Das Ende des gallischen Dorfes

Die Wahlanalyse: Vom Schmuddelkind zum Vorzeigeobjekt

bvv-sitzebvv-prozent Sitzverteilung und Stimmverteilung in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg. Grafik: kuk

Natürlich war in Friedrichshain-Kreuzberg wieder alles ganz anders, als im Rest von Berlin, sonst wäre der Bezirk ja auch nicht das chaotische Epizentrum dieser Republik. Die Grünen erreichten in absoluten Stimmen gerechnet ein besseres Ergebnis als vor vier Jahren. Die Linken zog triumphal an der SPD vorbei. Die AfD hatte hier nicht den Hauch einer Chance und sieht sich in der BVV umringt von anderen Exoten wie der Partei »Die PARTEI«, den Piraten oder der FDP. Gerechtigskeitshalber muss man auch noch die CDU dazu zählen. Deren Schmuddelwahlkampf am Ende dürfte den Grünen noch einige Stimmen hinzugespült haben. Nicht einmal mehr acht Prozent erreicht die Truppe um Kurt Wansner. Acht Parteien teilen sich nun die 55 Sitze im Bezirksplenum. Das verheißt heitere Sitzungstage.

R2G bleibt unter sich

Im Rathaus hatten sich am Wahlabend ausnahmslos Mitglieder und Anhänger von Grünen, SPD und Linken im Sitzungssal eingefunden, um die Bekanntgabe der Ergebnisse mit zu verfolgen. Kein Pirat ließ sich sehen, und für die CDU ist das Kreuzberger Rathaus in der Yorckstraße sowieso Feindesland. Und dort machte sich auch schnell eine gewisse R2G-Stimmung breit, so das inzwischen immer häufiger genutze Kürzel für eine rot-rot-grüne Koalition, die sich in Berlin nun fast zwangsläufig anbahnt. Es ist nicht die erste in der Republik. In Thüringen funktioniert dieses Bündnis unter dem ersten Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ganz ordentlich.

Zusammenarbeit ist schon fünf Jahre alt

Trotzdem schielen viele Berliner Politiker nun deutlich eher nach Kreuzberg und Friedrichshain, als nach Erfurt, denn faktisch haben rot-rot-grün im Bezirk die letzten Jahre eigentlich schon zusammengearbeitet, auch wenn immer wieder mal die Funken stieben und die beiden roten Teile dem grünen bisweilen die »Arroganz der Macht« vorwarfen. Am Sonntagabend war das vergessen und die Akteure wurden nicht müde, sich gegenseitig zu versichern, dass man ja in den letzten fünf Jahren ganz gut zusammengearbeitet habe.

Alles zielt aufs Grüne Rathaus

Im Bezirksamt hat das in der Tat ganz gut geklappt. Das scheint auch logisch, denn für die Große Koalition war das einzige Grün regierte Rathaus natürlich auch die logische und ideologische Zielscheibe aller Angriffe auf die kommunale Politik. In allen anderen Rathäusern saßen entweder rote oder schwarze Bürgermeister. Es war doch völlig klar, dass dann hier alle ein wenig enger zusammen rückten – wenigstens jene, deren Herz eher auf der linken Seite schlägt.

Und plötzlich Vorzeigeobjekt

stimmungHans-Christian Ströbele (2 v.l.) verfolgt die eingehenden Wahlergebnisse. Foto: psk

»Das ist jetzt das Ende des gallischen Dorfes«, sagte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann am Wahlabend. Die Zeiten des »Allein gegen alle« sind nun vorbei. Es ist jetzt davon auszugehen, dass Friedrichshain-Kreuzberg nicht mehr der Quell allen Übels auf dieser Welt ist, sondern ganz plötzlich zum Vorzeigeprojekt mutiert. Mit Volker Beck, Kerstin Müller und Hans-Christian Ströbele schaute auch ausgewiesene Grüne Parteiprominenz am Wahlabend im Kreuzbeger Rathaus vorbei. Nur Zufall? Auch wenn nach dem Zweitstimmenanteil die Grünen in einer R2G-Koalition nur drittstärkste Kraft wären, so bringen sie doch Pfunde in den Preußischen Landtag mit. Zum einen werden in Zukunft wohl zwei Rathäuser von den Grünen beherrscht, außerdem verfügen die Grünen über eine so solide Wählerschaft, wie keine andere Partei. Ein Zeichen dafür ist auch der sensationell hohe Sieg von Katrin Schmidberger, die mit 44,1 Prozent das beste Erststimmenergebnis in der ganzen Stadt einfuhr. Auch ihre Mitstreiter in den anderen Wahlkreisen des Bezirks holten – mit einer Ausnahme in Friedrichshain – ihre Wahlkreise mit großen Vorsprüngen.

schmidbergerKatrin Schmidberger holte so viele Stimmen, wie sonst kein Kandidat in Berlin. Foto: psk

Die künftigen Koalitionäre tun gut daran, den Erfahrungsschatz aus Kreuzberg und Friedrichshain schon für die Verhandlungen zu nutzen. Das gilt für die positiven, wie die negativen Erfahrungen, die hier gemacht wurden. Denn eines ist allen Beteiligten klar: Wenn im Stadtstaat Berlin eine rot-rot-grüne Landesregierung das Ruder übernimmt und diese Koalition zu einer Erfolgsgeschichte machen sollte, dann werden auch die Karten bundespolitisch noch einmal völlig neu gemischt. Und wo hat diese Entwicklung begonnen? In einem kleinen »Gallischen Dorf« im Herzen von Berlin.

Kommentar: Danke Frank Henkel! Danke AfD!

Kunst zum Gedenken an Knut

Kulturkuratorium in Kreuzberg will den toten Eisbären würdigen

Der Eisbär Knut in jungen JahrenTrauer um Knut – auch in Kreuzberg. Foto: Jens Koßmagk/Wikipedia

Der unerwartete Tod von Eisbär Knut hat auch in Kreuzberg große Bestürzung hervorgerufen. Doch mit einfacher Trauer um den Dahingeschiedenen wollte es die 57jährige Sozialpädagogin und angehende Kunsthistorikerin Chlodhild Rheinweis dann doch nicht bewenden lassen. Die Kreuzbergerin gehörte zu den großen Fans von Knut und stattete dem Bären in den letzten vier Jahren mindestens zwei Mal wöchentlich einen Besuch ab.

Seither habe sie auch keinen Urlaub mehr gemacht, erklärt sie. Für Knut, der zum Inbegriff des Berliner Bären geworden sei, müsse mehr getan werden, als eine Statue im Zoo zu errichten oder ihn ausgestopft im Naturkundemuseum zu präsentieren.

»Kreuzberg ist das kreative Epizentrum der Republik«, meint Frau Rheinweis, die ankündigt, zu Ehren des verstorbenen Polarbären das »Kulturkuratorium Knut Kreuzberg«, kurz KKK zu gründen. Zentrale Aufgabe des Kuratoriums wird sein, einmal jährlich zweiwöchige Knut-Festspiele zu organisieren, in dem in vielfältigen künstlerischen Formen des Zoolieblings gedacht wird. Schon vor der Gründungsversammlung am 1. April im ehemaligen Bethanien-Krankenhaus haben sich zahlreiche Aktionsbündnisse entfaltet.

Beispielsweise arbeitet derzeit eine Gruppe an einem Ausdruckstanz, der Knut in seinem ebenso klischeebehafteten wie problematischen Verhältnis zum anderen Geschlecht darstellen soll. Dazu Frau Rheinweis: »Ich sage nur Giovanna!« Die Münchner Eisbärin hatte Knut einst auf offener Bühne geohrfeigt.

Weiterhin sind Ausstellungen, Konzerte und Körperperformances geplant. Eine Oper, die den Auftakt der Festspiele im August bilden soll, sieht gerade ihrer Vollendung entgegen.

Das neugegründete Kuratorium hat allerdings zu gewissen Verstimmungen zwischen den Bezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg geführt. Chlodhild Rheinweis räumt zwar ein: »Uns ist wohl bewusst, dass Knut eigentlich ein Tiergärtner war, aber hier geht es um das kreative Potential.« Der Konflikt konnte allerdings entschärft werden. Höhepunkt der Festspiele wird am 28. August die »Knut-Parade«, die von den Yorckbrücken aus zum Landwehrkanal und von dort bis zum Zoo führen wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2011.