Du kannst nicht immer 70 sein

Marcel Marotzke wirft einen Blick in die nähere Zukunft

Ob das gut geht mit den Taschen am Einlass? Ernst und Ilse Jankowski auf dem Weg ins Berghain. Foto: Pavlofox / Pixabay

»Wir haben jetzt jeden vierten Deutschen geimpft, diese Woche wird’s noch jeder fünfte werden«, verkündete Jens Spahn unlängst in einem Interview. Zu seinen Gunsten sei dem Bundesgesundheitsminister mal unterstellt, dass es sich dabei nur um einen Versprecher und nicht um seine Bewerbung als Profifußballer handelte. Aber jedenfalls sind jetzt eine ganze Menge Leute geimpft, und damit stellt sich umso dringender die schon im Februar von Kultursenator Klaus Lederer aufgeworfene Frage, ob Geimpfte mehr dürfen sollen als Ungeimpfte.

Ich bin jedenfalls dafür. Nicht, weil ich einen Impftermin hätte – ernst gemeinte Angebote nimmt die Redaktion gerne entgegen – sondern weil ich mir die Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Leben überaus spannend vorstelle. Denn die Frage ist ja: Wie werden sich Bars und Biergärten entwickeln, wenn zunächst nur die Gruppe der Geimpften reindarf, die momentan ja zu Recht ganz überwiegend aus den Alten und Siechen besteht?

Vermutlich prächtig. Denn auch wenn der Gerontologe Gegenteiliges empfehlen mag, bin ich mir sicher, dass die Generation 70 plus es versteht, zu feiern. Manch jüngerer Kneipengänger wird sich in ein paar Monaten, wenn auch er wieder öffentlich zechen darf, noch schön wundern, wenn ihm vom Hocker am Tresen ein gutgelaunter Greis ent­ge­gen­grinst, der dort seinen Stammplatz bezogen hat. Wegen der großen Nachfrage ist selbst die letzte Kellerkneipe endlich barrierefrei. Das Berghain spielt auf vier Floors, die mit einem Treppenlift verbunden sind, Beatles, Stones, Led Zeppelin und Udo Jürgens. Legendär unter den etwas reiferen Feiernden sind die Ü80-Partys, bei denen die strenge Türpolitik des Clubs sicherstellt, dass sich keine 78-jährigen Jung­spunde einschleichen.

Während die Umsätze mit Craft Beer und Mate-Brausen stark rückläufig sind, erfreut sich Mampe Halb und Halb steigender Beliebtheit. Jägermeister versucht mit einer Marketingkampagne im ZDF-Vorabendprogramm neue Zielgruppen zu erreichen, aber gegen das neue Kultgetränk Herva mit Mosel kommt niemand an.

Verhältnismäßig schnell gelingt es den Kinos, sich an den neuen Geschmack anzupassen. Weil niemand Marvel-Comic-Verfilmungen oder Daniel Craig als James Bond sehen mag, laufen immer öfter Billy-Wilder- und Jean-Luc-Godard-Retrospektiven.

Viele der frisch Geimpften streben angesichts der steigenden Temperaturen vor die Tür, und so errichtet das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in einem Pilotprojekt Pop-up-Nordic-Walking-Wege, die schnell zum Politikum werden, weil unklar ist, ob sie auch mit Rollatoren benutzt werden dürfen. Ein Generationenkonflikt scheint unausweichlich.

Nur in einer unscheinbaren Metal-Kneipe in Friedrichshain ist die Welt noch in Ordnung. Dort laufen den ganzen Abend über Iron Maiden, Judas Priest und Motörhead – also alles so wie immer.

Die Nacht ist nicht lang genug

Marcel Marotzke hat eine Filmidee

Ein Glas Grüne Berliner Weisse»Weisse mit Schuss. Gerührt, nicht geschüttelt.« Foto: cs

Man kann über die Corona-Pandemie und die Social-Distancing-Maßnahmen sagen, was man will, aber zu einem waren sie immerhin gut: Ich konnte mich endlich einmal mit dieser DVD-Box beschäftigen, die vor ein paar Monaten im Sonderangebot war: eine vollständige Sammlung sämtlicher James-Bond-Filme, die bislang erschienen sind und von denen ich tatsächlich einige noch nicht kannte.

Der Film-Marathon brachte im Wesentlichen drei Erkenntnisse:

Erstens: Eigentlich gibt es nur ein bis zwei wahre Bond-Darsteller.

Zweitens: Das ist aber egal. Heutzutage darf offenbar jeder Bond spielen.

Drittens: Die Handlung ist eigentlich genauso beliebig wie die Besetzung.

Aus all dem folgt zwingend, dass es auch genauso gut einen Kreuzberger Bond-Ableger geben könnte, um nicht zu sagen: sollte.

»Mein Name ist Grabowski. Günther Grabowski.« Als Doppelschrägstrichagent im Geheimdienst des Ordnungsamtes hat Grabowski, von den Kollegen nach seinem Stellenkürzel stets »//7« genannt, die Lizenz zum Abschleppen. Er berichtet direkt an M, die ihn als Bezirksbürgermeisterin mit den wirklich heiklen Aufträgen betraut.

Seine jüngsten Ermittlungen im Kneipenmilieu führen ihn auf die Spuren der mächtigen Geheimorganisation DEHOGA, die offenbar die Übernahme der kulinarischen Weltherrschaft plant. Nach einer wilden Nacht mit Punk-Mädchen Heike, Bedienung in einer widerständigen Alternativkneipe in SO 36, kommt es zu einer Verfolgungsjagd auf dem Landwehrkanal, bei der ein Ausflugsdampfer der Reederei Riedel kentert und einige Gitarren von Touristen auf der Admiralbrücke zu Bruch gehen. M ist not amused über //7s Vorgehensweise, die dem Bezirkshaushalt empfindlichen Schaden zugefügt hat. Auch Q, Bastler in einem Friedrichshainer Maker-Space, ist wenig erbaut vom Ablauf der Verfolgungsjagd, weil dabei das von ihm konstruierte schwimmende Dienstlastenfahrrad vollständig zerstört wurde.

M, eigentlich loyal zu ihrem Mitarbeiter, hat keine andere Wahl, als Grabowski vorübergehend freizustellen, auch weil seitens des Senats Vorwürfe laut wurden, Grabowski sei ein Maulwurf der Gegenseite. Doch beim Verlassen von Ms Büros überreicht ihre Sekretärin Gudrun Moneypenny //7 ein Dossier, aus dem sich ein Zusammenhang des Falles mit den Machenschaften der Immobilienbranche ergibt.

Während des Umzugs beim Karneval der Kulturen kommt es schließlich zum Showdown. Grabowski kapert eine Kameradrohne des rbb und gelangt nach einer spektakulären Stunt-Szene auf das Dach des Post-Towers, wo Oberschurke Christian Blofeld sein Hauptquartier bezogen hat. An seiner Seite: eine weiße Katze und ein buntes Punk-Mädchen. Heike ist die unfreiwillige Gespielin des Bösewichts!

Tja, und an dieser Stelle sollte jetzt eigentlich das ganze Gebäude einstürzen, dem Grabowski und Heike in letzter Sekunde mit Blofelds Privat-Gyrokopter entkommen. Leider war der Baustadtrat für die Einholung der Genehmigung telefonisch nicht erreichbar.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.