Schön sortiert von A bis Z

Tocotronic-Texter Dirk von Lowtzow verrät erneut Privates

Es ist Mittwoch, ich bin seit einer Woche wieder in Berlin und freue mich auf die »Aus dem Dachsbau«-Lesung von Dirk von Lowtzow im Kreuzberger HAU. In dieser Kolumne hier habe ich schon einmal über Dirk von Lowtzow erzählt, der als zauberhaftes Sprachtalent die so kunstvoll ausgestalteten, perfekt pointierten, lehrreich verwobenen und anmutig schönen Texte der Band Tocotronic schreibt und interpretiert.

Dirk von Lowtzow ist, obwohl im zugegebenermaßen recht kleinen Tocotronic-Kosmos eine gottähnliche Figur, eher eine Hintergrundperson. Im Gegensatz zu so manch anderen Stars weiß man praktisch nichts über ihn. Seine sexuelle Orientierung ist genauso unklar wie irgendetwas über seine Familie. Bis jetzt. Oder zumindest bis vor ein paar Jahren.

Mit dem Album »Die Unendlichkeit« thematisiert Dirk (wie er sich wohl selbst auch in Interviews nennen würde) neben der 25-jährigen, fühlbar unendlichen Bandgeschichte auch seine eigene Geschichte. Er singt erstmals über seine Homosexualität, einen unerwarteten Tod und seine Kindheit. Die Songs sind dabei so privat, als würde man mit dem Sänger ganz trinkselig vorm Kamin sitzen. Aber wer mehr dazu lesen will, guckt lieber noch einmal in die KuK vom Februar 2018.
Nun hat er unter dem Titel »Aus dem Dachsbau« ein Buch geschrieben, in dem Dirk den (bitte nicht falsch verstehen) im Unendlichkeits-Album noch nicht verarbeiteten Narzissmus in Form einer Autobiografie herauslässt.

Es wäre komisch, hätte der Sänger seine Autobiografie so einfach chronologisch über sein Leben verfasst. Es ist eine Enzyklopädie. Ein Wort, das wie kein anderes so hervorragend zur Dirk von Lowtzow passt. Und die Leserin erwarten kleine Lebensgeschichten, schön sortiert von A bis Z.
Im HAU beginnt er die Lesung mit einer Geschichte von seinem verstorbenen, langen und besten Freund Alexander. Eigentlich, so stellt er später heraus, drehe sich das ganze Buch um Alexander. Na ja, und eben ganz viel um Gitarre, Stimme, Schlagzeug, Bass. Und das alles in schönstem Tocotronic-Deutsch.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2019.

Deutschlands intelligenteste Band

Tocotronic auf dem Weg in die Ewigkeit


»Die Unendlichkeit« – so lautet der Titel des neuen, mittlerweile zwölften Studioalbums der Band Tocotronic. Seit 25 Jahren gibt es die Gruppe um Sänger Dirk von Lotzow nun schon – und das ist, nach eigener Aussage, der Unendlichkeit ja schon ziemlich nah.

Angefangen haben die Musiker als Dilettanten. Was sie machen wollten, war zwar schon so etwas wie Musik, Instrumente spielen konnte aber keiner von ihnen. Und das war auch nicht wichtig. Entscheidend war, was wie gesagt und gesungen wird. Das war früher schon neu und auch heute gibt es keine deutschsprachige Band, die ihren Texten so viel Inhalt mit auf den Weg gibt, wie Tocotronic. Mit einem ungetrübten, selbstironischen Blick behandeln sie Themen, die ein ganzes Leben mit Stoff zum Denken ausfüllen. Manchmal geht es um den Alltag, manchmal um Liebe, manchmal um Rebellion und oft kann man das auch gar nicht so genau sagen. Dabei würden sie dem Hörer jedoch niemals eine Meinung aufdrücken. Viel eher vermitteln sie eine Einladung zum Selbstdenken.

Manche der Liedzeilen sind im Tocotronic-Kosmos mittlerweile zu geflügelten Worten aufgestiegen und verkörpern jedenfalls ein bisschen den Geist der vier Musiker. »Pure Vernunft darf niemals siegen«, »Im Zweifel für den Zweifel« und »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« sind nur drei Perlen aus den Untiefen der ausgefeilten Texte. Würde man den Wunsch haben, die Band in eine Schublade zu stecken, so wäre es mit Sicherheit eine mit der Aufschrift »Hamburger Schule« – eine Musikrichtung, die sich durch meistens simple, aber gut durchdachte Musik aus Gitarre, Schlagzeug, Stimme und Bass mit Elementen aus dem Punk, Grunge und experimentellem Pop zusammensetzt und großen Wert auf kluge und sozialkritische Texte legt.

Neben ihrer musikalischen Arbeit unterstützen Tocotronic auch antifaschistische Kampagnen (z.B. »I Can’t Relax in Deutschland«) und setzen sich zusammen mit »Pro Asyl« für den Schutz von Geflüchteten ein.

Im April werden Tocotronic zwei Konzerte in der Columbiahalle spielen. Die ins Ohr gebrachte Unendlichkeit – ein Erlebnis, das sowohl für langjährige als auch ganz neue Fans und Bald-Fans sehr lohnenswert ist.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2018.