Moviemento in Gefahr

Deutschlands ältestes Kino droht zum Opfer von Immobilienspekulation zu werden

Eckhaus Kottbusser Damm / Boppstraße. Im ersten Stockwerk befindet sich das Kino MoviementoSpekulationsobjekt: Im Eckhaus am Zickenplatz gibt es seit 1907 ein Kino. Foto: rsp

Die Immobilienspekulation macht auch vor Deutschlands ältestem Kino nicht Halt. Nach mehrfachem Besitzerwechsel des Eckhauses am Kottbusser Damm steht jetzt die Gewerbeeinheit, in der das Kino Moviemento residiert, zum Verkauf – für gut zwei Millionen Euro.

Die Nachricht, die die Kino-Betreiber Iris Praef­ke und Wulf Sörgel Mitte Oktober ereilte, war ein Schock. Denn es ist klar: Wenn die knapp 600 Quadratmeter tatsächlich für zwei Millionen über den Tisch gehen, dürfte sich die Miete locker vervierfachen – und das wäre das Aus für einen weiteren Kinobetrieb.

Doch die Schockstarre wich schnell der hektischen Planung. Mit einer Unterstützungs-Kampagne wollen die Kinomacher genug Geld zusammenbekommen, um die Räume der Spekulation zu entziehen, selbst zu erwerben und damit das langfristige Überleben des Kinos zu sichern. 400.000 Euro haben sie bereits privat und im Freundeskreis zusammengekratzt, es fehlen also noch rund 1,6 Millionen Euro.

Ein ambitioniertes Ziel für eine Crowdfunding-Kampagne, aber nicht so aussichtslos, wie es klingen mag. Einerseits besteht durchaus die Hoffnung auf größere finanzielle Unterstützung durch Akteure des gut vernetzten Filmbetriebs, andererseits ist auch der veranschlagte Kaufpreis nicht in Stein gemeißelt.

Der Eigentümer, die Delta Vivum Berlin I GmbH, gehört zum größten Teil der Deutsche Wohnen SE, die Enteignungsforderungen zuletzt mit einer Art Charmeoffensive gekonntert hatte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Geschäftsführer der Deutsche Wohnen schuld daran sein wollen, wenn Deutschlands ältestes Kino schließen muss«, glaubt Wulf Sörgel. Schließlich ist die Immobilie nur eine von Tausenden im Portfolio. »Die wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es uns gibt.«

Hier geht es zur Kampagnenseite bei Startnext. Wer ansonsten – mit Geld oder Belohnungen für die Kampagne – helfen kann, schreibt an retter@moviemento.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2019.

Wo wärst du heute, wenn die Mauer noch stehen würde?

Neun Kreuzberger fragen sich, wie ihr Leben verlaufen wäre. Erinnerung und Spekulation über ein geteiltes Deutschland

Vor fast 21 Jahren fiel die Mauer, und 20 Jahre ist die Wiedervereinigung her. Viele Menschen sind in Zeitungen und im Fernsehen zu Wort gekommen und haben erzählt, wie sie die Wende erlebt haben. Wir haben die umgekehrte Frage gestellt: Wie wäre dein Leben verlaufen, wenn die Mauer noch stehen würde? Wo wärst du heute, wenn es noch zwei deutsche Staaten geben würde?

Almut Gothe: Noch drei Jahre Dienst bei der NVA. Foto: rsp

Für Almut Gothe ist die Antwort einfach. »Ich wäre noch die nächsten drei Jahre bei der NVA.« Schon mit 14 Jahren hatte sie verkündet, Offizier werden zu wollen. Als 20jährige fing sie an, Militärfinanzen zu studieren und verpflichtete sich für 25 Jahre zum Dienst bei der Armee. Ohne die Wende wäre ihr Lebensweg damit fest vorgezeichnet gewesen. Oder zumindest größtenteils. »Vielleicht würde ich jetzt auch im Knast sitzen, weil ich meine Klappe nicht halten konnte.«

Heiko Salmon: »Wäre die Wende nicht gekommen wäre ich Pferdezüchter.« Foto: rsp

Auch Heiko Salmon, glaubte seinen Lebensweg zu kennen. »Ich wäre jetzt Pferdezüchter«, erzählt der gebürtige West-Berliner. Neben seinem Job als Verwaltungsbeamter hatte er damals mit zwei Freunden mit der Pferdezucht begonnen. Nach dem Mauerfall aber brach der Markt zusammen, da das Brandenburger Umland mehr und günstigere Weideflächen bot. Dazu schwand das Interesse des Berliner »Geldadels« am Trabrennen. Auch dass Wehrpflicht jemals ein Thema für ihn sein könnte, hatte er nicht erwartet, bis er Mitte der 90er zur Musterung bestellt wurde.

Harald Jaenicke: Auch kein Jurist, aber schneller. Foto: rsp

Harald Jaenicke, Kreuzberger Kellerkneipenkellner, kam dank anwaltlicher Beratung gerade noch so um den Wehrdienst herum. »Ich weiß nicht, ob es viel anders wäre, vermutlich hätte ich mein Jura-Studium drei Jahre früher abgebrochen«, sagt er. Das Interesse vieler Studenten aus den neuen Bundesländern an einem Studium an der FU sorgte für einen höheren NC und damit für Wartezeit für Harald. »Ich bin ein typisches West-Berliner Kiezkind, aber wahrscheinlich könnte ich mir die Wohnung in Schöneberg nicht mehr leisten.«

Iris Praefke: Vielleicht kein Kino, aber wohl doch was mit Kultur. Foto: rsp

Für Moviemento-Betreiberin Iris Praefke ist die Wende nur ein Faktor von vielen. »Hätte ich nicht zufällig meinen damaligen Freund kennengelernt, hätte ich nie Sozial- und Politikwissenschaften studiert« – was sie durch ein Auslandsstipendium wiederum indirekt zum Kino brachte. In der DDR hätte die Weimarerin aber garantiert nichts politisches studiert. »Wahrscheinlich hätte ich jetzt Kinder und wäre verheiratet. Aber irgendwas kulturelles würde ich wohl schon machen.«

Dominique Croissier: Zurück in der Provinz mit Kind und Kegel. Foto: privat

Dominique Croissier kam schon vor dem Mauerfall her und wäre wohl irgendwann wieder nach Heidelberg zurückgegangen. »West-Berlin war groß aber piefig. Da gab‘s zwar Kreuzberg, aber das war wie ein Dorf.« Als die Mauer weg war, gab es in Ost-Berlin einen gefühlt rechtsfreien Raum, in dem man ein Vakuum besetzten konnte – in Dominiques Fall einen ehemaligen Friseurladen, in dem sie mit ein paar Freunden einen angesagten Club aufmachte. »Ansonsten wäre ich wohl einfach in der Provinz versackt, mit einem ekligen Mann verheiratet, und hätte aus Verzweiflung Kinder bekommen, die wie Opossums an mir hängen würden.«

Chen Castello: »Wäre die Mauer nicht gefallen, wäre ich heute vielleicht tot.« Foto: psk

»Vielleicht würde ich dann gar nicht mehr leben«, meint Chen Castello nachdenklich. 1985 war er wegen des Bürgerkriegs aus seinem Heimatland Mozambique in die DDR geflüchtet und hatte dort im sächsischen Seifhennersdorf einen vierjährigen Arbeitsvertrag erhalten, der 1989 auslief. Ihm drohte die Rückführung und erneute Verfolgung. Ein befreundeter tschechischer Grenzbeamter wollte ihm zur Flucht durch die ČSSR nach Österreich verhelfen. Doch dann fiel die Mauer.

Silke Walter: Markenmanagerin in Berlin statt Kunstlehrerin in der Provinz. Foto: privat

Wäre die Mauer noch da, so würde Silke Walter heute als Englischlehrerin und Kunsterzieherin an einem Gymnasium in einer sächsischen Kleinstadt unterrichten. Wahrscheinlich hätte sie einen Ehemann und zwei Kinder, ihr Leben wäre in ruhiger Bahn verlaufen. Mit dem Fall der Mauer aber hat sich alles geändert. Sie machte Karriere in Berlin in einem internationalen Konzern als Marketingmanagerin und unterrichtet heute als Hochschuldozentin in Sachsen und Berlin ihr Fach Marketing.

Joachim Mühle: Gedenkstätte statt Gaststätte. Foto: rsp

»In der Gastronomie wäre ich eher nicht gelandet«, überlegt Joachim Mühle, Chef des Valentin. Er vermutet, dass er stattdessen ein gutes Auskommen im öffentlichen Dienst oder bei einem freien Träger in West-Berlin hätte. Als Diplom-Politologe suchte er nach dem Abschluss 1993 nach einem Job in einer antifaschistischen Gedenkstätte – aber da gab es 250 Bewerber, teils bereits promovierte Experten aus der DDR.

Claudia Bombach: Keine Souvenirstände am Potsdamer Platz mehr. Foto: psk

»Ich bin fast ein bisschen erschrocken, als ich über die Frage nachgedacht habe«, meint Claudia Bombach. Bei ihr hätte sich ohne den Mauerfall so gut wie nichts geändert. Als Stadtführerin würden ihre Touren heute noch an den Souvenirständen am Potsdamer Platz enden und ein Highlight der Tour wäre noch immer das Schöneberger Rathaus. »Ach, ja und die Mieten in Kreuzberg wären billiger.«

cs

psk

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Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2010.