Das Ende fürs Vorkaufsrecht?

Bundesverwaltungsgericht kassiert Spekulationsbremse

Haus in der Heimstraße in Berlin-KreuzbergDer Vorkauf des Anstoßes: Dieses Haus hätte nicht an die WBM verkauft werden dürfen, urteilt das Bundesverwaltungsgericht. Archivfoto: rsp

Die Nachricht aus Leipzig war ein großer Schock: Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet vermutlich das Ende für das kommunale Vorkaufsrecht. Mit diesem Instrument hatte insbesondere der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg etliche Immobilien dem Spekulationsmarkt entzogen.

Bei Immobilienverkäufen in Milieuschutzgebieten konnten Bezirke bislang zugunsten eines Dritten – etwa einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft oder einer Genossenschaft – in den Kaufvertrag einsteigen und damit eine drohende Verdrängung der Mieterinnen und Mieter verhindern. Alternativ konnten Käufer eine Abwendungsvereinbarung unterschreiben, in der sie sich unter anderem verpflichteten, 20 Jahre lang auf mieterhöhende Modernisierungsmaßnahmen zu verzichten. Doch mit dem mutmaßlichen Aus für das Vorkaufsrecht gibt es auch kein Druckmittel mehr für die Bezirke.

Im konkreten Fall war es um ein Haus in der Heimstraße gegangen, bei dem der Bezirk das Vorkaufsrecht zugunsten der landeseigenen WBM ausgeübt hatte. Bis 2026 besteht hier zwar noch eine Mietpreisbindung, doch danach bestünde die Gefahr für erhebliche Mietsteigerungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen, so die Argumentation des Bezirks. Doch das Bundesverwaltungsgericht sah es anders als die zwei Vorinstanzen: Allein die Annahme, »dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde«, reiche nicht aus, um das Vorkaufsrecht auszuüben.

Das Urteil – dessen Urteilsbegründung allerdings noch aussteht – »ist ein herber Schlag im Kampf gegen die Spekulation mit Wohnraum und gegen die Verdrängung von Menschen aus ihrer Nachbarschaft«, kommentierte Stadtrat Florian Schmidt auf Twitter.

»20 Jahre sind keine Zeit für eine Stadt«

Der Bundesgesetzgeber müsse schnell eine rechtliche Klarstellung vornehmen und das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten stärken, so Schmidt weiter.

Hier darf sich Schmidt einig wissen mit den Bauministerien der Länder, die sich auf der Bauministerkonferenz Mitte November ebenfalls für eine gesetzliche Sicherung der bisherigen Rechtslage aussprachen – mit einer einzigen Gegenstimme, die erstaunlicherweise aus Bayern kam.

Auch bei einem digitalen Treffen des »Vorkaufsrats XHain« Ende November war das Leipziger Urteil Hauptthema. Die Initiative unterstützt Mieterinnen und Mieter, deren Häuser verkauft werden sollen, bei der Organisation eines Vorkaufs durch eine Genossenschaft oder kommunale Wohnungsbaugesellschaft. Schon ohne das Urteil laufen die Verfahren, von denen derzeit sieben in der Schwebe sind, nicht immer erfolgreich ab, denn die Frist für den Vorkauf ist mit drei Monaten knapp bemessen und viel Arbeit bleibt an den Bewohnern hängen, die sich oft erst noch organisieren müssen. So wird an dem Abend auch von gescheiterten Bemühungen berichtet.

Nicht zuletzt, da die betroffenen Hausgemeinschaften auch in Konkurrenz zueinander stehen, sei es immer auch willkürlich, wer es schaffe und wer nicht, sagt Aninka Ebert, die den Abend moderierte. Aber auch eine Abwendungsvereinbarung schütze einen nicht unbedingt. »20 Jahre sind eigentlich keine Zeit für eine Stadt.«

Die Hoffnung richtet sich jetzt auf die Urteilsbegründung aus Leipzig, die allerdings noch einige Wochen auf sich warten lassen dürfte. Immerhin besteht die Chance, dass sich das Urteil so spezifisch auf das eine Haus in der Heimstraße bezieht, dass das Vorkaufsrecht für andere Häuser noch zu retten ist.

Um eine Gesetzesänderung wird der Bund trotzdem nicht herumkommen, wenn das bisherige Instrument des Vorkaufsrechts für Milieuschutzgebiete erhalten werden soll.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

Kinder- und Flegeljahre einer Metropole

Thomas Böhm holt Hans Ostwalds »Großstadt-Dokumente« aus der Versenkung

Wer an Berichte über das Berlin des frühen 20. Jahrhunderts denkt, über die dunklen Ecken und hellen Leuchtreklamen, über soziale Gegensätze und Verwerfungen in der jungen Großstadt, der wird zuerst an die Reportagen und Texte von Joseph Roth und Siegfried Kracauer denken, vielleicht an Alfred Polgar und ziemlich sicher an Egon Erwin Kisch. Die Weimarer Republik, die »goldenen« Zwanziger, die Ringvereine – das sind heute die Zutaten für den Mythos vom »alten Berlin« und ein nach wie vor beliebter Schauplatz für Geschichten, etwa für die Gereon-Rath-Krimireihe von Volker Kutscher.

Thomas Böhm bei der Buchvorstellung im Hinterhof des Theaters Expedition Metropolis. Foto: rsp

Doch die eigentlichen Veränderungen Berlins von einer recht großen Stadt zu einer richtigen Großstadt mit all ihren Facetten reichen weiter zurück und waren schon um die Jahrhundertwende so erklärungsbedürftig, dass Hans Ostwald im Jahr 1904 die fünfzigbändige Schriftenreihe »Großstadt-Dokumente« startete, für die er zahlreiche Autoren verpflichtete. Als »Sachkenner« sollten sie »den Wissbegierigen an die Hand nehmen und ihn hindurchführen durch diese zahllosen Wirrnisse«, heißt es im Vorwort des ersten Bandes.

Die »Großstadt-Dokumente« sind heute weitgehend vergessen. Dem Autor und Literaturkritiker Thomas Böhm ist es zu verdanken, dass mit »Berlin. Anfänge einer Großstadt« jetzt eine Art Best-of vorliegt.

In den Texten, die zwischen 1904 und 1908 erschienen sind, erfährt der Hobby-Berlinforscher Erstaunliches über den damaligen Zustand der Stadt, die mit den umliegenden Orten zwar erst 1920 offiziell zu »Groß-Berlin« verschmolz, aber längst als Zwei-Millionen-Metropole angesehen wurde.

Zum Beispiel die Sache mit der Wohnungsnot: Für den Beitrag »Mörderische Wohnungszustände« hat dessen Autor Alfred Lasson akribisch Krankenkassenakten ausgewertet. Kaum einer der Patienten verfügte auch nur über ein Bett, das nicht mit einem Familienmitglied geteilt wurde. Während der Arbeitsschicht wurden die Betten darüber hinaus an Schlafleute vermietet, um das Geld für die kargen, oft feuchten Räume zusammenzubekommen.

Währenddessen blühte draußen und in schäbigen Hinterzimmern die Prostitution. Neuankömmlinge (und davon gab es viele; Berlin wuchs zwischen 1870 und 1900 um rund eine Million Menschen) waren allen Arten von Nepp und Bauernfängerei ausgesetzt.

Ostwald setzte zweifellos einen starken Fokus auf die »dunklen Winkel« der Großstadt, doch verstand er es, auch für andere Themen »Sachkenner« ins Boot zu holen: Ruder-, Segel-, Rad- und Rasensport sind ebenso Thema wie Tanzlokale, Klubs nach englischem Vorbild, Kaffeeklappen und Varietés. Denn trotz aller sozialen Probleme war Berlin eben auch eine moderne Großstadt und ein Ort der Freiheit, wie etwa Texte über schon damals offen ausgelebte Homosexualität zeigen.

Was Ostwald hoch anzurechnen ist, ist dass die Texte seiner »Großstadt-Dokumente« akribisch die Situation beschreiben, ohne sich in moralischen Bewertungen zu ergehen. Damit stehen sie – mitten in der Kaiserzeit – für eine Form von Berichterstattung, wie sie erst Jahre später populär wurde.

Nicht alle Texte, die Böhm für seinen gut 400 Seiten starken Sammelband ausgewählt hat, bestechen durch die sprachliche Brillanz der Epigonen. Dafür wandeln sie trittsicher auf dem »schmalen Grat zwischen Aufklärung und Befriedigung der Sensationslust«, wie es der Herausgeber bei der Buchvorstellung treffend formulierte. Vor allem aber bieten sie einen unschätzbaren Einblick in die Kinder- und Flegeljahre der Großstadt Berlin.

Hans Ostwald, »Berlin. Anfänge einer Großstadt. Szenen und Reportages 1904-1908«, hrsg. von Thomas Böhm, Galiani Berlin, ISBN 978-3-86971-193-5, 416 Seiten, Hardcover, 28 Euro.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Ein Wohnturm für das Dragonerareal

Architektenwettbewerb abgeschlossen

Es sind die umstrittensten und vielleicht begehrtesten viereinhalb Hektar in Berlin: Das Dragonerareal. Nun, so scheint es, könnten die endlosen Auseinandersetzungen und Diskussionen ein Ende nehmen. Bei einem Architekturwettbewerb setzten sich die Büros »Smaq Architektur und Stadt« und »Man Made Land« durch. Ihr Entwurf beinhaltet so ziemlich alles das, was man sich von einer zentralen Bebauung im Herzen Kreuzbergs vorstellt.

Vorgesehen sind nach diesen Entwürfen 525 neue Wohnungen im bezahlbaren Segment. Gewerbe ist auf 21.000 Quadratmetern geplant. 14.000 davon sollen an sogenannte »störende Betriebe« gehen. Es geht dabei um Handwerksbetriebe wie Schreinereien oder Metallverarbeitung, die von Natur aus mit einer höheren Lärmentwicklung verbunden sind und daher immer mehr an der Stadtrand gedrängt werden.

Damit wird der klassischen Kreuzberger Mischung Rechnung getragen: Stätten für Wohnen und Arbeiten liegen eng beieinander.

Blickfang der ganzen Planung ist das Modell eines Wohnturmes, der 16 Stockwerke umfasst. Um ihn herum wird ein ganzes neues Stadtviertel geplant.

Derzeit sind viele kleine Unternehmen und Werkstätten auf dem Gelände untergebracht – zum Teil in denkmalgeschützen Gebäuden, wie den alten Remisen der Kaserne. Gerade das Gewerbe soll nicht vetrieben, sondern gehalten werden, um auch weiteres anzulocken.

Doch ausgerechnet an diesem Punkt stört sich die bislang einzige Kritik. Die ausgewiesenen Gewerbeflächen sind nämlich etwas geringer ausgefallen, als in der Aufgabenstellung vorgegeben. Das haben die Gewerbetreibenden vom Dragonerareal moniert.

Ob da noch nachjustiert wird, wird sich zeigen. Eines ist nämlich klar: Nichts ist die Stein gemeißelt. Doch die Bebauung wird sich im Großen und Ganzen an dem Siegerentwurf orientieren. Dass der sich dann in Details verändert, bis der erste Spatenstich getan ist, ist normal. Die Planung soll nächtes Jahr beginnen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Soziale Stadt für Alle

Info-Veranstaltung in der Heilig-Kreuz-Kirche

Flyer zur InfoveranstaltungFlyer zur Infoveranstaltung

»Gute Wohnungen für Alle – statt Notunterkünfte für immer mehr Menschen!« Das ist die zentrale Forderung des Bündnisses Wem gehört Kreuzberg. Am 4. Februar lädt die Initiative zu einer Infoveranstaltung in die Heilig-Kreuz-Kirche ein. »Dass in Berlin Wohnraum fehlt, wissen wir nicht erst, seit Menschen, die vor Hunger, Menschenrechtsverletzungen, Bürgerkrieg und Krieg fliehen, bei uns Schutz und menschenwürdige Lebensbedingungen suchen«, heißt es in dem Flyer zur Veranstaltung. »In einem der reichsten Länder, einem Land, das mitverantwortlich ist für Krisen und Kriege, werden sie in Massenunterkünften wie den Hangars in Tempelhof untergebracht.« Auch, so der Vorwurf an die Politik, würde weiterhin völlig ungenügend darauf reagiert, dass die Einwohnerzahl schon lange steige und Wohnraum für viele zunehmend unbezahlbar ist. Die Planungen des Senats sehen bis 2017 nur 30.000 neue Wohnungen vor, davon ca. 6500 geförderte. Für Flüchtlinge sollen an 60 Standorten sogenannte »Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge« gebaut werden, die jeweils bis zu 450 Menschen Platz bieten sollen – für Wem gehört Kreuzberg ist das kein akzeptables Wohnmodell.

Wie aber könnte eine lebenswerte Stadt für alle aussehen? Über die Frage will man bei der Veranstaltung am Donnerstag ins Gespräch kommen. Als Diskussionsanregung wird es dazu Beiträge zur Wohnungspolitik und zu alternativen Modellen in Kreuzberg geben. Über den ihren Alltag sowie Wünsche und Hoffnungen werden Geflüchtete aus Turnhallen und den Hangars berichten. Musikalische Beiträge wird es unter anderem von der Neuköllner Chanson-Punk-Band The Incredible Herrengedeck geben. An Infotischen verschiedener Initiativen besteht die Möglichkeit, sich über deren Arbeit zu informieren und persönlich ins Gespräch zu kommen.

Hier gibt es den Flyer zum Downloaden.

Termin: Donnerstag, 4. Februar, 18:30 Uhr (Einlass 18:00 Uhr), Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Str. 65, 10961 Berlin

Mit zweierlei Maß gemessen

Natürlich kann man sich, so wie es der Senat tut, schulterzuckend auf den Standpunkt stellen und zur Möckerkiez-Genossenschaft sagen: »Pech, verzockt.« Ausgerechnet der Senat, der König aller Zockervereine, der sich seit Jahren beim Flughafen ebenso verzockt hat wie bei der Abstimmung übers Tempelhofer Feld.

Bis zu 22.000 neue Wohnungen will der neue Regierende Michael Müller jedes Jahr aus dem Hut zaubern. Doch gegen viele Projekte regt sich Widerstand. Ob auf den Buckower Feldern oder der ehemaligen Kleingartenkolonie Oeynhausen.

Hier gab es keinen Protest, sondern engagierte Bürger. Und würde der Senat an die Genossenschaft die gleiche Messlatte anlegen, wie an BER, müsste er nicht nur eine Bürgschaft abgeben, sondern die Genossen mit Geld überschütten. Am Gleisdreieck wird sich zeigen, wie ernst es Müller mit seiner Wohnungspolitik ist.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2015.