Siggi mit der Hupe

Peter S. Kaspar denkt zurück an den KuK-Mitarbeiter Siegfried von Trzebiatowski

Und dann war er eines Tages da – unüberhörbar. Die drei Stufen zur Eingangstür der Redaktion waren für Siggi und seinen E-Rolli eigentlich unüberwindbar. Doch er wusste sich bemerkbar zu machen. Seine durchdringende Ballonhupe am Rollstuhl war sein akustisches Markenzeichen im ganzen Kiez. Schon von Ferne war klar: Jetzt kommt Siggi.

Siggi (rechts) beim Sommerfest der KuK in der Ritterburg Foto: phils

Sein Besuch vor der Redaktion hatte einen bestimmten Grund: »Warum berichtet die KuK nie über die Friedrichstadt?« Und er hatte recht. Im Grunde endete die Welt für uns am Kanal. Die Betonwüsten hinter dem Halleschen Tor hatten sicher nichts zu bieten, was für Kiez und Kneipe in irgendeiner Weise interessant wäre.
Da hat uns dann Siggi eines Besseren belehrt. Er hatte nämlich ganz und gar nicht vor, es bei dieser Rüge zu belassen. Er erbot sich auch, den Mangel zu beheben. Und so wurde Siggi praktisch zum Statthalter von Kiez und Kneipe in der Friedrichstadt. Sein Revier reichte von der Stresemannstraße bis zur Prinzenstraße, vom Checkpoint Charlie bis zum Halleschen Tor und darüber hinaus. Und das allumfassend. Er wollte nicht einfach nur Berichterstatter sein, sondern kümmerte sich auch um Anzeigen und sogar um den Vertrieb in seinem Reich.
Doch das war noch nicht alles. Jahrelang hatte Siggi, stets auf Seite sieben, seine eigene Kolumne. »So sieht’s Siggi« hieß sie und sollte ursprünglich unseren Lesern einen Blick auf die Welt vermitteln, den die meisten von uns nicht haben: Wie sieht die Welt für jemanden aus, der im Rollstuhl sitzt?
Siggi hat das oft sehr eindrücklich, manchmal auch beklemmend beschrieben. Es passierte auch immer wieder, dass manche Leser die kalte Wut packte, wenn sie durch Siggis Artikel erfuhren, wie schlampig oft geplant wurde und manches Etikett, auf dem »barrierefrei« stand, nichts anderes als ein Schwindel oder vielleicht die pure Unwissenheit war.
Und so entwickelte er die Kolumne weiter, über den Rollstuhl hinaus, und wurde zu einer Art Kummerkasten für seine Nachbarschaft. Er gab dem sprichwörtlichen »kleinen Mann« rund um das Hallesche Tor eine Stimme.
Mit dem »kleinen Mann« identifizierte er sich, zählte sich selbst dazu, obwohl er einst nicht schlecht verdient hatte. Nachdem er aus Nauen in den Westen gekommen war, arbeitete er erst als Kellner, dann als Koch, zuerst in Süddeutschland, auf der Alb, rund um Stuttgart und in der Baar. Er kam wieder nach Berlin und machte nun selbst Läden auf. Privat hatte er weniger Glück. Eine erste Ehe endete schon nach kurzer Zeit mit der Scheidung, die zweite, als seine Frau 1993 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte. Sie stammte aus Thailand, und er selbst hatte das einstige Siam ins Herz geschlossen. Er betrachtete es als zweite Heimat.
Doch dann kamen die Krankheiten, die ihn schließlich an den Rollstuhl fesselten. Reisen kam nicht mehr in Frage, seiner Arbeit konnte er auch nicht mehr nachgehen. Doch unterkriegen ließ er sich nicht. Er machte immer einen fröhlichen Eindruck und fast immer hatte er etwas dabei, was auch andere fröhlich machen sollte. »Hol mal da aus der Tasche …« war ein stehender Spruch, und wenn man dann in der Tasche an der Rollstuhllehne kram­te, hatte man schnell zwei kleine Schnapsfläschchen in der Hand.
Markant war auch seine raue Stimme. Stimmbänder und Kehlkopf hatten ihm schon lange Probleme bereitet. Und dann kam der Kehlkopfkrebs. Es folgten immer wieder Operationen. Im Juni hätte die nächste folgen sollen, doch das war dem ewigen Optimisten am Ende zu viel. Er verzichtete auf eine weitere Behandlung und zog ins heimische Nauen ins Hospiz. Dort starb er am 5. Juli im Alter von 76 Jahren.
Wir von der KuK werden ihn vermissen.