Keine Straßenfeste im ersten Halbjahr

Bezirk sagt MyFest ab / Karneval der Kulturen plant für 2023

Menschenmassen auf der Wiese am Oranienplatz beim MyFest 2011Das MyFest wird auch 2022 nicht stattfinden können. Foto: rsp

Auch im ersten Halbjahr 2022 werden wohl keine Großveranstaltungen oder großen Feste im öffentlichen Straßenland oder Grünanlagen stattfinden können. Da aktuell nicht absehbar sei, wie sich die Infektionslage in den nächsten Monaten entwickeln wird, könne man »die Planung von Großveranstaltungen und ähnlichem im öffentlichen Raum aktuell nicht unterstützen«, teilte das Bezirksamt in einer Pressemitteilung mit. Davon betroffen ist unter anderem das MyFest.

»Die aktuellen Infektionszahlen sind dramatisch. Jeden Tag werden neue Rekorde vermeldet. Es ist daher nicht die richtige Zeit, um große Veranstaltungen und große Feste zu planen«, erklärte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann. Wenn sich die pandemische Lage im Frühjahr entspannen sollte und die Inzidenzen massiv sinken, werde man aber darauf reagieren.

Bereits einige Tage zuvor hatten die Veranstalter des Karnevals der Kulturen das Event zu Pfingsten abgesagt. Die dafür notwendige Einzäunung spräche »dem Grundgedanken des Karnevals entgegen, der sich auf eine auf Beteiligung ausgelegte, frei zugängliche innerstädtische Intervention bezieht«, teilten die Verantwortlichen mit, die eine erneute kurzfristige Absage nicht riskieren wollen.

Gemeinsam mit allen Akteuren solle 2022 genutzt werden, um in einem umfänglichen partizipativen Verfahren das Konzept des Karnevals zu überdenken. 2023 solle die Veranstaltung dann mit neuer Strategie kraftvoll in die Zukunft starten, hieß es weiter.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2022.

»Wenn wir immer einig wären, wären wir in einer Partei«

Die künftige Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihr Stellvertreter Oliver Nöll im Gespräch

Oliver Nöll (Linke) und Clara Herrmann (Grüne)Oliver Nöll und Clara Herrmann beim Gespräch mit Kiez und Kneipe. Foto: rsp

Ein Blick auf das Wahlergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg ließe vermuten, dass es im Bezirksamt genau so weitergehen könnte, wie in den vergangenen fünf Jahren. Tatsächlich ändert sich aber eine ganze Menge – und das liegt nicht nur daran, dass es künftig sechs statt fünf Stadträte und Stadträtinnen geben wird. Kiez und Kneipe hat sich mit der künftigen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihrem neuen Stellvertreter Oliver Nöll getroffen, um zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten fünf Jahren vom neuen Bezirksamt erwarten können.

Die erste Erkenntnis aus diesem Gespräch ist: Zwischen der Grünen und dem Linken stimmt die Chemie. In vielen Bereichen sind die Ansichten nahezu deckungsgleich. Allerdings betont Oliver Nöll auch die Unterschiede: »Wenn wir alle einer Meinung wären, dann wären wir in der gleichen Partei.« Seine Partei, die Linke, profitiert im Übrigen von der Neuordnung, denn für sie gibt es einen Stadtratsposten mehr, den Regine Sommer-Wetter einnehmen wird. Für die Grünen rückt Annika Gerold nach. Clara Herrmann, Florian Schmidt und Andy Hehmke von der SPD gehörten dem Bezirksamt schon in den vergangenen fünf Jahren an.

Was den Zuschnitt der Ressorts bestrifft, wird sich einiges ändern: Clara Herrmann dazu: »Durch die neuen Regelungen sind wir in unseren Ressortzuschnitten eingeschränkt. Bestimmte Kombinationen sind nicht mehr möglich.« Trotzdem zeichnet sich ein Ressortzuschnitt ab: Der Bürgermeisterin fällt nun automatisch das Ressort Finanzen zu, das Clara Herrmann aber ohnehin schon in den letzten fünf Jahren verwaltet hat. An ihren Stellvertreter Oliver Nöll gehen Arbeit und Soziales sowie Bürgerdienste. Schulstadtrat Andy Hehm­ke wird das Ordnungsamt abgeben. Das geht wohl an Annika Gerold, die auch die öffentlichen Räume mit dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) verwalten soll. Jugendstadträtin wird Regine Sommer-Wetter.

Florian Schmidt bleibt Baustadtrat. Er war in der vergangenen Legislatur das umstrittenste Mitglied des Bezirksamts. Doch Oliver Nöll signalisiert, dass sich seine Fraktion dem Personalvorschlag der Grünen nicht entgegenstellen wird. Er legt auch Wert auf die Feststellung, dass die Linke sich nie gegen das Instrument des Vorkaufsrechts gestellt habe. Nur in der Umsetzung sei man nicht immer einer Meinung gewesen.

Doch das Vorkaufsrecht ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jetzt erst einmal Geschichte. Clara Herrmann nennt das »eine Katastrophe« und sieht nun die neue Bundesregierung in der Pflicht. Dem schließt sich ihr künftiger Stellvertreter ausdrücklich an.

Während auf vielen Gebieten nahezu Harmonie herrscht, gibt es einen Bereich, an dem die unterschiedlichen Standpunkte sehr deutlich werden. Es geht um das Thema Verkehr. Zwar sind sich beide einig, dass eine Verkehrswende im Bezirk umgesetzt wird, doch beim Wie gehen die Meinungen auseinander. Clara Herrmann setzt hier voll auf die Initiativen der Kiezblocks. Sie verweist darauf, dass es zwar auch bei der hochumstrittenen Umwandlung der Bergmannstraße sehr heftige Debatten gegeben habe, »aber am Ende hat das mit der Beteiligung sehr gut funktioniert. Wie wir das auf den letzten Metern gemacht haben, kann auch eine Blaupause dafür sein, wie man das in anderen Kiezen angeht.«

Hier widerspricht ihr Oliver Nöll. »In der Bergmannstraße wohnt jetzt nicht gerade das Prekariat«, meint er. Grundsätzlich sind die Linken der Meinung, dass die Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungen mehr mitgenommen werden muss.

Ein großes Thema in ganz Berlin sind die Bürgerdienste. Bürger, die monatelang auf einen Reisepass oder einen Personalausweis warten und dann von Kreuzberg möglicherweise auch noch nach Hellersdorf oder nach Spandau fah­ren müssen, sind keine Ausnahme, sondern fast schon die Regel. Bundesweit gilt das als Paradebeispiel für die dysfunktionale Verwaltung Berlins. Jüngst hatte ausgerechnet der ehemalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Bezirksämter für das Versagen verantwortlich gemacht.

Das macht die beiden Kommunalpolitiker gleichermaßen wütend. Tatsächlich sei die zentrale Terminvergabe ja unter Wowereits Regierung eingeführt worden, die gleichzeitig auch die Mittel so stark gekürzt habe, dass das Personal immer stärker zurückgefahren wurde.

Doch beide belassen es nicht bei Schuldzuweisungen, sondern haben auch ganz konkrete Vorschläge, wie die Situation entschärft werden kann.

»Beim Ausweis zum Beispiel«, meint Clara Herrmann, »würde ich mir wünschen, dass man einen Hinweis vom Bürgeramt bekommt, wenn er ausläuft, und gleichzeitig einen Terminvorschlag für die Verlängerung.«

Oliver Nöll regt an, den Antrag von Personalausweisen und Reisepässen zu digitalisieren. Der Abgleich von Bild und Unterschrift könne dann bei der Abholung geleistet werden.

Da dieser Bereich in die Zuständigkeit des Landes falle, könne der Bezirk aber immerhin versuchen, hier Einfluss zu nehmen. Für neue Verfahren könne der Bezirk auch Vorreiter sein, dazu sei er bereit.

Darüber hinaus glaubt Clara Herrmann, dass Dinge, die immer wieder neu beantragt werden müssen, nicht jedesmal mit einem Gang aufs Bürgeramt verbunden sein sollten. Sie nennt als Beispiel Anwohner-Park­ausweise. »Das könnte man machen wie mit einem Zeitungsabo, das sich auch immer wieder verlängert. Nur wenn sich etwas verändert, müsste man dann noch kommen.«

Um die Arbeit des Bezirks effektiver zu machen, benötigt es allerdings Geld. Und das ist ein Punkt, der ebenfalls beiden Sorgen macht. Während die Kommunen in den Flächenstaaten über eigene Steuereinnahmen, etwa über die Gewerbesteuer, verfügen, hängen die Bezirke Berlins komplett am Tropf des Senats. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit sogar immer wieder Bestrebungen gegeben, die Bezirke als un­ters­te Verwaltungseinheit komplett abzuschaffen. Ein sogenannter Verfassungskonvent soll in der neuen Legislaturperiode das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken klären. Bestrebungen hin zu mehr Zentralismus in Berlin erteilen beide eine entschiedene Absage. Clara Herrmann weist darauf hin, dass sowohl sie selbst als auch Oliver Nöll ja durchaus auf Erfahrungen auf Landes­ebene verweisen können, sie als ehemalige Abgeordnete und er als Bediensteter in der Senatsverwaltung für Soziales.

Allerdings droht jetzt erst einmal Ungemach: Es gibt noch keinen Haushalt, sondern nur einen Senatsbeschluss. »Wenn der zum Tragen kommt, müssen im Bürgeramt Stellen abgebaut werden«, meint Oliver Nöll und Clara Herrmann fügt hinzu: »Das betrifft nicht nur das Bürgeramt, sondern alle Bereiche.

Beide hoffen, dass es soweit nicht kommt. Oliver Nöll erinnert die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey an ihr Versprechen. »Sie hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht und versprochen, dass es allen Berlinern besser gehen wird. Das bedeutet, dass wir an dieser Stelle mehr Geld brauchen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

»Schluss mit Bürgermeisterei«

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will fürs Abgeordnetenhaus kandidieren

Bezirksbürgermeisterin Monika HerrmannMonika Herrmann (bei ihrer Wiederwahl vor vier Jahren). Foto: rsp

Schon vor über einem Jahr hatte Monika Herrmann angekündigt, dass sie bei der Berlin-Wahl 2021 nicht mehr für das Amt der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg kandidieren werde. Damals klang das nach Rückzug aus der Politik, doch inzwischen ist klar, wo die Reise hingehen soll: ins Abgeordnetenhaus.

Eine Karriere in einem Leitungsjob, etwa als Senatorin, schwebt Herr­mann indessen nicht vor. »Wenn ich das wollte, könnte ich auch im Bezirk bleiben«, erklärt sie im Gespräch mit der KuK. Nach 15 Jahren als Bezirksstadträtin und (seit 2013) -bürgermeisterin sei »dann auch mal Schluss mit Bür­ger­meis­terei«.

Als inhaltlichen Schwerpunkt ihrer zukünftigen Arbeit sieht die Grünen-Politikerin die Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Anfang 2020 hatte sie im Bezirk die Zuständigkeit fürs Straßen- und Grünflächenamt von ihrem Parteikollegen Florian Schmidt übernommen und mit dem Konzept der Pop-up-Radwege im Frühjahr prompt für berlin-, wenn nicht bundesweite Schlagzeilen gesorgt – und Nachahmer in anderen Bezirken und Großstädten gefunden. Doch für eine echte Verkehrswende müssten alle Bezirke in die Planung miteinbezogen werden, insbesondere auch die Außenbezirke, damit die dortigen Bewohner auch ohne Auto in die Innenstadt kommen. Wenn es um die Neuverteilung von Räumen ginge, beispielsweise beim Entfernen von Parkplätzen zugunsten einer Busspur, gäbe es letztendlich überall die gleichen Diskussionen, egal ob in Rudow, Marzahn oder Friedrichshain. »Verkehr ist wie Wasser«, sagt Herrmann, die selbst in einer eher ländlichen Gegend in Südneukölln aufgewachsen ist. Einzelne Kieze für den Durchgangsverkehr zu sperren und alles durch die Hauptstraßen zu leiten, wie das zum Beispiel zwischen Columbiadamm und Gneisenaustraße geplant ist, sei deshalb für sich genommen auch noch keine Lösung.

Den Bedarf für ein besseres Zusammenwirken von Senat und Bezirken sieht Monika Herrmann nicht nur im Bereich Verkehrspolitik, wo die Umstrukturierung der Senatsverkehrsverwaltung im vergangenen Jahr »bisher noch zu wenig« gebracht habe. Im September hatte sie gemeinsam mit ihrem Pankower Amtskollegen Sören Benn (Linke) und dem Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung Frank Nägele (SPD) die Diskussion über eine Verfassungsänderung angestoßen. Das Ziel: Eine Verwaltungsreform, die hierarchische Strukturen durch Zielvereinbarungen ersetzt und vor allem Zuständigkeiten klärt, um das häufig anzutreffende Behörden-Ping-Pong zu beenden. »Elterngeld gibt’s nicht im Roten Rathaus«, sagt Herrmann, aber wie lange eine Antragsbearbeitung dauern darf – und wie man die Zeitvorgabe einhält –, sollte Bestandteil einer solchen Zielvereinbarung sein. Dafür müssten den Bezirken dann wiederum entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. »Senatsverwaltungen müssen Verabredungen einhalten und umsetzen.« Schon aus historischen Gründen gehe es dabei auch immer »ganz viel um Macht«, erklärt Herrmann mit Verweis auf die Gründung von Groß-Berlin vor 100 Jahren.

Über die künftige Machtverteilung im Abgeordnetenhaus kann sie nur spekulieren, präferiert selbst aber ganz klar eine rot-rot-grüne Koalition – egal in welcher Konstellation, solange das Dreierbündnis aufrechterhalten werde. Allerdings hielte sie es für »fatal, wenn die SPD wieder Bau und Verkehr zurückbekommt.« Schwarz-Grün erteilt sie eine eindeutige Absage. Die Berliner CDU sei arg nach rechts gerückt und agiere unglaubwürdig.

Und wer soll ihr im Bürgermeisteramt nachfolgen? »Vermutlich jemand U50«, hofft die 56-Jährige. Auf jeden Fall sollte es eine Person sein, die sich traut, angstlos Politik zu machen. »Wer zuviel Angst hat vor Restriktionen und schlechter Presse, ist in Friedrichshain-Kreuzberg falsch.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2021.

Die Zeit des Autos ist vorbei

Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr

Bergmannstraße mit Radstreifen, Fußgängerzone und »Bächle«Alles fließt – außer dem Autoverkehr. So oder so ähnlich könnte die Bergmannstraße ab 2025 aussehen. Grafik: raumscript

»Die Vormachtstellung des Autos und die Zeit der autogerechten Stadt sind vorbei«, mit diesen klaren Worten begründet die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, die Neugestaltung des gesamten Bergmannkiezes. Nur noch Anwohner und begrenzt der Lieferverkehr dürfen in Zukunft durch den Bergmannkiez fahren – und auch das nicht schneller als mit 20 km/h.

Mit dem Beschluss des Bezirksamtes wird ein Schlusspunkt unter einen fast zehnjährigen Prozess gesetzt, in dem es ursprünglich nur darum ging, eine Begegnungszone in der Bergmannstraße zu schaffen.

Wie er im Detail umgesetzt wird, soll ein städtebaulicher Wettbewerb klären, doch die Rahmenbedingungen, die der Bezirk gesetzt hat, scheinen schon sehr deutliche Signale zu setzen.

So wird es zwei Fußgängerzonen geben. Zum einen die Bergmannstraße von Nostitz- bis Schleiermacherstraße mit einem Teil der Solms- und der Schenkendorfstraße, sowie zum anderen rund um den Chamissoplatz.

Durch die Bergmannstraße wird die Fahrradstraße zweispurig fortgesetzt. Und dann soll da noch ein Bächlein durch die Bergmannstraße fließen. Das Vorbild dafür ist, zumindest für Süddeutsche, unschwer zu erkennen: Freiburg im Breisgau, wo die »Bächle« seit Jahrhunderten zum Stadtbild gehören. Und Freiburg ist schließlich politisch gesehen kaum weniger grün als Kreuzberg.

Die Bezirksbürgermeisterin sieht in dem Vorhaben ein wegweisendes Projekt für die Zukunft: »Der Bergmannkiez wird unser Modellprojekt für den Kiez der Zukunft. Hier werden wir in den nächsten Jahren sehen, wie wir in der Innenstadt besser miteinander leben können: mit weniger Durchgangsverkehr, mehr Grün und einer klimafreundlich gestalteten Fußgänger*innenzone in der Bergmannstraße.«

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Wildwest in der Körtestraße

Der Kampf um die Fahrradstraße

Absperrung in der KörtestraßeDurchfahrt verboten? Viele Autofahrer interessiert das einfach nicht. Foto: psk

Das Bild im Newsletter des Tagesspiegels entbehrte nicht einer gewissen Dramatik. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann stellte sich mitten in der Nacht in der Körtestraße einem BMW in den Weg. Tatsächlich muss es an jenem Abend zu dramatischen Situationen gekommen sein, als das Bezirksamt auf sehr unkonventionelle Art und Weise das neue Durchfahrtsverbot durch die Körtestraße durchsetzen wollte. Es hatte schon den Hauch eines Showdowns im Wilden Westen.

Zur Vorgeschichte gehört, dass die Körtestraße bis vor kurzem eine der wichtigen Querspangen zwischen den Hauptmagistralen Urban- und Gneisenaustraße war. Doch seit sie zur Fahrradstraße umgewidmet wurde, ist der Autoverkehr eigentlich nur noch für Anlieger gestattet. Doch Schilder alleine, so eine bittere Erkenntnis, machen noch keine Fahrradstraße. Bis zum 15. August hoffte der Bezirk noch auf die Einsicht der Autofahrer. Eine Beinahekatastrophe änderte alles. Gegen 20 Uhr raste damals ein weißer Audi R8 durch die Körtestraße Richtung Urbanstraße. Die Einmündung von der Körte- in die Fichtestraße wurde dem Raser zum Verhängnis und um ein Haar auch einer mehrköpfigen Familie, die beinahe von dem Sportwagen erfasst worden wäre. Dafür nietete das Auto »nur« zwei Verkehrsschilder um. Der 22-jährige Fahrer war ohne Führerschein und auf der Flucht vor der Polizei.

Trotzdem war der Unfall der Anlass für das Bezirksamt, in der Körtestraße auf ganz andere Art und Weise Gas zu geben. So sollen Autofahrer in Zukunft nicht nur mit Schildern ausgebremst werden. Eine breite Barriere bestehend aus Blumenkübeln, Absperrbaken und Schildern auf Höhe der Freiligrathstraße soll den Autofahrern die Lust an der Durchfahrt nehmen. Doch die Fahrer zeigen sich widerspenstig.

Bauliche Veränderungen bewegen bislang wenig

Selbst die baulichen Veränderungen haben kaum etwas an der Situation geändert. Schließlich schritt Monika Herrmann höchstpersönlich zur Aufhaltemission. Gemeinsam mit Felix Weisbrich vom Straßen- und Grünflächenamt versuchte sie, die Autofahrer über die neue Situation aufzuklären. Statt Einsicht ernteten die beiden häufig »Hass, Drohungen und Ignoranz«, wie ein Augenzeuge auf Twitter berichtete.

Auch die KuK hat sich wenige Tage später die Situation angesehen, allerdings bei Tag. Das Ergebnis ist ganz ähnlich: Manchmal umfuhren fünf Wagen hintereinander die Sperre in sportlichem Schlenker, um sich am Südstern in die Schlange an der roten Ampel einzureihen. Anlieger? Definitiv nein. Beim Versuch, die Verkehrssituation zu fotografieren, tritt ein Fahrer beherzt aufs Gaspedal. Die obszöne Geste bleibt an diesem Tag kein Alleinstellungsmerkmal.

Auch die neuen Markierungen auf der Straße machen jetzt jedem Autofahrer deutlich, dass er sich auf einer Fahrradstraße befindet und damit als Verkehrsteilnehmer nachrangig ist. Manche Radler nutzen das und fahren bewusst nebeneinander. Sie bilden sozusagen ein rollendes Verkehrshindernis. Doch möglicherweise braucht es noch mehr als das.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2020.

Die Nacht ist nicht lang genug

Marcel Marotzke hat eine Filmidee

Ein Glas Grüne Berliner Weisse»Weisse mit Schuss. Gerührt, nicht geschüttelt.« Foto: cs

Man kann über die Corona-Pandemie und die Social-Distancing-Maßnahmen sagen, was man will, aber zu einem waren sie immerhin gut: Ich konnte mich endlich einmal mit dieser DVD-Box beschäftigen, die vor ein paar Monaten im Sonderangebot war: eine vollständige Sammlung sämtlicher James-Bond-Filme, die bislang erschienen sind und von denen ich tatsächlich einige noch nicht kannte.

Der Film-Marathon brachte im Wesentlichen drei Erkenntnisse:

Erstens: Eigentlich gibt es nur ein bis zwei wahre Bond-Darsteller.

Zweitens: Das ist aber egal. Heutzutage darf offenbar jeder Bond spielen.

Drittens: Die Handlung ist eigentlich genauso beliebig wie die Besetzung.

Aus all dem folgt zwingend, dass es auch genauso gut einen Kreuzberger Bond-Ableger geben könnte, um nicht zu sagen: sollte.

»Mein Name ist Grabowski. Günther Grabowski.« Als Doppelschrägstrichagent im Geheimdienst des Ordnungsamtes hat Grabowski, von den Kollegen nach seinem Stellenkürzel stets »//7« genannt, die Lizenz zum Abschleppen. Er berichtet direkt an M, die ihn als Bezirksbürgermeisterin mit den wirklich heiklen Aufträgen betraut.

Seine jüngsten Ermittlungen im Kneipenmilieu führen ihn auf die Spuren der mächtigen Geheimorganisation DEHOGA, die offenbar die Übernahme der kulinarischen Weltherrschaft plant. Nach einer wilden Nacht mit Punk-Mädchen Heike, Bedienung in einer widerständigen Alternativkneipe in SO 36, kommt es zu einer Verfolgungsjagd auf dem Landwehrkanal, bei der ein Ausflugsdampfer der Reederei Riedel kentert und einige Gitarren von Touristen auf der Admiralbrücke zu Bruch gehen. M ist not amused über //7s Vorgehensweise, die dem Bezirkshaushalt empfindlichen Schaden zugefügt hat. Auch Q, Bastler in einem Friedrichshainer Maker-Space, ist wenig erbaut vom Ablauf der Verfolgungsjagd, weil dabei das von ihm konstruierte schwimmende Dienstlastenfahrrad vollständig zerstört wurde.

M, eigentlich loyal zu ihrem Mitarbeiter, hat keine andere Wahl, als Grabowski vorübergehend freizustellen, auch weil seitens des Senats Vorwürfe laut wurden, Grabowski sei ein Maulwurf der Gegenseite. Doch beim Verlassen von Ms Büros überreicht ihre Sekretärin Gudrun Moneypenny //7 ein Dossier, aus dem sich ein Zusammenhang des Falles mit den Machenschaften der Immobilienbranche ergibt.

Während des Umzugs beim Karneval der Kulturen kommt es schließlich zum Showdown. Grabowski kapert eine Kameradrohne des rbb und gelangt nach einer spektakulären Stunt-Szene auf das Dach des Post-Towers, wo Oberschurke Christian Blofeld sein Hauptquartier bezogen hat. An seiner Seite: eine weiße Katze und ein buntes Punk-Mädchen. Heike ist die unfreiwillige Gespielin des Bösewichts!

Tja, und an dieser Stelle sollte jetzt eigentlich das ganze Gebäude einstürzen, dem Grabowski und Heike in letzter Sekunde mit Blofelds Privat-Gyrokopter entkommen. Leider war der Baustadtrat für die Einholung der Genehmigung telefonisch nicht erreichbar.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.

Die KuK sucht Förderer

Neues Modell soll den Fortbestand sichern

Redaktion der Kiez und KneipeFreut sich über zahlreiche Unterstützer: KuK-Redaktion. Foto: kuk

In zwei Monaten, am 4. Dezember, jährt sich das erste Erscheinen von Kiez und Kneipe zum 15. Mal. Eigentlich sollte das ein Grund zum Feiern sein, doch das Jubiläum wird von großer Sorge um den Fortbestand unseres Magazins begleitet.

Es ist kein großes Geheimnis, dass das Umfeld für anzeigenfinanzierte Printmedien immer schwerer wird. Immerhin haben wir uns in den letzten Jahren in diesem Umfeld tapfer gehalten, trotz zurückgehender Einnahmen.

Allerdings erleben wir nun auch, dass sich immer mehr Kunden von uns verabschieden, nicht etwa, weil sie ihr Heil in Online-Medien suchen, sondern weil sie einfach verschwinden. Immer mehr Läden müssen schließen, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr tragen können. Andere sind so zum Sparen gezwungen, dass sie sich nicht einmal mehr die moderaten Anzeigenpreise der KuK leisten können.

Dass unser Blatt bis zum heutigen Tage durchgehalten hat, liegt unter anderem daran, dass die Redakteure von Kiez und Kneipe alle ehrenamtlich tätig sind. Mit einer auch nur zum Teil finanzierten Redaktion hätten wir schon längst unser Erscheinen einstellen müssen.

Trotzdem glauben wir daran, dass es weitergeht. Wenn das anzeigenfinanzierte Modell nicht mehr ausreicht, dann müssen wir andere Wege finden, um das monatliche Erscheinen des Blattes zu gewährleisten. Andere Blätter haben den Weg bereits bestritten und ihre Leser um Mithilfe gebeten. Diesen Weg wollen nun auch wir gehen.

Helfen soll uns dabei das Portal Steady, das auch zahlreiche andere Medien unterstützt, so etwa die Satiremagazine Postillon und Titanic, die Blogs des Medienjournalisten Stefan Niggemeier, aber auch lokale Medien zum Beispiel in Steglitz oder am Prenz­lauer Berg.

Gesucht werden Förderer, die bereit sind, mit einem monatlichen Betrag zur Finanzierung des jeweiligen Mediums beizutragen.

Wir hoffen, dass wir nach 15 Jahren genügend Unterstützer finden, die uns dabei helfen, auch in den nächsten 15 Jahren Kreuzberg in seiner ganzen bunten Vielfalt jeden Monat abzubilden.

Hier könnt Ihr uns unterstützen: Kiez und Kneipe bei SteadyHQ

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2019.

Wem gehört die Straße?

Es gibt jetzt zwar einen Radweg, nur parken dort auch Autos

Bahn frei für Radler heißt es zwar offiziell jetzt in der Gitschiner Straße, in der Praxis wird’s jedoch schwierig. Foto: no

So war das alles nicht geplant. Anfang Dezember verkündeten die Unterstützer des »Volksentscheids Fahrrad« von Bündnis 90/Die Grünen noch feierlich, nun endlich einen Radstreifen an der Gitschiner Straße neben der Strecke der U1 vollendet zu haben. Doch die Freude bleibt nicht lang: durch ein zu kleines Schild und fehlende Parkplätze ringsherum treffe man, so kann man es zumindestens auf der Facebookseite des »Volksentscheid Fahrrad« lesen, viel zu oft parkende Autos an.

Das Bündnis fordert nun den zuständigen Baustadrat Florian Schmidt sowie Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann zum Handeln auf: Härtere Strafen solle es geben, eine bauliche Trennung sei von Nöten oder es wird mit Abschleppen gedroht.

Als wir uns das Ganze einmal angucken wollten, war der Radstreifen so wenig zugeparkt, wie vorgeschrieben, sprich: gar nicht. Allerdings sprechen wir hier auch von der Zeit, an der sowieso weniger Autos als normalerweise in Berlin sind: Feiertage.

Aber wo sollen auch die Autofaherer parken? Laut der Pressemitteilung des Bezirksamtes vom 4. Dezember fallen durch den rund zwei Meter breiten Fahrradstreifen schätzungsweise 300 Parkplätze weg. Zwar werden unter dem Viadukt der U-Bahn-Trasse und auf dem Mittelstreifen neue Parkplätze angelegt. Ob diese allerdings genügen, um eine angemessene Anzahl an Autos aufzunehmen, ist erst einmal ungewiss.

Der zuständige Baustadtrat Florian Schmidt äußerte sich dazu auf Facebook. Er versuchte hierbei zu beschwichtigen, dass so eine Art von Verhalten nach einem Umbau normal sei. Hierbei verhielten sich Autofahrer wie eine Herde: Wenn hier schon jemand steht, kann ich mein Auto ja auch dort abstellen. Und weiter: Dass die Angelegenheit im Blick behalten werde und entsprechende Maßnahmen eingeführt werden.

Fahrradstreifen an der U1 soll farblich markiert werden

Doch wie werden diese Maßnahmen aussehen?

Das Bündnis »Volksentscheid Fahrrad« fordert dazu auf, eine bauliche Trennung umzusetzen. Diese kann allerdings schwer umgesetzt werden.

Eine andere Möglichkeit stellt nun die farbliche Markierung des Streifen dar. Und die kommt.

Ab dem Frühjahr soll der Fahrradstreifen laut der Pressemitteilung vom 4. Dezember eine grüne Farbmarkierung erhalten. So soll der Streifen für Radfahrer auf den Straßen und besonders an den Kreuzungen sicherer werden.

Ein weiterer Streitpunkt, der mit dem (hoffentlich dann deutlich erkennbaren) Radstreifen eine sinnvolle Lösung erhält, ist, dass Radfahrer nicht mehr gezwungen sind, sich zwischen Straße und Gehweg zu entscheiden. Denn auch auf dem Gehweg sind sie unerwünscht und stören die Fußgänger.

Bis zur Zossener Brücke soll einmal der Radweg führen. Bis jetzt ist das Ende des Radwegs (aktuell ca. auf Höhe Prinzenstraße) für viele Radfahrer noch sehr irritierend, doch auch hier hoffen wir auf eine elegante Lösung aller Verantwortlichen. Und darauf, dass bald jeder, ob Fußgänger, Rad- oder Autofahrer weiß, wem die Straße gehört. Oder besser: welcher Abschnitt der Straße ihm gehört.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2018.

Silvio-Meier-Preis an Edeltraut Pohl

Auch Initiave gegen Rassismus wird ausgezeichnet

Edeltraut Pohl ist eine der Preisträgerinnen des diesjährigen Silvio-Meier-Preises. Foto: Giovanni Lo Curto

Es ist jetzt 25 Jahre her, dass in Friedrichshain in der Samariterstraße Silvio Meier von Rechtsextremisten erstochen wurde. Im vergangenen Jahr vergab der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zum ersten Mal den Silvio-Meier-Preis. Damit will der Bezirk »Menschen, Vereine, Initiativen und Projekte ehren und unterstützen, die sich in herausragender Weise gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung einsetzen«

Geehrt wurde in diesem Jahr Edeltraut Pohl von der Samaritergemeinde. Einst kam sie als Sekretärin des damaligen Pfarrers Reiner Eppelmann in die Gemeinde, die in der Vorwendezeit unter anderem durch ihre Blues-Messen von sich reden machte. Auch Silvio Meier war in der Gemeinde aktiv.

Nach der Wende wurde die Samaritergemeinde unter anderem durch ihr Kirchenasyl bekannt. Edeltraut Pohl organsierte auch das Kirchencafé, das auch heute noch ein wichtiger Anlaufpunkt für Geflüchtete und Asylsuchende ist.

Außerdem ging der Preis auch noch an die Initiative »Aufstehen gegen Rassismus«. Die hat sich ganz besonders dem Kampf gegen die AfD verschrieben. Unter anderem bietet die Initiative Seminare an, wie man Rassismus und Intoleranz im Alltag richtig begegnet.

Hinter der Initiative stehen die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Dass die Initiative »Aufstehen gegen Rassismus« sich explizit gegen die AfD positioniert, hat dem Bezirk nicht nur eine Klage eingebracht, sondern auch die Feier zur Preisverleihung nicht unerheblich beeinflusst.

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann zeigte sich an jenem Abend ziemlich bestürzt: »Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass wir so eine Veranstaltung mit Security schützen lassen müssen«.

AfD versuchte, Preisverleihung zu verhindern

Tatsächlich hatte man sich von Bezirksseite aus auf mögliche Angriffe oder Provokationen von rechts gewappnet. Doch die blieben an diesem Abend in den Räumen der Jugendwiderstandsmuseums aus.

Allerdings hatte die AfD im Vorfeld schon sehr schweres Geschütz gegen den Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg aufgefahren. Der verletze seine Neutralitätspflicht, wetterte der Landesvorsitzende Georg Pazderski. Doch dabei beließ er es nicht. Auch die Justiz wurde gleich in doppelter Hinsicht bemüht. Einerseits sollte das Berliner Verwaltungsgericht die Preisverleihung per einstweiliger Verfügung stoppen, aber auch strafrechtlich legte Pazderski nach. Wegen »Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung« stellte der Landesvorsitzende eine Strafanzeige.

Ob es zum Strafverfahren kommt, ist eher ungewiss. Mit der einstweiligen Verfügung gegen die Preisverleihung jedenfalls scheiterte Paz­derski vor dem Verwaltungsgericht.

So ging der Abend der Preisverleihung mit Glühwein nahezu besinnlich zu Ende. Immerhin hatte das rechtliche Hickhack um den Silvio-Meier-Preis der Auszeichnung auch überregional eine gebührende Aufmerksamkeit in den Medien verschafft.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2017.

Nach Farbbeuteln fliegen Steine

Der Protest gegen das Hotel »Orania« nimmt nicht ab

Ärger ums Hotel: das neue Orania. Foto: psk

Hier irrt die Bezirksbürgermeisterin: »Es hätten auch Luxuslofts sein können«, kommentierte sie das noble Hotel »Orania«, das seine Pforten im Sommer am Oranienplatz geöffnet hat und seither immer wieder Ziel unerfreulicher Aktionen ist. Mal fliegen Farbbeutel, zuletzt gar Pflastersteine.

Und warum irrt die Bürgermeisterin? Weil es natürlich ein Loft im Dachgeschoss gibt, das das »Orania« so bewirbt: »354 qm Loft im Dachgeschoss inklusive Orania.45 Suite + Orania.60 Juniorsuite + Orania.Salon, eigener Bar, Küche, Leinwand mit Beamer für TV & Kino, Steinway B Flügel, Bibliothek, offenem Kamin, 2 Esstische, drei franz. Balkone und große Fensterfront mit Balkon und herrlichem Ausblick über die Skyline von Kreuzberg & Berlin. Kapazität 10 bis 150 Personen.«

Wer es etwas kleiner mag, kann auch eine 86 Quadratmeter große Suite beziehen. Kostenpunkt 1889,25 Euro – pro Nacht. Das alles ist in einem Haus zu haben, in dem vor wenigen Jahren noch ein Discounter angesiedelt war, der am Ende aufgeben musste, weil er am 1. Mai immer wieder gerne mal ausgeräumt wurde.

Dass in Kreuzberg immer wieder Farbbeutel oder Schlimmeres gegen Gebäude fliegen, die für Gentrifizierung stehen, ist nichts Neues. Bisher war das Lieblingsziel das Carloft in der Reichenberger Straße. Vielen galt es als der Gipfel der spießbürgerlichen Dekadenz und Symbol für den Gentrifizierungs-Wahnsinn. Die Luxusherberge am O-Platz hat nun alle Möglichkeiten, den Carlofts den Rang abzulaufen.

Noch immer ist SO 36 der Hotspot für Spontis und Autonome. Sie betrachten einen Edelschuppen am Oranienplatz als Einbruch in ihr ureigenes Territorium. Nun besteht SO 36 nicht nur aus Autonomen und Spontis. Für gutwilligere Nachbarn gibt es regelmäßig Konzerte.

Der Besitzer, Dietmar Müller-Elmau wollte ganz bewusst ein Hotel im kreativen Zentrum Berlins. Dass er ausgerechnet auch noch Schloss Elmau besitzt, in dem 2015 der G7-Gipfel stattfand, macht die Situation nicht gerade einfacher. Gentrifizierungs- und Globalisierungsgegner gehen meistens Hand in Hand.

Gegner planen Daueraktionen

Über 200 Millionen Euro hatte das Spektakel in den bayerischen Alpen damals gekostet, der Löwenanteil ging dafür drauf, die Globalisierungs- und Gipfelgegner so weit wie möglich von Schloss Elmau fernzuhalten.

So ganz fern liegt der Gedanke da nicht, dass der eine oder andere nun vielleicht noch eine Rechnung begleichen will, die seit dem Sommer 2015 in seinen Augen noch offen ist.

Zunächst war das Hotel nur Opfer von Farbbeutelwerfern geworden. Mitte Oktober hat sich das Bild nun geändert. Erstmals wurden die großzügigen Scheiben mit Pflastersteinen attackiert. Für Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann ein Unding. Sie sagt, der Kampf gegen die Gentrifizierung könne nicht mit Pflastersteinen vollzogen werden. Doch das wird die Gegner des Hotels am Oranienplatz kaum abschrecken, denn die hatten sich schon nach den ersten Farbbeutelwürfen mit Bekennerschreiben zu Wort gemeldet. Darin stellten sie Überlegungen an, wie sie den »Investor aus dem Kiez jagen können«. Auch von Daueraktionen ist schon die Rede.

Das Unbehagen über das Hotel Orania ist aber nicht nur bei Autonomen und Spontis groß. Auch viele Nachbarn fürchten die langfristigen Folgen für den Kiez, wovon etliche Plakate rund um den Oranienplatz zeugen.

Allerdings weist der Bezirk auch darauf hin, dass das ehemalige Kaufhaus lange leergestanden habe. Immerhin, so sagen viele, sei kein Hostel eingezogen. Die Zahl der Easy-Jetter sollte wohl in der Tat durch die neue Nobelherberge in Kreuzberg nicht steigen. Auch irgendwie ein Trost.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2017.

Wenig Spannung im Titelkampf

Für kleinere Parteien sind Überraschungen bei der BVV-Wahl möglich

In vielen Teilen Deutschlands ist eine Kommunalwahl ein mühsames Geschäft. In Städten wie etwa Stuttgart kämpfen sich die Wähler durch wandtapetengroße Stimmzettel. Zudem wird von ihnen verlangt, sich mit Wahltechniken herumzuschlagen, die auf so schöne Namen wie Kumulieren, Panaschieren oder Unechte Teilortswahl hören. Das alles klingt mehr nach Kamasutra als nach demokratischem Urnengang.

In Berlin ist es dagegen denkbar einfach. Es gibt einen Stimmzettel und ein Kreuzchen für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Die 55 Sitze im Rathaus in der Yorckstraße werden dann proportional verteilt.

Klare Verhältnisse

Die Verhältnisse in der derzeitigen BVV ist sehr eindeutig. Bei momentan nur 51 Mitgliedern sind die Grünen mit ihren 22 Sitzen schon sehr nah an der absoluten Mehrheit. Dass nicht die volle Zahl der Bezirksverordneten ins Kommunalparlament einzog, lag einfach daran, dass die Piraten nach ihrem Überraschungserfolg nicht über genügend Kandidaten verfügten, um alle Sitze zu besetzen. Ihnen hätten neun zugestanden. Vier blieben frei.

Alle buhlten damals um die Gunst der Politikneulinge – und das hatte nicht nur mit Welpenschutz zu tun. Rein theoretisch hätten SPD, Linke und Piraten eine Zählgemeinschaft gegen die Grünen bilden können. Doch am Ende blieb es bei einer klassischen Rollenverteilung, die den Grünen im Bezirksamt drei von fünf Stadtratsposten bescherte.

Dass die Piraten ihren Überraschungserfolg von 2011 noch einmal wiederholen, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die kleine Fraktion blieb nicht vom Zerfall der Gesamtpartei verschont. Statt fünf hat sie heute nur noch vier Mitglieder. Eine Bezirksverordnete verließ die Fraktion.

Das Erbe der Piraten

Es geht also bei der BVV-Wahl vermutlich um die Hinterlassenschaft der Piraten, das heißt um bis zu neun Sitze, die sich nun andere Parteien erobern können – mal ganz abgesehen von den üblichen Verschiebungen, die so eine Wahl sonst mit sich bringt. Doch ganz abschreiben kann man die Piraten auch nicht, denn um in die BVV zu gelangen, benötigen sie nur drei Prozent. Das ist etwa der Wert, den Demoskopen den Piraten berlinweit derzeit einräumen. Rechnet man den Kreuzberg-Bonus dazu – nirgendwo haben die Piraten vor fünf Jahren besser abgeschnitten – dann könnte es durchaus noch reichen.

Wer überrascht?

Monika Herrmann bleibt wohl im Amt.

Foto: Sedat Mehder Monika Herrmann bleibt wohl im Amt. Foto: Sedat Mehder

Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei ebenfalls einen solchen Überraschungscoup landen könnte, und da geht der bange Blick automatisch auf die AfD. Eigentlich scheint es ausgeschlossen, dass eine so rechte Partei in Friedrichshain-Kreuzberg reüssieren könnte, denn in ganz Berlin gibt es keine linkere BVV. Wenn man die Piraten zum linken Block zählt, blieben dem rechts-bürgerlichen Lager gerade mal vier Verordnete der CDU.

Nun haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, dass die AfD bei allen Parteien wildern konnte. In den ostdeutschen Bundesländern wurde dabei aber ausgerechnet die Linke schwer gerupft.

Es ist also überhaupt nicht auszuschließen, dass die AfD mit einigen Bezirksverordneten in die BVV einzieht. Bei einem so meinungsfreudigen Parlament, das häufig große Zuschauermassen anzieht, dürfte das für noch wesentlich turbulentere Sitzungstage sorgen.

Bleibt das Bezirksamt?

Peter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim GernPeter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim Gern

Die wichtigste Aufgabe zu Beginn der neuen Legislatur wird die Wahl eines neuen Bezirksamtes sein. Derzeit stellen die Grünen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Baustadtrat Hans Panhoff und Kämmerin Jana Borkamp drei der fünf Posten. Dr. Peter Beckers (SPD), zuständig für Wirtschaft, und der Linke Knut Mildner-Spindler (Soziales), vervollständigen das Gremium.

Da die beiden letzteren als Spitzenkandidaten für ihre jeweilige Partei ins Rennen gehen und bei den Grünen wenig auf ein Abweichen von der bisherigen Rollenverteilung hindeutet, könnte das alte Bezirksamt wieder das neue sein.

Es gibt jedoch ein paar Unwägbarkeiten. Da ist zunächst die Bezirksbürgermeisterin. Monika Herrmann gilt als streitbar und hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Innensenator Frank Henkel sehr an Profil gewonnen. Vor allem dem bürgerlichen Lager gilt sie als der Fleisch gewordene Gott­sei­mit­uns. Das hilft ihr in Kreuzberg ungemein und auch die eine oder andere innerparteiliche Auseinandersetzung ist inzwischen längst vergessen. Paradoxerweise könnte Frank Henkels unsägliches Verhalten in Sachen Rigaer Straße den Grünen am 18. September ein Rekordergebnis bescheren. Der eine oder andere Grüne träumt bereits von einer absoluten Mehrheit im Kreuzberger Rathaus.

Allerdings bröckelt auch die Grüne Wählerbasis in Kreuzberg. Immer wieder bläst der Fraktion von den Zuschauerrängen im Rathaus ein rauher Wind entgegen. Von alternativem Durchregieren und mangelnder Kompromissbereitschaft im Angesicht der eigenen Stärke ist da die Rede.

Die SPD als zweit­stärks­te Fraktion ist in der BVV nur halb so stark wie die Grünen. Dass der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers den Chefposten erobern könnte, gilt als nahzu ausgeschlossen. Für ihn wird es ein Erfolg sein, den großen Abstand zu den Grünen zu verringern.

Linke muss kämpfen

Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.

Während sich die beiden größeren Parteien kein ernsthaftes Duell liefern, sondern bestenfalls die eigene Position etwas verbessern oder verschlechtern werden, stehen die Linken vor einer sehr schweren Wahl. Schon vor fünf Jahren war die Partei auf Rang vier abgeruscht. Dabei stellte sie – damals noch als PDS – vor nicht allzu langer Zeit sogar noch die Bezirkbürgermeisterin. Ihre Verluste in Friedrichshain hat sie in Kreuzberg nicht kompensieren können. Allerdings hat sie bei Bundestagswahlen immer gut abgeschnitten – davon könnte sie auch jetzt profitieren. Mehr als sieben Sitze wären schon ein Erfolg. Doch wenn sich der Trend fortsetzt, wird sie im schlimmsten Fall vielleicht den einen oder anderen Sitz an die AfD verlieren.

Splitterpartei CDU

Bleibt noch die CDU, die schon vor vier Jahren denkbar schlecht abgeschnitten hat. Nirgendwo werden die Henkelschen Eskapaden eine so starke Auswirkung haben wie in Kreuzberg. Sein Versagen am Gör­litzer Park, die Tatenlosigkeit am Kotti und die Tricksereien in der Rigaer Straße dürften die CDU eher Stimmen kosten, zumal die feurigsten Law-and-Order-Anhänger es dieses Mal eher mit der AfD versuchen werden.

Am Ende wird es bei der BVV-Wahl wohl eher wie in der Fußball-Bundesliga zugehen. Wie es oben ausgeht, scheint klar, aber unten wird es spannend.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Notquartier oder Ferienwohnungen?

Monika Herrmann mit neuer Idee zur Flüchtlingsunterbringung

Notquartier: In dieser Turnhalle sind derzeit rund 30 Flüchtlinge untergebracht.

Foto: pskNotquartier: In dieser Turnhalle sind derzeit rund 30 Flüchtlinge untergebracht. Foto: psk

Die Zahl der Flüchtlinge wächst, und mit ihr die Probleme in punkto Unterbringung. Container werden aufgestellt, Turnhallen requiriert und Traglufthallen aufgeblasen. Und trotzdem, es reicht nicht.

Doch in Treptow, an der Trasse der künftigen A100 stehen 90 Wohnungen leer, die sofort bezugsfertig wären. Aber die beiden Häuser sollen abgerissen werden, für eine Autobahn, für die die Bauarbeiten an diesem Teilstück in sieben Jahren beginnen.

In der momentanen Situation wären sie buchstäblich Gold wert, doch für Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel ist das kein Thema. Eine Zwischennutzung kommt für ihn nicht in Frage.

Monika Herrmann, Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, hat diese Haltung so richtig in Harnisch gebracht. Sie hat gerade die Sporthalle »MariannenArena« an das Land weitergereicht, damit dort bis zu 80 Flüchtlinge, Frauen und Kinder, untergebracht werden. 30 sind es bis jetzt.

Dort gibt es zwar keinen Schulunterricht, aber viele Vereine müssen jetzt ausweichen. Herrmann fürchtet, dass die hohe Akzeptanz und Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen mit der Zeit schwinden könnte.

Die Unterbringung ist eigentlich auf wenige Wochen begrenzt. Und sehr viel mehr als Stockbetten gibt es für die Flüchtlinge auch nicht. Betreut werden sie von den Johannitern, die allerdings ein hohes Aufkommen an Sachspenden verzeichnen können. »Wir ertrinken beinahe in Kinderkleidung«, erklärt ein Mitarbeiter der Johanniter. Trotzdem sind Sachspenden durchaus willkommen.

Die Bezirksbürgermeisterin ist in einem Zwiespalt. Zwar will auch sie so viele Flüchtlinge wie möglich menschenwürdig unterbringen, aber sie hätte halt auch gerne ihre Turnhalle bald wieder zurück.

Sie hat nun eine ganz neue Idee ins Feld geführt: Warum sollte man nicht illegale Ferienwohnungen als Flüchtlingsunterkünfte nutzen? Der durchaus erwartete und eigentlich schon übliche Shitstorm fiel eher lau aus.

Justizsenator hat rechtliche Zweifel

Nicht einmal die CDU, die sich sonst sehr gerne und sehr schnell auf die grüne Bezirksbürgermeisterin einschießt, begehrte laut auf. Immerhin, Justizsenator Thomas Heilmann hält den Vorschlag für nicht praktikabel. Das ändert allerdings nichts daran, dass er jetzt zunächst rechtlich geprüft wird. Trotzdem steht das böse Wort von der »Enteignung« im Raum. Doch die sieht Monika Herrmann nicht. Einerseits würden die Eigentümer ja trotzdem Miete erhalten, andererseits sei eine Unterbringung von Flüchtlingen zeitlich begrenzt. Außerdem verweist sie darauf, dass es sich in diesem Fall ja um illegale Ferienwohnungen handele. Juristisch ist das möglicherweise knifflig, aber sie erklärt auch, dass jeder der legal eine Ferienwohnung besitzt oder betreibt, diese natürlich ebenfalls als Flüchtlingsunterkunft gegen eine entsprechende Miete zur Verfügung stellen kann.

Justizsenator Heilmann meldet unter anderem deshalb Zweifel an, weil ja auch viele öffentliche Gebäude leer stünden und nennt dabei das ICC.

Monika Herrmann rechnet vor, dass vom Liegenschaftsfonds des Landes, der über mehr als 100 Gebäude verfügt, gerade mal 13 Objekte als Flüchtlingsunterkünfte vorgeschlagen wurden, also etwa eines pro Bezirk.

Ein Gebäude, in dem eine ganze Menge Flüchtlinge untergebracht werden könnten, steht in der Kreuzberger Franz-Künstler-Straße. Das ehemalige Haus der Schreber-Jugend war auch schon einmal im Gespräch, die Flüchtlinge vom Oranienplatz, beziehungsweise von der Gerhart-Hauptmann-Schule aufzunehmen. Damals scheiterte es an der fehlenden Heizung. Inzwischen wäre eine Unterbringung, selbst mit Heizungsnachrüstung nicht mehr möglich. »Es fehlt der Brandschutz, und das Gebäude soll abgerissen werden«, erläutert die Bürgermeisterin.

Trotzdem hätte auch hier schon längst etwas passieren können. Wenn das Gebäude abgerissen worden wäre, dann hätte man auf dem Gelände wenigstens Wohncontainer aufstellen können.

Tatsächlich scheint es zumindest in der Theorie genügend Wohnraum für Flüchtlinge zu geben – aber auch hohe bürokratische Hürden.

Kommentar: Mehr Mut ist machbar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2015.

Ein Projekt hängt in der Luft

Monika Herrmann hofft auf Landesbürgschaft für Möckernkiez

Stillstand: Derzeit geht auf den Baustellen am Gleisdreick nichts.

Foto: pskStillstand: Derzeit geht auf den Baustellen am Gleisdreick nichts. Foto: psk

Es hätte zumindest eine gute Antwort auf die Verdrängungsdebatte sein können: das Projekt Möckernkiez. Am Rande des Ostparks am Gleisdreieck sollte auf genossenschaftlicher Basis ein ganz neues Stadtviertel entstehen, mit bezahlbarem Wohnraum, einem Biosupermarkt, einem integrativen Hotel. Insgesamt 464 Wohnungen verteilt auf 15 Gebäude auf drei Hektar.

Die Rechnung klang zunächst recht vielversprechend: Die Genossen sollten 30 Prozent des Wertes der Wohnung einzahlen und nach dem Bezug eine vergleichsweise moderate Miete von im Schnitt acht Euro pro Quadaratmeter berappen. Das hätte – aus Sicht des Jahres 2010, als das Projekt startete – vielleicht auch funktioniert. Allerdings sind in Berlin in diesen vier Jahren die Mieten um satte 40 Prozent gestiegen. Das blieb auch nicht ohne Folgen für das Projekt Möckernkiez. War 2010 mit einem Quadratmeterpreis von 2000 Euro kalkuliert worden, liegt er jetzt bei 2750 Euro.

Doch damit noch nicht genug der Probleme. Weder das geplante Hotel, noch der Biosupermarkt werden nach jetzigem Stand realisiert werden.

Alles in allem fehlten der Genossenschaft Anfang Dezember noch rund fünf Millionen Euro, um das angestrebte Eigenkapital von 32,6 Millionen zu erreichen. Das Gesamtprojekt umfasst inzwischen ein Volumen von 124 Millionen Euro. Geplant waren 80 Millionen. Das Problem bislang: Die Banken wollen nicht mitmachen.

Für die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann sollte das Projekt an dieser Hürde nicht scheitern. »Eine Bürgschaft vom Senat fände ich nicht schlecht«, meint sie. »Man kann die Leute jetzt nicht hängen lassen. Da hängen Existenzen kleiner Leute dran. Hier sollte sich die Landesregierung einen Ruck geben.«

Doch im Moment scheint die Landesregierung noch gar nicht daran zu denken. Bau-Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup jedenfalls sagte dem rbb gegenüber klipp und klar: »Das Land bürgt nicht.«

Senatserinnerungen an das Tempodrom

Der Staatssekretär erinnert daran, dass der Senat gerade in Kreuzberg mit Bürgschaften schlechte Erfahrungen gemacht hat und verweist auf das Tempodrom, das ja in Sichtweite des Möckernkiezes liegt.

Die Empfehlung ist denn auch eine ganz einfache: Entweder soll sich die Genossenschaft irgendwie mit den Banken einigen oder eine größere Wohnungsgenossenschaft mit ins Boot nehmen.

Ob das allerdings die Lösung ist? Mit ihrer Planung wollten sich die Genossen ja gerade von anderen genossenschaftlichen Projekten abheben.

Das sieht auch die Bezirksbürgermeisterin so. Sie spricht von einem »sehr bezirklichen Herangehen.« Zwar räumt sie ein, dass die Planungen vielleicht etwas großzügig ausgefallen sind, erinnert aber daran, wer hier investiert. Hier gehe es um Menschen, die nicht zu den Besserverdienenden gehörten und die zum Teil ihre ganzen Ersparnisse als eine Art Alterssicherung in das Projekt gesteckt hätten.

Von den 15 geplanten Gebäuden stehen bislang vier im Rohbau, die vorerst alle winterfest gemacht worden sind. Ansonsten ist auf den Baustellen in den letzten Monaten nicht mehr sehr viel gelaufen.

Das heißt nicht, dass das Projekt am Ende ist, aber es hängt in der Schwebe. Derzeit hat die Genossenschaft etwa 1.300 Mitglieder und es kommen noch neue hinzu. Für die wird es allerdings deutlich teurer, als ursprünglich gedacht. Sie werden nun 40 statt 30 Prozent der Bausumme einbezahlen müssen. Bei einer vier Zimmer-Wohnung mit 100 Quadratmetern sind das trotzdem noch weniger als 100.000 Euro. Allerdings dürften dann die Mieten nicht mehr ganz so günstig sein, wie gedacht.

Letztlich hängt alles daran, was für einen Partner die Möckernkiez Genossenschaft am Ende finden wird und zu welchen Konzessionen die Mitglieder bereit sind. So scheinen derzeit noch viele Möglichkeiten offen. Allerdings wird die Situation neu bewertet werden müssen. Die Genossenschaft hat reagiert und den Vorstand zum Jahrebeginn auf fünf Mitglieder erweitert.

Das einzige was sicher ist: Eine Bauruine wird dort nicht stehen bleiben. Was jetzt schon steht ist ein gefundenes Fressen für Baulöwen und Immobilienhaie.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2015.

Görlitzer Park kommt nicht zur Ruhe

Neue Taskforce soll die Situation verbessern

Mit der Gründung einer Taskforce reagiert nun die Politik auf die sich offenbar verschärfende Drogensituation im Gör­lit­zer Park. Pikant ist die Zusammensetzung des Gremiums. Mit Innensenator Frank Henkel, seinem Staatssekretär Bernd Krömer und Justiz­se­na­tor Thomas Heilmann sitzen drei CDU-Leute, die für Law-and-Order stehen, zwei Vertretern der Grünen, Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann und Bezirksstadtrat Hans Panhoff, gegenüber. Beide stehen naturgemäß für eine liberalere Drogenpolitik.

Der Görlitzer Park gilt schon lange als Umschlagplatz für meistens weiche Drogen. Doch seit geraumer Zeit ist die Zahl der Dealer enorm gewachsen. Zudem klagen vor allem Anwohner, dass das Auftreten der Rauschgiftverkäufer inzwischen auch ziemlich forsch geworden ist.

In wie weit das richtig oder eher eine subjektive Wahrnehmung ist, ist nur schwer zu überprüfen. Dass die Zahl der Dealer enorm gewachsen ist, lässt sich hingegen belegen. Auch ein Zusammenhang mit den Asylsuchenden in der nahegelegenen Gerhard-Hauptmann-Schule ist schlecht wegzudiskutieren.

So ergeben sich zwei Linien, wie dem Problem beizukommen sei. Der Innensenator sähe am liebsten eine Null-Toleranz-Politik mit hoher Polizeipräsenz in und um den Park. Und ihm geht der Umgang mit den Flüchtlingen in Kreuzberg entschieden zu weit.

Monika Herrmann dagegen hofft, mit einem legalen Coffeeshop den Dealern die Grundlage zu entziehen. Sie setzt mehr auf Dialog und glaubt, dass eine weniger restriktive Flüchtlingspolitik ohne Residenzpflicht und Arbeitsverbot hilfreich wäre.

Einig sind sich die beiden unterschiedlichen Lager in der Taskforce jedoch in einem: Die jetzige Situation im Gör­litzer Park ist so nicht mehr tragbar und den eigentlichen Nutzern des Parks auch so nicht mehr zuzumuten.

Mit den Anwohnern will die Grünen-Fraktion in der BVV im Januar ins Gespräch kommen.

Grünflächenamt vergrämt die Dealer

Bei einer Veranstaltung – so sie zustande kommt – sollen die Mitglieder der Taskforce ihre Vorstellungen kundtun.

Bis dahin ist die Taskforce allerdings auch schon tätig geworden. Zum Teil mit überraschenden Erfolgen. So hat Baustadtrat Hans Panhoff, das Grünflächenamt losgeschickt, um das Unterholz einmal so richtig auszuforsten – das Unterholz, in dem die Dealer auch schon mal gerne ihren Stoff deponieren.

Tatsächlich fanden die Mitarbeiter des Grünflächenamtes nicht nur weiche Drogen in Form irgendwelcher Cannabisprodukte, sondern auch richtig hartes Zeug wie Crystal Meth und Kokain.

Der Hohlweg am Spreewaldbad, den Panhoff einen »richtigen Angstraum« nennt, soll zugeschüttet werden. Durch solche und ähnliche Maßnahmen soll den Dealern die Lust am Dealen genommen werden.

Innensenator Frank Henkel setzt da auf eine andere Strategie. Er will die Grenze für den in der Regel nicht verfolgten Besitz von Cannabis-Produkten für den Eigenbedarf von 10 bis 15 Gramm auf sechs Gramm herabsetzen – und zwar nur für den Park und seine Umgebung.

Die Polizei sieht den Ruf nach größerer Präsenz mit sehr gemischten Gefühlen, denn personell arbeiten die Ordnungshüter am Park sowieso bereits am Anschlag. Noch mehr Präsenz ist angesichts der Personalsituation nur schwer darstellbar. Zudem gerät die Polizei auch immer wieder mit Anwohnern des Görlitzer Parks aneinander. Viele fühlen sich zwar durch die Dealer bedroht, doch die Festnahme eines Dealers wird andererseits auch gerne als unangemessene Polizeigewalt interpretiert.

Inwieweit die Maßnahmen wirklich greifen und welche Konzepte am Ende möglicherweise zum Erfolg führen, wird so schnell nicht festzustellen sein. In der kalten Jahreszeit und den kurzen Tagen, wenn Bäume und Büsche entlaubt sind, sind auch nicht nur weniger Parkbesucher, sondern auch weniger Dealer unterwegs.

Doch das Problem könnte sich im nächsten jahr auch ohne Tatort von selbst lösen. Die Polizei beobachtet, dass viele Dealer den Park verlassen, um andernorts zu dealen. Im Görli gibt es zuviele Kollegen. Das ruiniert die Preise.

Kommentar: Bringt das wirklich was?

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2014.