Schon wieder Kult?

2020 feiern die Einstürzenden Neubauten 30-Jähriges

Ich lese einen Wikipedia-Artikel. Dort heißt es: »Die Besetzung fluktuierte anfangs und konsolidierte sich 1981 personell um Bargeld, […]«. Ha, denke ich mir, wenn man den Satz jetzt einfach jemandem zu lesen geben würde, da wüsste die Person wohl auch nicht recht, was damit anzufangen wäre.

Auflösung: es gibt einen Menschen, der heißt Blixa Bargeld. Blixa Bargeld hat Bandkollegen und -innen: NU Unruh, Gudrun Gut, Beate Bartel. Nach viel Hin und Her, Für und Wider, und einer gro­ßen Durchmischung kamen FM Einheit, Mark Chung und Alexander Hacke dazu. Und um dieses Namedropping zu beenden und zum Inhalt zu kommen: Heutzutage spielen noch Jochen Arbeit, Rudolf Moser und Felix Gebhard bei den Einstürzenden Neubauten mit.

Blixa Bargeld jedenfalls, die wohl am meisten treibende Kraft der Band, gründete eben diese nach einem Auftritt mit Freunden. Dieser Blixa Bargeld war es auch, der Gerüchten zufolge in den 80ern in der Mittenwalder Straße eine Bar namens »Blechbüchse« betrieb, quasi um die Ecke der heutigen Redaktionsräume der Kiez und Kneipe. Falsch hingegen sind Gerüchte, eine gute Freundin der KuK habe dort Bier gezapft: »Und gezapft hat man damals sowieso nicht, sondern nur Flaschenbier getrunken. Zum Zapfen gab es damals in der Mauerstadt nämlich nur Schulle und Kindl und das war Würg!«, stellt sie richtig.

Einen Musikstil, oder was man so Musikstil nennt, hat die Band nicht. Die zuständigen Schubladen wären hier wohl Post-Punk, Krautrock, Hamburger Schule. Doch lässt sich ihr Schaffen wohl eher durch »Höre ich da gerade ein Didgeridoo aus Abwasserrohren?« beschreiben.

Die Einstürzenden Neubauten bewegen sich zwischen Kult und Kultur. Blixa Bargeld ist ein Phänomen – und dabei lebt er noch. Und auch wenn die Bewerbung der neuen Platte auf der Website wohl vor Eigenlob trieft, schafft es die Band, soweit ich das beurteilen kann, seit fast 30 Jahren, sympathisch zu bleiben. Sie sind dann eben doch das Original, das alles irgendwie so macht, dass es schon passt. Sind wir gespannt, welche klangvollen Namen das in Zukunft noch einschließen wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2019.

Düster und extrem traurig

In Kreuzberg erlebte Nick Cave seine punkigen Zeiten

Geheimnisvoll und düster ist die Comic-Biografie, in der der Berliner Illustrator Reinhard Kleist Nick Cave portraitiert – zwei Adjektive mit denen ein jeder Cave-Fan sein Idol verbindet.

Ursprünglich in Australien geboren, zieht der Sänger erst nach São Paulo, später nach London, Berlin und Brighton. Obwohl er dort bereits ein Kind hat, das fortan bei Mutter und Vater abwechselnd lebt, liebt und genießt er die Zeit in Kreuzberg und Schöneberg. Dort treibt sich Cave oft im Ex’n’Pop herum, im Dschungel-Club und im Risiko in der Yorckstraße. In Berlin erlebt Cave seine lauten und punkigen Zeiten, orientiert sich an der Berliner Undergroundszene und lässt sich von den befreundeten Einstürzenden Neubauten, die ein großes Vorbild für ihn sind, beeinflussen. Mit deren Sänger Blixa Bargeld gründet er bald die mittlerweile sehr berühmte Band The Bad Seeds, in deren Begleitung man Cave noch heutzutage oft auf der Bühne antrifft.

Doch schon früh stellt er klar, dass in ihm mehr schlummert als nur Musik. Im Jahr 1989 ist er erstmals Co-Autor und Darsteller des Filmes »Ghosts … of the Civil Dead«. Und trotz seiner Heroinabhängigkeit schafft es Cave, im gleichen Jahr seinen ersten Roman »And the Ass Saw the Angel« zu veröffentlichen.
Nach dem Umzug in die Küstenstadt Brighton wird Cave ruhiger. Er gründet zusammen mit seiner Frau Susie Bick, die ihn aus der Sucht rettete, eine Familie und gibt sich zusammen mit den Bad Seeds immer mehr den Einflüssen von Blues, Gospel und Country hin. Nach anderen Projekten, wie Soundtracks, weiteren Drehbüchern, einem zweiten Roman und vielen Alben, wird Cave 2007 in die ARIA Hall of Fame aufgenommen und spätestens nachdem er sogar mit einem seiner Idole, Johnny Cash, ein Duett aufnimmt und 2015 zum Mitglied der National Academy of Design gewählt wird, erlangt er weltweiten, verdienten Ruhm.

Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere erleidet Cave einen tragischen Schicksalsschlag: Im Alter von 15 Jahren stürzt sein Sohn Arthur unter Einfluss von LSD von einer der Klippen an der Küste von Brighton in den Tod. Dieser Verlust stellt einen unvorstellbaren Schmerz in Caves Leben dar, der fortan ein Teil des Sängers und seiner Musik ist. Auch der Film »One More Time With Feeling«, der im letzten Winter auch in den deutschen Kinos lief und die Entstehung des neuen Seeds-Album »Skeleton Tree« dokumentiert, hinterlässt beim Zuschauer eine zutiefst düstere und zugleich extrem traurige Stimmung. Eine Stimmung, die auch seine Musik vielleicht nie wieder verlassen wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2017.