Marcel Marotzke lässt sich nicht von der Panik anstecken
Als bei meinem Onkel-Edeka-Laden an der Ecke neulich das 3-lagige Klopapier ausverkauft war, hätte ich eigentlich schon etwas ahnen müssen. Doch erst ein paar Tage später fiel mir auf, dass etwas ganz gehörig nicht stimmte: In der ansonsten stets mit einer großen Auswahl an TK-Pizza gefüllten Kühltruhe herrschte – bis auf eine Packung ungenießbare Gut-und-günstig-Edelsalami – gähnende Leere. Auch das Konservendosenregal wirkte einigermaßen ausgedünnt, und bei den Süßigkeiten sah es aus wie kurz nach dem Weihnachtsschlussverkauf Anfang Januar. Kein Zweifel: Meine sonst so besonnenen Kiezmitbewohner waren der Corona-Panik anheimgefallen und hatten Hamsterkäufe getätigt!
Wie kann man nur so irrational sein?, fragte ich mich, während ich die fünf Dosen Erbseneintopf zu Dauerwürsten, Spiralnudeln und der Salamipizza aufs Kassenband legte. Es muss doch niemand Angst haben, dass es morgen nichts mehr zu essen gibt! Waren denn hier alle zu Preppern mutiert?
Schwer mit der ersten Fuhre meiner Vorräte bepackt verließ ich kopfschüttelnd das kleine Geschäft, das jetzt ein bisschen so wirkte, wie ich mir einen Konsum zu DDR-Zeiten vorstellte.
Zu Hause angekommen beschloss ich, die ganze Sache einmal rational anzugehen. Es bestand ganz offensichtlich keinerlei Anlass für Panik! Nur sicherheitshalber führte ich eine Inventur des Vorratsregals durch.
Die Nudeln zu kaufen, wäre in der Tat überflüssig gewesen, denn neben dreieinhalb Tüten Fusilli, befanden sich dort auch noch zwei Packungen Spaghetti, zwei Mal Maccheroni sowie drei Beutel Tagliatelle. Das Glas Bolognese-Sauce sowie die Tetrapaks mit den passierten Tomaten waren allerdings offenbar überlagert. Ich überlegte. Mindestens haltbar bis 10/2012? Sollte es sich dabei um die Reste der Notfallration für die Schweinegrippe handeln? Hatte ich damals etwa zu den Panischen gehört? Das wäre ja lachhaft!
Mit zwei Dosen Mais und drei Gläsern Gewürzgurken würde ich kaum über eine längere Versorgungslücke hinwegkommen, aber wie albern war es doch anzunehmen, dass eine solche ins Haus stünde!
Mit Mühe quetschte ich die Ekelsalami-Pizza ins Tiefkühlfach, wo bereits genug Notnahrung für eine mittelgroße Kleinfamilie lagerte. Für mich alleine würde all das Zeug sicherlich für mindestens zwei Wochen halten, dazu kämen noch die Tage, die ich mit einer Erbensuppenmonodiät überleben könnte, sowie die Dauerwursttage.
In den drauffolgenden Monaten der Apokalypse würde das Menü dann allerdings etwas langweiliger werden, denn was ich zu den insgesamt fünfeinhalb Kilo Reis als Beilage essen würde, war noch ungeklärt. Aber halt – es würde ja gar keine Apokalypse geben! Schon ein bisschen peinlich, wie sich meine Nachbarn von den Medien manipulieren ließen. Immerhin hatte ich noch einen klaren Kopf. Und Vorräte.
Was ich allerdings nicht hatte, waren die Dinge, wegen denen ich eigentlich beim Edeka gewesen war: Kaffee, Milch, Bier, Kippen. Aber wozu auch. Ich bin ja kein Prepper.
Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2020.