Am Ende bleiben tiefe Gräben

Mehrheit für die große Koalition spaltet die Genossen von der SPD

Hannah Lupper und Niklas Kossow (SPD) vor der Redaktion der Kiez und KneipeHannah Lupper und Niklas Kossow von den Kreuzberger Sozialdemokraten. Foto: psk

Katerstimmung herrsch­te bei den SPD-Genossen in Kreuzberg nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Mitgliederbefragung zur großen Koalition in Berlin. Mit 54,3 Prozent stimmte die Basis für den Koalitionsvertrag. In Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich bei einer Kreisdelegiertenkonferenz eine Mehrheit gegen ein Bündnis mit der Union ausgesprochen.

»Das Ergebnis akzeptieren wir«, erklärte Niklas Kossow, Vorsitzender der Abteilung Südstern. »Das Ergebnis ist knapp. Die Partei hat sich mit der Entscheidung schwergetan.« Die Partei müsse sich nun neu aufstellen, um wieder zu­ein­an­der­zu­finden.

Doch das wird nicht einfach werden, wie die Vorsitzende des benachbarten Ortsvereins, der Abteilung Kreuzberg 61, meint. Hannah Lupper war in den letzten Wochen zu einer der wichtigsten Protagonistinnen der NoGroKo-Kampagne in der Berliner SPD geworden. Sie sieht durch das knappe Ergebnis die Führung der Landes-SPD beschädigt. »Der Landesvorstand hat es geschafft, Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister zu machen und sich gleichzeitig zur Disposition zu stellen.«

Im Vorfeld hatte Hannah Lupper beklagt, dass der Landesvorstand auf einzelne Mitglieder e­nor­men Druck ausgeübt habe. So sind tiefe Gräben zwischen der Landesspitze und einzelnen Kreis- und Ortsvereinen aufgerissen worden. Die Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh hatten auf einer Pressekonferenz angekündigt, auf die unterlegene Seite zuzugehen. Allerdings hat Hannah Lupper Zweifel daran, ob das den beiden gelingen kann.

Für einen gewissen Vertrauensvorschuss warb dagegen Niklas Kossow, der glaubt, dass sich die neue Regierung nun beweisen müsse, und zeigen, dass sie zu einer progressiven Politik überhaupt in der Lage sei.

Was wird aus der Cannabis-Legalisierung?

Als Nagelprobe betrachten beide Ortsvereinsvorsitzende das Thema Cannabis-Legalisierung. Eine Enthaltung Berlins im Bundesrat könnte dieses neue Gesetz auf den letzten Metern zu Fall bringen. Das hätte gerade für Friedrichshain-Kreuzberg massive Folgen. Der Bezirk bereitet sich nämlich bereits darauf vor, als Modellprojekt diesen neuen Weg in der Drogenpolitik zu begleiten. »Es wäre ja ein Treppenwitz, wenn das neue Gesetz am Ende ausgerechnet an Berlin scheitern würde«, sagt Hannah Lupper.

Sie wird das Geschehen in der Bezirksverordnetenversammlung dann übrigens nur noch als einfaches Mitglied ihrer Fraktion verfolgen und nicht mehr als ihre Vorsitzende. Wenige Tage vor dem Abstimmungsende über den Koalitionsvertrag hatte die SPD-Fraktion in der BVV einen Wechsel der Fraktionsspitze bekanntgegeben. Tessa Mollenhauer-Koch folgt Hannah Lupper im Amt nach.

Schnell hatte das Gerücht die Runde gemacht, die bisherige Vorsitzende sei für ihre Opposition gegen den Koalitionsvertrag abgestraft worden. Sie selbst allerdings hat diesen Verdacht entkräftet. Der Wechsel sei schon länger besprochen gewesen. Nach zwei aufreibenden Wahlkämpfen innerhalb von anderthalb Jahren wolle sie nun einfach ein wenig kürzer treten. Abteilungsvorsitzende von Kreuzberg 61 will sie allerdings bleiben.

Immerhin gibt es in den nächsten dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Berlinwahl noch genug zu tun. So sind nicht nur innerhalb der SPD Gräben aufgerissen worden, auch zwischen SPD und Grünen herrscht nun Eiszeit. Wenn sie wieder ein politischer Partner werden wollen, »dann müssen wir die Gesprächskanäle offen halten«, erklärt Hannah Lupper.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2023.

Karneval wieder da, MyFest wohl nicht

Planungen für Straßenfeste konkretisieren sich

Drei Jahre Corona-Pandemie mit Lockdowns und Kontaktbeschränkungen haben auch dazu geführt, dass die meisten der üblichen Straßenfeste drei Jahre lang nicht oder nicht wie gewohnt stattfinden konnten. 2023 werden die meisten Feste aber ihr Comeback feiern.

Bunt gekleidete Tänzerinnen auf dem Umzug beim Karneval der KulturenDer Karneval der Kulturen kommt 2023 zurück – allerdings mit verkürzter Umzugsstrecke. Foto: rsp

So kündigten die Veranstalter des Karnevals der Kulturen Anfang Januar an, dass es zum diesjährigen Pfingstwochenende wieder Straßenfest und Umzug geben werde. Um den durch Pandemie und Inflation gestiegenen Kosten entgegenzuwirken, werde der Umzug allerdings kürzer ausfallen als früher – wie man sich das genau vorstellen darf, ist indessen noch nicht bekannt. Der Ankündigung war ein Beteiligungsverfahren mit über 1000 Personen vorausgegangen, bei dem auch Alternativ­szenarios wie ein anderer Ort oder ein anderer Termin diskutiert worden waren. Zumindest beim eigentlichen Straßenfest wird die Ortsfrage voraussichtlich ab 2025 relevant, wenn auf dem Blücherplatz der Neubau der Amerika-Gedenkbibliothek entsteht.

Weniger rosig sieht die Zukunft des MyFests aus, das dieses Jahr sein zwanzigjähriges Jubiläum feiern würde. Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) hatte in einer BVV-Sitzung Mitte Dezember berichtet, dass der private Trägerverein seine Arbeit nicht fortsetzen wolle. Ihre Aussage, das Bezirksamt sei nicht dafür zuständig, sich um Ersatz zu bemühen, hatte ihr Kritik vor allem von Seiten der Linksfraktion eingebracht.

Auch in Kreuzberg- und Mittenwalder Straße wird wieder gefeiert

Ob in Sachen MyFest das letzte Wort gesprochen ist, bleibt abzuwarten – ein wenig Zeit ist ja noch bis zum 1. Mai.

Blick von hinter einer Bühne in Richtung Publikum in der Mittenwalder StraßeMusik in der Nachbarschaft. Foto: phils

Als gefühlt einziges Kreuzberger Straßenfest hat das Kreuzberg-Fes­ti­val, der Nachfolger des ehemaligen Bergmannstraßenfests, auch in 2022 stattgefunden. Und auch in diesem Jahr soll es am Wochenende vom 30. Juni bis 2. Juli wieder ein buntes Kultur- und Musikprogramm auf den Bühnen in der Kreuzbergstraße geben. Das Fest war 2019 an den Viktoriapark umgezogen, weil wegen der Verkehrsberuhigungsmaßnahmen in der Bergmannstraße Platz für Stände fehlte, um das Event zu finanzieren. Inzwischen scheint die neue Location auch bei den Besuchern auf überwiegend positive Resonanz zu stoßen.

Nach drei Jahren Unterbrechung feiert auch das vom Verein mog61 organisierte Fest in der Mittenwalder Straße eine Neuauflage. Es soll am 2. September stattfinden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2023.

Zum Kandidieren verdammt

Der kommende Wahlkampf steckt voller Absurditäten

Lange Schlange vor einem WahllokalZwei Stunden anstehen für nichts. Die Berlin-Wahl vom September 2021 wird wiederholt. Foto: psk

»Ich freue mich ganz unglaublich darauf«, sagt Oliver Nöll und die beißende Ironie ist nicht zu überhören. Als Bezirksstadtrat unter anderem für Bürgerdienste fällt die Vorbereitung für die Wiederholung der Berlinwahl in sein Ressort. An der Person des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters lässt sich der ganze Irrsinn dieser Wahlwiederholung ziemlich gut verdeutlichen.

Der ehemalige Spitzenkandidat der Linken muss erneut für die BVV kandidieren, obwohl er als Bezirksstadtrat der BVV gar nicht angehören darf. Seinen Job im Rathaus wird er auch über den 12. Februar hinaus behalten können, denn im Gegensatz zum Senat bleiben die Bezirks­ämter in ihrer Besetzung erhalten – es sei denn, ein Bezirksstadtrat wird mit Zweidrittel-Mehrheit abgewählt. Eine solche Mehrheit scheint gegen keinen Bezirksstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg in Sicht.

Wie er allerdings Wahlkampf führen und gleichzeitig die Wahl vorbereiten soll, ist Oliver Nöll jedoch einigermaßen schleierhaft.

Auch Hannah Lupper muss erneut kandidieren. Die SPD-Kandidatin ist im Wahlkreis 1 angetreten, ausgerechnet gegen Katrin Schmidberger, die Stimmenkönigin der Grünen. »Alle Parteien haben die Wahlplakate schon vor dem Urteil des Landesverfassungsgerichts in Auftrag gegeben«, erzählt Hannah Lupper. Natürlich wird sie sich auch dieses Mal wieder voller Elan in den Wahlkampf stürzen. Ein mulmiges Gefühl hat sie diesmal allerdings schon. Sie wurde von einem Stalker verfolgt und hatte das in der Presse auch öffentlich gemacht. Und ausgerechnet nun wird ihr Gesicht bald wieder auf Hunderten von Wahlplakaten zu sehen sein. Sehr glücklich ist sie bei dem Gedanken nicht. Aber sie ist von Gesetzes wegen verpflichtet anzutreten.

Berlin droht nun der Dauerwahlkampf

Wäre es übrigens nach den gesetzlichen Fristen gegangen, dann hätten in der Heiligen Nacht die ersten Plakate aufgehängt werden dürfen. Die Parteien haben sich aber geeinigt: Nun darf erst ab 2. Januar plakatiert werden. Für Hannah Lupper ist das eigentlich immer noch zu früh. Sie denkt an Wahlkampfhelfer, die in das neue Jahr feiern »und am nächsten Tag auf Metallleitern klettern müssen.«

Wer den neuen Wahlkampf nun eigentlich finanziert, ist weder der SPD-Kandidatin noch dem Bezirksstadtrat von der Linken klar. Wie das mit der Wahl­kampf­kos­ten­rück­er­stattung aussieht, weiß derzeit wohl niemand genau.

Es ist nicht die einzige Frage, die bislang noch ungeklärt ist. Ist eine beantwortet, so scheinen sich gleich zwei neue zu stellen. Sowohl Hannah Lupper als auch Oliver Nöll erinnern allerdings auch daran, dass diese Situation einzigartig ist. Noch nie hat in Berlin eine komplette Wahl wiederholt werden müssen. »Es gibt einfach keinen Präzedenzfall«, meint Oliver Nöll.

Er kann zwar davon ausgehen, dass er Bezirksstadtrat bleibt, doch was geschieht, wenn die SPD die Linke überholt? Wird dann Kollege Andy Hehmke stellvertretender Bezirksbürgermeister? Oliver Nölls offene Antwort: »Ich weiß es nicht.«

Hannah Lupper treibt derweil noch eine ganz andere Frage um. Sie rechnet vor, dass nach der Berlinwahl im Jahr darauf die Europawahl, dann die Bundestagswahl und danach schon die nächste reguläre Berlinwahl folgen. »Wir haben dann fünf Jahre jedes Jahr Wahlkampf. Und im Wahlkampf wird keine Politik gemacht«, meint sie und befürchtet nun den völligen politischen Stillstand.

In einem sind sich parteiübergreifend wohl die meisten Akteure einig: Das ist ein Wahlkampf, den niemand wirklich will.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2022.

Der Rio-Platz war bunt, so viele Leute waren da

Umbenennung des Heinrichplatzes wird zum Fest für den Kiez

Viele Personen stehen vor einer Bühne auf dem Rio-Reiser-Platz, auf der »Ton Steine Scherben« spielen. Davor ein Transparent »Keine Macht für niemand«Keine Macht für Niemand: Rio-Reiser-Platz passend eingeweiht. Foto: psk

Für die Hardcore-Fans von »Ton Steine Scherben« wurde es ein richtig langes Wochenende. Freitag und Samstag tuckerte, wie jedes Jahr, der Scherben-Musikdampfer über Spree und Landwehrkanal und am Sonntag dann wurde der Heinrichplatz in Rio-Reiser-Platz umbenannt.

Im Vorfeld hatte das für reichlich Diskussionsstoff gesorgt, seit der damalige Fraktionsvorsitzende der Linken, Oliver Nöll, seine Idee in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht hatte.

Hauptkritikpunkt in der Debatte war, dass die BVV mit dieser Entscheidung ihren eigenen Beschluss von 2005 über Bord geworfen habe, Straßen und Plätze solange nur noch nach Frauen zu benennen, bis eine Parität bei den Namen erreicht sei. Die Befürworter des Rio-Reiser-Platzes verwiesen dagegen auf die Ausnahmeregelung, die der Beschluss schon damals vorgesehen hatte.

Geht man von den Gäs­ten aus, die zur Einweihung geströmt sind, scheint die BVV mit ihrer Entscheidung für Rio Reiser voll ins Schwarze getroffen zu haben. Grob geschätzt 5000 bis 6000 Menschen waren gekommen, um den Heinrichplatz zu verabschieden und den Rio-Reiser-Platz willkommen zu heißen.

Moderiert wurde die Veranstaltung von der Dragqueen Gloria Viagra, die aber zunächst den Rest-Scherben die Bühne für ein gut eineinhalbstündiges Konzert überließ. Die beglückten die Fans mit den hymnischen Songs der Hausbesetzerzeit wie »Macht kaputt, was euch kaputt macht« oder »Keine Macht für niemand«.

Mit »Sklavenhändler« gab es einen Song mit direktem Bezug auf den umbenannten Platz. In Sichtweite des Bethanien durfte natürlich auch der »Rauchhaussong« nicht fehlen.

Doch zu einer Einweihung gehören auch Reden. Den Auftakt machte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann.

Schwerer Stand für Claudia Roth

Sie schlug eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart, als sie daran erinnerte, dass auch die Scherben mit Rio Reiser ihren Anteil daran hatten, dass es heute an diesem Platz eben keine Autobahn gebe, wie ursprünglich einmal ge­plant. Auch heute gehe es wieder darum, eine Autobahn zu verhindern. Sie meinte damit der A 100, deren nächste geplante Ausbaustufe durch Friedrichshain führen soll.

Wurde die Bezirksbürgermeisterin noch einigermaßen freundlich empfangen, hatte es ihre Parteifreundin, die Kulturstaatssekretärin Claudia Roth, deutlich schwerer. Die einstige Managerin von »Ton Steine Scherben« wurde mit Pfiffen und Buhrufen empfangen. Sichtlich angefasst wehrte sie sich gegen die Zwischenrufer mit einem energischen »Ich haue nicht ab«, was dann der größte Teil der Besucher mit heftigem Applaus quittierte. Fortan wurde sie nur noch durch lauten Beifall unterbrochen, etwa, als sie daran erinnerte, dass sich Rio Reiser als einer der ersten Sänger offen zu seiner Homosexualität bekannt hatte und dadurch zu einem Wegbereiter der LGBTQ+-Bewegung wurde.

»Für Rio war das Private auch immer politisch«, rief sie mit Blick auf jene, die dem späten Rio Reiser seine Songs vorwarfen, in denen seine Aussagen eher poetisch als politisch erschienen.

So fand die Einweihung am Ende doch ein versöhnliches Ende.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2022.

Kommt die Kotti-Wache im NKZ?

Kritik an Innensenatorin Spranger wächst

Galerie des NKZDie Galerie des NKZ soll künftig eine Polizeiwache beherbergen. Foto: rsp

Wie Mitte Juni bekannt wurde, ist der Mietvertrag für die von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geplante Polizeiwache am Kottbusser Tor bereits unterschrieben – sehr zum Verdruss der zahlreichen lokalen Initiativen, die den Standort im ersten Stock des Neuen Kreuzberger Zentrums (in der Galerie über der Adalbertstraße) kritisch sehen. 

»Wir sind fassungslos, mit welcher Ignoranz gegenüber Widerspruch und Kritik von allen Seiten Frau Innensenatorin hier ihr persönliches Prestige-Projekt rücksichtslos durchpeitscht«, so Lino Hunger von »Kotti für alle«.

Kritik gibt es aber auch vonseiten der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die die angedachte Personalausstattung mit 20 Kräften wie auch die Fläche von rund 200 Quadratmetern für unzureichend hält und – auch aus Sicherheitsgründen – eine ebenerdige Wache präferiert. 

Bei den Anwohner- und Gewerbetreibendeninitiativen ist man nicht grundsätzlich gegen eine Polizeiwache am Kotti, sondern stört sich vor allem an der Symbolik der exponierten Lage über den Köpfen der Menschen – und daran, dass die Innensenatorin bislang nicht den Dialog mit den Initiativen oder auch der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gesucht hat. Zuletzt ließ sich Spranger für eine Sonderausschusssitzung der BVV entschuldigen. Einen runden Tisch mit den Beteiligten will die Innensenatorin frühestens im August stattfinden lassen.

BVV mahnt Bürgerbeteiligung an

Die Ausschussmitglieder, die sich am 22. Juni vor Ort dann ohne die Innensenatorin trafen, fordern dagegen, dass der runde Tisch zeitnah stattfindet und bis dahin keine Baumaßnahmen eingeleitet werden. Bis dahin solle auch »Transparenz zu den Ergebnissen der Prüfungen von alternativen Standorten für eine Polizeiwache hergestellt werden«, heißt es in der Resolution, die Ende Juni von der BVV beschlossen wurde. »Insgesamt muss die Sicherheit, Lebens- und Aufenthaltsqualität am Kottbusser Tor mit einem Bündel aus städtebaulichen, verkehrlichen und sozialen Maßnahmen, wie dem Ausbau der aufsuchenden Sozialarbeit, der Absicherung der Gesundheitsangebote der Suchthilfe und des Drogenkonsumraums, aber auch der Müllvermeidung und besseren Entsorgung sowie einer klimafreundlichen Umgestaltung durch Begrünung und Entsiegelung gesteigert werden, um die vielfältigen Problemlagen vor Ort nachhaltig lösen zu können«, so das Fazit des Antrags.

Neben der Kritik aus dem Bezirk hat die von der Innensenatorin stets als alternativlos dargestellte Kotti-Wache auf der NKZ-Galerie aber auch noch mit einer Kos­ten­ex­plo­sion zu kämpfen. Bereits im Frühjahr war klar geworden, dass die Kosten für das Projekt nicht bei den im Koalitionsvertrag ursprünglich ausgehandelten 250.000 Euro bleiben würden, sondern sich eher verzehnfachen. Inzwischen sind gar zusätzliche 3,5 Millionen Euro beschlossen. 

Wegen der Lage im ersten Stock muss unter anderem ein Aufzug gebaut werden, der aber nach der derzeitigen Planung offenbar noch nicht einmal groß genug sein wird, um mit dem Rollstuhl benutzt werden zu können. Auch die große Glasfront muss zum Schutz der Polizeiwache durch Sicherheitsglas ersetzt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2022.

»Wenn wir immer einig wären, wären wir in einer Partei«

Die künftige Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihr Stellvertreter Oliver Nöll im Gespräch

Oliver Nöll (Linke) und Clara Herrmann (Grüne)Oliver Nöll und Clara Herrmann beim Gespräch mit Kiez und Kneipe. Foto: rsp

Ein Blick auf das Wahlergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg ließe vermuten, dass es im Bezirksamt genau so weitergehen könnte, wie in den vergangenen fünf Jahren. Tatsächlich ändert sich aber eine ganze Menge – und das liegt nicht nur daran, dass es künftig sechs statt fünf Stadträte und Stadträtinnen geben wird. Kiez und Kneipe hat sich mit der künftigen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihrem neuen Stellvertreter Oliver Nöll getroffen, um zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten fünf Jahren vom neuen Bezirksamt erwarten können.

Die erste Erkenntnis aus diesem Gespräch ist: Zwischen der Grünen und dem Linken stimmt die Chemie. In vielen Bereichen sind die Ansichten nahezu deckungsgleich. Allerdings betont Oliver Nöll auch die Unterschiede: »Wenn wir alle einer Meinung wären, dann wären wir in der gleichen Partei.« Seine Partei, die Linke, profitiert im Übrigen von der Neuordnung, denn für sie gibt es einen Stadtratsposten mehr, den Regine Sommer-Wetter einnehmen wird. Für die Grünen rückt Annika Gerold nach. Clara Herrmann, Florian Schmidt und Andy Hehmke von der SPD gehörten dem Bezirksamt schon in den vergangenen fünf Jahren an.

Was den Zuschnitt der Ressorts bestrifft, wird sich einiges ändern: Clara Herrmann dazu: »Durch die neuen Regelungen sind wir in unseren Ressortzuschnitten eingeschränkt. Bestimmte Kombinationen sind nicht mehr möglich.« Trotzdem zeichnet sich ein Ressortzuschnitt ab: Der Bürgermeisterin fällt nun automatisch das Ressort Finanzen zu, das Clara Herrmann aber ohnehin schon in den letzten fünf Jahren verwaltet hat. An ihren Stellvertreter Oliver Nöll gehen Arbeit und Soziales sowie Bürgerdienste. Schulstadtrat Andy Hehm­ke wird das Ordnungsamt abgeben. Das geht wohl an Annika Gerold, die auch die öffentlichen Räume mit dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) verwalten soll. Jugendstadträtin wird Regine Sommer-Wetter.

Florian Schmidt bleibt Baustadtrat. Er war in der vergangenen Legislatur das umstrittenste Mitglied des Bezirksamts. Doch Oliver Nöll signalisiert, dass sich seine Fraktion dem Personalvorschlag der Grünen nicht entgegenstellen wird. Er legt auch Wert auf die Feststellung, dass die Linke sich nie gegen das Instrument des Vorkaufsrechts gestellt habe. Nur in der Umsetzung sei man nicht immer einer Meinung gewesen.

Doch das Vorkaufsrecht ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jetzt erst einmal Geschichte. Clara Herrmann nennt das »eine Katastrophe« und sieht nun die neue Bundesregierung in der Pflicht. Dem schließt sich ihr künftiger Stellvertreter ausdrücklich an.

Während auf vielen Gebieten nahezu Harmonie herrscht, gibt es einen Bereich, an dem die unterschiedlichen Standpunkte sehr deutlich werden. Es geht um das Thema Verkehr. Zwar sind sich beide einig, dass eine Verkehrswende im Bezirk umgesetzt wird, doch beim Wie gehen die Meinungen auseinander. Clara Herrmann setzt hier voll auf die Initiativen der Kiezblocks. Sie verweist darauf, dass es zwar auch bei der hochumstrittenen Umwandlung der Bergmannstraße sehr heftige Debatten gegeben habe, »aber am Ende hat das mit der Beteiligung sehr gut funktioniert. Wie wir das auf den letzten Metern gemacht haben, kann auch eine Blaupause dafür sein, wie man das in anderen Kiezen angeht.«

Hier widerspricht ihr Oliver Nöll. »In der Bergmannstraße wohnt jetzt nicht gerade das Prekariat«, meint er. Grundsätzlich sind die Linken der Meinung, dass die Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungen mehr mitgenommen werden muss.

Ein großes Thema in ganz Berlin sind die Bürgerdienste. Bürger, die monatelang auf einen Reisepass oder einen Personalausweis warten und dann von Kreuzberg möglicherweise auch noch nach Hellersdorf oder nach Spandau fah­ren müssen, sind keine Ausnahme, sondern fast schon die Regel. Bundesweit gilt das als Paradebeispiel für die dysfunktionale Verwaltung Berlins. Jüngst hatte ausgerechnet der ehemalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Bezirksämter für das Versagen verantwortlich gemacht.

Das macht die beiden Kommunalpolitiker gleichermaßen wütend. Tatsächlich sei die zentrale Terminvergabe ja unter Wowereits Regierung eingeführt worden, die gleichzeitig auch die Mittel so stark gekürzt habe, dass das Personal immer stärker zurückgefahren wurde.

Doch beide belassen es nicht bei Schuldzuweisungen, sondern haben auch ganz konkrete Vorschläge, wie die Situation entschärft werden kann.

»Beim Ausweis zum Beispiel«, meint Clara Herrmann, »würde ich mir wünschen, dass man einen Hinweis vom Bürgeramt bekommt, wenn er ausläuft, und gleichzeitig einen Terminvorschlag für die Verlängerung.«

Oliver Nöll regt an, den Antrag von Personalausweisen und Reisepässen zu digitalisieren. Der Abgleich von Bild und Unterschrift könne dann bei der Abholung geleistet werden.

Da dieser Bereich in die Zuständigkeit des Landes falle, könne der Bezirk aber immerhin versuchen, hier Einfluss zu nehmen. Für neue Verfahren könne der Bezirk auch Vorreiter sein, dazu sei er bereit.

Darüber hinaus glaubt Clara Herrmann, dass Dinge, die immer wieder neu beantragt werden müssen, nicht jedesmal mit einem Gang aufs Bürgeramt verbunden sein sollten. Sie nennt als Beispiel Anwohner-Park­ausweise. »Das könnte man machen wie mit einem Zeitungsabo, das sich auch immer wieder verlängert. Nur wenn sich etwas verändert, müsste man dann noch kommen.«

Um die Arbeit des Bezirks effektiver zu machen, benötigt es allerdings Geld. Und das ist ein Punkt, der ebenfalls beiden Sorgen macht. Während die Kommunen in den Flächenstaaten über eigene Steuereinnahmen, etwa über die Gewerbesteuer, verfügen, hängen die Bezirke Berlins komplett am Tropf des Senats. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit sogar immer wieder Bestrebungen gegeben, die Bezirke als un­ters­te Verwaltungseinheit komplett abzuschaffen. Ein sogenannter Verfassungskonvent soll in der neuen Legislaturperiode das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken klären. Bestrebungen hin zu mehr Zentralismus in Berlin erteilen beide eine entschiedene Absage. Clara Herrmann weist darauf hin, dass sowohl sie selbst als auch Oliver Nöll ja durchaus auf Erfahrungen auf Landes­ebene verweisen können, sie als ehemalige Abgeordnete und er als Bediensteter in der Senatsverwaltung für Soziales.

Allerdings droht jetzt erst einmal Ungemach: Es gibt noch keinen Haushalt, sondern nur einen Senatsbeschluss. »Wenn der zum Tragen kommt, müssen im Bürgeramt Stellen abgebaut werden«, meint Oliver Nöll und Clara Herrmann fügt hinzu: »Das betrifft nicht nur das Bürgeramt, sondern alle Bereiche.

Beide hoffen, dass es soweit nicht kommt. Oliver Nöll erinnert die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey an ihr Versprechen. »Sie hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht und versprochen, dass es allen Berlinern besser gehen wird. Das bedeutet, dass wir an dieser Stelle mehr Geld brauchen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

Mehr Digitales und höhere Häuser

Ann Cathrin Riedel und Michael Heihsel (FDP) zu Gast im unterRock

Michael Heihsel und Ann Cathrin Riedel beim Redaktionsgespräch im unterRockAuftakt im unterRock: Michael Heihsel und Ann Cathrin Riedel (m.) im Gespräch mit Ninell Oldenburg und Peter S. Kaspar von der KuK. Foto: rsp

Den Auftakt zu den Kandidatenbefragungen im Vorfeld der Wah­len am 26. September machte die FDP. Ann Cathrin Riedel möchte in den Bundestag, und Michael Heihsel, der mit seiner Frau Marlene die kleinste Gruppierung in der BVV bildet, möchte wieder ins Bezirksparlament zurück.

Ann Cathrin Riedel hat sich das Thema Digitalisierung und Netzpolitik zu eigen gemacht. Ihr Ziel sei es, »dass Karlsruhe weniger zu tun hat.« Gerade auf diesem Feld sieht sie die dringende Notwendigkeit, dass bessere Gesetze verabschiedet werden müssen, die nicht gleich wieder vom höchsten deutschen Gericht kassiert werden.

In Sachen Corona sind sich die Liberalen einig. Es sollte keine staatlich verordnete Impfpflicht geben. Dagegen sollten zum Beispiel Wirte oder Veranstalter durchaus das Recht haben, nur Geimpften oder Genesenen Zugang zu gewähren. Michael Heihsel vergleicht das mit einer Kneipe, in der ein Wirt auch entscheiden könne, ob er das Rauchen zulasse oder nicht.

Das Problem der steigenden Mieten will Heihsel durch ein verstärktes Angebot lösen. Konkret nannte er die Möglichkeiten, höher zu bauen und weniger auf die Traufhöhe Rücksicht zu nehmen.

Zum Thema Vorkaufsrecht ließ Heihsel durchblicken, dass er grundsätzlich nichts gegen dieses Konzept hat, wohl aber mit der Art und Weise, wie es in Kreuzberg umgesetzt worden sei.

Beim Volksentscheid über »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, sind sich die beiden Liberalen schnell einig. Sie lehnen eine Enteignung ab und sind damit ganz auf Parteilinie. Auf Nachfrage, ob denn ein Volksentscheid nicht ganz dem liberalen Gedanken folge, meinte Ann Cathrin Riedel, dass sie sich mehr Diskussionen und Austausch gewünscht hätte.

Überraschendes war von beiden zum Thema Verkehr zu hören. Michael Heihsel kann sich in einer wachsenden Stadt durchaus mehr regulierende Maßnahmen vorstellen. Auf die Frage, ob es zu viele Autos in Berlin gäbe, meinte er: »Es gibt auf jeden Fall zuviel Verkehr.«

Die Bundestagskandidatin antwortete auf die Frage nach einem Tempolimit: »Das ist mir ehrlich gesagt schnurzpiepegal«. Die Diskussionen um »Freie Fahrt für freie Bürger«, ein Slogan, den sich einst ihre Partei zu eigen gemacht hatte, nannte sie müßig.

Vom Klimawandel sind beide stark berührt. Ann Cathrin Riedel setzt beim Kampf um ein besseres Klima auf stärkere internationale Kooperation. Michael Heihsel glaubt, dass der Handel mit Emissionszertifikaten ein entscheidender Schritt sein könnte. Insgesamt, so glaubt er, werde in der Klimapolitik zu kleinteilig gedacht.

Bei der Frage nach der Lieblingskoalition sind sich die beiden einig: Eine Jamaika-Koalition wäre schon schön, aber auch eine Ampel finden sie nicht schlecht.

Fünf muntere Runden vor den Wahlen
KuK lädt die Kandidaten zur Diskussion
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Das Ökologische mit dem Sozialen zusammenbringen
Pascal Meiser und Oliver Nöll (Die Linke) sehen viel Bedarf für Reformen
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Aus der Kneipe ins Internet
Wie die KuK die Öffentlichen Redaktionsgespräche live übertragen hat

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2021.

Das Ökologische mit dem Sozialen zusammenbringen

Pascal Meiser und Oliver Nöll (Die Linke) sehen viel Bedarf für Reformen

Oliver Nöll und Pascal Meiser beim Redaktionsgespräch im unterRockOliver Nöll und Pascal Meiser (Mitte) auf dem Podium im unterRock mit Manuela Albicker und Robert S. Plaul von der Kiez und Kneipe. Foto: cs

Für die zweite Runde der Öffentlichen Redaktionsgespräche hatte die Kiez und Kneipe die Linke eingeladen. Auf dem Podium im unterRock stellten sich Bundestagsdirektkandidat Pascal Meiser und BVV-Spitzenkandidat Oliver Nöll den Fragen von Manuela Albicker und Robert S. Plaul.

Beide sind keine Neulinge im Politikgeschäft. Meiser kandidierte bereits 2017 für den Wahlkreis 83 und kam knapp hinter Canan Bayram von den Grünen auf den zweiten Platz. Das gute Abschneiden der Berliner Linken insgesamt und sein Listenplatz sicherten ihm dann doch den Einzug in den Bundestag. Nöll ist bereits seit 10 Jahren Bezirksverordneter in Friedrichshain-Kreuzberg und kann sich durchaus vorstellen, künftig das Amt des Bezirksbürgermeisters zu bekleiden.

Zum Themenkomplex Corona befragt, betont Pascal Meiser, dass die Linke gegen einen staatlich verordneten harten Impfzwang ist.  Stattdessen müsse mit guten Argumenten für eine Impfung geworben werden. Über die »Bratwurstgeschichte in Thüringen« lacht er nicht. »Die Impfung mit etwas Positivem verbinden und dort hingehen, wo die Leute sind« hält er für eine gute Lösung, um die Impfquote zu steigern.

Wohnungspolitisch spricht er sich für ein bundesweites Rahmengesetz aus, das den Ländern und Kommunen Kompetenz überträgt, Höchstmieten festzulegen und gegen Vermieter vorzugehen, die sich nicht an diese halten. Dies sei wirkungsvoller als die derzeitige Mietpreisbremse, die Mieter in die Pflicht nehme, ihren Vermieter zu verklagen, um eine Mietsenkung durchzusetzen.

Die Linke unterstützt das Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Oliver Nöll sagt, die Initiative habe einen Nerv getroffen, und beim Unterschriftensammeln habe er erst gemerkt, »wie viele  Menschen in dieser Stadt in überteuerten Mietverhältnissen leben«.

»Das Ökologische mit dem Sozialen zusammenbringen« sei in Verkehrs- und Klimapolitik der einzig richtige Weg. Attraktive und bezahlbare Alternativen zum motorisierten Individualverkehr müssten geschaffen werden, und Maßnahmen zum Klimaschutz wie etwa energetische Altbausanierung sollen so gestaltet werden, dass nicht diejenigen bezahlen, die eh kein Geld haben.

Bei der Frage nach Wunschkoalitionen waren sich beide Kandidaten einig. Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene favorisieren sie ein rotrotgrünes Reformbündnis. »In der Bundesregierung würde das den Reformstau der letzten Jahre auflösen, im Land haben die fünf Jahre noch nicht ausgereicht«, sagt Nöll. Meiser betont, dass die Linke nicht als reiner Mehrheitsbeschaffer eines Rot-Grün-Bündnisses im Bund zur Verfügung steht – »da müsste schon ein echter Politikwechsel passieren – wir lassen uns nicht für einen Appel und ein Ei einkaufen«.

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Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2021.

»Zu viel Kapital auf dem Wohnungsmarkt«

Canan Bayram und Clara Herrmann (Grüne) wollen einen gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt

Canan Bayram und Clara Herrmann beim Redaktionsgespräch im Heidelberger KrugCanan Bayram und Clara Herrmann im Gespräch mit den KuK-Redakteuren Robert S. Plaul und Peter S. Kaspar. Foto: cs

Mit Canan Bayram und Clara Herrmann sitzen zwei fast schon »alte Hasen« mit uns im Heidelberger Krug. Bayram hat vor vier Jahren ihren Vorgänger Hans-Christian Ströbele als einzige Grüne Direktmandatsinhaberin des Bundestags beerbt. Wie schon 2017 ist sie nicht über einen Listenplatz abgesichert, müsste also direkt gewählt werden, um ihre Arbeit fortzusetzen. Zuvor saß die Anwältin elf Jahre lang im Abgeordnetenhaus. Clara Herrmann ist seit 2016 Bezirksstadträtin für Finanzen, Umwelt, Kultur und Weiterbildung und blickt auf zehn Jahre Erfahrung im Landesparlament zurück. Als Spitzenkandidatin für die BVV will sie die Nachfolge von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann antreten – mit der sie »nicht verwandt oder verschwägert« ist, wie sie gleich zu Beginn klarstellt.

Die Corona-Pandemie habe in vielen Bereichen, etwa in Sachen Digitalisierung, deutlich gemacht, dass sich was ändern muss, sagt Canan Bayram. Deshalb fordert sie Investitionsprogramme, um Mängel und Defizite zu beheben. Ein Impfpflicht hält sie aber für kontraproduktiv. Gefragt sei eine »solidarische Lösung, die alle mitnimmt.« Man dürfe das Feld nicht den Nazis überlassen. Im Bezirk, so Clara Herrmann, habe Corona gezeigt, wie wichtig der öffentliche Raum ist, beispielsweise in den auch im Winter stark frequentierten Parks.

Was den privaten Raum, also den Wohnraum angeht, beklagt Bayram, dass »zu viel Kapital auf dem Wohnungsmarkt« sei, zum Teil auch »richtig dreckiges Geld, das hier nur gewaschen wird«. Im Grundgesetz sei die Sozialpflichtigkeit von Eigentum verankert, doch nütze das nichts, wenn man – wie im Fall Kisch & Co. – noch nicht einmal wisse, wer der Eigentümer eigentlich ist. Sie fordert ein Gewerbemietrecht (und hat auch schon ein entsprechendes Gesetz geschrieben) und unterstützt von Beginn an den Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«. »Wir brauchen mindestens 50% gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt«, findet auch Herrmann.

Nach hundert Jahren Verkehrspolitik, die nach dem Auto ausgerichtet ist, müsse man umdenken und den öffentlichen Raum umgestalten – eine »Frage der Gerechtigkeit«, sagt Herrmann. Zu neuen Mobilitätskonzepten gehöre es aber auch, erklärt Bayram, dass das Auto wieder ein »Instrument der Mobilität« werde, was es aber nicht sei, wenn man stundenlang im Stau stünde.

Allerdings müsse man sich »von der Vorstellung verabschieden, dass man nur die Antriebstechnologie wechseln muss und dann alle Probleme gelöst sind.« Auch in der Klimapolitik seien Entscheidungen zu treffen, die nicht populär sind.

Bayram will im Rechtsausschuss weiter am Mietrecht arbeiten. Der CDU könne man »mal gönnen, dass sie sich in der Opposition erholt.«

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»Zu viel Kapital auf dem Wohnungsmarkt«
Canan Bayram und Clara Herrmann (Grüne) wollen einen gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt
SPD-Kandidaten klar für rot-rot-grün
Cansel Kiziltepe und Sebastian Forck stellen sich im Gasthaus Valentin den Fragen der KuK
Aus der Kneipe ins Internet
Wie die KuK die Öffentlichen Redaktionsgespräche live übertragen hat

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2021.

SPD-Kandidaten klar für rot-rot-grün

Cansel Kiziltepe und Sebastian Forck stellen sich im Gasthaus Valentin den Fragen der KuK

Sebastian Forck und Cansel Kiziltepe beim Redaktionsgespräch im Gasthaus ValentinHinterzimmergespräch: Sebastian Forck und Cansel Kiziltepe (m.) mit den KuK-Redakteuren Manuela Albicker und Peter S. Kaspar. Foto: rsp

Eigentlich läuft es für die SPD richtig gut, nicht nur im Bund, sondern auch auf Landes­ebene. So hätten dann die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe und der Fraktionsvorsitzende in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Sebastian Forck schon mit einer gewissen Vorfreude zum Redaktionsgespräch im Gasthaus Valentin kommen können.

Doch gleich die Eingangsfrage offenbarte, dass es derzeit einen gewaltigen Wermutstropfen gibt. Wenige Tage vor der Veranstaltung hatte die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey erklärt, dass »Enteignung« für sie eine Rote Linie sei und sie nur in Koalitionsverhandlungen treten werde mit Parteien, die sich gegen eine Enteignung aussprechen würden.

Sowohl Cansel Kiziltepe als auch Sebastian Forck machten klar, dass sie im Gegensatz zur Spitzenkandidatin hinter dem Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« stünden. Beide wollten Giffeys Äußerungen auch nicht zu hoch hängen und verwiesen auf die Situation nach den Wahlen.

Ein zentrales Thema stellte die Frage nach den Konsequenzen der Coronakrise dar. Auf Bundesebene plädierte Cansel Kiziltepe dafür, weiterhin »sehr viel Geld in die Hand zu nehmen«, was ja bislang schon passiert sei. Das Kurzarbeitergeld habe sich in der Pandemie als sehr wirkungsvolles Mittel erwiesen. Künstler, Selbstständige und Alleinunternehmer müssen nach ihrer Vorstellung auch weiterhin massiv unterstützt werden. Sie nannte den Vergleich zur Weltwirtschaftskrise, die den Bund damals doppelt so viel gekostet habe. Die Kosten waren nach zehn Jahren ausgeglichen.

Sebastian Forck will vor allem die digitale Ausstattung der Bezirke verbessern. »Aus meiner Sicht ist das ein erbärmliches Bild, das wir da abgegeben haben.« Die BVV sei zeitweise nicht einmal arbeitsfähig gewesen.

Beim Thema Verkehrswende plädiert Sebastian Forck dafür, diejenigen nicht zu vergessen, die auf ein Auto angewiesen sind. Er selbst outete sich als leidenschaftlicher Radfahrer, wies aber auch darauf hin, bei der Verkehrswende die Fußgänger nicht zu vergessen.

Bei der Frage nach der Klimapolitik meinte Cansel Kiziltepe: »Wir wollen nicht, dass Klimapolitik ein Eliteprojekt wird.« An den Infoständen merke sie oft, dass sich viele Menschen nicht mitgenommen fühlen.

Sebastian Forck erinnerte sich an einen Besuch auf Island, wo ihm der Klimawandel sehr deutlich vor Augen geführt worden sei. Andererseits erlebe er als Mitarbeiter der SPD-Landesgruppe NRW auch die Angst der Menschen vor den Konsequenzen der Klimapolitik. Er plädierte dafür, den Klimakonsens aktiv zu gestalten.

Bei der abschließenden Frage nach der Lieblingskoalition legten sich beide klar auf rot-rot-grün fest.

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Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2021.

Kiezblocks – außenrum statt mittendurch

Zahlreiche Initiativen wollen den Durchgangsverkehr aussperren

Wollen keinen Durchgangsverkehr: Gneisenau-Kiezblock-Initiatoren Andreas Langner und Philipp Stiegel. Foto: rsp

Wer sich in den letzten Monaten mit den verkehrspolitischen Maßnahmen in Berlin und im Bezirk beschäftigt hat, dürfte auch immer wieder über den Begriff Kiezblock gestolpert sein. Aber was ist ein Kiezblock eigentlich – und was nicht?

Unter dem Dach des Vereins Changing Cities e.V. haben sich in ganz Berlin Initiativen gegründet, die die Verkehrssituation in ihrem jeweiligen Kiez verbessern wollen. Auch wenn die annähernd autofreien »Superblocks« in Barcelona Pate stehen für die Idee, geht es den Initiativen nicht um so etwas wie flächendeckende Fußgängerzonen.

»Wir sind ja keine Radikalen«, sagt Philipp Stiegel, der für den Gneisenau-Kiezblock, also den Bereich zwischen Blücher-, Schleiermacher-, Gneisenaustraße und Mehringdamm, einen Einwohner*innenantrag vorbereitet hat und derzeit Unterschriften sammelt. »Wir sind nicht grundsätzlich gegen Autoverkehr, sondern gegen motorisierten Durchgangsverkehr.« Von dem gibt es im Kiez reichlich, und das nicht nur in der Zossener Straße, die nach dem Willen der Initiative möglichst bald ihren Status als übergeordnete Straße verlieren soll, damit der Bezirk und nicht der Senat für die Straße zuständig ist. Auch die kleineren Straßen werden gerne als vermeintlich zeitsparende Schleichwege genutzt, insbesondere sobald es auf den Hauptstraßen ein wenig stockt.

Ein Problem seien auch Navigationssysteme, die die kleinen Nebenstraßen als kürzeste Route vorschlagen, ergänzt sein Mitstreiter Andreas Langner. Der hat bereits einen ersten Entwurf erstellt, der zeigt, wie man mit wenigen kleinen Maßnahmen den Durchgangsverkehr fernhalten könnte. Zu den Ideen gehören beispielsweise Dia­go­nal­sperren oder auch Einbahnstraßenregelungen, die den Kiezblock für Autos und Lkw zwar befahrbar, aber eben nicht durchfahrbar machen. Für Rettungsdienste und den 248er-Bus könnte in der Zossener Straße ein versenkbarer Poller installiert werden. In anderen Straßen würden Kraftfahrzeuge gewissermaßen in Schleifen wieder aus dem Kiez herausgeführt. Für den Fuß- und Fahrradverkehr gäbe es keine Änderungen.

Zwei Diagonalsperren, ein versenkbarer Poller – so einfach könnte der Durchgangsverkehr aus dem Kiez genommen werden. Illustration: Andreas Langner, rsp

Wieviel nur eine einzige Sperrung ausmacht, zeigte sich, als die Ampel an der Kreuzung Mittenwalder Straße/Blücherstraße errichtet wurde und der nördliche Teil der Mittenwalder zeitweise zur Sackgasse wurde. »Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht«, erzählt Philipp. Obwohl er in der Fürbringerstraße wohnt, bekommt er akustisch mehr vom Verkehr in der Mittenwalder Straße mit, als ihm lieb ist – auch wegen des Kopfsteinpflasters.

Ein anderes Mitglied der Initiative hat in der Solmsstraße die durchfahrenden Autos gezählt. Als vor einiger Zeit wegen einer Bombenentschärfung die Lindenstraße gesperrt war, seien es 40 Kraftfahrzeuge pro Stunde gewesen, an einem normalen Wochentag kam er tagsüber auf 420 pro Stunde.

Tatsächlich gibt der Einwohner*innenantrag, für den 1000 Unterschriften zusammenkommen müsen, allerdings keine konkreten Baumaßnahmen vor, sondern enthält nur die Forderung, einen verkehrsberuhigten Bereich zu schaffen und auf den angrenzenden Straßen für Tempo 30 zu sorgen. Wie das dann genau geschieht, darüber muss die Ende September zu wählende Bezirksverordnetenversammlung (BVV) abstimmen.

Es wird nicht der einzige derartige Antrag sein, weder im Bezirk, noch berlinweit. 180 potentielle Kiezblocks hat Changing Cities in Berlin ausgemacht. In 47 von ihnen gibt es entsprechende Initiativen, zehn davon allein in Kreuzberg sowie weitere drei in Friedrichshain. In der hiesigen BVV treffen die Anträge dabei auf fruchtbaren Boden. Erst Ende Mai wurde die Einrichtung eines verkehrsberuhigten Viktoriakiezes beschlossen.

Das dürfte auch daran liegen, dass die Forderungen der Kiezblock-Initiativen deutlich weniger invasiv (und preiswerter in der Umsetzung) sind als beispielsweise die umstrittene Umgestaltung des Bergmann- und Chamissokiezes oder die Pläne für die Oranienstraße, in der sämtliche Parkmöglichkeiten auch für Anwohner wegfallen sollen.

Wer die Gneise­nau-Kiezblock-Initiative kontaktieren oder unterstützen möchte, erreicht die Initiatoren per E-Mail unter und findet sie auf Twitter.

Eine ausführliche Darstellung der Forderungen und einen »Faktencheck« zu Vorbehalten gegenüber dem Vorhaben, hat Changing Cities unter kiezblocks.de/konzept veröffentlicht.

Digitalisierungsprobleme

Die Bezirksverordnetenversammlung versucht es mit Videokonferenz und Streaming – und scheitert

Gespanntes Warten an den heimischen Endgeräten auf den Beginn der Übertragung. Screenshot: cs

[Bitte das Update unten beachten!]

Noch vor nicht allzu langer Zeit wurden Video­kon­fe­ren­zen eher belächelt und Livestreaming galt vielen als Medium der Generation YouTube, nicht jedenfalls als ernstzunehmende Bezugsquelle von Kulturellem oder Informativem. Doch die Zeiten haben sich geändert: Der Umgang mit Video­kon­fe­renz­sys­te­men hat breite Schichten der Bevölkerung erreicht, und Livestreaming gibt es gewissermaßen auf allen Kanälen, von Kabarettbühne bis Philharmonie.

Und so hätte an dieser Stelle eigentlich eine Erlebnisreportage über eine Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung gestanden, die Ende Januar als Videokonferenz stattfand und live via YouTube übertragen wurde. Mit zwei Anträgen zur Abwahl von Bezirksstadtrat Florian Schmidt hätte auch ein Thema auf der Tagesordnung gestanden, das umso dringlicher nach der ohnehin vorgeschriebenen Öffentlichkeit verlangt hätte.

Doch die Öffentlichkeit wollte sich nicht herstellen lassen. Eine knappe Stunde lang verfolgten die anfangs um die 50 Zuschauer die verzweifelten Bemühungen, die Technik irgendwie an den Start zu kriegen. Immer wieder brach der Stream ab und wurde – unter einer neuen Adresse – neu gestartet. Bis kurz vor Schluss war kaum mal ein Wort zu verstehen, und auch was man auf dem Bildschirm zu sehen bekam – ein pixeliges Bewegtbild mit einem Neuntel der Auflösung eines halbwegs zeitgemäßen Fernsehers – gab kaum Anlass zur Hoffnung. Als dann endlich wenigstens der Ton funktionierte, hatte der Ältestenrat beschlossen, die noch offenen Tagesordnungspunkte später nachzuholen. Bis auf die Beschlussfassung zur sogenannten Konsensliste und die Bestätigung der Tagesordnung waren das: alle – inklusive, wohlgemerkt, der offenen TOPs der letzten Sitzung, die im Dezember wegen nicht funktionierender Technik vertagt wurde.

Dabei ist die Januar-Sitzung in technischer Hinsicht schon ein gro­ßer Fortschritt gegenüber dem Dezember-Versuch. Damals hatte noch nicht einmal das Kon­fe­renz­sys­tem funktioniert, so dass nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Bezirksverordneten selbst ausgesperrt waren. Für das neue Jahr hatte man sich dann entschlossen, die Open-Source-Software BigBlueButton zu verwenden, betrieben offenbar von der Berliner Politik-Agentur Werk 21. Warum nicht die erprobte Infrastruktur der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (»Lernraum Berlin«) verwendet wurde und was die Beauftragung einer Agentur gekostet haben mag, blieb bis Redaktionsschluss leider das Geheimnis des BVV-Büros.

Gegen die Verwendung beispielsweise des kommerziellen Dienstes Zoom (der selbst im kleinsten Bezahltarif direktes Streaming zu YouTube enthält) hatte es Vorbehalte einzelner Fraktionen gegeben, berichtet Ex-Pirat Felix Just, der für DIE PARTEI in der BVV sitzt. Offenbar hatte es Sorgen um den Datenschutz gegeben, die beim öffentlichen Streaming auf YouTube dann allerdings wohl keine Rolle mehr spielten.

Die miese Qualität des YouTube-Streams kann sich Just nur damit erklären, dass man versucht habe, direkt aus dem Rathaus zu streamen, dessen 16000er-DSL-Leitung ohnehin meist völlig überlastet sei.

»Das Hauptproblem ist: Es gibt niemanden im Rathaus, der Ahnung hat von IT«, sagt Just, der die Schuld für das Debakel auch nicht beim unterbesetzten BVV-Büro suchen mag. »Es gibt keinen bezirklichen Ansprechpartner für IT-Fragen, nicht mal einen IT-Ausschuss.« Außerdem hätte es das Land versäumt, eine zentrale Lösung zu schaffen, so dass jeder Bezirk auf sich selbst gestellt sei.

Sobald die Technik funktioniert, soll die BVV-Sitzung nachgeholt beziehungsweise fortgesetzt werden.

Weiterhin ungeklärt bleibt indessen die Frage, was mit den Sitzungen der Ausschüsse und des Ältestenrats ist, die dem Gesetz nach ebenfalls öffentliche Sitzungen sind. Wie interessierte Bürger daran teilnehmen können, ist den Webseiten des Bezirks jedenfalls nicht zu entnehmen, und eine entsprechende Anfrage blieb ebenfalls unbeantwortet.

Update: Zwischenzeitlich hat uns der Bezirk einige unserer Fragen beantwortet: Bei der derzeit verwendeten Videokonferenzlösung entstünden in der Probephase keine Kosten. Auf die Infrastruktur des Landes hätten die Bezirksverordnetenversammlungen keinen Zugriff. Die Nutzung von etablierten Diensten (wie beispielsweise Zoom) sei zwar erwogen worden, doch bestünde auch unabhängig vom Streaming die Anforderung, ein datenschutzkonformes Programm einzusetzen. Von der schlechten Bildqualität (Maximalauflösung: 360p) habe man bisher nichts gewusst. In dieser Woche soll es eine Sitzung des Ältestenrats geben, die sich mit dem Thema Streaming befasst. Und noch eine gute Nachricht für politikinteressierte Bürger: Öffentliche Gremiensitzungen werden zwar nicht gestreamt, jedoch besteht dort die Möglichkeit, sich direkt in die Videokonferenz zu schalten. Hierfür kann man sich per E-Mail an das BVV-Büro wenden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2021.

Was lange währt, wird autofrei

Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu

War es das jetzt? Das Bezirksamt hat nun beschlossen, wie die Bergmannstraße in Zukunft aussehen soll. Vorbehaltlich der Zustimmung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wird die Bergmannstraße nach einem städtebaulichen Wettbewerb umgestaltet. Zwischen Nostizstraße und Schleiermacherstraße wird sie für den motorisierten Verkehr gesperrt. Nur noch Lieferverkehr wird in einem engen Zeitfenster erlaubt sein. Von Parklets, Findlingen und neongrünen Punkten ist keine Rede mehr, dafür soll ein munteres Bächlein durch die Bergmannstraße plätschern – und ein zweispuriger Radstreifen die Fahrradstraße der östlichen Bergmannstraße quasi verlängern.

Damit neigt sich ein Prozess dem Ende zu, der im Grunde mit der erwähnten Fahrradstraße seinen Anfang nahm. Die wurde 2008 eingeweiht. Sie mündet bis heute in den Kreuzungsbereich Friesen-/Bergmannstraße. Schon damals tauchte die Frage auf: Warum? Wäre es nicht logisch und sinnvoll gewesen, die Fahrradstraße bis zum Mehringdamm zu verlängern? Aus Sicht des Bezirks beginnt die Bergmannstraßen-Saga allerdings erst drei Jahre später mit der »Phase null«, in der bis 2014 mit »wichtigen politischen Entschlüssen die Grundlage für das Verfahren geschaffen« wurde. Damals tauchte erstmals der Begriff »Begegnungszone« auf. Drei Orte wurden benannt, wo sie ausprobiert werden sollte: Die Maaßenstraße in Schöneberg, die Bergmannstraße und der Checkpoint Charlie in Kreuzberg. Letzteres Projekt scheint aber in der Versenkung verschwunden zu sein.

Die Maaßenstraße wurde umgestaltet, doch das Ergebnis machte kaum jemanden froh. In der Bergmannstraße sollte alles anders laufen. Alle Elemente sollten zunächst provisorisch installiert werden und erst nach intensiver Bürgerbeteiligung und -befragungen sollte eine Entscheidung fallen.

Es folgte die Erprobungsphase, die zuerst zwei große, massive Holzparklets und anschließend viele kleine Metallparklets und neon­grüne Punkte auf der Bergmannstraße hinterließ. Ein Konsens wurde nicht erzielt, die Emotionen kochten so hoch, dass am Ende das Pilotprojekt vorzeitig abgebrochen wurde.

Was nun übrig bleibt, ist eine erweiterte Fußgängerzone, die Sperrung des gesamten Bergmannkiezes für motorisierte Nichtanlieger und viele, viele Einbahnstraßen.

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Karstadt wird Pop-up-Kaufhaus

Dritter Stock bietet ein halbes Jahr Gebrauchtwaren an

Karstadt am HermannplatzEin halbes Jahr lang gibt es im dritten Stockwerk vom Karstadt am Hermannplatz Gebrauchtwaren. Foto: rsp (Archiv)

Ist Signa ein Segen oder ein Fluch für den Karstadt am Hermannplatz? Für die Fraktion der Grünen, der Linken und der PARTEI in der BVV ist das eine klare Angelegenheit. Sie wollen nicht, dass das Unternehmen Signa den Bau am Hermannplatz abreißt und nach historischem Vorbild wieder neu baut.

Der Einfluss der Bezirksverordnetenversammlung ist indes sehr beschränkt, denn seit der Senat das Verfahren an sich gerissen hat, bleibt nicht viel mehr als eine Resolution zu verabschieden. Und die wurde mit 17 zu 11 Stimmen noch nicht einmal mit einer überwältigenden Mehrheit angenommen.

Derweil arbeitet das Unternehmen des österreichischen Investors René Benko unbeirrt weiter an einer Charmeoffensive, die im vergangenen Jahr ihren Anfang nahm. Damals wurde durch den Hinterhof des Kaufhauses eine Radstraße als Verbindung zwischen Hasenheide und Ur­ban­stra­ße angelegt. Hinzu kamen Radparkplätze und eine Fahrradwerkstatt. Signa signalisierte damit, dass es hinter der Verkehrswende steht.

Am 9. September folgt eine weitere Neuerung. Das dritte Stockwerk wird für ein halbes Jahr für eine ziemlich ungewöhnliche Aktion freigeräumt. Zum ersten Mal bietet dann ein Kaufhaus in Deutschland auf einer ganzen Etage Gebrauchtwaren an.

Federführend ist bei dieser Aktion der neugegründete Verein Re-Use Berlin. Es werden nicht nur gebrauchte Dinge verkauft, es wird auch Workshops geben, ein Repaircafé und ein Reparaturnetzwerk unterstützt.

Verkauft werden kann aber nur, was da ist. Die Initiatoren sammeln in der ganzen Stadt auf Ökomärkten Geschirr, Bücher, CDs, LPs, Modeschmuck, Kleidung und Textilien, Spiele und Spielsachen. In guten Zustand muss alles allerdings noch sein, ehe es an die Frau oder den Mann gebracht wird.

Umweltsenatorin Günther freut sich über die Aktion: »Mit dem Pop-up-Store werden wir gut erhaltene Gebrauchtwaren für noch mehr Menschen einfach zugänglich machen. Deshalb gehen wir dorthin, wo die Menschen einkaufen: ins Kaufhaus. So kann jeder schnell prüfen, ob das Gesuchte auch gebraucht erhältlich ist. Das lohnt sich doppelt, weil es Geld spart und die Umwelt schützt. Mit dem Begleitprogramm zum Pop-up-Store wollen wir das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum und umweltfreundliches Einkaufen stärken.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2020.