Da kann ja jeder kommen

Wie ich mich doch noch mit einem Plattenhändler anfreunde

Auf die Frage, ob ich denn mal ein Interview führen dürfe, reagierten in meiner noch jungen Journalistenkarriere so ziemlich alle Menschen gleich: ja, sehr gern, man wisse zwar nicht, was ich wolle, aber an sich, na klar.

Detlef Dieter Müller reagiert nicht so. Er verschränkt die Arme. Fragt, was das für ein Magazin sei. Mit irgendwelchen Kommerz-Heinis wolle er nicht reden. Sein Laden sei schon bekannt genug, die ganzen Gentrifizierer rennen ihm die Bude ein. Die Fragen seien eh immer die gleichen. Und ihr aus 61? Waschlappen! Wer habe denn Kreuzberg damals verteidigt? Toll, denke ich mir. Da habe ich mir ja was eingebrockt.

Ich bleibe. Oder besser: ich verharre. Wir kommen irgendwie ins Gespräch. Keine Kommerzkacke, ich interessiere mich wirklich für Musik. Und als ich sage, dass Tocotronic meine Lieblingsband ist, kann ich sogar sowas wie ein kleines Lächeln erahnen. Oder zumindest so ein verräterisches Zucken.

Ich glaube, Detlef hat einen weichen Kern. Dass ich ihn nun genau an dem Tag erwische, an dem er die frischen Erinnerungen ans Wochenende verarbeiten muss, an dem er drei Verabschiedungen von Läden aus seinem Kiez feiern musste, ist mein Pech. Der Kiez gehe kaputt und alle ließen es zu. Niemand würde sich mehr so richtig für die Geschichte des Kiezes interessieren. Langsam verstehe ich seinen Punkt.

Detlef hat 1985 seinen Laden Groove Records in der Pücklerstraße eröffnet. Ziemlich direkt neben der Markthalle Neun verkauft er Platten durch die komplette Bandbreite der Musikvarietät. Nur die Top 100 der Charts, die wolle er nicht bestellen.

Heute heißt der Beruf, den er damals gelernt hat, Musikfachhändler. Ob die Musik von damals noch jemand aus der heutigen Generation aufholen könnte? Er glaube nicht. Was es heute noch an guter Musik gäbe? Na pass uff, ick spiel dir mal wat vor. Ich freue mich. Ich fühle mich aufgenommen. Weicher Kern: ja. Und zwar ein sehr musikalischer.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2020.

Stoff für Schallplatten-Junkies

Bei »Lefter Records« in der Gneisenau gibt’s Vinyl aus aller Welt

Als ich den Laden an der Gneisenaustraße 114 betrete, läuft gute, laute Soulmusik. Inhaber Erbatur Çavuşoğlu begrüßt mich freundlich, er stellt die Musik leiser und führt mich herum.

Obwohl sich das Geschäft halb im Keller befindet, ist es schön hell und gar nicht so muffig, staubig und zugemüllt wie viele der Plattenläden, die ich so kenne. In der Mitte des vorderen Raumes liegen Bücher: »1.000 Plattencover«, »Lefter Küçükandonyadis«, »Weltmusik«. In jedem Raum steht ein Plattenspieler. Die Leute sollen sich hier wohlfühlen, Zeit und Raum haben, um Musik zu hören, zu genießen oder zu analysieren, so wie er es gern macht. Eine alte Berufskrankheit sei das, so der ehemalige Professor für Stadtplanung.

Von diesem Beruf sind heute nur noch die Karten an der Wand eines Raumes übrig. Als er nach Deutschland kam, hatte er keine Lust mehr auf akademische Forschung. Als sich vor drei Jahren der Militärputsch in der Türkei ereignete, musste er das Land verlassen. Und da seine Frau aus Deutschland kommt und in Berlin viel Musik passiert, können wir uns hier in Kreuzberg nun über diese Bereicherung freuen.

Die insgesamt 10.000 Platten aus aller Herren Länder sammelt Çavuşoğlu seit seinem 15. Lebensjahr. Sein Bruder, der ihm damals die ersten Platten geschenkt hat, war der Anstoß. Und heute? »It’s an addiction.« – eine Sucht sei daraus geworden. Menschen seien nun mal gemacht für Süchte und Platten seien eben seine.
Alle Arten türkischer Musik sind dabei seine Spezialität und auch das Herzstück seines Ladens. Der Rest der Plattensammlung unterteilt sich in mehr oder weniger bekannte deutsche und englische Klassiker und Newcomer und eine Abteilung mit sehr viel unterschiedlicher Weltmusik. Dabei sind von Ghana bis Finnland, von China bis Uruguay so allerhand Länder vertreten. Gefunden und gerettet von den Floh­märkten dieser Welt.

Lefter Küçükandonyadis, nach dem sein Sohn und nun auch sein bald ein Jahr existierender Plattenladen benannt sind, ist übrigens ein griechischstämmiger türkischer Fußballspieler. Für Çavuşoğlu ist er aber zusätzlich noch ein Freiheitskämpfer, ein Mann der Hoffnung, ein großes Vorbild. Über die Wahlverwandtschaft des Namens zur politischen Haltung sei er aber auch nicht traurig, und ich bemerke erst jetzt das »Rock’n’Roll«-Tattoo auf seinem Unterarm.

lefterrecords.wordpress.com

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2019.