Humppa aus Berlin

Was Friedrichshain und Kreuzberg verbindet

Denke ich an Kreuzberg, so denke ich nicht an die Wallerts. Jedenfalls nicht gleich. Denn die sind eingeborene Friedrichshainer. Und trotzdem verirren sich die fünf Humppamänner, namentlich Dawa, Stefan, Laui, Willie und Peter Wallert, doch das ein oder andere Mal in den »richtigeren« der beiden Teile. Aber was genau sind jetzt eigentlich Humppamänner?

Humppa ist erst einmal eine Musikrichtung. Diese finnische Art von Polka hat mir beim erstmaligen Live-Erlebnis im zarten Alter von 14 Jahren, das ich übrigens der hier lobgepriesenen Band zu verdanken habe, fast die Füße weggetanzt. Im eingängigen Humppa-Offbeat reiht sich Hit an Hit an Hit. Die Melodien sind bekannt, die werden nämlich gecovert.

Und so hat sich die Band seit 2004 zur selbsternannten Berliner Humppa-Institution gearbeitet. Oder eher gebegeistert. Viele ihrer frühen Konzerte haben sie in Kreuzberg ge­spielt. Dabei immer ganz vorne mit dabei und als wäre er das erste Bandmitglied: Spaß. Er zieht sich durch die Texte, die Stimmung, die Musikvideos, ja selbst die Website ist ausnahmsweise mal nicht ermüdend zu durchforsten.

Und wie es sich für Bands so gehört, bringen die Fünf Ende September mal wieder ein Album heraus, »UHU« ist ihr sechstes an der Zahl. Ganz nach alter Humppa-Tradition wird dieses Spektakel mit einer Record-Release-Party am 28. im schönen Festsaal Kreuzberg gefeiert.

Wer dafür nicht mehr rechtzeitig an Karten kommt, muss nicht verzagen. Die sehr regelmäßigen Weihnachtskonzerte finden noch näher dran in der Wallerts-Lieblingslocation SO36 statt. Und sonst rate ich dazu, einfach mal die Augen im Kreuzberger Musikgeschäft des Vertrauens offen zu halten. Das eine oder andere Instrument soll wohl schon hier erworben worden sein.

Denke ich an die Wallerts, so denke ich an Akkordeon, Klampfe und Glückseeligkeit. Und ein bisschen an Friedrichshain-Kreuzberg.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2019.

Disco, Feiern, Gesellschaftskritik

Frittenbude kommen mit einem neuen Album in den Festsaal


Wie viel macht eigentlich ein Name für eine Band aus? Im Falle von Led Zeppelin wäre der Erfolg wohl auch mit einer anderen Bezeichnung nicht ausgeblieben. Pink Floyd? Da wird’s schon interessanter. Und dann gibt es noch Frittenbude, die die Mischung auffallender Name und heftiges Debütalbum als Katapult in den Erfolg für sich entdeckt haben.

Das mit dem Debüt war vor mehr als zehn Jahren. Damals gründeten die drei Mitglieder Martin Steer, Johannes Rögner und Jakob Hägls­perger die Band während einer Autofahrt. Das Radio war kaputt und so wurden eben eigene Beats und Texte gezaubert. Zwei Jahre später kam das erste Album, mit dem sich die drei mit 120 bpm, Bass, Bass und Bass in den Elektropunkhimmel sangen. Ursprünglich aus Bayern kommend haben sie sich textlich und musikalisch ganz schnell dem klassischen Berliner Club-Hipster angepasst. Es geht also um Disco, Feiern gehen und ein bisschen Gesellschaftskritik.

Berühmt wurden Frittenbude allerdings vorerst mit ihren Remixen. Dabei verändern sie nicht nur wie üblich die Instrumentierung der Songs, sondern dichten ganz gern auch mal die eine oder andere Zeile dazu. Dabei kommen am Ende meist humorvollere oder politischere Texte als beim Original heraus.

Apropos politische Einstellung: hier heißt das Stichwort nämlich Audiolith. Dem stetigen Leser dieser Kolumne wird dieses herausragende Label bereits von der Band Egotronic bekannt sein. Mit ihrem Selbstverständnis einer linken, toleranten, antifaschistischen Weltanschauung nahmen sie Frittenbude, die diese Vorstellungen mehr als eindeutig in sich vereinen, 2010 unter Vertrag.

Und nun ist es endlich soweit: Frittenbude kommen mal wieder (fast) nach Kreuzberg. Am Tag des Redaktionsschlusses herausgekommen verspricht das neue Album mehr politische Haltung als je und nicht ganz so schnelle, basslastige Songs wie sonst. Sie präsentieren »Rote Sonne« am 30. März im Festsaal Kreuzberg (seit 2017 am Flutgraben in Treptow beheimatet und damit nur noch gefühltes Kreuzberg). Doch Achtung Uniform: bitte Bauchtasche und Hornbrille anlegen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2019.

Mit Perlenkette und Lippenstift

Ezra Furman ist mehr als ein genialer Musiker


Das Saallicht geht aus, vier komplett in weiß gekleidete Musiker betreten die Bühne des Festsaals Kreuzberg. Nach ihnen sieht man eine in langem, schwarzen Mantel gekleidete, schlaksige Person auf die Bühne wanken.

Als Ezra Furman mit seiner Musik be­ginnt, fühlt es sich nicht so an, als ob hier eine unglaublich berühmte Persönlichkeit spielen würde. Viel eher empfindet man, als fände das Konzert in einem Wohnzimmer unter Freunden statt. Der Künstler wirkt schüchtern, emotional und überhaupt nicht wie das, was man herkömmlich als Bühnenfigur bezeichnet. Allerdings ist er trotzdem voller Präsenz und Ausstrahlung. Furman interssiert sich für sein Publikum und versucht immer wieder beim Singen und Spielen inmitten des gedimmten Lichtes Gesichter auszumachen, Menschen zu erkennen. »Was sind das für Menschen, die meine Konzerte besuchen?« ist die Frage, die dem Künstler offensichtlich im Kopf umhergeistert. Vielleicht, weil er mehr verkörpert, als Popmusik. Mit rotem Lippenstift und einer großen, weißen Perlenkette um den Hals erinnert er ein wenig an den androgynen Bowie. In Zeiten der MeToo-Debatte ist das ein wichtiges Statement über Sexismus, sexuelle Orientierungen und das Sich-Definieren-Müssen. Doch nicht nur politisch sondern auch musikalisch und emotional überzeugt Furman auf ganzer Linie. Inmitten der in weiß gekleideten Musiker besingt er das Leben und wirkt teils zerissen von der eigenen Musik und den tiefgehenden Melodien. Performt die außergewöhnliche Formation auf der Bühne die schnellen und beschwingten Songs, die man teils auch bereits aus dem Radio kennt, springt Furman wie auf einem Trampolin auf der Bühne umher und steckt mit seinem strahlenden Lachen jeden und jede Einzelne bis in die hintersten Reihen an. Völlig verausgabt und mit Tränen in den Augen verabschiedet sich der aus Chicago stammende Musiker zusammen mit seiner Band »The Visions« nach drei Zugaben und unendlich vielen Danksagungen an das Publikum und hinterlässt es als einen ebenso emotionalen Haufen begeisterter Menschen.

In Ansätzen kann man das, was da auf der Bühne passiert ist auf dem neuesten Album »Transangelic Exodus« nachhören. Und auch wenn es nicht live ist: mitreißen tut die Musik so oder so.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2018.

Raven gegen Deutschland

Die Band Egotronic polarisiert – und begeistert

Eigentlich kommen die Mitglieder der Elektro-Punkband um Sänger, Frontmann und Ich-AG Projekt Torsun Burkhardt gar nicht aus Berlin. Das heißt: nicht hier geboren. Doch als sich die erste Möglichkeit ergab, steuerte Torsun Berlin als neue Heimat an. Verständlich, denn wer noch nicht über die Bezeichnung Elektro-Punk gestolpert ist, der wird spätestens bei den ersten Tönen wahrnehmen, dass diese Musik nicht in den Odenwald, die eigentliche Heimat, sondern in eine Großstadt passt.

Die musikalischen Wurzeln von Egotronic liegen in den antifaschistischen Zentren Hessens, also: Punk. Allerdings probierte sich Sänger Torsun früh an Elementen der elektronischen Musik und schließlich fusionierten diese beiden Genres zu dem oben benannten Elektro-Punk.

Bekannt wurde die Band durch ihr zweites Studioalbum mit dem klangvollen Namen »Lustprinzip«. Was dort zu hören ist, sind treibende Beats, Bässe und Texte. Sie handeln vom Tanzen gehen, Drogen und manchmal auch ein bisschen Liebe. Aber nie, ohne dem Hörer die politische Einstellung der Band auf dem Silbertablett zu präsentieren.

Als links, autonom und antifaschistisch wird die­se meist beschrieben. Was damit gemeint ist: antideutsch. Mit plakativen Werken wie »Raven gegen Deutschland« erregte und erregt die Band die Gemüter vieler Menschen. Und gibt trotzdem manch unpolitischen oder unentschlossenen Personen einen politischen und musikalischen Anker.

Im Mai 2017 erschien »Keine Argumente«, das neueste Album der Band. Dieses bedient Themen wie den Odenwald, die neue Platte der Band Hammerhead und natürlich Deutschland. Besser gesagt: Anti-Deutschland.

Zu den politischen Positionen kann sich natürlich ein Jeder seine eigenen Gedanken machen und Gegensätze oder Gemeinsamkeiten finden. Gesagt sei nur, dass die Band nicht darauf abzielt, die Massen zu begeistern, sondern zufrieden mit Fans ist, die sich auch mit ihnen identifizieren können. Worüber sich allerdings nicht streiten lässt, sind die großartigen und mitreißenden Konzerte, die in einem ziemlich regelmäßigen Rhythmus auch in Berlin stattfinden. Meine Empfehlung: Hingehen, angucken, raven!

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2018.