Bezirksamt freut sich über Lärmomatzahlen

Lärmpegel war 63 Stunden lang überschritten

Der Lärmomat wurde ausgewertet und der Bezirk ist zufrieden. Foto: psk

Der vielbeachtete Lärmomat an der Admiralbrücke, der dort Ende Juli aufgestellt wurde, wurde im November schon wieder abgebaut. Das war nun nichts Sensationelles, denn in den kommenden Monaten sollten die Ergebnisse ausgewertet werden.

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat die gewonnenen Erkenntnisse nun veröffentlicht.

In dem dreimonatigen Versuchslauf war die Warnfunktion täglich von 22 bis 4 Uhr morgens aktiviert. Konkret bedeutete das: Wenn der Lärmpegel 55 Dezibel überstieg, mahnte ein rotes Licht die Flaneure, mehr Ruhe zu bewahren.

Die Auswertung ergab, dass insgesamt 63 Stunden lang der Lärmpegel überschritten war.

Diese 63 Stunden verteilten sich natürlich nicht gleichmäßig. 27 Mal wurde im August die Lärmlatte gerissen, im September waren es 23 Stunden, im Oktober noch 13. Am häufigsten wurde es an Freitagen und Samstagen laut. Und am lautesten war es zwischen 22 und 23 Uhr.

Doch wie reagierten die Betroffenen? Immerhin sind es ja die Anwohner, die in den Sommermonaten durch die Partys auf der Admiralbrücke um den Schlaf gebracht werden.

Über Reaktionen der Anwohner berichtet der Bezirk nichts, wohl aber über die Zahl der Anzeigen und Beschwerden. Beim Ordnungsamt ist in dem ganzen Zeitraum nur eine Beschwerde eingegangen, bei der Polizei dagegen waren es 53.

Die zweite Aufgabe des Lärmomats war es, durch das eingebaute Moos eine Luftfilterung zu erreichen. Darüber machte der Bezirk keine detaillierten Angaben.

Insgesamt scheint man aber beim Bezirksamt ganz zufrieden mit den Ergebnissen zu sein. In der Pressemitteilung heißt es: »Die Ziele des Bezirksamtes für das Projekt, eine Sensibilisierung und erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema, eine detaillierte Lärmdatenerhebung sowie Luftreinigung und -kühlung wurden erreicht. Die Lärmbeschwerden im Bezirk sind rückläufig.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2024.

Die Quadratur des Viertelkreises

Städtebauliches Werkstattverfahren für den Block 616 gestartet

Blick vom Mehringplatz nach Nordwesten auf den Block 616. Foto: rsp

Nordwestlich des Mehringplatzes soll ein neues Stadtquartier entwickelt und gebaut werden. Das »Block 616« genannte Areal gehört zum Sanierungsgebiet Südliche Friedrichstadt und wird von der Wilhelmstraße (im Westen), Franz-Klühs-Straße (im Norden), Friedrichstraße (im Osten) und der Friedrich-Stampfer-Straße (im Süden) begrenzt.

Derzeit wird die Fläche dominiert von einem sanierungsbedürftigen Wohnhochhaus-Riegel, den die landeseigene Howoge kürzlich von einem Privateigentümer übernommen hat. Im Süden befindet sich ein wenig genutzter Parkplatz im Besitz der AOK Nordost und im Norden eine überhaupt nicht mehr als solche genutzte Parkpalette auf einem Privatgrundstück.

Insgesamt also viel Platz und viel Potenzial, aber auch viele komplexe Randbedingungen.

Um erstmal die städtebaulichen Möglichkeiten auszuloten, haben das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, die AOK und die Howoge als Kooperationspartner nun gemeinsam ein »zweistufiges städtebauliches Werkstattverfahren mit umfassender Beteiligung« für Block 616 gestartet.

Beteiligt sind auf jeden Fall schon einmal ganze vier Architekturbüros (zwei aus Berlin und je eins aus Zürich und Wien), beteiligt werden soll die Bevölkerung vor Ort, die bereits zu einer ersten sogenannten »StadtWERKSTATT« Anfang Juli 2023 auf dem Dragonerareal eingeladen war, die allerdings, vermutlich nicht nur wegen des warmen Sommerwetters, nicht besonders gut besucht gewesen sein soll, wie die Sanierungszeitung »Südseite« in ihrer Ausgabe 02/23 berichtete.

300 neue Wohnungen sollen im Quartier entstehen

Koordiniert wird das Verfahren ebenfalls von vier unterschiedlichen Akteuren, und am Ende soll ein sechsköpfiges Fachgremium über die Ergebnisse abstimmen.

Der Prozess wird ausgesprochen ausführlich und informativ, wenn auch leider nicht besonders übersichtlich, dokumentiert auf der Webseite »Baustelle Gemeinwohl«. Dort findet sich dann auch eine Zusammenfassung der bisher umrissenen Ziele der Entwicklung. Neben der Vorgabe des Bezirksamts »70% Wohnen, davon 30% belegungs- und mietpreisgebundener Wohnraum« stehen hier auch Klimagerechtigkeit, Erhöhung der Lebensqualität, Sicherheit und die Deckung von Bedarfen auf der Liste.

Bedarfe sind im angrenzenden Quartier bereits jetzt zur Genüge vorhanden. Sei es die Versorgungslücke mit Waren des täglichen Bedarfs seit der Schließung des EDEKAs am Eingang zur Friedrichstraße, seien es die baulichen Mängel und die personelle Unterversorgung der ohnehin bereits überbelegten Schulen im Einzugsgebiet. Das sind keine einfachen Voraussetzungen angesichts der von Bezirk und Land angestrebten zusätzlichen 300 Wohnungen im Block 616.

Hinzu kommt die Problematik, dass der Status der Südlichen Friedrichstadt als Sanierungsgebiet nur bis 2027 gesichert ist – aus diesem Grunde will der Bezirk parallel zum laufenden Verfahren einen Bebauungsplan erarbeiten, damit die Festschreibung der Nutzungsstruktur mit einem hohen Anteil an Wohnraum rechtlich abgesichert ist.

Wer sich informieren und einbringen möchte, kann dies über die Webseite »Baustelle Gemeinwohl« tun. Die nächste StadtWERKSTATT ist für den 12. Dezember angesetzt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2023.

Verkehrssenatorin stoppt Radwegebau

Finanzierung »vorläufig« ausgesetzt

Radstreifen entlang der Zossener Straße (Höhe Heilig-Kreuz-Kirche) mit einem RadfahrerVermutlich »vorläufig« nicht gefährdet: Radstreifen in der Zossener Straße. Foto: psk

Update: Bezirk bezweifelt Rechtmäßigkeit des Stopps / Radweg in der Stallschreiberstraße wird gebaut (s.u.)

Es fing an mit ein paar E-Mails: Mitte Juni teilte die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) den Bezirken mit, dass die neue Hausleitung – also Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) – darum bitte, geplante Radwegeprojekte auszusetzen, sofern dafür auch nur ein einziger Parkplatz oder ein Fahrstreifen für Autos wegfiele.

Schon einen Tag später ruderte Schreiner zurück: »nicht mehr als zehn Parkplätze auf 500m« seien einer Pressemitteilung zufolge dann doch akzeptabel, sofern Wirtschafts- und Lieferverkehr nicht erheblich beeinträchtigt würden und, weiterhin, keine Fahrstreifen wegfielen. Alle anderen Projekte würden »überprüft und priorisiert«.

Doch »priorisiert« heißt in dem Kontext: erstmal gestoppt.

In den Bezirken herrscht seitdem erhebliche Unsicherheit. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg könnten mehr als zehn Projekte betroffen sein, teilte das Bezirksamt auf Anfrage mit, jedoch ließe »die Kommunikation der SenMVKU sehr viele Fragen offen«.

Bei Projekten wie der Stallschreiberstraße dürfte die von der Senatsverwaltung formulierte Ausnahme für Maßnahmen gelten, die die Schulwegsicherheit erhöhen. Tatsächlich hat die Senatsverwaltung den Stopp für diesen Radweg am Dienstag zurückgenommen. Anderswo jedoch, etwa in der Urbanstraße und der Oranienstraße, ist fraglich, welche Zukunft die­se Projekte haben. Hier läuft die Vorplanung teilweise bereits seit Jahren. Doch mit der »Bitte« der Senatsverwaltung sei auch ein vorläufiges Aussetzen der Finanzierungszusagen verbunden, erklärte Verkehrsstadträtin Annika Gerold (Grüne). Ein entsprechendes Schreiben war dem Bezirk am 20. Juni zugegangen.

1,5 Millionen Euro drohen zu verfallen

Allein im Bezirk geht es um Gelder in Höhe von insgesamt rund 1,5 Millionen Euro, die jetzt auf der Kippe stehen. Darunter sind vor allem Fördermittel des Bundes, die zu verfallen drohen, wenn sie nicht noch dieses Jahr ausgegeben werden oder wenn die von Senatorin Schreiner an­ge­kün­dig­te Überprüfung der Projekte zu größeren Umplanungen führt.

Ende Juni fand eine Gesprächsrunde zwischen Bezirksstadträten und Senatorin statt – zur Frage, wie konstruktiv die lief, gibt es jedoch sehr unterschiedliche Einschätzungen. Zuletzt hatten Verkehrsstadträte aus mehreren Bezirken der Senatorin ein Ultimatum gestellt, den allgemeinen Projektstopp zurückzunehmen und für Planbarkeit zu sorgen.

Rechtsamt bezweifelt Rechtmäßigkeit

Bereits vor einigen Tagen hatte Friedrichshain-Kreuzberg sein Rechtsamt mit einer juristischen Überprüfung des Radwegestopps beauftragt. Bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am heutigen Mittwoch wurde jetzt das Ergebnis verkündet. Demnach bestünden seitens des Bezirks Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Senatsverwaltung. Eine temporäre Außerkraftsetzung der Mittelzusagen gäbe die Landeshaushaltsordnung nicht her. »Wir haben einen geltenden Haushalt«, betonte Rolfdieter Bohm, Leiter des Rechtsamts. Der Doppelhaushalt sei vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden und sei so auch vom Senat und den Bezirken zu beachten. Wenn darin Mittel für Fahrradwege vorgesehen seien, so die Argumentation, könnten diese nicht einfach vorübergehend außer Kraft gesetzt werden.

Zudem bestünde bei laufenden Ausschreibungen die Gefahr, dass sich das Land Berlin regresspflichtig mache, wenn die Ausschreibung wegen eines Aussetzens der Finanzierung gestoppt werde.

Eine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit vor Gericht prüfen zu lassen gibt es allerdings nicht. Berlin ist eine sogenannte Einheitsgemeinde, sodass die Bezirke keine eigenen Rechtspersönlichkeiten sind, die etwa gegen »das Land Berlin« klagen könnten. Von dem Ergebnis der Prüfung durch das Rechtsamt verspricht man sich allerdings eine weitere Argumentationsebene gegen die Senatsverwaltung, denn auch die könne kein Interesse daran haben, gegen Recht und Gesetz zu handeln.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2023.

Die Vielfalt am Mehringplatz

Stadtteilzentrum F1 wird neu aufgestellt

Marie Hosten im Garten des Stadtteilzentrums am Mehringplatz.Marie Hosten im Garten des Stadtteilzentrums am Mehringplatz. Foto: rsp

Jeden Tag wird etwas geboten, von der Frauentischtennis-Gruppe am Montag, über den Eltern-Kindertreff  der Stadtteilmütter dienstags, den Proben des Kiez-Krähen-Kabaretts tags darauf, der offenen Nähgruppe am Donnerstag oder dem freitäglichen Erzählcafé. Im inklusiven Stadtteilzentrum F1 am Mehring­platz ist immer etwas los.

Wenn es nach Marie Hosten vom neuen Träger Unionhilfswerk geht, dann sollen es sogar noch deutlich mehr Angebote werden. Sie versucht seit Januar, Gruppen und Initiativen dazu zu ermuntern, das Stadtteilzentrum zu nutzen und neue Aktivitäten zu entfalten.

Dazu stehen acht Räume zur Verfügung, die kostenfrei genutzt werden können und im Prinzip jedem offenstehen, der sich für den Kiez und seine Bewohner engagieren will.

Was allerdings nicht geht, sind Co-Working-Space-Plätze.

Dagegen können Räume auch für private Feiern genutzt werden. Das kostet dann allerdings Geld.

Während der Führung durch das Haus wird Marie von einer Mutter angesprochen. Sie möchte einen Raum für einen Kindergeburtstag in drei Tagen. Doch da muss Marie passen. Kurz­fris­tig geht da nichts. Drei Wochen Vorlauf braucht das Bezirksamt dann schon. Denn die Miete muss über die Behörde abgewickelt werden.

Dem zuständigen Amt steht Bezirksstadtrat Oliver Nöll vor. In seinen Aufgabenbereich ist das inklusive Stadtteilzentrum Anfang des Jahres gefallen. Er weiß um die wichtige Aufgabe des Zentrums gerade an einem sozialen Brennpunkt wie dem Mehringplatz. »Als wir es übernommen haben, wurden wir gleich damit konfrontiert, dass Teile des Gebäudes aus Brandschutz- oder baulichen Gründen nicht nutzbar sind.« Für ihn heißt es, nun mit Hochdruck die Mittel aufzutreiben, um möglichst bald mit der Sanierung des Gebäudes beginnen zu können. »Ich will nicht bis in die 30er Jahre warten, ehe wir hier anfangen.« Allerdings muss er sich dafür mit den Senatsverwaltungen für Soziales und für Stadtentwicklung auseinandersetzen. Zudem gibt es auch im Bezirksamt verschiedene Begehrlichkeiten. Auch das Rathaus in der Yorckstraße und die Bibliothek in der Glogauer Straße leiden unter ähnlichen Problemen.

Trotzdem sichert Oliver Nöll dem Stadtteilzentrum am Mehring­platz seine uneingeschränkte Unterstützung zu. Er weiß, wie wichtig die Arbeit dort ist.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2022.

Keine Straßenfeste im ersten Halbjahr

Bezirk sagt MyFest ab / Karneval der Kulturen plant für 2023

Menschenmassen auf der Wiese am Oranienplatz beim MyFest 2011Das MyFest wird auch 2022 nicht stattfinden können. Foto: rsp

Auch im ersten Halbjahr 2022 werden wohl keine Großveranstaltungen oder großen Feste im öffentlichen Straßenland oder Grünanlagen stattfinden können. Da aktuell nicht absehbar sei, wie sich die Infektionslage in den nächsten Monaten entwickeln wird, könne man »die Planung von Großveranstaltungen und ähnlichem im öffentlichen Raum aktuell nicht unterstützen«, teilte das Bezirksamt in einer Pressemitteilung mit. Davon betroffen ist unter anderem das MyFest.

»Die aktuellen Infektionszahlen sind dramatisch. Jeden Tag werden neue Rekorde vermeldet. Es ist daher nicht die richtige Zeit, um große Veranstaltungen und große Feste zu planen«, erklärte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann. Wenn sich die pandemische Lage im Frühjahr entspannen sollte und die Inzidenzen massiv sinken, werde man aber darauf reagieren.

Bereits einige Tage zuvor hatten die Veranstalter des Karnevals der Kulturen das Event zu Pfingsten abgesagt. Die dafür notwendige Einzäunung spräche »dem Grundgedanken des Karnevals entgegen, der sich auf eine auf Beteiligung ausgelegte, frei zugängliche innerstädtische Intervention bezieht«, teilten die Verantwortlichen mit, die eine erneute kurzfristige Absage nicht riskieren wollen.

Gemeinsam mit allen Akteuren solle 2022 genutzt werden, um in einem umfänglichen partizipativen Verfahren das Konzept des Karnevals zu überdenken. 2023 solle die Veranstaltung dann mit neuer Strategie kraftvoll in die Zukunft starten, hieß es weiter.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2022.

»Wenn wir immer einig wären, wären wir in einer Partei«

Die künftige Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihr Stellvertreter Oliver Nöll im Gespräch

Oliver Nöll (Linke) und Clara Herrmann (Grüne)Oliver Nöll und Clara Herrmann beim Gespräch mit Kiez und Kneipe. Foto: rsp

Ein Blick auf das Wahlergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg ließe vermuten, dass es im Bezirksamt genau so weitergehen könnte, wie in den vergangenen fünf Jahren. Tatsächlich ändert sich aber eine ganze Menge – und das liegt nicht nur daran, dass es künftig sechs statt fünf Stadträte und Stadträtinnen geben wird. Kiez und Kneipe hat sich mit der künftigen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihrem neuen Stellvertreter Oliver Nöll getroffen, um zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten fünf Jahren vom neuen Bezirksamt erwarten können.

Die erste Erkenntnis aus diesem Gespräch ist: Zwischen der Grünen und dem Linken stimmt die Chemie. In vielen Bereichen sind die Ansichten nahezu deckungsgleich. Allerdings betont Oliver Nöll auch die Unterschiede: »Wenn wir alle einer Meinung wären, dann wären wir in der gleichen Partei.« Seine Partei, die Linke, profitiert im Übrigen von der Neuordnung, denn für sie gibt es einen Stadtratsposten mehr, den Regine Sommer-Wetter einnehmen wird. Für die Grünen rückt Annika Gerold nach. Clara Herrmann, Florian Schmidt und Andy Hehmke von der SPD gehörten dem Bezirksamt schon in den vergangenen fünf Jahren an.

Was den Zuschnitt der Ressorts bestrifft, wird sich einiges ändern: Clara Herrmann dazu: »Durch die neuen Regelungen sind wir in unseren Ressortzuschnitten eingeschränkt. Bestimmte Kombinationen sind nicht mehr möglich.« Trotzdem zeichnet sich ein Ressortzuschnitt ab: Der Bürgermeisterin fällt nun automatisch das Ressort Finanzen zu, das Clara Herrmann aber ohnehin schon in den letzten fünf Jahren verwaltet hat. An ihren Stellvertreter Oliver Nöll gehen Arbeit und Soziales sowie Bürgerdienste. Schulstadtrat Andy Hehm­ke wird das Ordnungsamt abgeben. Das geht wohl an Annika Gerold, die auch die öffentlichen Räume mit dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) verwalten soll. Jugendstadträtin wird Regine Sommer-Wetter.

Florian Schmidt bleibt Baustadtrat. Er war in der vergangenen Legislatur das umstrittenste Mitglied des Bezirksamts. Doch Oliver Nöll signalisiert, dass sich seine Fraktion dem Personalvorschlag der Grünen nicht entgegenstellen wird. Er legt auch Wert auf die Feststellung, dass die Linke sich nie gegen das Instrument des Vorkaufsrechts gestellt habe. Nur in der Umsetzung sei man nicht immer einer Meinung gewesen.

Doch das Vorkaufsrecht ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jetzt erst einmal Geschichte. Clara Herrmann nennt das »eine Katastrophe« und sieht nun die neue Bundesregierung in der Pflicht. Dem schließt sich ihr künftiger Stellvertreter ausdrücklich an.

Während auf vielen Gebieten nahezu Harmonie herrscht, gibt es einen Bereich, an dem die unterschiedlichen Standpunkte sehr deutlich werden. Es geht um das Thema Verkehr. Zwar sind sich beide einig, dass eine Verkehrswende im Bezirk umgesetzt wird, doch beim Wie gehen die Meinungen auseinander. Clara Herrmann setzt hier voll auf die Initiativen der Kiezblocks. Sie verweist darauf, dass es zwar auch bei der hochumstrittenen Umwandlung der Bergmannstraße sehr heftige Debatten gegeben habe, »aber am Ende hat das mit der Beteiligung sehr gut funktioniert. Wie wir das auf den letzten Metern gemacht haben, kann auch eine Blaupause dafür sein, wie man das in anderen Kiezen angeht.«

Hier widerspricht ihr Oliver Nöll. »In der Bergmannstraße wohnt jetzt nicht gerade das Prekariat«, meint er. Grundsätzlich sind die Linken der Meinung, dass die Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungen mehr mitgenommen werden muss.

Ein großes Thema in ganz Berlin sind die Bürgerdienste. Bürger, die monatelang auf einen Reisepass oder einen Personalausweis warten und dann von Kreuzberg möglicherweise auch noch nach Hellersdorf oder nach Spandau fah­ren müssen, sind keine Ausnahme, sondern fast schon die Regel. Bundesweit gilt das als Paradebeispiel für die dysfunktionale Verwaltung Berlins. Jüngst hatte ausgerechnet der ehemalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Bezirksämter für das Versagen verantwortlich gemacht.

Das macht die beiden Kommunalpolitiker gleichermaßen wütend. Tatsächlich sei die zentrale Terminvergabe ja unter Wowereits Regierung eingeführt worden, die gleichzeitig auch die Mittel so stark gekürzt habe, dass das Personal immer stärker zurückgefahren wurde.

Doch beide belassen es nicht bei Schuldzuweisungen, sondern haben auch ganz konkrete Vorschläge, wie die Situation entschärft werden kann.

»Beim Ausweis zum Beispiel«, meint Clara Herrmann, »würde ich mir wünschen, dass man einen Hinweis vom Bürgeramt bekommt, wenn er ausläuft, und gleichzeitig einen Terminvorschlag für die Verlängerung.«

Oliver Nöll regt an, den Antrag von Personalausweisen und Reisepässen zu digitalisieren. Der Abgleich von Bild und Unterschrift könne dann bei der Abholung geleistet werden.

Da dieser Bereich in die Zuständigkeit des Landes falle, könne der Bezirk aber immerhin versuchen, hier Einfluss zu nehmen. Für neue Verfahren könne der Bezirk auch Vorreiter sein, dazu sei er bereit.

Darüber hinaus glaubt Clara Herrmann, dass Dinge, die immer wieder neu beantragt werden müssen, nicht jedesmal mit einem Gang aufs Bürgeramt verbunden sein sollten. Sie nennt als Beispiel Anwohner-Park­ausweise. »Das könnte man machen wie mit einem Zeitungsabo, das sich auch immer wieder verlängert. Nur wenn sich etwas verändert, müsste man dann noch kommen.«

Um die Arbeit des Bezirks effektiver zu machen, benötigt es allerdings Geld. Und das ist ein Punkt, der ebenfalls beiden Sorgen macht. Während die Kommunen in den Flächenstaaten über eigene Steuereinnahmen, etwa über die Gewerbesteuer, verfügen, hängen die Bezirke Berlins komplett am Tropf des Senats. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit sogar immer wieder Bestrebungen gegeben, die Bezirke als un­ters­te Verwaltungseinheit komplett abzuschaffen. Ein sogenannter Verfassungskonvent soll in der neuen Legislaturperiode das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken klären. Bestrebungen hin zu mehr Zentralismus in Berlin erteilen beide eine entschiedene Absage. Clara Herrmann weist darauf hin, dass sowohl sie selbst als auch Oliver Nöll ja durchaus auf Erfahrungen auf Landes­ebene verweisen können, sie als ehemalige Abgeordnete und er als Bediensteter in der Senatsverwaltung für Soziales.

Allerdings droht jetzt erst einmal Ungemach: Es gibt noch keinen Haushalt, sondern nur einen Senatsbeschluss. »Wenn der zum Tragen kommt, müssen im Bürgeramt Stellen abgebaut werden«, meint Oliver Nöll und Clara Herrmann fügt hinzu: »Das betrifft nicht nur das Bürgeramt, sondern alle Bereiche.

Beide hoffen, dass es soweit nicht kommt. Oliver Nöll erinnert die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey an ihr Versprechen. »Sie hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht und versprochen, dass es allen Berlinern besser gehen wird. Das bedeutet, dass wir an dieser Stelle mehr Geld brauchen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

Alter Wein in neuen Flaschen

Der Wein vom Kreuzberg soll einen neuen Namen bekommen

Weingläser und Weinflaschen der Sorte »Kreuz-Neroberger«Der »Kreuz-Neroberger« und der »Kreuz-Ingelberger« bekommen einen neuen Namen. Archivfoto: rsp

Auf einem Gelände in der Methfesselstraße 10, und damit genau an jenem Ort, an dem Konrad Zuse 1941 die Z3, den ersten binären Digitalrechner, erfand, wachsen am Hang des Kreuzbergs einige Hundert Rebstöcke der Sorten Riesling und Blauer Spätburgunder. Auch wenn am Kreuzberg schon im 15. Jahrhundert Wein angebaut wurde, geht der derzeitige Bestand jedoch auf Spenden der Partnerstädte Wiesbaden, Ingelheim und dem Kreis Bergstraße ab 1968 zurück. Folgerichtig firmierten die im Auftrag des Bezirks angebauten und gekelterten Weine bisher unter dem Namen »Kreuz-Neroberger« (Weißwein) bzw. »Kreuz-Ingelberger« (Rotwein).

Doch spätestens seit der Wein nicht mehr in den Partnerstädten, sondern in Brandenburg gekeltert wird, seien die Namen nicht mehr mit der aktuellen Rechtslage vereinbar, stellte das Bezirksamt fest, und machte bereits im April einen ersten Anlauf zur Umbenennung. Doch der neue Name »01001011«, der dem Binärcode des Buchstaben »K« entspricht und Zuses Erfindung ehren sollte, stieß auf Widerstand, insbesondere vonseiten der SPD-Fraktion, die auf Zuses zumindest fragwürdiges Verhältnis zum Nationalsozialismus verwies und zudem die fehlende Einbeziehung der Partnergemeinden kritisierte.

Im Oktober kündigte das Bezirksamt nun an, dass der neue Name für die Weine im Rahmen einer Art Bürgerbeteiligung gefunden werden soll. Vorschläge können bis Jahresende ein­ge­reicht werden – per Post, per E-Mail oder via Social-Media-Post unter dem Hashtag #xwein. »Partizipation hat für uns einen hohen Stellenwert«, ließ sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann zitieren. Über den endgültigen Namen solle schließlich eine Jury entscheiden.

Partnerschaftsverein beklagt mangelnde Transparenz und Beteiligung

Doch zumindest Norbert Michalski, dem langjährigen Vorsitzenden des »Partnerschaftsvereins Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg e.V.«, der die innerdeutschen Städtepartnerschaften pflegt, geht die Partizipation nicht weit genug. 

Wenige Tage nach der Pressemeldung des Bezirks hat er eine Art Brandbrief verfasst, in dem er dem Bezirksamt mangelnde Transparenz vorwirft. Sein Verein sei durch die Pressemitteilung erstmalig in den Umbenennungsprozess miteinbezogen worden, die Partnerschaftsvereine und Verwaltungen der Partnerstädte seien bislang überhaupt nicht eingebunden oder beteiligt worden. Auch dass sein Verein – wenngleich ohne vorherige Absprache – einen Platz in der Jury haben solle, ändere daran nichts.

Zudem hegt Michalski Zweifel daran, dass eine Umbenennung der Weine tatsächlich erforderlich ist und fordert die Veröffentlichung des juristischen Gutachtens, auf das sich das Bezirksamt offenbar bezieht.

Dem scheidenden Bezirksamt wirft er vor, mit dem angestoßenen Bürgerbeteiligungs- und Umbenennungsprozess vollendete Tatsachen zu schaffen. Dass das neue Bezirksamt die Causa anders bewertet, scheint im Lichte der Wahlergebnisse indessen unwahrscheinlich.

Dem Zwist um die Umbenennung geht eine Änderung der Zuständigkeiten voraus: Bis 2019 wurde das kleine Weingut am Kreuzberg vom Partnerschaftsvereinsmitglied Daniel Mayer gepflegt und die Trauben zum Keltern in die Partnerstädte verbracht. Seit 2020 wird der Wein auf dem Weingut »17morgen« in Dobbrikow in Brandenburg hergestellt, um auf lange Transportwege zu verzichten. Im April hatte das Bezirksamt erklärt, dass mit der Gruppe bzw. einer noch zu gründenden Genossenschaft ein Pflegevertrag abgeschlossen werden soll, der auch die selbstständige Vermarktung des Weines durch die Brandenburger beinhaltet.

Mehr Informationen über den Bürgerbeteiligungsprozess zur Umbennung finden sich unter ­berlin.de/xwein.

Kommentar: Kein Zwist ohne Not

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2021.

Jeden Tag X-Hain-Terrassen

Bezirk stellt Gastro und Einzelhandel wieder Straßenflächen zur Verfügung

Glas mit Aperol Spritz auf einem Tisch auf der StraßeSo romantisch kann ein Abend auf der Straße sein, wenn die Autos verbannt werden und stattdessen der Parkraum möbliert wird.
Foto: rsp

Im Sommer des vergangenen Jahres feierten sie Premiere, die X-Hain-Terrassen. An Wochenenden konnten Gastronomen vor ihrem Betrieb die Parkplätze für sich reklamieren und dort Stühle und Tische aufbauen. Jetzt sind die X-Hain-Terrassen zurück. Mit der Wiedereröffnung der Außen­gastronomie ermöglicht der Bezirk auch wieder die Pop-up-Bestuhlung. Es gibt allerdings einen ganz entscheidenden Unterschied: Die Aktion beschränkt sich nicht mehr nur auf die Wochenenden. Das Angebot gilt nun durchgängig. Alles, was es dafür braucht, ist ein Antrag beim Bezirksamt – und der ist kostenlos.

Aber nicht nur Gastronomen sollen von der Regelung profitieren. Auch der Einzelhandel kann sich um X-Hain-Terrassen bewerben, etwa um Verkaufs- oder Präsentationsstände aufzubauen. Auch soziale Projekte sollen so schnell und unbürokratisch zu Flächen, etwa für Veranstaltungen, kommen.

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, begründet die Rückkehr der X-Hain-Terrassen so: »In den Zeiten der fortlaufenden Corona-Einschränkungen wollen wir den X-Hainer*innen wieder ein kleines Stück mehr Freiheit ermöglichen und Gastronomen helfen, ihren Betrieb durch das Jahr 2021 zu bringen. Wir haben aus den Erfahrungen des Vorjahres gelernt und machen das Angebot an die Gastronomie an allen Wochentagen und nicht nur am Wochenende.« Vorausgesetzt, es gibt in der Corona-Entwicklung nicht noch einmal eine dramatische Kehrtwende, dann gilt die Regelung bis zum 31. Dezember.

Wo es überall X-Hain-Terassen gibt, darüber gibt die Website ­fixmyberlin.de/friedrichshain-kreuzberg/terrassen Aufschluss. Dort kann auch eine X-Hain-Terrasse beantragt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2021.

Dezentral und im August

Bezirk sagt alle Straßenfeste ab, doch der Karneval der Kulturen soll trotzdem stattfinden

Menschenmassen beim Straßenfest des Karnevals der Kulturen 2014So voll wie 2014 sollte ein Straßenfest in diesem Jahr besser nicht werden. Foto: rsp

Die unscheinbare Pressemitteilung vom 22. Januar hatte es in sich: »Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat einstimmig entschieden, dass aufgrund der Corona-Pandemie im Frühjahr und Sommer 2021 im Bezirk keine großen Veranstaltungen oder Feste im öffentlichen Straßenland oder Grünanlagen stattfinden können.« Davon betroffen seien unter anderem das MyFest, der Karneval der Kulturen und das  LesBiSchwule Parkfest im Volkspark Friedrichshain. »In diesem Jahr wird das Bezirksamt die erforderlichen Genehmigungen für das 2. und 3. Quartal nicht erteilen«, heißt es weiter. Solange keine Herdenimmunität vorliege, sei es »keine gute Idee, wieder zu öffentlichen Festen und Großveranstaltungen zu laden«, lässt sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann darin zitieren. »Es wäre das falsche Sig­nal, jetzt mit den Vorbereitungen zu beginnen.«

Tatsächlich scheint es unwahrscheinlich, dass die traditionelle Straßenfestsaison in üblicher Weise begangen werden kann: Die Durchimpfung der Bevölkerung geht wegen verschiedenster Probleme bisher nur schleppend vonstatten, sodass Straßenfeste mit dicht gedrängten Menschenmassen auch in absehbarer Zeit kaum möglich sein dürften.

Bei den Organisatoren des weitaus be­su­cher­stärks­ten Kreuzberger Fests hat man die Hoffnung trotzdem nicht aufgegeben. Ende Januar teilte das Team des Karnevals der Kulturen mit, dass man nach der coronabedingten Zwangspause im vergangenen Jahr in 2021 wieder »ein Zeichen für ein weltoffenes und diverses Berlin setzen« wolle. Der Karneval der Kulturen soll also stattfinden – allerdings in radikal anderer Form und auch erst am 15. August.

Statt einer Großveranstaltung in Kreuzberg plane man mehrere sig­ni­fi­kant kleinere, coronakonforme Veranstaltungen, die über die ganze Stadt verteilt werden sollen.

Planung für coronakonformen Karneval der Kulturen ist noch ganz am Anfang

»Mini-Karneval« als Demo auf der Gneisenaustraße Ende Mai 2020»Mini-Karneval« Ende Mai 2020. Foto: Frank Löhmer

Dass auch im August »keine Millionenveranstaltung stattfinden kann«, sei natürlich klar, erklärte Christiane Dramé von der PR- und Projektmanagementagentur Fabrikpublik auf Rückfrage. Man sei noch ganz am Anfang der Planung, mache sich aber bereits seit geraumer Zeit Gedanken über Alternativen und sei im Gespräch mit der Senatsverwaltung.

Viele Events der letzten Monate sind wegen der Pandemie in hybrider oder sogar rein digitaler Form durchgeführt worden. Abgesehen von der Medienpartnerschaft mit dem rbb, der in den vergangenen Jahren auch Livestreams vom KdK angeboten hat, sei der Karneval jedoch »eine zutiefst analoge Veranstaltung«. Deswegen sei man bemüht, eine Form zu finden, die, wenn irgend möglich, zumindest »an den Karneval erinnert«.

Wie das genau aussehen könnte, ist sechseinhalb Monate vor dem avisierten Termin freilich noch unklar. Während kleinere, über die Stadt verteilte Bühnen noch vorstellbar sind, dürfte es schwierig werden, den normalerweise am Pfingstsonntag stattfindenden Umzug zu miniaturisieren. Im vergangenen Jahr hatte es statt des abgesagten Karnevals zwar einen Mini-Umzug durch die Gneisenaustraße gegeben – angemeldet als Demo – aber in diesem Jahr kommt erschwerend hinzu, dass auch die beteiligten Gruppen bis auf Weiteres keine Gelegenheit haben, für Auftritte zu proben. Es bleibt also weiterhin spannend, was der Sommer bringt.

Kommentar zur Absage durch das Bezirksamt: Klare Haltung, falsches Signal

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2021.

Die Zeit des Autos ist vorbei

Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr

Bergmannstraße mit Radstreifen, Fußgängerzone und »Bächle«Alles fließt – außer dem Autoverkehr. So oder so ähnlich könnte die Bergmannstraße ab 2025 aussehen. Grafik: raumscript

»Die Vormachtstellung des Autos und die Zeit der autogerechten Stadt sind vorbei«, mit diesen klaren Worten begründet die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, die Neugestaltung des gesamten Bergmannkiezes. Nur noch Anwohner und begrenzt der Lieferverkehr dürfen in Zukunft durch den Bergmannkiez fahren – und auch das nicht schneller als mit 20 km/h.

Mit dem Beschluss des Bezirksamtes wird ein Schlusspunkt unter einen fast zehnjährigen Prozess gesetzt, in dem es ursprünglich nur darum ging, eine Begegnungszone in der Bergmannstraße zu schaffen.

Wie er im Detail umgesetzt wird, soll ein städtebaulicher Wettbewerb klären, doch die Rahmenbedingungen, die der Bezirk gesetzt hat, scheinen schon sehr deutliche Signale zu setzen.

So wird es zwei Fußgängerzonen geben. Zum einen die Bergmannstraße von Nostitz- bis Schleiermacherstraße mit einem Teil der Solms- und der Schenkendorfstraße, sowie zum anderen rund um den Chamissoplatz.

Durch die Bergmannstraße wird die Fahrradstraße zweispurig fortgesetzt. Und dann soll da noch ein Bächlein durch die Bergmannstraße fließen. Das Vorbild dafür ist, zumindest für Süddeutsche, unschwer zu erkennen: Freiburg im Breisgau, wo die »Bächle« seit Jahrhunderten zum Stadtbild gehören. Und Freiburg ist schließlich politisch gesehen kaum weniger grün als Kreuzberg.

Die Bezirksbürgermeisterin sieht in dem Vorhaben ein wegweisendes Projekt für die Zukunft: »Der Bergmannkiez wird unser Modellprojekt für den Kiez der Zukunft. Hier werden wir in den nächsten Jahren sehen, wie wir in der Innenstadt besser miteinander leben können: mit weniger Durchgangsverkehr, mehr Grün und einer klimafreundlich gestalteten Fußgänger*innenzone in der Bergmannstraße.«

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Was lange währt, wird autofrei

Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu

War es das jetzt? Das Bezirksamt hat nun beschlossen, wie die Bergmannstraße in Zukunft aussehen soll. Vorbehaltlich der Zustimmung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wird die Bergmannstraße nach einem städtebaulichen Wettbewerb umgestaltet. Zwischen Nostizstraße und Schleiermacherstraße wird sie für den motorisierten Verkehr gesperrt. Nur noch Lieferverkehr wird in einem engen Zeitfenster erlaubt sein. Von Parklets, Findlingen und neongrünen Punkten ist keine Rede mehr, dafür soll ein munteres Bächlein durch die Bergmannstraße plätschern – und ein zweispuriger Radstreifen die Fahrradstraße der östlichen Bergmannstraße quasi verlängern.

Damit neigt sich ein Prozess dem Ende zu, der im Grunde mit der erwähnten Fahrradstraße seinen Anfang nahm. Die wurde 2008 eingeweiht. Sie mündet bis heute in den Kreuzungsbereich Friesen-/Bergmannstraße. Schon damals tauchte die Frage auf: Warum? Wäre es nicht logisch und sinnvoll gewesen, die Fahrradstraße bis zum Mehringdamm zu verlängern? Aus Sicht des Bezirks beginnt die Bergmannstraßen-Saga allerdings erst drei Jahre später mit der »Phase null«, in der bis 2014 mit »wichtigen politischen Entschlüssen die Grundlage für das Verfahren geschaffen« wurde. Damals tauchte erstmals der Begriff »Begegnungszone« auf. Drei Orte wurden benannt, wo sie ausprobiert werden sollte: Die Maaßenstraße in Schöneberg, die Bergmannstraße und der Checkpoint Charlie in Kreuzberg. Letzteres Projekt scheint aber in der Versenkung verschwunden zu sein.

Die Maaßenstraße wurde umgestaltet, doch das Ergebnis machte kaum jemanden froh. In der Bergmannstraße sollte alles anders laufen. Alle Elemente sollten zunächst provisorisch installiert werden und erst nach intensiver Bürgerbeteiligung und -befragungen sollte eine Entscheidung fallen.

Es folgte die Erprobungsphase, die zuerst zwei große, massive Holzparklets und anschließend viele kleine Metallparklets und neon­grüne Punkte auf der Bergmannstraße hinterließ. Ein Konsens wurde nicht erzielt, die Emotionen kochten so hoch, dass am Ende das Pilotprojekt vorzeitig abgebrochen wurde.

Was nun übrig bleibt, ist eine erweiterte Fußgängerzone, die Sperrung des gesamten Bergmannkiezes für motorisierte Nichtanlieger und viele, viele Einbahnstraßen.

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
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Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Wildwest in der Körtestraße

Der Kampf um die Fahrradstraße

Absperrung in der KörtestraßeDurchfahrt verboten? Viele Autofahrer interessiert das einfach nicht. Foto: psk

Das Bild im Newsletter des Tagesspiegels entbehrte nicht einer gewissen Dramatik. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann stellte sich mitten in der Nacht in der Körtestraße einem BMW in den Weg. Tatsächlich muss es an jenem Abend zu dramatischen Situationen gekommen sein, als das Bezirksamt auf sehr unkonventionelle Art und Weise das neue Durchfahrtsverbot durch die Körtestraße durchsetzen wollte. Es hatte schon den Hauch eines Showdowns im Wilden Westen.

Zur Vorgeschichte gehört, dass die Körtestraße bis vor kurzem eine der wichtigen Querspangen zwischen den Hauptmagistralen Urban- und Gneisenaustraße war. Doch seit sie zur Fahrradstraße umgewidmet wurde, ist der Autoverkehr eigentlich nur noch für Anlieger gestattet. Doch Schilder alleine, so eine bittere Erkenntnis, machen noch keine Fahrradstraße. Bis zum 15. August hoffte der Bezirk noch auf die Einsicht der Autofahrer. Eine Beinahekatastrophe änderte alles. Gegen 20 Uhr raste damals ein weißer Audi R8 durch die Körtestraße Richtung Urbanstraße. Die Einmündung von der Körte- in die Fichtestraße wurde dem Raser zum Verhängnis und um ein Haar auch einer mehrköpfigen Familie, die beinahe von dem Sportwagen erfasst worden wäre. Dafür nietete das Auto »nur« zwei Verkehrsschilder um. Der 22-jährige Fahrer war ohne Führerschein und auf der Flucht vor der Polizei.

Trotzdem war der Unfall der Anlass für das Bezirksamt, in der Körtestraße auf ganz andere Art und Weise Gas zu geben. So sollen Autofahrer in Zukunft nicht nur mit Schildern ausgebremst werden. Eine breite Barriere bestehend aus Blumenkübeln, Absperrbaken und Schildern auf Höhe der Freiligrathstraße soll den Autofahrern die Lust an der Durchfahrt nehmen. Doch die Fahrer zeigen sich widerspenstig.

Bauliche Veränderungen bewegen bislang wenig

Selbst die baulichen Veränderungen haben kaum etwas an der Situation geändert. Schließlich schritt Monika Herrmann höchstpersönlich zur Aufhaltemission. Gemeinsam mit Felix Weisbrich vom Straßen- und Grünflächenamt versuchte sie, die Autofahrer über die neue Situation aufzuklären. Statt Einsicht ernteten die beiden häufig »Hass, Drohungen und Ignoranz«, wie ein Augenzeuge auf Twitter berichtete.

Auch die KuK hat sich wenige Tage später die Situation angesehen, allerdings bei Tag. Das Ergebnis ist ganz ähnlich: Manchmal umfuhren fünf Wagen hintereinander die Sperre in sportlichem Schlenker, um sich am Südstern in die Schlange an der roten Ampel einzureihen. Anlieger? Definitiv nein. Beim Versuch, die Verkehrssituation zu fotografieren, tritt ein Fahrer beherzt aufs Gaspedal. Die obszöne Geste bleibt an diesem Tag kein Alleinstellungsmerkmal.

Auch die neuen Markierungen auf der Straße machen jetzt jedem Autofahrer deutlich, dass er sich auf einer Fahrradstraße befindet und damit als Verkehrsteilnehmer nachrangig ist. Manche Radler nutzen das und fahren bewusst nebeneinander. Sie bilden sozusagen ein rollendes Verkehrshindernis. Doch möglicherweise braucht es noch mehr als das.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2020.

Die meisten Brunnen sind kaputt

Mitten in der Jahrhunderthitze macht Kiez und Kneipe den großen Schwengelpumpentest

Seltene Glücksmomente für Bienenschützer und die Freunde von Straßenbäumen: Das Wasser fließt! Hier an der Ecke Schleiermacher- / Blücherstraße. Foto: ksk

Unauffällig stehen sie am Gehsteigrand. Wer nicht bewusst auf sie achtet, sieht sie oft gar nicht. Wahre Kunstwerke sind darunter, zum Beispiel die alten Lauchhammerpumpen aus dem 19. Jahrhundert mit dem Fischkopf, dem Drachenkopf oder dem Pelikan. Berlin hat einen großen Schatz: Es sind an die 2000 von der öffentlichen Wasserversorgung unabhängige Straßenbrunnen.

Die Idee mit den Pumpen geht auf den Großen Kurfürsten zurück, der 1666 »für Berlin und Cölln die Ordnung feststellte, welche bei der Benutzung und Unterhaltung der öffentlichen Straßenbrunnen beobachtet werden sollte«, wie der Historiker Ernst Fidicin später berichtete. Heute existieren in Kreuzberg noch rund 100 und in Friedrichshain knapp 50 davon.

Sie heißen im Volksmund »Plumpe«, liefern nur Brauchwasser und dienen in Zeiten, in denen das Trinkwasser auf Knopfdruck sprudelt, als eine Art Notwasserversorgung für Krisenfälle. Etwa die Hälfte gehört dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, die andere dem Land.

Natürlich können Kinder an so einer Pumpe auch wunderbar herumplanschen. Und sie könnten die Geheimwaffe gegen trockene Sommer, gegen dürstende Straßenbäume und dahinwelkende Wildblumen sein. Wenn, ja wenn die wunderbaren Pumpen nur funktionieren würden. Denn das tun sie häufig nicht.

Mitten in der Jahrhunderthitze hat die KuKden großen Plumpentest gemacht. Im engeren Verbreitungsgebiet existieren laut Plan 34 solcher Pumpen. Zwei davon wurden ohnehin entfernt. Von den übrigen 32 Straßenbrunnen spenden lediglich elf frisches Wasser. Die restlichen 21 sind versiegt.

Wie Pumpe Nummer 4 am Marheinekeplatz. »Die ist schon lange kaputt«, klagt eine Frau, die auf dem Flohmarkt einen Stand mit Playmobilfiguren betreibt. »Wenn Touristen kommen, sag ich immer: Pass auf, sonst fällt dir der Schwengel noch auf den Kopf!« Nummer 52 am Chamissoplatz war ein Jahr lang tot, jetzt geht sie wieder. »Aber die ist so schwergängig, dass ich immer Leute zum Helfen brauche«, beschwert sich eine Frau, die dort Blumen einpflanzt.

Der Pumpentyp »Lauchhammer I« von 1895 mit dem berühmten Fischmaul. Hier vor der Nostitzstraße 49. Foto: ksk

Laut Bezirksamt kostet die Reparatur einer Pumpe nur zwischen 2000 und 10 000 Euro. Warum werden sie nicht flächendeckend alle wieder in Gang gebracht? Vor allem der Bund lässt sich damit Zeit. Tatsächlich haben beim KuK-Test von den 18 Landesbrunnen im Kiez immerhin acht, von den 14 Bundesbrunnen aber nur drei funktioniert.

Es sei in den letzten Jahren ein »erheblicher Investitionsstau« entstanden, gibt das Bonner Bundesamt für Bevölkerungsschutz zu. Gegen das Wässern von Straßenbäumen hat man dort nichts einzuwenden. Allerdings bestehe kein Anspruch auf eine »irgendwie geartete Lieferleistung«.

Derweil hat der Bezirk wieder alle Bürger dazu aufgerufen, angesichts der herrschenden Trockenheit bei der Rettung der Straßenbäume mitzuhelfen. »Jeder Liter zählt«, so Stadtrat Florian Schmidt. Zwei bis drei Eimer pro Baum und Tag sollten es mindestens sein. Woher das Wasser kommen soll, erklärt er nicht. Notfalls eben von der Rentnerin aus dem fünften Stock.

Letzten Sommer wurde noch eine Karte der Schwengelpumpen publiziert. Traut man sich offenbar gar nicht mehr. Hülfe auch wenig genug – die meisten sind ohnehin außer Betrieb.

 

 

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2019.

Politischer Wille vorhanden, Schilder nicht

Parkraumbewirtschaftung im Bergmann- und Viktoriakiez kommt erst im Januar

Parkscheinautomaten gibt es schon in den Parkzonen. Foto: rsp

Die Einführung der Park­raum­be­wirts­chaf­tung im Bergmann- und Viktoriakiez wird sich weiter verzögern. Ursprünglich sollte das Parken in den neuen Zonen 60 und 61 bereits ab dem 1. Oktober gebührenpflichtig werden. Wie das Bezirksamt mitteilte, gab es jedoch Probleme mit der notwendigen Beschilderung. Zunächst habe man den Aufwand für die Planung unterschätzt. Außerdem mussten die Aufträge für die Aufstellung der Schilder zweimal ausgeschrieben werden, da bei der ersten Runde kein Angebot eingegangen sei. Als der Auftrag schließlich vergeben werden konnte, sei es zu Lieferengpässen gekommen.

Voraussichtlich Mitte Dezember sollen die noch fehlenden Schilder geliefert werden. Offizieller Start der Parkraumbewirtschaftung wird dann – mit Rücksicht auf den Jahreswechsel – der 4. Januar sein. Bereits gekaufte oder beantragte Anwohnervignetten sind automatisch bis zum 31. Januar 2021 gültig.

Viele Anwohner außerhalb der Geltungsbereiche fordern indessen eine Ausweitung der Zonen, da sie »Parktourismus« befürchten und selbst auch keinen Anwohnerparkausweis beantragen können. Dazu sei der politische Wille zwar vorhanden, doch mit einer zeitnahen Einführung weiterer Zonen ist trotzdem nicht zu rechnen.  Wie das Bezirksamt in seiner FAQ vorrechnet, dauere der dafür notwendige Untersuchungsprozess »rund zwei Jahre«, solle aber immerhin »noch im Jahr 2019« beauftragt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2018.