Bewerbung um die Grünen-Hochburg

Katrin Schmidberger will in die Fußstapfen von Hans-Christian Ströbele und Canan Bayram treten

Portrait von Katrin SchmidbergerKatrin Schmidberger will für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost antreten. Foto: Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin

Während es im Rest des Landes nach der Europa- und mehreren Landtagswahlen so schlecht um die Grünen bestellt ist, dass sich der Bundesvorstand der Partei genötigt sah, seinen Rücktritt zum November anzukündigen, geht der Bezirk ohne Weiteres als Grünen-Hochburg durch. Durchgängig seit 2002 gelang es zunächst dem 2022 verstorbenen Hans-Christian Ströbele und seit der Bundestagswahl 2017 Canan Bayram, das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost zu erringen. Jahrelang war er gar der einzige Grüne Wahlkreis überhaupt.

In diese Fußstapfen möchte nun Katrin Schmidberger treten, die seit 2011 für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt. Nachdem sie zunächst über die Lan­des­lis­te ins Parlament einzog, kandidierte sie ab 2016 erfolgreich als Direktkandidatin für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – und erreichte dabei stets über 40 Prozent der Stimmen.

Hans-Christian Ströbele schiebt sein Fahrrad, daneben Canan BayramDer Wahlkreis ist mit Hans-Christian Ströbele (2002, 2005, 2009, 2013) und Canan Bayram (2017, 2021) fest in Grüner Hand. Foto: Oliver Feldhaus

Bundespolitisch will sich Schmidberger vor allem mit dem Thema Mieten beschäftigen, auf das sie sich schon im Abgeordnetenhaus fokussiert hat. »Wir müssen den Berliner Wohnungsmarkt endlich wieder in faire Bahnen lenken«, erklärt sie. Mit dem Milieuschutz in fast allen Bezirken, mit dem Vorkaufsrecht, dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz und der Genossenschaftsförderung zum Ankauf von Wohnraum habe man zwar schon wesentliche Instrumente zum Einsatz gebracht. Dennoch habe sich die Lage für Mieter*innen weiter zugespitzt. »In den fast 13 Jahren als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses musste ich immer wieder feststellen, dass wir Städte zu oft politisch quasi ohnmächtig sind, Menschen wirklich vor Verdrängung zu schützen und Vermieter*innen zu angemessenem Wohnraum zu verpflichten.« Daher wolle sie die wohnungspolitische Wende gemeinsam mit den anderen Städten erkämpfen. »Wenn Berlin den Mietendeckel nicht selbst machen darf, dann müssen wir ihn für Berlin uns aus dem Bund eben holen.«

Doch zunächst einmal muss sich Schmidberger das Mandat und zuvor die Nominierung innerhalb ihrer Partei sichern. Die derzeitige Mandatsträgerin Canan Bayram war für ein Statement nicht zu erreichen, doch parteiinterne Zwistigkeiten scheint es nicht zu geben. Schmidberger versichert jedenfalls: »Ja, alles schick.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2024 (auf Seite 3).

Was wird aus dem Graefekiez?

Bislang 80 Parkplätze umgewidmet

Hölzerne Stadtmöbel auf einem ehemaligen Parkplatz; davor in zweiter Reihe ein AutoDiese Parkplätze sind jetzt eine »Kiez-Terrasse« – vor der in zweiter Reihe geparkt wird. Foto: cs

Seit rund einem Jahr läuft das »Projekt Grae­fe­kiez«, im Rahmen dessen ein Großteil der dort vorhandenen Parkplätze wegfallen beziehungsweise »umgewidmet« werden soll. Nachdem das ursprünglich für die Maßnahme angedachte Areal zunächst auf ein »Kerngebiet« (der L-förmige Abschnitt aus westlicher Böckhstraße und der Graefestraße bis zur Dieffenbachstraße) eingedampft wurde, stellt sich nun die Frage, wie es weitergehen soll. Konkret geplant sind bislang nur Durchfahrtsperren an der Schönleinstraße westlich des Hohen­stau­fen­plat­zes sowie die Einführung einer Park­raum­be­wirt­schaf­tung ab Oktober. Für weitere Maßnahmen fehlt es nach dem Wegfall von Senatsmitteln derzeit an Geld im Bezirkshaushalt.

Das dürfte vor allem diejenigen freuen, die die Reduzierung von Parkplätzen ohnehin mit Argwohn beobachten.

»Schon der Beginn der Maßnahmen hat zu einer Beschwerdelage bei mir geführt«, sagt Sozialstadtrat Oliver Nöll. Er würde sich wünschen, dass die Betroffenen, also insbesondere Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Pflegebedarf, stärker in die Beteiligung mit einbezogen werden. »Eine sinnvolle Verkehrswende kann nur mit Akzeptanz der Menschen durchgeführt werden.«

Im erwähnten Kerngebiet sind bislang rund 80 Stellplätze weggefallen. Die Hälfte davon wurde entsiegelt und teilweise in Kooperation mit Anwohnern bepflanzt. 32 Parkplätze sind als Bereiche für Liefern und Laden ausgewiesen und dürfen nur noch halbstundenweise beparkt werden. Einige weitere werden als Parklets genutzt oder sind zu Fahrradstellplätzen umgewidmet worden.

Aber reichen die Kurzzeitparkplätze aus, um den Bedürfnissen etwa von Pflegediensten gerecht zu werden? An dieser Frage scheiden sich derzeit die Geister.

Bericht weist auf Kommunikationsprobleme hin

Gundel Riebe ist seit über dreißig Jahren im Berliner Mieterverein aktiv, sitzt im Vorstand der Seniorenvertretung und im Stadtentwicklungsausschuss des Bezirks. Sie glaubt nicht daran, dass wirklich alle Stimmen von Betroffenen gehört wurden. »Die Sauerei ist im Grunde genommen bei all diesen Sachen, dass die sogenannten Bürgerbeteiligungen im Prinzip nicht stattfinden«, sagt sie und denkt dabei auch an ähnliche Fälle in Friedrichshain, bei denen Befragungen im Rahmen von temporären Spielstraßensperrungen an Sonntagen stattgefunden hätten. Da sei es kein Wunder, wenn man nur positive Stimmen sammle.

Tatsächlich weist auch der Bericht des vom Bezirksamt mit der Bürgerbeteiligung beauftragten Vereins paper planes e.V. darauf hin, dass nicht immer alle Anwohner erreicht wurden. Zwar seien alle Altersgruppen bei den angebotenen Sprechstunden vertreten gewesen, jedoch nur wenige Personen mit Migrationshintergrund. »Da vor allem der südliche Teil des Graefekiez einen höheren Anteil an türkisch und arabisch sprechenden Menschen aufweist, wäre eine Person mit eben diesen Sprachkenntnissen erforderlich gewesen, die jene Bürger:innen spezifischer hätte abholen können«, heißt es in dem Bericht. Bezeichnend darin ist auch die Passage, in der es um die Kommunikation mit der Öffentlichkeit geht. Dabei sollte »eine neutrale Wortwahl bevorzugt werden, in der das Potenzial der Umgestaltung für die Anwohnenden ebenso berücksichtigt wird, statt nur den Verlust von Parkplätzen zu thematisieren.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2024 (auf Seite 1).

Wie geht’s weiter am Kotti?

Senat streicht Sondermittel für 2024, Quartiersmanagement wohl nur noch bis 2027

Die Gegend um das Kottbusser Tor gehörte zu den ersten in Berlin, in denen ab 1999 ein Quartiersmanagement eingerichtet wurde, das sich der diversen sozialen Herausforderungen des Kiezes annimmt. Doch obwohl das Quartier nach wie vor als problembelastet gilt, läuft das Quartiersmanagement, das derzeit mit jährlich 220.000 Euro finanziert wird, voraussichtlich Ende 2027 aus.

Kottbusser TorDas Kottbusser Tor steht vor einer Vielzahl sozialer Herausforderungen. Foto: rsp

Auch die Sondermittel in Höhe von 250.000 Euro, mit denen der Senat im vergangenen Jahr unter anderem gemeinwesenbezogene Sozialarbeit am Kotti unterstützt hatte, werden nicht verstetigt. Schon im Oktober hatte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann davor gewarnt, einzelne Projekte nur punktuell über Sondermittel zu finanzieren. Beim damaligen Runden Tisch sei man sich mit dem Land einig gewesen, »dass es einen umfassenden Ansatz mit sozialen Maßnahmen braucht«. Auch hätte der Senat nach dem Sicherheitsgipfel verkündet, mehr Geld für Sozial­arbeit und Gesundheitsangebote bereitzustellen.

Doch danach sieht es momentan nicht aus. Ein weiterer Runder Tisch im Juli habe »wenig neue Erkenntnisse gebracht«, zeigt sich Herrmann enttäuscht. »Das Bezirksamt und die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen haben von ihren Projekten und Maßnahmen berichtet. Von den Senatsverwaltungen war wenig zu hören. Weitere Gelder vom Land, wie die Sondermittel für den Kotti in 2023, wird es nicht geben.«

Mit den Geldern wurde vor allem aufsuchende Sozialarbeit durch zwei Teams des Trägers Fixpunkt e.V. finanziert. Zielgruppe waren obdachlose Menschen mit und ohne riskanten Substanzkonsum. Außerdem fungierten die Mitarbeiter als Ansprechpartner für Anwohner und Gewerbetreibende und arbeiteten eng vernetzt mit dem Quartiersmanagement zusammen.

19 von 32 Quartiersmanagementgebieten sollen Ende 2027 wegfallen

Die Quartiersmanagements wurden in Berlin  1999 im Rahmen des Programms »Soziale Stadt« (heute: »Sozialer Zusammenhalt«) etabliert. Ziel ist es, Gebiete mit »besonderem Aufmerksamkeitsbedarf« infrastrukturell zu unterstützen. Dabei geht es auch darum, lokale Einrichtungen und Akteure miteinander zu vernetzen und Orte der Integration zur Förderung der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe zu schaffen.

Im Quartiers­mana­ge­ment­gebiet »Zentrum Kreuzberg/Oranienstraße«, das seit März 1999 besteht, leben rund 8000 Menschen auf sehr engem Raum, rund ein Drittel von ihnen bezieht Transferleistungen. Das im Zentrum des 38 ha großen Gebiets liegende Kottbusser Tor hat mit vielfältigen Problemlagen wie offenem Drogenkonsum und hoher Kriminalität zu kämpfen. Dazu kommen weitere Herausforderungen hinsichtlich des Wohnumfelds: So gehört es auch zu den Aufgaben des Quartiersmanagements, Verwahrlosung, Nutzungskonflikten und Zweckentfremdung entgegenzuwirken und Infrastruktur wie Spielplätze aufzuwerten.

Das Quartiersmanagement am Kotti ist eines von 19 von derzeit 32 Gebieten, in denen Ende 2027 die Förderverfahren enden. Auch die beiden übrigen Kreuzberger Quartiersmanagement-Gebiete, der benachbarte Wassertorplatz sowie der Mehringplatz, fallen aus der Förderung. Alle drei  Quartiere werden in der dreistufigen Skala der Interventionsgrade unter »Kategorie 1: Starke Intervention« geführt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2024 (auf Seite 1).

Engagiert trotz widriger Umstände

Quartiersrat fordert Sanierung der Friedrichstraße 1 bis 3

Der Garten des F1 lädt vor allem im Sommer zum Verweilen ein. Foto: rsp

Ende Juni hat sich der Quartiersrat des Meh­ring­platzes mit einem Brandbrief an den Senat gewandt. Der Kiez um den Platz habe sich zunehmend zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt. Jugend- und Drogenkriminalität grassierten hier ebenso wie Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen.

»Kaum ein Tag vergeht mehr ohne Polizeieinsatz, bei den Anwohner:innen wächst die Angst«, heißt es in dem offenen Brief. Schon heute habe das Viertel mit seinen rund 5.500 Bewohnern die schlechtesten Einschulungsuntersuchungsergebnisse im ganzen Bezirk. »Viele der hier lebenden Familien wohnen mit 5 bis 9 Personen in 2,5- bis 3-Zimmerwohnungen. Zahlreiche Kinder und Jugendliche im Gebiet verbringen daher ihren gesamten Alltag außerhalb der Wohnung – ohne Geld, ohne Perspektive, voller Wut«, so der Quartiersrat weiter.

Als ganz entscheidenden Punkt zur Wiederherstellung des sozialen Friedens benennt der Brandbrief eine Ausweitung der Kinder- und Jugendarbeit sowie der sozialen Angebote für die Nachbarschaft. Doch die scheitere vor allem an der jahrelang verschleppten Sanierung des Gebäudekomplexes Friedrichstraße 1 bis 3, der die Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung KMA sowie das Stadtteilzentrum F1 beherbergt. Aktuell gehe man von einer Sanierung frühestens 2032 aus.

Der Sanierungsrückstau des 50 Jahre alten Gebäudes ist allgegenwärtig. Foto: rsp

Im F1 wäre man schon froh über eine Instandsetzung. Die war eigentlich ab September 2024 geplant, muss jedoch nach KuK-Informationen mindestens bis Januar verschoben werden, weil die Finanzierung noch nicht steht. Wegen Schimmel und Wasserschäden sind hier bereits seit Längerem einige Räume gesperrt.

Eine unschöne Situation für das Stadtteilzentrum, dessen Konzept gerade darin besteht, Räume für Vereine und nachbarschaftliche Initiativen zur Verfügung zu stellen oder, wie Leiter Matthias Klockenbusch es formuliert, »Ideen, die von außen kommen, groß zu machen.«

Das gelingt dem F1 trotz der widrigen Umstände erstaunlich gut, wie ein Blick in den digitalen Raumplaner offenbart: In den acht derzeit nutzbaren Räumen treffen sich sieben Tage die Woche die verschiedensten Initiativen und Gruppierungen: Ob Chor, Sport- oder Theatergruppe, Mieter-, Frauen- oder Jugendtreffs, Nähgruppe, Repaircafé oder Deutschkurs – das Angebot ist durchaus beachtlich.

Viel Anklang findet die (Kleider-)Tausch­ecke, die vor rund anderthalb Jahren im vorderen »Willkommensbereich« eingerichtet wurde. Im Sommer lädt der riesige Garten zum Verweilen ein, montags bis freitags gibt es ein Nachbarschaftscafé.

Vor allem am Wochenende würde das F1 aber gerne noch mehr anbieten. Wer sich als Verein oder engagierter Nachbar einbringen und eigene Angebote schaffen möchte, findet die Kontaktdaten auf f1­-mehringplatz.de.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2024 (auf Seite 3).

Kleinverlagsinteressenvertretung

Neue Interessengemeinschaft formiert sich

Erstes Verlagstreffen im Mehringhof. Foto: privat

Ende Juni hat sich im Clash im Mehringhof eine Interessengemeinschaft unabhängiger Berliner Verlage formiert. Die Gemeinschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, die Interessen der kleinen und unabhängigen Verlage in Berlin zu vertreten, den Austausch untereinander zu fördern und gemeinsame Projekte zu realisieren.

»Der deutsche Buchhandel, einst eine tragende Säule der Kultur- und Wissensvermittlung, steckt in einer existenziellen Krise«, heißt es in einer Pressemitteilung der Interessengemeinschaft. »Neben der fortschreitenden Digitalisierung und veränderten Konsumgewohnheiten haben auch wirtschaftliche Herausforderungen und die Konkurrenz durch internationale Online-Riesen wie Amazon zu einer existenziellen Bedrohung für viele Buchhandlungen und Verlage geführt.« Covid19-Pandemie und die Folgen des Ukrainekriegs hätten die Lage weiter verschärft und den Kollaps zahlreicher Verlage und Buchhandlungen beschleunigt. Eine der Forderungen an die Politik ist daher die Einführung einer strukturellen Verlagsförderung – wie sie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist.

Als erstes gemeinsames Projekt plant die Interessengemeinschaft eine dreitägige Independent-Buchmesse im kommenden Jahr. Ein Förderantrag hierfür wurde bereits beim Hauptstadtkulturfonds des Senats eingereicht.

Die an der Gründung beteiligten Verlage sind:

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2024 (auf Seite 13).

Straßenbahn soll durch den Görli fahren

Senat veröffentlicht Details zur geplanten Verlängerung der Tramlinie M10

Geplanter Streckenverlauf der M10. Karte: K5 Geoportal Berlin / SenMVKU

Anfang Juni hat die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) Details zur geplanten Verlängerung der Tramlinie M10 veröffentlicht. Die soll, wie berichtet, von der Warschauer Straße aus über die Oberbaumbrücke durch Wrangel-, Reichenberger und Reuterkiez bis zum Hermannplatz führen – angeblich bereits ab 2030.

Bereits 2021 war die »planerisch zu bevorzugende Trassenvariante« festgelegt worden, die sich im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass sie bis hin zur Sonnenallee einer geraden Linie folgt – und damit auch quer durch den Görlitzer Park führt.

Daran hat sich auch mit den jetzt veröffentlichten Details nichts geändert. Im Rahmen eines nur 14-tägigen Online-Beteiligungsverfahrens auf der Plattform mein.berlin.de wurden lediglich für den Abschnitt Falckensteinstraße zwei verschiedene Varianten zur Diskussion gestellt: In der einen Variante liegen die Schienen mittig auf der Straße, in der anderen auf der westlichen Seite, während auf der gegenüberliegenden Seite ein Zweirichtungsradweg errichtet werden würde.

Letztere Anordnung entspräche auch im Groben der Planung für den Görlitzer Park, Radfahrer müssten also nicht die Schienen kreuzen, wenn sie der Strecke weiter nach Süden folgen. Unangenehmer wird die Situation für Fußgänger, die beim Kreuzen der Falckensteinstraße gleich zweimal mit Verkehr aus zwei Richtungen konfrontiert werden. Beiden Varianten ist gemein, dass Kfz-Verkehr nur noch als Lieferverkehr in Richtung Wrangelstraße erlaubt sein soll.

Mit zusammen über 100 Beiträgen und Kommentaren sind die Falckensteinstraßenvarianten auch der am heißesten diskutierte Abschnitt der Tramstrecke im Online-Beteiligungsverfahren. Tatsächlich darf sich die M10 durchaus vieler Fürsprecher erfreuen.

Beteiligungsverfahren offenbart geteiltes Meinungsbild zur Görli-Route

Viele halten die Falckensteinstraße jedoch für zu schmal, um zusätzlich zur Tramstrecke genug Platz für andere Nutzer zu bieten. Tatsächlich dürfte es einerseits im Norden im Bereich der U1-Unterführung und andererseits an der geplanten Haltestelle »Gör­litzer Park« eng werden.

Die Haltestelle soll nämlich außerhalb des Parks liegen, der von der M10 ohne Halt durchfahren werden soll. Und auch dort wird es eng, insbesondere zwischen Kinderbauernhof und Sportplatz, weswegen letzterer einen schmalen Streifen seiner Fläche einbüßen soll.

Dementsprechend umstritten ist die Streckenführung durch den Park. So spricht sich der Park­rat des Görli eindeutig gegen die Tram-Route aus: »Straßenbahntrassen würden diese für den Kiez wichtige und vor allem auch knappe Grünfläche nicht nur durchschneiden, sondern auch bleibend verändern«, heißt es in einer Stellungnahme. »Hinzu kommt, dass der Aufenthalts- und Erholungswert des Parkes massiv beeinträchtigt und somit die Gründe seiner Gründung wieder in Frage gestellt würden.«

Auch das Bündnis Stadtnatur befürchtet Umwelt-, artenschutzrechtliche und Nutzungskonflikte. Da die (inklusive Radweg) 16 Meter breite Trasse durch einen sehr grünen Streifen des Parks führe, sei diese Trassenführung nur realisierbar durch Fällung zahlreicher Bestandsbäume sowie Rodung von Hecken und Gebüschinseln. Als Grünanlage sollte der Park Fußgängern jeden Alters und jeder Mobilität vorbehalten bleiben.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2024 (auf Seite 1).

Kaum Plakate für die wichtigste Wahl Europas

34 Parteien stellen sich zur Wahl

Ein Laternenpfahl mit drei Wahlplakaten für die EuropawahlNur dann und wann ein Wahlplakat: Die Parteienwerbung zur Europawahl wirkt fraktionsübergreifend eher lustlos. Foto: rsp

Am 9. Juni finden in Deutschland die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auch wenn – oder auch gerade weil – die Europäische Union bisweilen im Ruf steht überzuregulieren, dürfte die Europawahl eine der wichtigsten Wah­len überhaupt sein. Ein großer Teil der Gesetze, die im Bundestag beschlossen werden, geht direkt oder indirekt auf Entscheidungen des Europaparlaments und des EU-Rats zurück. Und obwohl das Mitspracherecht des Parlaments in gerade aktuell so wichtigen Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik recht stark eingeschränkt ist, spielt es eine wichtige Rolle bei der politischen Meinungsbildung in Europa.

Umso erstaunlicher, dass sich die öffentliche Wahlwerbung der Parteien insbesondere in Kreuzberg in Grenzen hält. Natürlich hängen Wahlplakate an den Straßen, aber deren Dichte scheint doch erheblich geringer zu sein als bei Bundestags- oder früheren Europawahlen.

Ein Grund könnten die mehrfachen Wiederholungswahlen sein.

»Europawahlen sind in Hinblick auf die Motivation immer eine Herausforderung für die Parteien«, sagt Oliver Nöll (Linke), stellvertretender Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg und Bezirksstadtrat für den Bereich Arbeit, Bürgerdienste und Soziales. »Da wir in Berlin quasi Wahlen in Dauerschleife haben, ist das erst recht eine Herausforderung für die Parteien, die Mitglieder und auch die Parteikassen.«

Zur Wahl treten 34 Parteien an, mit Ausnahme der CDU/CSU jeweils mit einer gemeinsamen Liste für alle Bundesländer, so dass sich die Stimmzettel in den Ländern vor allem hinsichtlich der Reihenfolge der Parteien unterscheiden.

Wie immer ist es auch möglich zu wählen, wenn die Wahlbenachrichtigung nicht angekommen ist. Hier geht’s zur Wahllokalsuche des Landeswahlleiters.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2024 (auf Seite 1).

Ladung vorn oder hinten? Zwei oder drei Räder?

Kleine Lastenradkunde

Lastenräder mit unterschiedlich langem RadstandGrößenvergleich: Mit kürzerem Radstand ist das Rad wendiger, während der größere Radstand mehr Zuladung ermöglicht. Foto: rsp

Sie sind aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken: Lastenräder haben längst ihr Öko-Nerd-Image hinter sich gelassen und sind zum Massenphänomen geworden. Doch was sollte man beachten, wenn man selbst mit der Anschaffung eines Lasten­rads liebäugelt, zum Beispiel hinsichtlich der Bauform?

»Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen ein- und zweispurigen Rädern«, erklärt Jan Pleus. Er ist einer der Mitstreiter beim Fahrradkollektiv Crow, das nicht nur die Kiez und Kneipe per Lastenrad zu den Verteilstellen bringt, sondern mit der Cyclery auch eine eigene Werkstatt in der Neuenburger Straße betreibt. Einspurige Räder sind wendiger, insbesondere wenn die Ladefläche über dem (kleineren) Vorderrad angebracht ist. Ähnlich wie bei den als »Long John« oder »Bakfiets« bekannten Rädern mit zwischen Steuerrohr und Vorderrad gelegener Ladefläche erfolgt die Lenkung über eine Lenkstange, die Lenkerrohr und Vorderrad verbindet.

Im Gegensatz dazu haben zweispurige (dreirädrige) Lastenräder, bei denen die Ladung zwischen zwei nor­mal­gro­ßen Vorderrädern verstaut wird, eine Drehschemel-Lenkung, die zunächst einmal gewöhnungsbedürftig ist, wenn man bisher nur mit klassischen Fahrrädern unterwegs war. Und anders als man denkt, seien zweispurige Räder »eher prädestiniert umzukippen«, sagt Jan – zumindest während der Fahrt. Sie haben mehr Zuladung (je nach Hersteller und Modell bis zu 150 kg + Fahrer) als die zweispurigen Modelle (bis zu ca. 85 kg + Fahrer), aber natürlich wiegt das Gefährt auch leer deutlich mehr.

Zweispurige Cargobikes gibt es auch mit Ladefläche hinten – professionell beispielsweise oft als Coffee-Bike zu sehen. Nachteil: Man hat als Fahrer die Ladung nicht im Blick. Dafür sind solche Modelle eher für den Personentransport geeignet als jene, bei denen der Nachwuchs gewissermaßen die Knautschzone bildet.

Auch wenn Lastenräder prinzipbedingt durch Muskelkraft angetrieben werden, gibt es, wie auch bei klassischen Fahrrädern, Modelle mit Elektromotor, der insbesondere beim Anfahren eine Hilfe sein kann. »Das ist aber auch eine extra Fehlerquelle«, warnt Jan. »Und wenn es Probleme gibt, bist du auf den Hersteller angewiesen.«

Und natürlich steigen auch die Anschaffungskosten: Die Omnium-Räder, die die Cyclery verkauft, starten mit rund 3000 Euro, die E-Varianten kosten bereits über 5000 Euro. »Auf jeden Fall empfiehlt sich eine Fahrradversicherung«, rät Jan.

Immerhin: im Unterhalt fallen Lastenräder nicht bedeutend mehr ins Gewicht als normale Fahrräder. Natürlich haben auch Cargo-Bikes Verschleißteile, aber bis auf wenige Spezialteile (z.B. die Lenkstange) besteht alles aus handelsüblichen Komponenten. »Was am meisten ausmacht«, sagt Jan, »ist die Pflege.«

Eine gute Möglichkeit, das Lastenradfahren auszuprobieren, bietet übrigens das kostenlose Verleihangebot fLotte Berlin des ADFC.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2024 (auf Seite 3).

Erst ein neuer Name, dann neue Nummern

Probleme bei der Umbenennung der nördlichen Manteuffelstraße

Straßenschild mit doppelter Beschriftung »Audre-Lorde-Straße« und »Manteuffelstraße«Noch fehlt das Zusatzschild mit den Hausnummern – denn auch die werden sich ändern. Foto: rsp

Seit dem 27. Oktober 2023 heißt der nördlich der Skalitzer Straße gelegene Teil der Man­teuf­fel­straße offiziell Audre-Lorde-Straße. Doch Schilder, die auf die Umwidmung zugunsten der afroamerikanischen Dichterin und Bürgerrechtlerin hinweisen, stehen erst seit Mitte April – also seit knapp vor Ablauf der sechsmonatigen Übergangsfrist, innerhalb derer Post und Paketdienste noch an die alte Anschrift zustellen.  Google Maps hingegen – immerhin die Datengrundlage für Essenslieferdienste und Taxiservices – weiß über die Änderung ebenso wenig Bescheid wie das offizielle Geoportal des Landes Berlin.

Doch für Anwohner des betroffenen Straßenabschnitts ist der Spuk damit nicht vorbei: In einem Schreiben vom April informierte das Bezirksamt darüber, dass nun auch noch so gut wie alle Hausnummern der neuen Audre-Lorde-Straße geändert werden – allerdings erst im August. Wer also bereits überall seine neue Anschrift angegeben hat, darf das demnächst wiederholen. Grund dafür sind die Regelungen der Berliner Nummerierungsverordnung (NrVO), nach der Straßen nicht mehr, wie bisher in Berlin oft üblich, in »Hufeisenform« nummeriert werden, sondern nach dem Prinzip »ungerade Nummern links / gerade Nummern rechts«. Dass die Verordnung Ausnahmen vorsieht, wenn dadurch Änderungen vermieden werden können, scheint bei der Entscheidung keine Rolle gespielt zu haben.

Dass es »innerhalb des Prozesses einige Schwierigkeiten« gegeben habe, räumt auch Sara Lühmann, Pressesprecherin der Bezirksamts, ein. Es werde jetzt eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um bei zukünftigen Um­be­nen­nun­gen solche Probleme zu vermeiden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2024.

Ein Raum für Kiezprojekte

mog61 eröffnet Kiez-Laden in der Mittenwalder Straße

Der neue Kiez-Laden steht offen für Kiezprojekte und soll Solidarität und soziales Miteinander stärken. Foto: rsp

Noch hängen die Schilder des Wollgeschäfts »Die Wolllust« über dem Schaufenster, doch in der Mittenwalder Straße 49 hat sich seit Mitte Januar eine Menge getan: Der gemeinnützige Verein mog61 Miteinander ohne Grenzen e.V. hat den Laden bezogen und verfügt damit das erste Mal seit seiner Gründung 2011 über eigene Räumlichkeiten.

Die neuen Räume sollen aber mehr sein als bloß ein Vereinslokal. »Die Idee ist, dass sich der Kiez den Laden aneignet«, erklärt die Vorsitzende Marie Hoepf­ner. Der Kiez-Laden soll offen sein für alle aus der Nachbarschaft, die hier ihre Projekte umsetzen wollen. Ob Brettspieltreffs oder Gesprächskreise, Hofbegrünungs-AGs oder Handarbeitsrunden – der Verein freut sich über jeden, der mit interessanten Ideen vorbeikommt.

Auch wenn der Kiez-Laden, wie Marie einräumt, ein wenig »mit angezogener Handbremse« gestartet ist, weil die Förderung über Wochen auf der Kippe stand, finden bereits die ersten regelmäßigen Veranstaltungen statt: Monatliche Lesungen – das nächste Mal am 28. Mai mit Otmane Lihiya – gehören ebenso dazu wie der Stricktreff »Betreutes Stricken« mit Birgit Freyer, der hier schon zu Wolllust-Zeiten etabliert wurde. Ab 2. Mai können im Rahmen des Projekts »Taschen-Kreation« auch Stofftaschen genäht werden, wozu mog61 eigens drei Nähmaschinen angeschafft hat. Wie bei allen Angeboten ist die Teilnahme kostenlos.

Und apropos Nähen: Der Laden beherbergt auch ein »Kuscheltier-Hospital«: Abgelegte Stofftiere werden hier desinfiziert, repariert und an neue Familien vermittelt.

Überhaupt ist der neue Laden Dreh- und Angelpunkt für die vielfältigen Aktivitäten des Vereins, der sich auch über die Kiezgrenzen hinaus für Inklusion einsetzt und Obdachlose und Geflüchtete unterstützt.

Kiez-Laden wird zum Dreh- und Angelpunkt fürs Straßenfest und andere Projekt

Im »Kuscheltier-Hospital« im Kiez-Laden warten Stofftiere auf neue Familien. Foto: rsp

»Logistisch ist der Laden sehr wichtig für uns«, sagt Marie. Das hat auch mit der Lage in der Mittenwalder Straße zu tun, wo der Verein einst gegründet wurde und seit zehn Jahren ein jährliches Straßenfest veranstaltet. Dort wurde letztes Jahr ein Zero-Waste-Konzept mit gemietetem Geschirr erprobt. Für künftige Straßenfeste und andere Veranstaltungen will mog61 selbst Mehrweggeschirr anschaffen. Und auch das wird man sich dann in dem neuen Kiez-Laden ausleihen können.

Ab Mitte Mai soll der Kiez-Laden mindestens wochentags von 14 bis 17 Uhr geöffnet haben – und natürlich immer dann, wenn die neuen Räume von Projekten aus dem Kiez genutzt werden.

Mehr Infos & Kontakt: mog61.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2024.

Zoff um den Görli-Zaun

Bezirk bereitet Klage gegen den Senat vor

Zaun statt Poller? Auf dieser Strecke soll später mal die M10 durch den Görli fahren. Wie sich das mit einem Zaun verträgt, ist noch unklar. Foto: rsp

Der Streit um eine Umzäunung und nächtliche Schließung des Görlitzer Parks spitzt sich zu: Nachdem die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) das Verfahren Ende März an sich gezogen hat, bereitet der Bezirk jetzt eine Klage dagegen vor – obwohl es Zweifel daran gibt, dass eine solche Klage in einer Einheitsgemeinde wie Berlin überhaupt zulässig ist.

Dem vorangegangen war ein Briefwechsel zwischen SenMVKU und Bezirksamt. Während die Senatsverwaltung unter Senatorin Manja Schreiner (CDU) darauf drängt, dass der Bezirk die auf einem Sicherheitsgipfel im September beschlossene Umfriedung des Parks umsetzt, argumentiert das Bezirksamt damit, dass es dem Zaunbau an einer rechtlichen Grundlage gebreche. Einerseits könne ein Ad-Hoc-Gremium wie der Sicherheitsgipfel gar keine verbindlichen Entscheidungen treffen, andererseits hapere es auch an einer belastbaren und rechtlich abgesicherten Finanzierungszusage. »Eine Auftragsvergabe, ohne dass entsprechende Mittel zur Verfügung stehen, ist mir rechtlich untersagt«, schreibt Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann in ihrem abschlägigen Bescheid an die Senatsverwaltung.

Dass der Bezirk sich bei den Zaunplänen querstellt, war im Hause Schreiner indessen längst klar. Schon vor Ablauf der knappen Frist, innerhalb derer sich der Bezirk zur Sache erklären sollte, hatte die Senatsverwaltung die landeseigene Grün Berlin GmbH mit der Planung beauftragt und bei einem Pressetermin ein Maßnahmenpaket angekündigt, zu dem auch die Umfriedung und nächtliche Schließung des Parks gehört. Explizit aufgeführt ist dort auch der Punkt »Vorbereitungen zum Eintritt des Senats nach AZG«, also das Ansichziehen der Angelegenheit, gegen das sich der Bezirk jetzt juristisch wehrt.

Was wird aus der M10-Planung?

Unklar ist, wie sich die nächtliche Absperrung des Görlitzer Parks mit einem weiteren Projekt der Senatsverwaltung verträgt. Laut Website von ­SenMVKU soll die Vorplanung für die beschlossene Verlängerung der Tramlinie M10 von der Warschauer Straße bis zum Hermannplatz noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Doch die »planerisch zu bevorzugende Streckenvariante« führt geradewegs durch den Park, namentlich auf der Achse Falckensteinstraße/Glogauer Straße. Die Pressestelle der Senatsverwaltung verweist darauf, dass es laut BVG »technisch gut umsetzbare Lösungen« für das Problem gäbe, bleibt eine konkretere Erklärung aber schuldig. Eine Änderung des vorgesehenen Streckenverlaufs werde jedenfalls »weder debattiert noch beplant«. Auch die Querung des Parks für den Rad- und Fußverkehr – parallel zur Tramstrecke sind entsprechende Wege vorgesehen – sei »als Thema längst im Blick.« Lösungen stünden »gleichwohl noch nicht fest, zumal die Realisierung einer Straßenbahntrasse erst lange nach der Evaluierung des genannten Modellversuchs stattfinden wird. Die Senatsverwaltung wird in jedem Fall versuchen, die Einschränkungen für den Rad- und Fußverkehr im Zuge einer möglichen nächtlichen Schließung des Parks so gering wie möglich zu halten.«

Bleibt abzuwarten, ob es zur nächtlichen Schließung überhaupt kommt. »Wir haben im Bezirks­parlament eine klare Beschlusslage, die sich gegen die Umfriedung und das nächtliche Abschließen ausspricht«, so Clara Herrmann.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2024.

»Ich habe immer viel das Maul aufgemacht«

Robert S. Plaul traf die LGBTQI-Aktivistin und Kulturvermittlerin Mahide Lein

LGBTQI-Aktivistin und Kulturvermittlerin: Mahide Lein. Foto: rsp

Vielleicht war es die evangelische Erziehung, die Mahide Lein schon als Kind zu so etwas wie einer Kämpferin für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung machte. Denn wenn Jesus alle Menschen gleichermaßen liebte, dann lag es ja nahe, dass auch Mahide einsprang, wenn jemand ungerecht behandelt wurde. »Das hat mich sehr geprägt, mich auch einzusetzen für Tabu-Themen. Und mir war auch oft egal, was andere von mir denken«, sagt sie. »Ich habe immer viel das Maul aufgemacht.«

1949 wird Mahide in Frankfurt am Main geboren, und außer ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn deutet noch wenig auf ihren bevorstehenden außergewöhnlichen Lebensweg hin. Nach der Schule macht sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau, arbeitet auch kurz in dem Job, studiert Politik und Religion. Doch bald fängt sie an, sich in der noch jungen alternativen Szene Frankfurts zu engagieren.

Es ist die Zeit der 68er-Bewegung, die Zeit von Hausbesetzungen, vor allem aber auch die Zeit der Frauen-/Lesbenbewegung. Mahide organisiert ein Kulturcafé für Frauen mit Konzerten, Ausstellungen und Diskussionen. Die Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten ist eine Stärkung für ihre eigene lesbische Lebensweise. Sie gründet das erste Lesbenzentrum Frankfurts mit. Es ist auch ein Streben nach Sichtbarkeit in einer Zeit, in der vieles noch tabuisiert ist. »Wir hatten überlegt, ob wir an den Briefkasten ‚Lesbenzentrum‘ schreiben oder ‚L-Zentrum‘«, erzählt Mahide. Überhaupt geht es immer wieder um Tabus – und um Aufklärung. »Es gab damals noch kein Buch über weibliche Sexualität, also ein Aufklärungsbuch für Mädchen. Da war immer nur von Penissen und Kinder zeugen die Rede.«

Wegen der Liebe zieht Mahide 1977 nach Berlin. »Da war ja die Frauen-/Lesbenbewegung noch viel stärker. Es gab 44 Frauentreffpunkte in den 70ern/80ern.« Einer davon ist das »Kaffee Winterfeldt«, das Mahide im Kollektiv in einem von Frauen besetzten Haus betreibt. Später übernimmt sie den Künstlerinnentreff »PELZE-multimedia«, eine Art Nachtclub für Frauen.

1991 bietet ihr Rosa von Praunheim an, im Wechsel mit dessen schwulem TV-Magazin »Andersrum« ein lesbisches Magazin zu machen. Über zwei Jahre entstehen 27 einstündige Sendungen von »Läsbisch-TV«, die im Berliner Kabelsender FAB ausgestrahlt werden, bis der Sender beide Formate absetzt.

Doch Mahide belässt es nicht bei Frauen- und Lesbenthemen und auch nicht bei Berlin. Sie beginnt, auch mit Männern der Queer-Community zu arbeiten, organisiert 1992 den ersten Christopher-Street-Day Russ­lands in St. Petersburg, holt Musiker*innen nach Deutschland, veranstaltet das erste lesbisch-schwule Filmfestival und arbeitet beim Teddy Award, dem queeren Filmpreis der Berlinale, mit.

Der wohl größte Einschnitt in Sachen Horizonterweiterung ist ihre erste Afrikareise, die sie 1996 zusammen mit der Filmemacherin Sue Maluwa Bruce nach Sim­bab­we führt. »Da in Sim­bab­we habe ich angefangen, alle Menschen zu lieben.«

So zieht ihr multikulturelles Engagement, das in ihrer Event-Agentur AHOI-Kultur zusammenläuft, immer weitere Kreise: Mit Lama Gelek, Santrra Oxyd und Nina Hagen veranstaltet sie jahrelang eine Party zum tibetischen Neujahrsfest Losar. Auf der AHOI-Bühne, seit Mitte der 2000er fester Bestandteil des Bergmannstraßenfests bzw. Kreuzberg-Festivals, treten Künstler*innen aus aller Welt auf.

Und »alle Welt« kann man bei Mahide durchaus wörtlich nehmen: Über all die Jahre hat sie mit Menschen aus fast allen Ländern Afrikas und Asiens gearbeitet, mit Latinos und Americans, hat weltweit unzählige Konzerte und Festivals geplant und organisiert. Nur Australien fehlt noch in der Liste – aber das kann ja noch kommen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2024.

Rund eine Stunde Arbeit pro Vorgang

Acht Bezirke fordern Amtshilfe zur Rückerstattung von Sondernutzungsgebühren

Sondernutzung wird gebührenfrei – doch bei der Rückerstattung für 2023 hapert’s. Archivfoto: rsp

Wenn Wirte Tische und Stühle vor die Tür stellen wollen, so kostet sie das ein paar hundert Euro pro Jahr, zumindest wenn dabei öffentliches Straßenland involviert ist. Für 2024, so ein Beschluss des Senats vom Dezember vergangenen Jahres, soll auf die Gebühr für die Genehmigung der Sondernutzung verzichtet werden, um die von Corona, Inflation und steigenden E­ner­gie­kosten gebeutelten Gastronomiebetriebe zu unterstützen. Die Bezirke wiederum, denen die Gebühren bisher zugutekamen, sollen das fehlende Geld stattdessen vom Senat erhalten – soweit die gute Nachricht.

Doch der Senat hat auch eine Rückerstattung von Gebühren für 2023, die ab Mai letzten Jahres bereits bezahlt wurden, beschlossen. Genauer gesagt: Er hat sie »in den Ermessensspielraum der Bezirke« gestellt. Und hier geht das Problem erst so richtig los.

Von einem Ermessensspielraum könne nämlich gar keine Rede sein, schreiben die Bezirksbürgermeister und Stadträte von acht Bezirken in einem Brief an den Senat. Unter Federführung von Friedrichshain-Kreuzberg haben sich die Bezirke mit einem Amtshilfeersuchen an die zuständigen Senatorinnen Manja Schreiner und Franziska Giffey gewandt. Darin machen sie eine ganz andere Rechnung auf: Rund 10.000 Vorgänge seien insgesamt berlinweit betroffen (davon allein in Friedrichshain und Kreuzberg rund 1.000). All diese Vorgänge müssten nun einzeln rückabgewickelt werden. Wie das Bezirksamt auf Rückfrage mitteilte, gehe man von rund einer Stunde Arbeitszeit pro Vorgang aus.

Der Grund für den hohen Zeitaufwand sei vor allem, dass die Genehmigungen für die Sondernutzung in der Regel für mehrere Jahre beantragt und erteilt würden, so dass zusätzlicher bürokratischer Aufwand bei der anteiligen Rückerstattung entstünde.

Bezirke hatten schon im Dezember Bedenken geäußert

»Dies ist mit den knappen personellen Ressourcen, mit denen die Bezirke ausgestattet sind, schlichtweg unmöglich«, begründen die Bezirke das Amtshilfeersuchen. »Mitarbeitende aus dem Straßen- und Grünflächenamt würden monatelang ausschließlich mit der Rückabwicklung der Gebühren beschäftigt sein, anstatt ihren regulären Aufgaben nachzukommen.«

Im Vorfeld des Erlasses der Sondernutzungsgebühren für 2023 habe der Senat keine Rücksprache mit den Bezirken gehalten, betont Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann in einer Pressemitteilung. »Als Bezirke sind wir in der Umsetzung dieser Entscheidung auf die Unterstützung aus den zuständigen Senatsverwaltungen angewiesen.«Selbstverständlich müsse dabei weiterhin die Zusage gelten, dass den Bezirken keine Kosten anfallen und die Einnahmenausfälle erstattet werden.

Bereits im Dezember hatten die zuständigen Stadträte dem Senat gegenüber rechtliche Bedenken zum Erlass der Gebühren geäußert.

Das Amtshilfeersuchen bezieht sich ausdrücklich nur auf die umstrittene Rückerstattung für das Jahr 2023. Der Erlass der Gebühren für 2024 ist davon nicht betroffen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2024.

Benko hört die Signa-le

Zukunft von Karstadt am Hermannplatz erneut ungewiss

Niemand weiß genau, was die Zukunft für Warenhaus und Gebäude bereithält. Foto: rsp (Archiv)

Nach zwei Insolvenzverfahren innerhalb von nur drei Jahren (April 2020 und Oktober 2022) steht die Zukunft des Karstadt-Kaufhauses am Hermannplatz (das seit einiger Zeit als »Galeria« firmiert) einmal mehr auf der Kippe. Medienberichten zufolge kämpft die Signa-Gruppe des österreichischen Inves­tors René Benko, die den Warenhauskonzern 2019 übernommen hat, seit Monaten mit Liquiditätsproblemen. Ende November hatte zunächst die Signa Real Estate Management Germany, die zur Immobiliensparte des Konzerns gehört, Insolvenz angemeldet. Am 29. November folgte dann der Insolvenzantrag der Holding-Gesellschaft. Benko selbst war am 8. November auf Drängen der wichtigsten Sig­na-Gesellschafter von seinem Amt als Beiratsvorsitzender der Signa Holding zurückgetreten.

Unklar ist jetzt insbesondere auch, was aus dem umstrittenen Pres­tigeprojekt des Konzerns am Hermannplatz wird. Signa plant hier einen Neubau des Karstadt-Gebäudes in historischer Art-déco-Anmutung, Kritiker befürchten Verdrängungseffekte. Derzeit entwirft der Senat hierfür einen Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren, der für eine enorme Wertsteigerung der Bestandsimmobilie sorgen dürfte. Möglich wäre, dass der angeschlagene Konzern dann lieber verkauft statt selbst zu bauen. Der Senat hatte dem sogenannten »vorhabenbezogenen Bebauungsplan« im Zuge der ersten Galeria-Insolvenz 2020 zugestimmt. Im Gegenzug hatte sich Signa verpflichtet, vier von einer Schließung bedrohte Warenhäuser in Berlin weiterzubetreiben – allerdings nur bis Januar 2024. Auch die zugesagte Kapitalspritze an die Warenhauskette ist bisher nicht erfolgt.

Seit Jahren Kritik an Neubau und Senats-Deal

In der Bezirkspolitik hatte sich schon früh Kritik an dem Bauvorhaben der Signa geregt. Bereits im August 2020 hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine Resolution verabschiedet, die sich gegen das Ansinnen des Senats wandte, das Planungsvorhaben am Hermannplatz an sich zu ziehen. In dem zwischen Senat und Signa vereinbarten »Letter of Intent« gäbe es »keinerlei Zusagen über den Behalt der jetzigen Verkaufsfläche von Karstadt in der Zukunft oder eine Garantie für die jetzigen Beschäftigten während der Bauphase«.

Vor einem Jahr – kurz nach dem zweiten Insolvenzantrag der Galeria und nachdem es zu Ermittlungen der österreichischen Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Personen und Verbände aus dem Signa-Umfeld  gekommen war – beauftragte die BVV das Bezirksamt, sich gegen den Neubau einzusetzen. Erneut wurde der Deal zwischen Senat und Signa kritisiert: »Öffentlich-rechtliche Verträge, die staatliche Verpflichtungen im Gegenzug zu sachfremden Leistungen garantieren, sind nicht ohne Grund verboten«, heißt es in dem Beschluss.

Zuletzt sprach sich die BVV im Juni gegen den Monumentalbau aus. Schon im vergangenen Jahr war es bei Hochhausbauarbeiten (eines anderen Investors) am Alexanderplatz zu einer Absenkung des Bahnhofs beziehungsweise der U2 um mehrere Zentimeter gekommen – mit den entsprechenden Auswirkungen auf den U-Bahnbetrieb. Die BVV fürchtet nun Ähnliches beim Karstadt-Neubau. Es bestünde die Gefahr, dass der Betrieb der Linien U7 und U8 und das Funktionieren des Verkehrsknotenpunkts Hermannplatz beeinträchtigt würden. Das träfe über 800.000 Fahrgäste pro Woche.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2023.