-)gewachsen.

Überlegungen zu Eingemeindungen hatte es schon seit den 1820ern gegeben, als die Stadt Berlin gerade knapp über 200.000 Einwohner zählte und ihre Grenzen noch innerhalb der Akzisemauer lagen, nach deren Stadttoren noch heute zahlreiche Plätze benannt sind.

Doch mit den Nachbargemeinden war jahrzehntelang keine Einigung zu erzielen, wohl vor allem, weil die Gebiete, die zur Debatte standen, hinsichtlich der erzielbaren Steuereinnahmen sehr unterschiedlich aufgestellt waren.

1861 schließlich kam es dann doch zu einer großen Eingemeindung, die Berlin um Moabit, den Wedding, Tiergarten sowie Ackerflächen von Tempelhof und Schöneberg erweiterte. Mit der Tempelhofer Vorstadt, nach wie vor der offizielle Name in Kreuzberger Grundbüchern südlich des Landwehrkanals, war damit auch das heutige Kreuzberg komplett in Berlin integriert.

Die Geschichte des Bezirks Kreuzberg, der bekanntermaßen 2001 im Zuge der Bezirksreform in Friedrichshain-Kreuzberg aufging, beginnt allerdings tatsächlich 1920, wenn auch spitzfindige Menschen anmerken, dass er zunächst ein Jahr lang unter dem Namen »Hallesches Tor« firmierte.

Ist »100 Jahre Groß-Berlin« also auch »100 Jahre Kreuzberg«? Schwer zu sagen und in gewisser Weise eine Definitionsfrage. Völlig unstreitig hingegen ist, dass der Name »Kreuzberg« im nächsten Jahr sein Jubiläum feiert. Zur Einweihung des Nationaldenkmals im Viktoria­park am 30. März 1821 wurde der zuletzt »Tempelhofer Berg« genannte Hügel, auf dem das von Friedrich Schinkel gebaute Denkmal steht, nämlich ganz offiziell in »Kreuzberg« umbenannt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Der Eine

Eine Ausstandskolumne wird würdig geschrieben: Bowie!

David Bowie. Was für ein Name. David Bowie habe ich mir für diese Kolumne immer aufgehoben. Ich dachte, darauf greife ich zurück, wenn mir mal wirklich überhaupt nichts mehr einfällt. Und nun feiere ich Ausstand und das Ende dieser Kolumne, was nicht heißt, dass ich nicht noch ein paar musikalische Gastbeiträge aus meiner neuen Wahlheimat Spanien schicken werde. Zweieinhalb Jahre lang durfte ich die Kreuzberger Nächte aus der Nähe und Ferne betrachten, durfte mit Künstlerinnen reden, Konzerte besuchen, Plattenhändler kennenlernen. Und habe dabei noch kein einziges Mal Bowie erwähnt.

Zugegebenermaßen hat sich dieser ja auch viel in Schöneberg bewegt. Die Umbenennung der dortigen Hauptstraße, in der sich die Wohnung von ihm und seinem damaligen Mitbewohner Iggy Pop befand, steht wohl noch aus. Nach Kreuzberg hat es den Popstar allerdings doch so einige Male verschlagen, als er sich in den hier ansässigen Bars und Clubs umhertrieb.

Obwohl Bowie ja summa summarum nur drei Jahre in Berlin lebte, ziehen diese Jahre in alle Biografien als extrem wichtige Phase seines Werkes ein. Entzug von harten Drogen, eine Filmhauptrolle, wichtige Bekanntschaften, die sein Leben verändern sollten. Und auch Berlin ist mächtig stolz auf seinen Adoptivsohn: Immer wieder taucht der Name »Bowie« in allen Ecken der Stadt auf, es gibt Filme über die Berlin-Trilogie, ja sogar geführte Bowie-Touren werden angeboten.
Alles nur clevere Inszenesetzung? Auch. Und trotzdem veröffentlichte Bowie mit den drei Alben Low (1977), Lodger (1979), doch vor allen Dingen Heroes (1977) drei seiner wichtigsten Meisterwerke. Wussten Sie, dass Bowie neben naheliegenden Mauereindrücken im Song »Heroes« auch die Eindrücke des 20er-Jahre-Expressionismus verarbeitete?

Aufgenommen wurde das Ganze jedenfalls in – Sie ahnen es: Kreuzberg. Die Hansa-Studios sind mindestens so berühmtberüchtigt, wie Bowie selbst. Und entgegen einiger abtrünniger Meinungen eben nicht im Hansa-Viertel, sondern am Anhalter Bahnhof lokalisiert.

Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot. Bowie – unsterblich.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2020.

Schlechte Aussichten für die gute Aussicht

Schöneberg setzt den Bewohnern der Eylauer Straße Eigentumswohnungen vor die Nase

Nur noch Brennholz. Foto: BI Viktoriakiez

Am Bahngraben zwischen Kolonnen- und Monumentenbrücke kreischen die Kettensägen. Die Bäume sollen Wohnhäusern weichen, und zwar zunächst je einem Eckhaus an der Monumenten- und Dudenstraße. Später sollen die Eckhäuser durch einen geschlossenen Riegel von weiteren Häusern verbunden werden, an die 30 Meter hoch, fast 300 Meter lang. Über 200 Eigentumswohnungen sollen hier entstehen, die dann laut einem Bericht der »taz« für Quadratmeterpreise zwischen 2.700 und 4.000 Euro verkauft werden sollen.

Zwar liegt das Gelände »am Lokdepot« – so der Name des Bauprojekts, für das die Projektentwicklungsgesellschaft UTB verantwortlich zeichnet – auf Schöneberger Gebiet, aber die Auswirkungen werden wohl zunächst Kreuzberger zu spüren bekommen.

Die Bewohner der Eylauer Straße wollen sich nicht damit abfinden, dass ihre luftigen, sonnigen, zur Bahntrasse offenen Hinterhöfe bald von einem »Betonklotz«, verschattet werden, und haben bereits 2010 die Bürgerinitiative »Eylauer Straße im Viktoriakiez« gegründet. Damals nämlich wurden die ersten Pläne bekannt, die die Bebauung des Geländes vorsahen, und eigentlich hatte es Ende 2010 so ausgesehen, als wäre das Thema vom Tisch, denn die Mehrheit der BVV Tempelhof-Schöneberg hatte sich gegen das Projekt ausgesprochen.

Ende 2011 aber wurde ohne weitere Einbeziehung der Politik oder der Bürger vom Leiter des Schöneberger Stadtentwicklungsamtes, Siegmund Kroll, eine Baugenehmigung für die beiden Eckhäuser erteilt. Kroll berief sich dabei auf §34 des Baugesetzbuches, der dies beim Einfügen in »die Eigenart der näheren Umgebung« und einer gesicherten Erschließung« auch ohne Bebauungsplan zulässt. Experten aus dem Umfeld der Bürgerinitiative zweifeln an, dass dieser Paragraph hier greift.

Die Gerüchteküche im Kiez munkelt, die Zusage des neuen Investors, die über die letzten Monate auf dem Gelände gewachsene illegale Mülldeponie auf seine Kosten zu beseitigen (es ist die Rede von bis zu 80.000 Euro), habe den Ausschlag gegeben, dass die Baugenehmigung so schnell und unbürokratisch erteilt wurde.

Nicht einmal das Juchtenkäferargument zieht

Dementsprechend war die gemeinsame Sitzung der Stadtplanungsausschüsse von Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg Anfang Februar so gut besucht, dass die Sitzplätze knapp wurden.

Als dann der Schöneberger Ausschussvorsitzende Reinhard Janke (SPD) aufgrund der fortgeschrittenen Zeit (zuvor war bereits über das ähnlich kontroverse Bauprojekt »Hellweg-Baumarkt« am Yorckdreieck verhandelt worden) einer Bürgerin aus der benachbarten Anwohnerinitiative »Flaschenhals/Bautzener Straße« das Rederecht verweigerte, war die Empörung groß. Anders als die Friedrichshain-Kreuzberger schreibt nämlich die Tempelhof-Schöneberger BVV-Geschäftsordnung kein grundsätzliches Rederecht für Gäste fest.

Der Schöneberger Bezirksverordnete Michael Ickes (Piraten) fand eine kreative Möglichkeit, diese Entscheidung zu unterlaufen und wiederholte jeden Satz der Bürgerin als eigenen Redebeitrag. Dies veranlasste Versammlungsleiter Janke dazu, die Sitzung abzubrechen.

Derselbe Pirat Ickes zog dann wenig später die Artenschutzkeule und formulierte einen Antrag an die BVV Tempelhof-Schöneberg, in dem er die Aussetzung der bauvorbereitenden Baumfällgenehmigung forderte, und zwar aus Rücksicht auf die in den Kellern der Eylauer Straße überwinternden Fledermäuse, die bei größeren Temperaturschwankungen gerne ihre Quartiere zu wechseln und in Baumhöhlen einzuziehen pflegen.

Aber Berlin ist nicht Stuttgart, und Fledermäuse sind keine Juchtenkäfer, und so war dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt. Zunächst wurde der Antrag in den für Fledervieh zuständigen Ausschuss für Verkehr und Grünflächen überwiesen, und auf der am 21. Februar in der Robert-Blum-Schule stattfindenden Informationsveranstaltung wurde nur noch lapidar verlautbart, dass der hinzugezogene faunistische Gutachter keine Fledermäuse wahrgenommen habe und im Übrigen auch die auf dem Gelände nistenden Singvögel gleichwertigen Wohnraum in der Nachbarschaft finden würden.

Zwei Tage nach der Informationsveranstaltung kamen die Bagger und Kettensägen und schufen vollendete Tatsachen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2012.

Wo wärst du heute, wenn die Mauer noch stehen würde?

Neun Kreuzberger fragen sich, wie ihr Leben verlaufen wäre. Erinnerung und Spekulation über ein geteiltes Deutschland

Vor fast 21 Jahren fiel die Mauer, und 20 Jahre ist die Wiedervereinigung her. Viele Menschen sind in Zeitungen und im Fernsehen zu Wort gekommen und haben erzählt, wie sie die Wende erlebt haben. Wir haben die umgekehrte Frage gestellt: Wie wäre dein Leben verlaufen, wenn die Mauer noch stehen würde? Wo wärst du heute, wenn es noch zwei deutsche Staaten geben würde?

Almut Gothe: Noch drei Jahre Dienst bei der NVA. Foto: rsp

Für Almut Gothe ist die Antwort einfach. »Ich wäre noch die nächsten drei Jahre bei der NVA.« Schon mit 14 Jahren hatte sie verkündet, Offizier werden zu wollen. Als 20jährige fing sie an, Militärfinanzen zu studieren und verpflichtete sich für 25 Jahre zum Dienst bei der Armee. Ohne die Wende wäre ihr Lebensweg damit fest vorgezeichnet gewesen. Oder zumindest größtenteils. »Vielleicht würde ich jetzt auch im Knast sitzen, weil ich meine Klappe nicht halten konnte.«

Heiko Salmon: »Wäre die Wende nicht gekommen wäre ich Pferdezüchter.« Foto: rsp

Auch Heiko Salmon, glaubte seinen Lebensweg zu kennen. »Ich wäre jetzt Pferdezüchter«, erzählt der gebürtige West-Berliner. Neben seinem Job als Verwaltungsbeamter hatte er damals mit zwei Freunden mit der Pferdezucht begonnen. Nach dem Mauerfall aber brach der Markt zusammen, da das Brandenburger Umland mehr und günstigere Weideflächen bot. Dazu schwand das Interesse des Berliner »Geldadels« am Trabrennen. Auch dass Wehrpflicht jemals ein Thema für ihn sein könnte, hatte er nicht erwartet, bis er Mitte der 90er zur Musterung bestellt wurde.

Harald Jaenicke: Auch kein Jurist, aber schneller. Foto: rsp

Harald Jaenicke, Kreuzberger Kellerkneipenkellner, kam dank anwaltlicher Beratung gerade noch so um den Wehrdienst herum. »Ich weiß nicht, ob es viel anders wäre, vermutlich hätte ich mein Jura-Studium drei Jahre früher abgebrochen«, sagt er. Das Interesse vieler Studenten aus den neuen Bundesländern an einem Studium an der FU sorgte für einen höheren NC und damit für Wartezeit für Harald. »Ich bin ein typisches West-Berliner Kiezkind, aber wahrscheinlich könnte ich mir die Wohnung in Schöneberg nicht mehr leisten.«

Iris Praefke: Vielleicht kein Kino, aber wohl doch was mit Kultur. Foto: rsp

Für Moviemento-Betreiberin Iris Praefke ist die Wende nur ein Faktor von vielen. »Hätte ich nicht zufällig meinen damaligen Freund kennengelernt, hätte ich nie Sozial- und Politikwissenschaften studiert« – was sie durch ein Auslandsstipendium wiederum indirekt zum Kino brachte. In der DDR hätte die Weimarerin aber garantiert nichts politisches studiert. »Wahrscheinlich hätte ich jetzt Kinder und wäre verheiratet. Aber irgendwas kulturelles würde ich wohl schon machen.«

Dominique Croissier: Zurück in der Provinz mit Kind und Kegel. Foto: privat

Dominique Croissier kam schon vor dem Mauerfall her und wäre wohl irgendwann wieder nach Heidelberg zurückgegangen. »West-Berlin war groß aber piefig. Da gab‘s zwar Kreuzberg, aber das war wie ein Dorf.« Als die Mauer weg war, gab es in Ost-Berlin einen gefühlt rechtsfreien Raum, in dem man ein Vakuum besetzten konnte – in Dominiques Fall einen ehemaligen Friseurladen, in dem sie mit ein paar Freunden einen angesagten Club aufmachte. »Ansonsten wäre ich wohl einfach in der Provinz versackt, mit einem ekligen Mann verheiratet, und hätte aus Verzweiflung Kinder bekommen, die wie Opossums an mir hängen würden.«

Chen Castello: »Wäre die Mauer nicht gefallen, wäre ich heute vielleicht tot.« Foto: psk

»Vielleicht würde ich dann gar nicht mehr leben«, meint Chen Castello nachdenklich. 1985 war er wegen des Bürgerkriegs aus seinem Heimatland Mozambique in die DDR geflüchtet und hatte dort im sächsischen Seifhennersdorf einen vierjährigen Arbeitsvertrag erhalten, der 1989 auslief. Ihm drohte die Rückführung und erneute Verfolgung. Ein befreundeter tschechischer Grenzbeamter wollte ihm zur Flucht durch die ČSSR nach Österreich verhelfen. Doch dann fiel die Mauer.

Silke Walter: Markenmanagerin in Berlin statt Kunstlehrerin in der Provinz. Foto: privat

Wäre die Mauer noch da, so würde Silke Walter heute als Englischlehrerin und Kunsterzieherin an einem Gymnasium in einer sächsischen Kleinstadt unterrichten. Wahrscheinlich hätte sie einen Ehemann und zwei Kinder, ihr Leben wäre in ruhiger Bahn verlaufen. Mit dem Fall der Mauer aber hat sich alles geändert. Sie machte Karriere in Berlin in einem internationalen Konzern als Marketingmanagerin und unterrichtet heute als Hochschuldozentin in Sachsen und Berlin ihr Fach Marketing.

Joachim Mühle: Gedenkstätte statt Gaststätte. Foto: rsp

»In der Gastronomie wäre ich eher nicht gelandet«, überlegt Joachim Mühle, Chef des Valentin. Er vermutet, dass er stattdessen ein gutes Auskommen im öffentlichen Dienst oder bei einem freien Träger in West-Berlin hätte. Als Diplom-Politologe suchte er nach dem Abschluss 1993 nach einem Job in einer antifaschistischen Gedenkstätte – aber da gab es 250 Bewerber, teils bereits promovierte Experten aus der DDR.

Claudia Bombach: Keine Souvenirstände am Potsdamer Platz mehr. Foto: psk

»Ich bin fast ein bisschen erschrocken, als ich über die Frage nachgedacht habe«, meint Claudia Bombach. Bei ihr hätte sich ohne den Mauerfall so gut wie nichts geändert. Als Stadtführerin würden ihre Touren heute noch an den Souvenirständen am Potsdamer Platz enden und ein Highlight der Tour wäre noch immer das Schöneberger Rathaus. »Ach, ja und die Mieten in Kreuzberg wären billiger.«

cs

psk

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Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2010.

Unterwegs in Sachen Weltfrieden

Foto:pskStefan Horvath wandert für den Weltfrieden. Foto: psk

Außergewöhnlicher Besuch in der KuK-Redaktion: Der Weltfriedenswanderer Stefan Horvath aus Wien schaute auf einen kurzen Besuch herein, um Kreuzberg zu grüßen. Der 50jährige ist jetzt schon 20 Jahre auf Schusters Rappen unterwegs, um für den Weltfrieden zu werben. 48.000 Kilometer ist er seither gewandert. Das entspricht etwa einmal einer Wanderung entlang des Äquators mit einem kleinen Abstecher nach New York und zurück. Angefangen hatte bei ihm alles mit dem Fall der Mauer und der Erkenntnis, dass er nun hinaus in die Welt müsse, um für dieselbe etwas zu tun. So führte ihn seine Ein-Mann-Friedensmission zum Beispiel bis ins afrikanische Ruanda.

Derzeit ist er in Deutschland unterwegs. Berlin ist dabei stets ein ganz besonderer Anlaufpunkt für ihn. Vor allem Kreuzberg und Schöneberg schätzt er ganz besonders. Diesmal steht allerdings nicht der Weltfrieden im allgemeinen, sondern die Kinderarmut in Deutschland auf seiner Agenda. Gegen sie wendet er sich speziell bei dieser Wanderung. Der ehemalige Bauunternehmer hat mittlerweile zahlreiche Einrichtungen gefunden, die ihn in seinem Wirken unterstützen.