»Dieses Homeoffice-Gefühl ist eigentlich ganz angenehm«

Wie die Schulen mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie umgehen / von Robert S. Plaul

So voll ist es zu voll: An der SFE muss die Basisdemokratie erst einmal anders organisiert werden. Foto: rsp (Archiv)

Die Maßnahmen zur Eingrenzung der Corona-Pandemie haben viele Menschen vor ganz neue Herausforderungen gestellt, vor allem, wenn es darum geht, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Doch während Arbeiten im Homeoffice und Videokonferenzen zumindest in einigen Branchen kein absolutes Neuland sind, funktioniert Schulunterricht meistens noch ziemlich analog und vor allem: vor Ort und in oft gro­ßen Gruppen – ein Ding der Unmöglichkeit in Zeiten von Corona.

Bei den Schülerinnen und Schülern an der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) herrschte auf jeden Fall erstmal große Ratlosigkeit, als der Berliner Senat Mitte März die bislang schärfsten Maßnahmen beschloss. »Freitag haben wir gesagt bekommen: Ab Montag ist die Schule zu«, erzählt Hannah, die an der SFE ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg machen will. »Alle waren erstmal super-überfordert.« Tatsächlich ist die SFE vielleicht viel stärker von den Restriktionen betroffen als andere Schulen. »Unsere Schule lebt ja auch vom Miteinanderlernen und dem Basisdemokratischen«, erklärt die 24-Jährige, die auch im Vorstand des Trägervereins ist. So müssen derzeit auch die normalerweise alle zwei Wochen stattfindenden Vollversammlungen ausfallen, auf denen alle wesentlichen Beschlüsse gefasst werden. Stattdessen soll jetzt ein Delegiertensystem eingeführt werden.

Der Unterricht selbst verlagerte sich auf verschiedene digitale Kommunikationswege. Zunächst gab es überwiegend Aufgaben per E-Mail, später kamen immer öfter auch Zoom-Videokonferenzen dazu. Immer auch abhängig vom technischen Ausstattungsstand des Kollegiums, wie Simon einräumen muss, der an der SFE Mathematik unterrichtet. »Bei einigen hat es acht Wochen gedauert, bis sie sich ein Laptop angeschafft hatten.« Er selbst hat gute Erfahrungen mit dem Video-Unterricht gemacht. Zur Verwendung kam dabei nicht nur die Möglichkeit, den eigenen Bildschirm mit den Schülerinnen und Schülern zu teilen, sondern auch eine kleine Spielzeug-Tafel für Kinder.

»Es ist ein individuellerer Lernprozess als in der Schule.«

Im Zuge der allmählichen Lockerungen hat der Präsenzunterricht inzwischen wieder begonnen, allerdings mit weitreichenden Einschränkungen. Maximal drei Klassen sind gleichzeitig in der Schule, und es wird penibel auf die Abstands- und Hygienevorschriften geachtet. 4-Tage-Wochen mit Vorort- und Zoom-Unterricht wechseln sich jetzt ab, so dass nie zu viele Personen gleichzeitig in den Räumen im Mehringhof sind. Das reihum von den Klassen zubereitete Frühstück ist ebenso auf Eis gelegt wie der ebenfalls im Rotationsprinzip organisierte Putzplan. Das Reinigen der Räume wurde jetzt in professionelle Hände gelegt und ist »wahrscheinlich die bestbezahlte Putzstelle Berlins«, schätzt Simon – denn an der SFE bekommen alle Angestellten das gleiche Gehalt.

So diszipliniert wie an der SFE wird offenbar nicht überall mit den Eindämmungsmaßnahmen verfahren. Der Kreuzberger Max, der in Charlottenburg am Schiller-Gymnasium im 11. Jahrgang ist, war jedenfalls nicht so richtig überzeugt von der Einhaltung der Einlassregelungen bei den jetzt wieder eingeführten Präsenzterminen. Zwar mussten die Schülerinnen und Schüler eine Erklärung unterschreiben, die sie unter anderem über die Abstandspflicht informierte, aber etwa eine Maske – die dort auch nicht verpflichtend ist – trug kaum jemand. Weil bei ihm auch noch die Anreise per U-Bahn dazukommt, hat er seinen Lehrern mitgeteilt, dass er vorerst lieber von einem Besuch des Unterrichts absieht.

Die digitalen Lernmöglichkeiten bewertet er dafür durchweg positiv. »Dieses Homeoffice-Gefühl zu haben, ist eigentlich ganz angenehm«, findet er. »Es ist ein individuellerer Lernprozess als in der Schule.«

Anlaufschwierigkeiten mit der Technik habe es trotzdem gegeben, sehr abhängig vom Lehrer. »Manche haben wochenlang gar nichts gemacht.« Zudem herrschte ein gewisses Kommunikationschaos, weil neben E-Mail auch noch die App WebUntis und die Senats-Plattform Lernraum Berlin zum Einsatz kommen. Inzwischen klappe das allerdings ziemlich gut. »Ich vermisse aber die Situation mit anderen, gerade bei Fächern, bei denen die mündliche Arbeit spannend ist.«

MaxLieber mit Maske: Max ist von den Sicherheitsmaßnahmen seiner Schule nicht hundertprozentig überzeugt. Foto: rsp

Wie gut Unterricht unter den gegebenen Voraussetzungen funktioniert, ist aber auch immer abhängig von der Einsatzbereitschaft der Lehrkräfte. Was das angeht, kann sich Rebecca, Fünftklässlerin an der Lenau-Schule, nicht beklagen. »Wir haben großes Glück, weil die Klassenlehrerin unwahrscheinlich motiviert und engagiert ist«, sagt ihr Vater Gerald. Schnell habe die Lehrerin Kontakt zu den Eltern aufgenommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen, und ist damit wohl »eher die Ausnahme.« Auf eigene Faust hat sie sogar täglichen Sportunterricht per Videokonferenz angeboten.

»Jeder aus der Klasse hat jetzt Kontakt zur Lehrerin, per WhatsApp oder SMS«, erzählt Rebecca. Sie findet den Online-Unterricht zwar »nicht perfekt«, aber hält es für gut, dass sich jetzt auch mehr Schüler mit der Technik auskennen als früher.

Inzwischen findet auch an der Lenau-Schule teilweise wieder Unterricht vor Ort statt. Rebeccas Klasse, mit 21 Schülerinnen und Schülern ohnehin eher übersichtlich, ist dafür in zwei feste Gruppen geteilt worden. Präsenzunterricht und Homeschooling wechseln sich im Zweiwochenrhythmus ab, und der Lehrplan wurde auf die Fächer Englisch, Mathe und Deutsch eingedampft, da die Lehrkräfte sich natürlich nicht wie ihre Klassen aufteilen können.

Ein wenig Unklarheit herrscht noch bei der Frage, wie Homeschooling-Leistungen eigentlich zu bewerten sind. Immerhin eins steht fest: Die Zeugnisnoten können sich in diesem Halbjahr nicht verschlechtern, sondern nur verbessern.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.

Selbstbestimmte zweite Chance

Die »Schule für Erwachsenenbildung« gewinnt den 2. Platz beim Deutschen Schulpreis / von Robert S. Plaul

Als sich die Jury des Deutschen Schulpreises bei der Kreuzberger »Schule für Erwachsenenbildung e.V.« (SFE) zum Vororttermin ankündigte, gab es ein paar Probleme: Die Juroren wollten mit der Schulleitung und der Elternvertretung sprechen und morgens um acht vorbeikommen. Doch eine Schulleitung gibt es bei der SFE ebensowenig wie eine Elternvertretung. Und außerdem beginnt der Unterricht erst um 9:30 Uhr.

Denn bei der SFE ist alles ein wenig anders: Basisdemokratisch entscheiden die derzeit rund 200 Schüler und 17 Mitarbeiter über alle Angelegenheiten der Schule, alle zwei Wochen in der Vollversammlung (VV). Auch die Entscheidung, dass die beiden KuK-Redakteure, die an jenem Dienstag zu Besuch sind, filmen und fotografieren dürfen, wird im Plenum gefällt. »Und wenn wir Nein gesagt hätten«, fragt ein Schüler?« – »Tja, das ist das Los des Journalisten«, sagt Klaus, einer der 12 Lehrer der SFE und fast von Anfang an mit dabei.

1973 wurde die Schule nach einem Streik an einer Privatschule von interessierten Schülern gegründet. Ende der Siebziger kaufte man zusammen mit anderen linken Projekten das Gebäude Gneisenaustraße 2a, den heutigen Meh­ring­hof.

Die SFE ist eine alternative Einrichtung des »Zweiten Bildungswegs«, die vor allem denjenigen, die durch das Raster des klassischen Schulsystems gefallen sind, eine Chance bietet, den Mittleren Schulabschluss (MSA) bzw. das Abitur zu erwerben. Dabei bestimmen die Schüler im Rahmen des verbindlichen Lehrplans auch die Lehrinhalte und Lernmittel gemeinsam mit ihren Lehrern – die von ihren Klassen im Prinzip sogar abgewählt werden können.

Alles im Plenum: Die Schule für Erwachsenenbildung ist der Basisdemokratie verpflichtet.

Foto: rspAlles im Plenum: Die Schule für Erwachsenenbildung ist der Basisdemokratie verpflichtet. Foto: rsp

Noten gibt es an der SFE nicht. Stattdessen wird die Fähigkeit vermittelt, sich ohne Leistungsdruck und Konkurrenzdenken solidarisch und kollektiv Wissen anzueignen.

Ein Konzept, das aufgeht, auch wenn die relativ hohe Abbrecherquote zeigt, dass die teils wenig gradlinigen Biografien der Lernenden immer noch überraschende Wendungen bereithalten. Doch an der SFE geht es vor allem darum, jedem die Chance zu geben, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen – dass der Umgang mit dieser Freiheit leicht ist, davon war nie die Rede.

Auch die gelebte Demokratie ist nicht immer leicht und manche Diskussion auf der VV verläuft im Sande – etwa die um die vom Büro dringend benötigten Info­flyer, für die die »AG Öffentlichkeitsarbeit« verantwortlich zeichnet.

Dafür berichten zwei fertige Abiturienten (die an einer »normalen« Schule vermutlich längst über alle Berge wären) von der Preisverleihung des Deutschen Schulpreises, bei dem die SFE einen zweiten Platz gewonnen hat. Auch wenn die erste Frage dem Eintreffen des Preisgelds gilt, ist man sich doch vor allem darüber einig, dass die Auszeichnung eine Bestätigung ist: Dafür, dass das in Deutschland einzigartige, selbstbestimmte Konzept der SFE in all seiner Unfertigkeit und trotz mancher Probleme ein wichtiger und ernstzunehmender Beitrag zum Bildungssystem ist.

Mehr Infos zur Schule unter: sfeberlin.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.