Von Zeitreisen und Blues

All Blue ist eine Perle der Kreuzberger Musikszene

Im letzten Monat wurde nach klassischer Junimanier viel im ganzen Kiez gefeiert. Eines der Feste fand, wie vielleicht einige mitbekommen haben, im backbord in der Gneisenaustraße statt. Der fünfzehnte Geburtstag der Kneipe wurde von viel Bier, guter Laune und Livemusik begleitet.

Den musikalischen Rahmen gestalteten die vier Männer der Kreuzberger Urgesteinband All Blue. Taki, Eberhard, Jascha und Fritz heißen die Musiker, die sich über zwei Sets hinweg klanglich der Musikgeschichte gewidmet haben.

Die Band gibt es laut eigenem Bekunden schon seit hundert Jahren. Viele Auftritte in Kreuzberg haben sie hinter sich und sogar einen in Weißensee.
Ich genoss die Musik von draußen, was der Qualität keinen Abbruch tat und manchmal sogar einen kleinen Abschweifer zuließ.
Es ging los mit einigen bekannten und unbekannten Bluessongs. Herausragend interpretiert machte sich bei mir infolgedessen oft das freie und unbeschwerte Gefühl eines Kneipenabends in einem in Amerika beheimateten Pub Mitte der 20er Jahre breit. Hierzu trugen besonders auch die selbstgemachten Lieder in Blues und Rock ihren Teil bei.

Kurz vor Ende des ersten Sets ging diese Zeitreise weiter und wurde vor allem sehr lokal. Stichwort ist hier: Hausbesetzer-Hausband. Ein guter »70er-Jahre-Ton-Steine- Scherben-Schrammel- Sound«, wie einer der Gäste lobend beschrieb, ertönte von drinnen. Sehr authentisch und zwar nicht nur wegen des Heimatbezugs.
Bier, Kippe, Verschnaufpause und weiter ging’s ins zweite Set, in dem die Vier, wie ein Freund von mir zu sagen pflegt, »nochma ordnlich een ham kiekn lassn«.
Zeitreisetechnisch ging es wieder weiter zurück in die Vergangenheit – nächster Stopp: 60er.

Psychedelische Klänge ganz nach Pink Floyd bestimmten den Part. Und auch vor der intensiven Verwendung von Synthesizern machten sie keinen Halt. Lang gezogene Gitarrenriffs hinterließen bei mir vor allem einen Eindruck: groovy!

Nach beiden Sets und diesem riesigen Repertoire an Musik tobte die Meute, der Laden bebte, das Publikum war begeistert – und hatte trotzdem nicht genug. Einen langen und lauten Applaus später brachte die Band noch einen letzten Hit. Der begann mit »Immer wieder Sonntag« und verwandelte sich langsam aber sicher (und davor sei der Hut gezogen) in Black Sabbath. Gesamteindruck des Abends: All Blue – unbedingt auf jeden Fall und unter allen Umständen merken.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2018.

Düster und extrem traurig

In Kreuzberg erlebte Nick Cave seine punkigen Zeiten

Geheimnisvoll und düster ist die Comic-Biografie, in der der Berliner Illustrator Reinhard Kleist Nick Cave portraitiert – zwei Adjektive mit denen ein jeder Cave-Fan sein Idol verbindet.

Ursprünglich in Australien geboren, zieht der Sänger erst nach São Paulo, später nach London, Berlin und Brighton. Obwohl er dort bereits ein Kind hat, das fortan bei Mutter und Vater abwechselnd lebt, liebt und genießt er die Zeit in Kreuzberg und Schöneberg. Dort treibt sich Cave oft im Ex’n’Pop herum, im Dschungel-Club und im Risiko in der Yorckstraße. In Berlin erlebt Cave seine lauten und punkigen Zeiten, orientiert sich an der Berliner Undergroundszene und lässt sich von den befreundeten Einstürzenden Neubauten, die ein großes Vorbild für ihn sind, beeinflussen. Mit deren Sänger Blixa Bargeld gründet er bald die mittlerweile sehr berühmte Band The Bad Seeds, in deren Begleitung man Cave noch heutzutage oft auf der Bühne antrifft.

Doch schon früh stellt er klar, dass in ihm mehr schlummert als nur Musik. Im Jahr 1989 ist er erstmals Co-Autor und Darsteller des Filmes »Ghosts … of the Civil Dead«. Und trotz seiner Heroinabhängigkeit schafft es Cave, im gleichen Jahr seinen ersten Roman »And the Ass Saw the Angel« zu veröffentlichen.
Nach dem Umzug in die Küstenstadt Brighton wird Cave ruhiger. Er gründet zusammen mit seiner Frau Susie Bick, die ihn aus der Sucht rettete, eine Familie und gibt sich zusammen mit den Bad Seeds immer mehr den Einflüssen von Blues, Gospel und Country hin. Nach anderen Projekten, wie Soundtracks, weiteren Drehbüchern, einem zweiten Roman und vielen Alben, wird Cave 2007 in die ARIA Hall of Fame aufgenommen und spätestens nachdem er sogar mit einem seiner Idole, Johnny Cash, ein Duett aufnimmt und 2015 zum Mitglied der National Academy of Design gewählt wird, erlangt er weltweiten, verdienten Ruhm.

Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere erleidet Cave einen tragischen Schicksalsschlag: Im Alter von 15 Jahren stürzt sein Sohn Arthur unter Einfluss von LSD von einer der Klippen an der Küste von Brighton in den Tod. Dieser Verlust stellt einen unvorstellbaren Schmerz in Caves Leben dar, der fortan ein Teil des Sängers und seiner Musik ist. Auch der Film »One More Time With Feeling«, der im letzten Winter auch in den deutschen Kinos lief und die Entstehung des neuen Seeds-Album »Skeleton Tree« dokumentiert, hinterlässt beim Zuschauer eine zutiefst düstere und zugleich extrem traurige Stimmung. Eine Stimmung, die auch seine Musik vielleicht nie wieder verlassen wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2017.