Rund eine Stunde Arbeit pro Vorgang

Acht Bezirke fordern Amtshilfe zur Rückerstattung von Sondernutzungsgebühren

Sondernutzung wird gebührenfrei – doch bei der Rückerstattung für 2023 hapert’s. Archivfoto: rsp

Wenn Wirte Tische und Stühle vor die Tür stellen wollen, so kostet sie das ein paar hundert Euro pro Jahr, zumindest wenn dabei öffentliches Straßenland involviert ist. Für 2024, so ein Beschluss des Senats vom Dezember vergangenen Jahres, soll auf die Gebühr für die Genehmigung der Sondernutzung verzichtet werden, um die von Corona, Inflation und steigenden E­ner­gie­kosten gebeutelten Gastronomiebetriebe zu unterstützen. Die Bezirke wiederum, denen die Gebühren bisher zugutekamen, sollen das fehlende Geld stattdessen vom Senat erhalten – soweit die gute Nachricht.

Doch der Senat hat auch eine Rückerstattung von Gebühren für 2023, die ab Mai letzten Jahres bereits bezahlt wurden, beschlossen. Genauer gesagt: Er hat sie »in den Ermessensspielraum der Bezirke« gestellt. Und hier geht das Problem erst so richtig los.

Von einem Ermessensspielraum könne nämlich gar keine Rede sein, schreiben die Bezirksbürgermeister und Stadträte von acht Bezirken in einem Brief an den Senat. Unter Federführung von Friedrichshain-Kreuzberg haben sich die Bezirke mit einem Amtshilfeersuchen an die zuständigen Senatorinnen Manja Schreiner und Franziska Giffey gewandt. Darin machen sie eine ganz andere Rechnung auf: Rund 10.000 Vorgänge seien insgesamt berlinweit betroffen (davon allein in Friedrichshain und Kreuzberg rund 1.000). All diese Vorgänge müssten nun einzeln rückabgewickelt werden. Wie das Bezirksamt auf Rückfrage mitteilte, gehe man von rund einer Stunde Arbeitszeit pro Vorgang aus.

Der Grund für den hohen Zeitaufwand sei vor allem, dass die Genehmigungen für die Sondernutzung in der Regel für mehrere Jahre beantragt und erteilt würden, so dass zusätzlicher bürokratischer Aufwand bei der anteiligen Rückerstattung entstünde.

Bezirke hatten schon im Dezember Bedenken geäußert

»Dies ist mit den knappen personellen Ressourcen, mit denen die Bezirke ausgestattet sind, schlichtweg unmöglich«, begründen die Bezirke das Amtshilfeersuchen. »Mitarbeitende aus dem Straßen- und Grünflächenamt würden monatelang ausschließlich mit der Rückabwicklung der Gebühren beschäftigt sein, anstatt ihren regulären Aufgaben nachzukommen.«

Im Vorfeld des Erlasses der Sondernutzungsgebühren für 2023 habe der Senat keine Rücksprache mit den Bezirken gehalten, betont Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann in einer Pressemitteilung. »Als Bezirke sind wir in der Umsetzung dieser Entscheidung auf die Unterstützung aus den zuständigen Senatsverwaltungen angewiesen.«Selbstverständlich müsse dabei weiterhin die Zusage gelten, dass den Bezirken keine Kosten anfallen und die Einnahmenausfälle erstattet werden.

Bereits im Dezember hatten die zuständigen Stadträte dem Senat gegenüber rechtliche Bedenken zum Erlass der Gebühren geäußert.

Das Amtshilfeersuchen bezieht sich ausdrücklich nur auf die umstrittene Rückerstattung für das Jahr 2023. Der Erlass der Gebühren für 2024 ist davon nicht betroffen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2024.

Und nochmal an die Urne

In 18 Kreuzberger Wahlkreisen wird die Bundestagswahl wiederholt

Die kombinierte Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl im September 2021 verlief in vielen Berliner Wahllokalen ausgesprochen chaotisch. Nachdem im Februar 2023 wegen der zahlreichen Wahlpannen bereits die komplette Berlin­wahl wiederholt werden musste, hat das Bundesverfassungsgericht nun entschieden, dass in 455 der insgesamt 2.257 Berliner Wahlbezirke auch die Bundestagswahl wiederholt werden soll, und zwar am 11. Februar 2024.

Wahlbezirk(e) Wahllokal Adresse PLZ
124, 125 Adolf-Glaßbrenner-Grundschule Hagelberger Str. 34 10965
225, 226 Aziz-Nesin-Grundschule Urbanstr. 15 10961
201 Bezirksamt FK Schlesische Str. 27A 10997
128 129 Charlotte-Salomon-Grundschule Großbeerenstr. 40 10965
204 Fichtelgebirge-Grundschule Görlitzer Ufer 2 10997
217 Hermann-Hesse-Gymnasium Böckhstr. 36 10967
210, 213, 214 Hunsrück-Grundschule Manteuffelstr. 79 10999
223 Jugendtreff Drehpunkt Urbanstr. 44 10967
116 Leibniz-Gymnasium Schleiermacherstr. 23 10961
224 Lemgo Grundschule Böckhstr. 5 10967
208 Rosa-Parks-Grundschule Reichenberger Str. 64 10999
318, 320 Stadtteilzentrum des Kotti e.V. Oranienstr. 34 10999

In Kreuzberg sind 18 Urnenwahlbezirke sowie die dazugehörigen 28 Briefwahlbezirke betroffen (siehe Tabelle). Wer sich nicht mehr an die Nummer seines Wahlbezirks erinnert, kann auf der Seite des Landeswahlleiters nach seiner Adresse suchen. Wahlberechtigt sind die Personen, die zum jetzigen Zeitpunkt in den entsprechenden Wählerverzeichnissen stehen – also auch in den Monaten nach der Bundestagswahl zugezogene Menschen, nicht aber solche, die mittlerweile anderswo wohnen.

Gewählt wird wie gewohnt mit der Erststimme ein*e Direktkandidat*in und mit der Zweitstimme die Landesliste einer Partei. Dabei stehen dieselben Personen zur Wahl wie zur Bundestagswahl 2021. Canan Bayram (Grüne), die mit großem Abstand das Direktmandat für den Wahlkreis 83 gewonnen hat, wird um dieses nicht bangen müssen. Anders sieht es beim Zweitplatzierten Pascal Meiser (Linke) aus, der bei einem deutlich schlechteren Abschneiden seiner Partei in Kombination mit einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung womöglich seinen über die Landesliste gewonnenen Sitz wird abgeben müssen. Cansel Kiziltepe (SPD), die ihr über die Landesliste ihrer Partei gewonnenes Bundestagsmandat mittlerweile zugunsten der Position als Berliner Senatorin für Arbeit und Soziales niedergelegt hat, steht ebenfalls wieder zur Wahl und müsste ggf. ihr Mandat ablehnen, wenn sie weiter Senatorin bleiben möchte.

Benko hört die Signa-le

Zukunft von Karstadt am Hermannplatz erneut ungewiss

Niemand weiß genau, was die Zukunft für Warenhaus und Gebäude bereithält. Foto: rsp (Archiv)

Nach zwei Insolvenzverfahren innerhalb von nur drei Jahren (April 2020 und Oktober 2022) steht die Zukunft des Karstadt-Kaufhauses am Hermannplatz (das seit einiger Zeit als »Galeria« firmiert) einmal mehr auf der Kippe. Medienberichten zufolge kämpft die Signa-Gruppe des österreichischen Inves­tors René Benko, die den Warenhauskonzern 2019 übernommen hat, seit Monaten mit Liquiditätsproblemen. Ende November hatte zunächst die Signa Real Estate Management Germany, die zur Immobiliensparte des Konzerns gehört, Insolvenz angemeldet. Am 29. November folgte dann der Insolvenzantrag der Holding-Gesellschaft. Benko selbst war am 8. November auf Drängen der wichtigsten Sig­na-Gesellschafter von seinem Amt als Beiratsvorsitzender der Signa Holding zurückgetreten.

Unklar ist jetzt insbesondere auch, was aus dem umstrittenen Pres­tigeprojekt des Konzerns am Hermannplatz wird. Signa plant hier einen Neubau des Karstadt-Gebäudes in historischer Art-déco-Anmutung, Kritiker befürchten Verdrängungseffekte. Derzeit entwirft der Senat hierfür einen Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren, der für eine enorme Wertsteigerung der Bestandsimmobilie sorgen dürfte. Möglich wäre, dass der angeschlagene Konzern dann lieber verkauft statt selbst zu bauen. Der Senat hatte dem sogenannten »vorhabenbezogenen Bebauungsplan« im Zuge der ersten Galeria-Insolvenz 2020 zugestimmt. Im Gegenzug hatte sich Signa verpflichtet, vier von einer Schließung bedrohte Warenhäuser in Berlin weiterzubetreiben – allerdings nur bis Januar 2024. Auch die zugesagte Kapitalspritze an die Warenhauskette ist bisher nicht erfolgt.

Seit Jahren Kritik an Neubau und Senats-Deal

In der Bezirkspolitik hatte sich schon früh Kritik an dem Bauvorhaben der Signa geregt. Bereits im August 2020 hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine Resolution verabschiedet, die sich gegen das Ansinnen des Senats wandte, das Planungsvorhaben am Hermannplatz an sich zu ziehen. In dem zwischen Senat und Signa vereinbarten »Letter of Intent« gäbe es »keinerlei Zusagen über den Behalt der jetzigen Verkaufsfläche von Karstadt in der Zukunft oder eine Garantie für die jetzigen Beschäftigten während der Bauphase«.

Vor einem Jahr – kurz nach dem zweiten Insolvenzantrag der Galeria und nachdem es zu Ermittlungen der österreichischen Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Personen und Verbände aus dem Signa-Umfeld  gekommen war – beauftragte die BVV das Bezirksamt, sich gegen den Neubau einzusetzen. Erneut wurde der Deal zwischen Senat und Signa kritisiert: »Öffentlich-rechtliche Verträge, die staatliche Verpflichtungen im Gegenzug zu sachfremden Leistungen garantieren, sind nicht ohne Grund verboten«, heißt es in dem Beschluss.

Zuletzt sprach sich die BVV im Juni gegen den Monumentalbau aus. Schon im vergangenen Jahr war es bei Hochhausbauarbeiten (eines anderen Investors) am Alexanderplatz zu einer Absenkung des Bahnhofs beziehungsweise der U2 um mehrere Zentimeter gekommen – mit den entsprechenden Auswirkungen auf den U-Bahnbetrieb. Die BVV fürchtet nun Ähnliches beim Karstadt-Neubau. Es bestünde die Gefahr, dass der Betrieb der Linien U7 und U8 und das Funktionieren des Verkehrsknotenpunkts Hermannplatz beeinträchtigt würden. Das träfe über 800.000 Fahrgäste pro Woche.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2023.

Vom Bürgeramt der Zukunft

Bezirk stellt Projekt in der Schlesischen Straße vor

Oliver Nöll, Martina Klement und Ernst BürgerDas Bürgeramt der Zukunft stellten (v.l.n.r.) Oliver Nöll, Martina Klement (Senat) und Ernst Bürger (Bundesinnenministerium) in der Schlesischen Straße vor. Foto: psk

Wenn es ein Symbol für die angeblich dysfunktionale Verwaltung in Berlin gibt, dann ist es der häufig frustrierende Versuch, einen Termin bei einem Bürgeramt zu bekommen. Von Wartezeiten von bis zu vier Monaten war schon die Rede, nur um an einen Personalausweis oder einen Reisepass zu kommen.

Als vor knapp zwei Jahren der heutige stellvertretende Bezirksbürgermeister Oliver Nöll als Stadtrat für Soziales auch noch die Bürgerdienste erbte, setzte er sich das ehrgeizige Ziel, den Stau auf den Bürgerämtern aufzulösen. Dieses Ziel scheint zwar noch nicht erreicht, aber immerhin ist der Plan soweit vorangeschritten, dass man nun der Öffentlichkeit »Das Bürgeramt der Zukunft« präsentieren konnte.

Mit im Boot bei diesem Projekt sitzen Bund und Land. Beide hatten Vertreter ins Ausbildungsbürgeramt in der Schlesischen Straße geschickt, wo vorgestellt wurde, wie das Bürgeramt der Zukunft aussehen soll. 

Doch um diese Zukunft sinnvoll zu gestalten, war es zunächst notwendig herauszufinden, woran es eigentlich hakt. Diese Aufgabe hatte das CityLab übernommen und dabei einige überraschende Erkenntnisse gewonnen. Unter anderem sind an den langen Wartezeiten auch Bürger schuld, die zwar einen oder möglicherweise auch mehrere Termine buchen, dann aber nicht erscheinen.

Dieses Problem wurde mit einem Check-in-System angegangen, das Oliver Nöll mit den bekannten Systemen auf einem Flughafen vergleicht. Das neue System wurde zunächst an zwei verschiedenen Standorten getestet.

Bearbeitungsplätze bekommen Fototerminals

Bürger, die nun zu einem Termin kommen, werden eingecheckt. Das spart Zeit, weil man nicht auf Kunden wartet, die gar nicht erschienen sind. »Sowohl im Ausbildungsamt in der Schlesischen Straße, als auch im Bürgeramt in der Yorckstraße konnten wir zehn Prozent mehr Termine in der Testphase abarbeiten«, berichtet Oliver Nöll, der aber auch noch an anderer Stelle Potenzial sieht, Zeit einzusparen. Oft seien die mitgebrachten Bilder für Ausweis, Pass oder Führerschein unzureichend. Bürger müssten dann wieder weggeschickt und ein neuer Termin vereinbart werden. Fest installierte Fototerminals sollen das in Zukunft vermeiden. Die Terminals werden in den nächsten Wochen zunächst in der Schlesischen Straße installiert.

Wer einen Personalausweis oder einen Reisepass beantragt, muss bislang zwei Termine vereinbaren: Einen für den Antrag und einen für die Abholung. In Zukunft sollen Bürgerinnen und Bürger nur noch zur Antragstellung einen Termin vereinbaren müssen. Abholboxen werden es ermöglichen, terminunabhängig an die Dokumente zu kommen.

Schließlich sind auch noch Terminals geplant, an denen Dienst­leis­tun­gen, etwa ein Führungszeugnis, direkt abgerufen werden können. Zum Teil ist das allerdings heute auch schon vom heimischen PC aus möglich.

Die Neuerungen sollen bis 2024 sukzessive eingeführt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2023.

Gebrauchte Geisteswissenschaften

Im Antiquariat Minx in der Bergmannstraße gibt es noch einige Buchschätze zu heben

Was wäre die Welt ohne Bücher? Sicherlich ein ganzes Stück langweiliger und dümmer. In dieser Reihe stellen wir Orte vor, an denen es Literatur zum Anfassen und Erleben gibt: Ob Belletristik, Sachbuch, Kochbuch, Lyrikband oder Fachbuch – Kreuzberger Buchhandlungen haben für jeden die passende Horizont­erweiterung im Angebot.

Antiquar Rainer Minx zwischen vollen Regalen und Bananenkisten voller alter Bücher.Antiquar Rainer Minx zwischen vollen Regalen und Bananenkisten voller alter Bücher. Foto: rsp

Rund 25.000 Bücher dürften es sein, die in den Räumen des Antiquariats an der Ecke Bergmannstraße/Schenkendorfstraße auf neue Leser warten. Ganz so genau kann Rainer Minx, der das Geschäft seit 23 Jahren zusammen mit Mitinhaber Wilhelm Fetting betreibt, es nicht sagen; die Rechengröße des Antiquars ist die Bananenkiste – und von denen gibt es auf den rund 80 Quadratmetern etliche zwischen den vollen Regalen. Weitere Bestände finden sich in Minx’ Zweitladen ein paar Meter die Schenkendorfstraße hinauf sowie in einem weiteren Antiquariat in der Bücherstadt Wünsdorf in Brandenburg.

Auch wenn – auch und gerade unter den bei gutem Wetter vorm Laden aufgestellten Büchern – einige belletristische Titel und sogar Musik-CDs dabei sind, liegt der Fokus des Geschäfts doch eindeutig bei den Geisteswissenschaften: Theater und Kultur, Philosophie und Psychologie, Theologie, Judaica und eine ganze Menge Bücher, die sich mit Marxismus beschäftigen.

Das ist heutzutage, das sagt auch Rainer Minx, nicht gerade das, was sich besonders gut verkauft. Richtige Sammler gäbe es kaum noch, und jüngere Menschen würden gar nicht erst auf die Idee kommen, sich eine eigene Bibliothek aufzubauen.

Und doch gibt es immer wieder Menschen, die in dem Laden auf Entdeckungsreise gehen und den einen oder anderen Schatz heben – und damit den zynischen Fatalismus des passionierten Buchhändlers Lügen strafen. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert!

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2023.

Am Ende bleiben tiefe Gräben

Mehrheit für die große Koalition spaltet die Genossen von der SPD

Hannah Lupper und Niklas Kossow (SPD) vor der Redaktion der Kiez und KneipeHannah Lupper und Niklas Kossow von den Kreuzberger Sozialdemokraten. Foto: psk

Katerstimmung herrsch­te bei den SPD-Genossen in Kreuzberg nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Mitgliederbefragung zur großen Koalition in Berlin. Mit 54,3 Prozent stimmte die Basis für den Koalitionsvertrag. In Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich bei einer Kreisdelegiertenkonferenz eine Mehrheit gegen ein Bündnis mit der Union ausgesprochen.

»Das Ergebnis akzeptieren wir«, erklärte Niklas Kossow, Vorsitzender der Abteilung Südstern. »Das Ergebnis ist knapp. Die Partei hat sich mit der Entscheidung schwergetan.« Die Partei müsse sich nun neu aufstellen, um wieder zu­ein­an­der­zu­finden.

Doch das wird nicht einfach werden, wie die Vorsitzende des benachbarten Ortsvereins, der Abteilung Kreuzberg 61, meint. Hannah Lupper war in den letzten Wochen zu einer der wichtigsten Protagonistinnen der NoGroKo-Kampagne in der Berliner SPD geworden. Sie sieht durch das knappe Ergebnis die Führung der Landes-SPD beschädigt. »Der Landesvorstand hat es geschafft, Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister zu machen und sich gleichzeitig zur Disposition zu stellen.«

Im Vorfeld hatte Hannah Lupper beklagt, dass der Landesvorstand auf einzelne Mitglieder e­nor­men Druck ausgeübt habe. So sind tiefe Gräben zwischen der Landesspitze und einzelnen Kreis- und Ortsvereinen aufgerissen worden. Die Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh hatten auf einer Pressekonferenz angekündigt, auf die unterlegene Seite zuzugehen. Allerdings hat Hannah Lupper Zweifel daran, ob das den beiden gelingen kann.

Für einen gewissen Vertrauensvorschuss warb dagegen Niklas Kossow, der glaubt, dass sich die neue Regierung nun beweisen müsse, und zeigen, dass sie zu einer progressiven Politik überhaupt in der Lage sei.

Was wird aus der Cannabis-Legalisierung?

Als Nagelprobe betrachten beide Ortsvereinsvorsitzende das Thema Cannabis-Legalisierung. Eine Enthaltung Berlins im Bundesrat könnte dieses neue Gesetz auf den letzten Metern zu Fall bringen. Das hätte gerade für Friedrichshain-Kreuzberg massive Folgen. Der Bezirk bereitet sich nämlich bereits darauf vor, als Modellprojekt diesen neuen Weg in der Drogenpolitik zu begleiten. »Es wäre ja ein Treppenwitz, wenn das neue Gesetz am Ende ausgerechnet an Berlin scheitern würde«, sagt Hannah Lupper.

Sie wird das Geschehen in der Bezirksverordnetenversammlung dann übrigens nur noch als einfaches Mitglied ihrer Fraktion verfolgen und nicht mehr als ihre Vorsitzende. Wenige Tage vor dem Abstimmungsende über den Koalitionsvertrag hatte die SPD-Fraktion in der BVV einen Wechsel der Fraktionsspitze bekanntgegeben. Tessa Mollenhauer-Koch folgt Hannah Lupper im Amt nach.

Schnell hatte das Gerücht die Runde gemacht, die bisherige Vorsitzende sei für ihre Opposition gegen den Koalitionsvertrag abgestraft worden. Sie selbst allerdings hat diesen Verdacht entkräftet. Der Wechsel sei schon länger besprochen gewesen. Nach zwei aufreibenden Wahlkämpfen innerhalb von anderthalb Jahren wolle sie nun einfach ein wenig kürzer treten. Abteilungsvorsitzende von Kreuzberg 61 will sie allerdings bleiben.

Immerhin gibt es in den nächsten dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Berlinwahl noch genug zu tun. So sind nicht nur innerhalb der SPD Gräben aufgerissen worden, auch zwischen SPD und Grünen herrscht nun Eiszeit. Wenn sie wieder ein politischer Partner werden wollen, »dann müssen wir die Gesprächskanäle offen halten«, erklärt Hannah Lupper.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2023.

Kreisverband der SPD lehnt CDU-Koalition ab

Delegierte aus Friedrichshain-Kreuzberg folgen dem Landesvorstand nicht

Darüber herrschte Einigkeit: Die SPD des Bezirks ist gegen die Karstadt-Pläne des Unternehmens Signa am Hermannplatz. Archivfoto: rsp

Immerhin bei einem Punkt zeigte sich der Kreisparteitag der SPD in Friedrichshain-Kreuzberg dann einig. Die Pläne des österreichischen Investors Signa für den Karstadt am Hermannplatz lehnt man ab. Aber ansonsten krachte es beträchtlich. Selbst für einen so diskussionsfreudigen Kreisverband war das dann eher unüblich. Die Gemüter scheiden sich an der geplanten Koalition mit der CDU.

59 Delegierte stimmten gegen eine Koalition mit der CDU auf Landesebene, 44 waren dafür und drei enthielten sich. Für eine war das ganz besonders bitter: Cansel Kiziltepe aus Kreuzberg ist nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch stellvertretende Landesvorsitzende. Außerdem gehört sie der Delegation an, die mit der CDU den Koalitionsvertrag aushandeln soll. Sowohl sie als auch Landesgeschäftsführer Sven Heinemann, der ebenfalls dem Kreisverband angehört, warben vor den Delegierten des Kreisverbandes für die angestrebte Koalition, ein Weg, den die Mehrheit der Anwesenden nicht mitgehen will. Viele stellten sich die Frage, ob denn die SPD tatsächlich mehr Schnittmengen mit der Union als mit Grünen und der Linken habe.

Vor allem die Position von Cansel Kiziltepe gab etlichen Mitgliedern Rätsel auf, wird sie doch eher dem linken Lager in der SPD zugeordnet. Als  Staatsekretärin im Bundesbauministerium gehört sie auch der Bundesregierung an, wo die Koalitionsverhandlungen in Berlin ebenfalls mit Sorge verfolgt werden. Eine neue Koalition verschiebt auch das Kräfteverhältnis im Bundesrat. Allerdings ist fraglich, ob Cansel Kiziltepe noch lange im Bauministerium bleibt. Laut Berliner Zeitung wird sie nämlich bereits als Kultursenatorin in einem Senat unter Führung von Kai Wegner gehandelt.

CDU soll Ampelprojekten zustimmen

Was wird mit vielen Projekten der Ampel, wenn in Berlin eine schwarz-rote Koalition regiert? Normalerweise wird in solchen »Mischkoalitionen« vereinbart, dass sich das Bundesland bei Abstimmungen im Bundesrat enthält, wenn man sich nicht einigen kann. Etlichen Ampelprojekten könnte daher spätestens im Bundesrat das Aus drohen, weil die Stimmen aus Berlin fehlen.

Das trieb auch die queere SPD in Friedrichshain-Kreuzberg um. Sie beantragte, dass in den Koalitionsvertrag, so er denn zustande kommen sollte, ein Passus aufgenommen wird, dass Berlin im Bundesrat bestimmten Projekten zustimmen muss. Genannt werden insgesamt elf. Darunter fallen die Kindergrundsicherung und die Legalisierung von Cannabis. Sollte die CDU dieser Liste nicht zustimmen können, dann solle es auch keinen Koalitionsvertrag geben, fordert die queere SPD.

Noch sind die Verhandlungen nicht beendet, doch bis zum 23. April sollen die Mitglieder darüber abstimmen. Der Ausgang ist ungewiss. »Das gibt jetzt einen richtigen Wahlkampf«, meint die Fraktionsvorsitzende der SPD in der BVV, Hannah Lupper, die sich ebenfalls gegen eine Koalition mit der CDU stemmt. Selbst wenn sich eine Mehrheit der Mitglieder für eine Koalition aussprechen sollte, ist das noch nicht entschieden. Offiziell muss das ein vorgezogener Landesparteitag beschließen. »Der Parteitag ist eines der höchsten Beschlussgremien. Aber natürlich muss er sich auch an ein Mitgliedervotum halten.«

Tendenziell votieren die SPD-Mitglieder bei einer Befragung eher etwas konservativer. Doch dieses Mal wagt kaum jemand eine Prognose abzugeben. Das Rennen scheint völlig offen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2023.

Wann kommt der Volksentscheid?

»Klimaneustart Berlin« kritisiert Innenverwaltung und verlangt Zusammenlegung mit Berlinwahl

180.547 gültige Unterschriften konnte die Initiative »Klimaneustart Berlin« sammeln. Foto: Klimaneustart Berlin

Es ist geschafft: Das Volksbegehren »Berlin klimaneutral 2030« hat die nötige Zahl von Unterschriften erreicht. Für ein Zustandekommen mussten sieben Prozent der 2.434.808 am Stichtag 14. November Stimmberechtigten, also 170.437 Personen, dem Volksbegehren zustimmen. Wie der Landesabtimmungsleiter am Dienstag mitteilte, waren von den 261.841 von den Berliner Bezirksämtern geprüften Unterschriften 180.547 gültig – trotz rund 31 Prozent ungültiger Unterschriften wurde die Mindestzahl also erreicht. Damit ist der Weg zu einem Volksentscheid frei.

Doch schon sieht sich die Initiative mit dem nächsten Problem konfrontiert: Um das für einen erfolgreichen Volksentscheid nötige Quorum von 613.000 Ja-Stimmen zu erreichen, wäre es hilfreich, wenn die Abstimmung mit der Wiederholung der Berlinwahl am 12. Februar zusammenfiele. Danach sieht es indessen derzeit nicht aus. »Mit großem Erstaunen haben wir die Äußerungen aus der SPD-geführten Innenverwaltung wahrgenommen, die sich gegen eine terminliche Zusammenlegung des Volksentscheids zur Änderung der Berliner Klimaziele mit der Wahlwiederholung ausspricht«, beklagt die Initiative in einem offenen Brief an den Senat. Getrennte Wahl- und Abstimmungstermine würden nicht nur Mehrkosten von vielen Millionen und eine zusätzliche Hürde bedeuten, sondern könnte auch den öffentlichen Eindruck erwecken, dass aus politischen Gründen getrennte Termine festgelegt werden.

Tatsächlich sieht das Berliner Abstimmungsgesetz vor, dass Volksentscheide und Wahlen nach Möglichkeit zusammengelegt werden sollen. Dazu kann die Frist von vier Monaten für die Durchführung eines Volksentscheids auf bis zu acht Monate verlängert werden, wenn eine Wahl ansteht. Zwingend vorgesehen ist die Zusammenlegung allerdings nur, wenn bis zur bevorstehenden Wahl noch vier Monate Zeit sind – und das ist bei der Wiederholungswahl nicht der Fall.

»Wenn man sich jetzt davor scheut, es zusammenzulegen, dann kann man es ja gar nicht mehr machen«, kommentiert Wahlhelferin Anne Tursch, die das Chaos 2021 miterlebt hat. Die Formulierungen für Volksentscheide müssten dann allerdings auch einfach gehalten sein, damit es in der Wahlkabine nicht zu lange dauere. Auch für Stadtrat Oliver Nöll wäre eine Zusammenlegung »aus demokratietheoretischen Erwägungen« richtig, »unter den Rahmenbedingungen aber schwierig«.

Bis Mitte Dezember muss der Senat über den Termin entscheiden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2022.

Endspurt fürs Klima

»Berlin 2030 klimaneutral« braucht noch 100.000 Unterschriften

Noch fehlen 100.000 Unterschriften. Foto: Klimaneustart Berlin

Berlin soll klimaneutral werden, und zwar nicht erst 2045, sondern bereits 2030 – das ist die Forderung der Initiative »Klimaneustart Berlin«, die derzeit Unterschriften für einen Volksentscheid sammelt. Bis zum 14. November müssen mindestens 171.000 gültige Unterschriften zusammenkommen. Rund 130.000 Menschen haben sich schon beteiligt, doch da mit einem Puffer für ungültige Unterschriften gerechnet werden muss, will die Initiative noch 100.000 Unterschriften sammeln.

Wird das Quorum erreicht und hat der anschließende Volksentscheid Erfolg, dann würde sich Berlin per Gesetzesänderung verpflichten, das Klimaziel vorzuziehen. »Nur durch die frühere Umsetzung wäre Berlin kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel und kann der historischen Verantwortung als Hauptstadt eines Industrielands gerecht werden«, erklärt Pressesprecherin Jess Davis.

Das Mittel der direkten Demokratie hat »Klimaneustart Berlin« bereits zweimal erfolgreich eingesetzt: Die Ausrufung der Klimanotlage 2019 durch den Senat sowie die Einberufung eines Klimabürger:innenrates 2020 gehen auf die Initiative zurück.

Für den Volksentscheid wurde mit Hilfe von Expert:innen das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz umgeschrieben. Da eine konkrete Gesetzesänderung vorgelegt wurde, muss das Land Berlin den Gesetzentwurf bei positivem Ergebnis direkt umsetzen. Anders als etwa beim Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, bei dem kein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, ist eine Verschleppung nicht möglich.

Bis 14. November müssen die Unterschriftslisten abgegeben sein

Das Team sucht noch helfende Hände für den Endspurt. Foto: Klimaneustart Berlin

Wer das Anliegen von »Klimaneustart Berlin« unterstützen möchte, sollte sich ranhalten: Bis 14. November muss die Initiative die Unterschriftslisten bei der Senatsverwaltung abgeben. Wer die Liste selbst unter berlin2030.org herunterlädt und vielleicht im Bekanntenkreis auf Unterschriftenjagd geht, sollte sie wegen der Postlaufzeiten bis 7. November abschicken. Alternativ kann in vielen Cafés, Läden und allen Bürgerämtern unterschrieben werden. Auch weitere helfende Hände fürs Sammeln von Unterschriften werden noch benötigt.

Das Team von »Klimaneustart Berlin« versteht sich als zivilgesellschaftliche Bewegung, die als Bindeglied und Plattform fungiert, um den Austausch zwischen Bürger:innen, Wissenschaft und Politik auf Augenhöhe voranzutreiben. Die Initiative verfolgt globale Klimagerechtigkeit und fordert von der Politik echtes klimagerechtes Handeln und die Nettonull bis 2030. Weltweit müsse das Ziel sein, 1,5 °C Erderwärmung nicht zu überschreiten, so die Forderung.

Dazu soll die Politik mit den Mitteln der direkten Demokratie unter Druck gesetzt werden. Vor allem soll aber auch eine Signalwirkung für andere Großstädte erzielt werden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2022.

Bezirk bereitet sich auf Flüchtlinge vor

Noch weiß niemand, wie viele Menschen aus der Ukraine kommen werden

Update: Zwei Wochen nachdem dieser Artikel geschrieben wurde, ist immer noch kein Ende von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine in Sicht. Die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine liegt EU-weit bereits seit einiger Zeit deutlich über den im Artikel genannten Schätzungen. In Deutschland waren es laut Tagesschau.de zuletzt knapp 123.000 Personen (Stand 12.3.2022).

Eingangstor eines ContainerdorfsDie Tempohomes in der Alten Jakobstraße werden wohl bald Flüchtlinge aus der Ukraine beherbergen. Foto: psk

Was lange befürchtet wurde, ist schließlich eingetreten. Russland hat die Ukraine angegriffen. 700 Kilometer entfernt von Berlin fallen Bomben. Während die Regierungen über Sanktionen gegen Putins Regime beraten, laufen inzwischen bereits die Vorbereitungen für die Aufnahme von Flüchtlingen an.

»Das Problem ist, dass wir jetzt natürlich noch nicht wissen, wie viele Flüchtlinge kommen werden«, erklärt der Sozialstadtrat des Bezirks, Oliver Nöll. Doch andernorts ist man auch nicht klüger. Auf Nachfrage bei der EU erfahren wir, dass es verschiedene Szenarien gibt, die sich zwischen 50.000 und einer Million bewegen.

Wenigstens eines ist klar: Die Verteilung der Flüchtenden bemisst sich nach dem Königsteiner Schlüssel. Konkret würde das bedeuten, dass, wenn 100.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland Schutz suchen sollten, 5.000 dem Bundesland Berlin zugewiesen würden.

Als erste Maßnahme ist geplant, dass das Containerdorf »Tempohomes« in der Alten Jakobstraße nicht wie geplant abgebaut wird. Auch über andere Standorte wird nachgedacht, wie das ehemalige House of Life. »Das ist aber wirklich das Worst-Case-Szenario«, versichert Oliver Nöll.

Er drängt auch darauf, dass sogenannte »Statusgewendete«, also Asylsuchende, deren Status geklärt wurde, vorerst im Verantwortungsbereich des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) verbleiben, denn das entlaste die Bezirke bei der Suche nach Unterkünften.

»Es soll nicht so laufen, wie 2015«, erklärt der Sozialstadtrat und ist zuversichtlich, dass Stadt und Bezirk dieses Mal besser gerüstet sind. Eine Konsequenz war, dass das LAF aus dem damals völlig überlasteten LaGeSo ausgegliedert wurde.

In Friedrichshain-Kreuzberg lief vor sieben Jahren vieles besser als in anderen Bezirken. Oliver Nöll weiß auch warum: »Es war das zivilgesellschaftliche Engagement, das sehr geholfen hat.«

»Der ganze Verein steht bereit, um zu helfen«

Viele Vereine und Initiativen hatten sich damals der Hilfe für Geflüchtete verschrieben. Dazu gehörte auch der Nachbarschaftsverein mog61. Auch dort habe man bereits begonnen, die Lage und mögliche Hilfsmaßnahmen zu diskutieren, wie die Vorsitzende Marie Höpfner erklärt. Allerdings gilt für den vergleichsweise kleinen Verein das gleiche wie für die kontinentale Organisation EU, es fehlen im Moment noch Zahlen. »Wir wissen ja noch nicht, wie viele Menschen unsere Hilfe brauchen«, sagt Marie Höpfner und fügt hinzu: »Wir stehen auf jeden Fall bereit, wieder zu helfen.«

Wie die Hilfe konkret ausgestaltet werden kann, darüber wird in den nächsten Tagen ausführlich gesprochen werden. Die mog-Vorsitzende erinnert daran, dass der Verein vor sechs Jahren schon während der Krim-Krise aktiv war. Damals wurde Hilfspakete geschnürt und in die Ukraine geschickt. Dieses Mal sei das etwas anderes, fürchtet sie, denn sie glaubt nicht, dass man angesichts des Krieges noch Päckchen verschicken kann. Dagegen ist sie fest davon überzeugt, dass der ganze Verein sich ebenso tatkräftig zeigen wird, wie in den vergangenen Krisen.

Zurück zum »Tempohome« in der Alten Jakobstraße. Dort können in den 40 Wohneinheiten 160 Geflüchtete untergebracht werden. »Ich bin zwar kein Freund von Containern«, gesteht Oliver Nöll, »aber immer noch besser als in Turnhallen.« Auch im Fall des im Februar 2018 eröffneten Containerdorfes hatte die Bevölkerung tatkräftig dabei geholfen, die Bewohner in das Kiezleben zu integrieren. So zeichneten Ehrenamtliche für Themencafés und Kurse verantwortlich. Gemeinsame Feste wurden ausgerichtet.

Nachdem die letzten Bewohner ausgezogen waren, sollte in diesem Jahr alles abgebaut werden. Die Laufzeit soll nun mindestens für ein halbes Jahr verlängert werden. Oliver Nöll erwartet da keine Probleme: »Es ist ja schon betriebsfertig.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2022.

Zukunft Bergmannkiez

Ausstellung zur Neugestaltung

Der Bezirk hat alle Bürger, die sich für die Neugestaltung des Bergmannkiezes interessieren, zu einer Ausstellung eingeladen, die allerdings schon am 2. Oktober endete – zumindest im Rathaus in der Yorckstraße.

Doch wer keine Lust auf Mundschutz oder Treppensteigen hat (die Ausstellung ist im ersten Stock), der kann sie sich auch in den Schaufenstern des Stadtteilausschusses Kreuzberg e.V. in der Bergmannstraße ansehen. Es geht sogar noch etwas einfacher, nämlich auf der Webseite zum Modellprojekt.

In einer sehr kompakten Form wird die Ausstellung mit dem Titel: »Zukunft Bergmannkiez – Öffentlicher Raum, Mobilität, Lebensqualität« auch in fünf Filmen wiedergegeben, die ebenfalls im Internet abrufbar sind.

Die Ausstellung beschreibt minutiös den Weg bis zur jetzigen Entscheidung, stellt die Ergebnisse und auch die Streitpunkte des Verfahrens vor. Alle fünf Teile ergeben eine Gesamtlänge von etwas mehr als einer halben Stunde. Fast die Hälfte ist dem Film 4 gewidmet, der sich mit der zweiten Phase der Bürgerbeteiligung beschäftigt.

Insgesamt ist es eine spannende Dokumentation über einen Prozess, der den ganzen Kiez nun viele Jahre in Atem gehalten hat – zumindest für die, die mit Herzblut dabei waren.

Themenschwerpunkt: Bergmannstraße

Die Zeit des Autos ist vorbei
Bezirk setzt klares Zeichen gegen motorisierten Verkehr
Was lange währt, wird autofrei
Die unendliche Geschichte um die Bergmannstraßen-Neugestaltung neigt sich dem Ende zu
Wo Bächlein durch Straßen fließen
Kreuzberger Konzept funktioniert in Freiburg seit 1000 Jahren
Zukunft Bergmannkiez
Ausstellung zur Neugestaltung
Das Bergmann-Labyrinth
Planungen für die Umgestaltung von Bergmann- und Chamissokiez
Das Ende der Begegnungszone
Kommentar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Kinder- und Flegeljahre einer Metropole

Thomas Böhm holt Hans Ostwalds »Großstadt-Dokumente« aus der Versenkung

Wer an Berichte über das Berlin des frühen 20. Jahrhunderts denkt, über die dunklen Ecken und hellen Leuchtreklamen, über soziale Gegensätze und Verwerfungen in der jungen Großstadt, der wird zuerst an die Reportagen und Texte von Joseph Roth und Siegfried Kracauer denken, vielleicht an Alfred Polgar und ziemlich sicher an Egon Erwin Kisch. Die Weimarer Republik, die »goldenen« Zwanziger, die Ringvereine – das sind heute die Zutaten für den Mythos vom »alten Berlin« und ein nach wie vor beliebter Schauplatz für Geschichten, etwa für die Gereon-Rath-Krimireihe von Volker Kutscher.

Thomas Böhm bei der Buchvorstellung im Hinterhof des Theaters Expedition Metropolis. Foto: rsp

Doch die eigentlichen Veränderungen Berlins von einer recht großen Stadt zu einer richtigen Großstadt mit all ihren Facetten reichen weiter zurück und waren schon um die Jahrhundertwende so erklärungsbedürftig, dass Hans Ostwald im Jahr 1904 die fünfzigbändige Schriftenreihe »Großstadt-Dokumente« startete, für die er zahlreiche Autoren verpflichtete. Als »Sachkenner« sollten sie »den Wissbegierigen an die Hand nehmen und ihn hindurchführen durch diese zahllosen Wirrnisse«, heißt es im Vorwort des ersten Bandes.

Die »Großstadt-Dokumente« sind heute weitgehend vergessen. Dem Autor und Literaturkritiker Thomas Böhm ist es zu verdanken, dass mit »Berlin. Anfänge einer Großstadt« jetzt eine Art Best-of vorliegt.

In den Texten, die zwischen 1904 und 1908 erschienen sind, erfährt der Hobby-Berlinforscher Erstaunliches über den damaligen Zustand der Stadt, die mit den umliegenden Orten zwar erst 1920 offiziell zu »Groß-Berlin« verschmolz, aber längst als Zwei-Millionen-Metropole angesehen wurde.

Zum Beispiel die Sache mit der Wohnungsnot: Für den Beitrag »Mörderische Wohnungszustände« hat dessen Autor Alfred Lasson akribisch Krankenkassenakten ausgewertet. Kaum einer der Patienten verfügte auch nur über ein Bett, das nicht mit einem Familienmitglied geteilt wurde. Während der Arbeitsschicht wurden die Betten darüber hinaus an Schlafleute vermietet, um das Geld für die kargen, oft feuchten Räume zusammenzubekommen.

Währenddessen blühte draußen und in schäbigen Hinterzimmern die Prostitution. Neuankömmlinge (und davon gab es viele; Berlin wuchs zwischen 1870 und 1900 um rund eine Million Menschen) waren allen Arten von Nepp und Bauernfängerei ausgesetzt.

Ostwald setzte zweifellos einen starken Fokus auf die »dunklen Winkel« der Großstadt, doch verstand er es, auch für andere Themen »Sachkenner« ins Boot zu holen: Ruder-, Segel-, Rad- und Rasensport sind ebenso Thema wie Tanzlokale, Klubs nach englischem Vorbild, Kaffeeklappen und Varietés. Denn trotz aller sozialen Probleme war Berlin eben auch eine moderne Großstadt und ein Ort der Freiheit, wie etwa Texte über schon damals offen ausgelebte Homosexualität zeigen.

Was Ostwald hoch anzurechnen ist, ist dass die Texte seiner »Großstadt-Dokumente« akribisch die Situation beschreiben, ohne sich in moralischen Bewertungen zu ergehen. Damit stehen sie – mitten in der Kaiserzeit – für eine Form von Berichterstattung, wie sie erst Jahre später populär wurde.

Nicht alle Texte, die Böhm für seinen gut 400 Seiten starken Sammelband ausgewählt hat, bestechen durch die sprachliche Brillanz der Epigonen. Dafür wandeln sie trittsicher auf dem »schmalen Grat zwischen Aufklärung und Befriedigung der Sensationslust«, wie es der Herausgeber bei der Buchvorstellung treffend formulierte. Vor allem aber bieten sie einen unschätzbaren Einblick in die Kinder- und Flegeljahre der Großstadt Berlin.

Hans Ostwald, »Berlin. Anfänge einer Großstadt. Szenen und Reportages 1904-1908«, hrsg. von Thomas Böhm, Galiani Berlin, ISBN 978-3-86971-193-5, 416 Seiten, Hardcover, 28 Euro.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

100 Jahre Groß-Berlin

Wie aus Äckern Kieze wurden

Als vor hundert Jahren, am 1. Oktober 1920, das Groß-Berlin-Gesetz in Kraft trat, mit dem zahlreiche einst selbstständige Nachbarorte Berlins eingemeindet wurden, wuchs Berlin mit einem Schlag auf das 13-Fache seiner Fläche und auf unfassbare 3,9 Millionen Einwohner. Tatsächlich spiegelte der Verwaltungsakt nur wieder, was längst Realität war: Denn spätestens seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der unvorstellbar hohe Reparationszahlungen in Preußens Staatskasse gespült hatte und damit die Phase der Hochindustrialisierung vorantrieb, waren Berlin und das Umland immer mehr (zusammen-)gewachsen.

Überlegungen zu Eingemeindungen hatte es schon seit den 1820ern gegeben, als die Stadt Berlin gerade knapp über 200.000 Einwohner zählte und ihre Grenzen noch innerhalb der Akzisemauer lagen, nach deren Stadttoren noch heute zahlreiche Plätze benannt sind.

Doch mit den Nachbargemeinden war jahrzehntelang keine Einigung zu erzielen, wohl vor allem, weil die Gebiete, die zur Debatte standen, hinsichtlich der erzielbaren Steuereinnahmen sehr unterschiedlich aufgestellt waren.

1861 schließlich kam es dann doch zu einer großen Eingemeindung, die Berlin um Moabit, den Wedding, Tiergarten sowie Ackerflächen von Tempelhof und Schöneberg erweiterte. Mit der Tempelhofer Vorstadt, nach wie vor der offizielle Name in Kreuzberger Grundbüchern südlich des Landwehrkanals, war damit auch das heutige Kreuzberg komplett in Berlin integriert.

Die Geschichte des Bezirks Kreuzberg, der bekanntermaßen 2001 im Zuge der Bezirksreform in Friedrichshain-Kreuzberg aufging, beginnt allerdings tatsächlich 1920, wenn auch spitzfindige Menschen anmerken, dass er zunächst ein Jahr lang unter dem Namen »Hallesches Tor« firmierte.

Ist »100 Jahre Groß-Berlin« also auch »100 Jahre Kreuzberg«? Schwer zu sagen und in gewisser Weise eine Definitionsfrage. Völlig unstreitig hingegen ist, dass der Name »Kreuzberg« im nächsten Jahr sein Jubiläum feiert. Zur Einweihung des Nationaldenkmals im Viktoria­park am 30. März 1821 wurde der zuletzt »Tempelhofer Berg« genannte Hügel, auf dem das von Friedrich Schinkel gebaute Denkmal steht, nämlich ganz offiziell in »Kreuzberg« umbenannt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Sinfonie der Großstadt in Textform

Wiederentdeckte Reportagen aus dem frühen 20. Jahrhundert

Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts: eine Weltstadt im Werden. Hier gibt es mondäne Klubs und ausschweifendes Nachtleben, Warenhäuser und Sportereignisse, aber auch Prostitution, Kriminalität und große Armut.

Der Journalist Hans Ostwald schickt Reporter- und Schriftstellerkollegen als »Sachkenner« in alle Winkel aus, um »Entdeckungsreisen in die nächste Nähe« zu unternehmen, »aus dem vollen Leben heraus« zu berichten – und so die rasante Entwicklung seiner Heimatstadt Berlin in der von ihm geschaffenen Schriftenreihe »Großstadt-Dokumente« festzuhalten.

Die »Großstadt-Dokumente« gerieten größtenteils in Vergessenheit.

Der Journalist und Radiomoderator Thomas Böhm hat die publizistisch wie zeitgeschichtlich bedeutende Schriftenreihe nun wiederentdeckt, eine Auswahl aus den Bänden getroffen und diese in dem Buch »Berlin – Anfänge einer Großstadt« veröffentlicht.

Am 24. September stellt er das Buch im Theater Expedition Metropolis vor.

24.09.2010, 19:30 Uhr
Ohlauer Straße 41
10999 Berlin

Eintritt: Spendenbasis

Kartenvorbestellung: tickets@expedition-­metropolis.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2020.