Am Ende bleiben tiefe Gräben

Mehrheit für die große Koalition spaltet die Genossen von der SPD

Hannah Lupper und Niklas Kossow (SPD) vor der Redaktion der Kiez und KneipeHannah Lupper und Niklas Kossow von den Kreuzberger Sozialdemokraten. Foto: psk

Katerstimmung herrsch­te bei den SPD-Genossen in Kreuzberg nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Mitgliederbefragung zur großen Koalition in Berlin. Mit 54,3 Prozent stimmte die Basis für den Koalitionsvertrag. In Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich bei einer Kreisdelegiertenkonferenz eine Mehrheit gegen ein Bündnis mit der Union ausgesprochen.

»Das Ergebnis akzeptieren wir«, erklärte Niklas Kossow, Vorsitzender der Abteilung Südstern. »Das Ergebnis ist knapp. Die Partei hat sich mit der Entscheidung schwergetan.« Die Partei müsse sich nun neu aufstellen, um wieder zu­ein­an­der­zu­finden.

Doch das wird nicht einfach werden, wie die Vorsitzende des benachbarten Ortsvereins, der Abteilung Kreuzberg 61, meint. Hannah Lupper war in den letzten Wochen zu einer der wichtigsten Protagonistinnen der NoGroKo-Kampagne in der Berliner SPD geworden. Sie sieht durch das knappe Ergebnis die Führung der Landes-SPD beschädigt. »Der Landesvorstand hat es geschafft, Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister zu machen und sich gleichzeitig zur Disposition zu stellen.«

Im Vorfeld hatte Hannah Lupper beklagt, dass der Landesvorstand auf einzelne Mitglieder e­nor­men Druck ausgeübt habe. So sind tiefe Gräben zwischen der Landesspitze und einzelnen Kreis- und Ortsvereinen aufgerissen worden. Die Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh hatten auf einer Pressekonferenz angekündigt, auf die unterlegene Seite zuzugehen. Allerdings hat Hannah Lupper Zweifel daran, ob das den beiden gelingen kann.

Für einen gewissen Vertrauensvorschuss warb dagegen Niklas Kossow, der glaubt, dass sich die neue Regierung nun beweisen müsse, und zeigen, dass sie zu einer progressiven Politik überhaupt in der Lage sei.

Was wird aus der Cannabis-Legalisierung?

Als Nagelprobe betrachten beide Ortsvereinsvorsitzende das Thema Cannabis-Legalisierung. Eine Enthaltung Berlins im Bundesrat könnte dieses neue Gesetz auf den letzten Metern zu Fall bringen. Das hätte gerade für Friedrichshain-Kreuzberg massive Folgen. Der Bezirk bereitet sich nämlich bereits darauf vor, als Modellprojekt diesen neuen Weg in der Drogenpolitik zu begleiten. »Es wäre ja ein Treppenwitz, wenn das neue Gesetz am Ende ausgerechnet an Berlin scheitern würde«, sagt Hannah Lupper.

Sie wird das Geschehen in der Bezirksverordnetenversammlung dann übrigens nur noch als einfaches Mitglied ihrer Fraktion verfolgen und nicht mehr als ihre Vorsitzende. Wenige Tage vor dem Abstimmungsende über den Koalitionsvertrag hatte die SPD-Fraktion in der BVV einen Wechsel der Fraktionsspitze bekanntgegeben. Tessa Mollenhauer-Koch folgt Hannah Lupper im Amt nach.

Schnell hatte das Gerücht die Runde gemacht, die bisherige Vorsitzende sei für ihre Opposition gegen den Koalitionsvertrag abgestraft worden. Sie selbst allerdings hat diesen Verdacht entkräftet. Der Wechsel sei schon länger besprochen gewesen. Nach zwei aufreibenden Wahlkämpfen innerhalb von anderthalb Jahren wolle sie nun einfach ein wenig kürzer treten. Abteilungsvorsitzende von Kreuzberg 61 will sie allerdings bleiben.

Immerhin gibt es in den nächsten dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Berlinwahl noch genug zu tun. So sind nicht nur innerhalb der SPD Gräben aufgerissen worden, auch zwischen SPD und Grünen herrscht nun Eiszeit. Wenn sie wieder ein politischer Partner werden wollen, »dann müssen wir die Gesprächskanäle offen halten«, erklärt Hannah Lupper.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2023.

Kreisverband der SPD lehnt CDU-Koalition ab

Delegierte aus Friedrichshain-Kreuzberg folgen dem Landesvorstand nicht

Darüber herrschte Einigkeit: Die SPD des Bezirks ist gegen die Karstadt-Pläne des Unternehmens Signa am Hermannplatz. Archivfoto: rsp

Immerhin bei einem Punkt zeigte sich der Kreisparteitag der SPD in Friedrichshain-Kreuzberg dann einig. Die Pläne des österreichischen Investors Signa für den Karstadt am Hermannplatz lehnt man ab. Aber ansonsten krachte es beträchtlich. Selbst für einen so diskussionsfreudigen Kreisverband war das dann eher unüblich. Die Gemüter scheiden sich an der geplanten Koalition mit der CDU.

59 Delegierte stimmten gegen eine Koalition mit der CDU auf Landesebene, 44 waren dafür und drei enthielten sich. Für eine war das ganz besonders bitter: Cansel Kiziltepe aus Kreuzberg ist nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch stellvertretende Landesvorsitzende. Außerdem gehört sie der Delegation an, die mit der CDU den Koalitionsvertrag aushandeln soll. Sowohl sie als auch Landesgeschäftsführer Sven Heinemann, der ebenfalls dem Kreisverband angehört, warben vor den Delegierten des Kreisverbandes für die angestrebte Koalition, ein Weg, den die Mehrheit der Anwesenden nicht mitgehen will. Viele stellten sich die Frage, ob denn die SPD tatsächlich mehr Schnittmengen mit der Union als mit Grünen und der Linken habe.

Vor allem die Position von Cansel Kiziltepe gab etlichen Mitgliedern Rätsel auf, wird sie doch eher dem linken Lager in der SPD zugeordnet. Als  Staatsekretärin im Bundesbauministerium gehört sie auch der Bundesregierung an, wo die Koalitionsverhandlungen in Berlin ebenfalls mit Sorge verfolgt werden. Eine neue Koalition verschiebt auch das Kräfteverhältnis im Bundesrat. Allerdings ist fraglich, ob Cansel Kiziltepe noch lange im Bauministerium bleibt. Laut Berliner Zeitung wird sie nämlich bereits als Kultursenatorin in einem Senat unter Führung von Kai Wegner gehandelt.

CDU soll Ampelprojekten zustimmen

Was wird mit vielen Projekten der Ampel, wenn in Berlin eine schwarz-rote Koalition regiert? Normalerweise wird in solchen »Mischkoalitionen« vereinbart, dass sich das Bundesland bei Abstimmungen im Bundesrat enthält, wenn man sich nicht einigen kann. Etlichen Ampelprojekten könnte daher spätestens im Bundesrat das Aus drohen, weil die Stimmen aus Berlin fehlen.

Das trieb auch die queere SPD in Friedrichshain-Kreuzberg um. Sie beantragte, dass in den Koalitionsvertrag, so er denn zustande kommen sollte, ein Passus aufgenommen wird, dass Berlin im Bundesrat bestimmten Projekten zustimmen muss. Genannt werden insgesamt elf. Darunter fallen die Kindergrundsicherung und die Legalisierung von Cannabis. Sollte die CDU dieser Liste nicht zustimmen können, dann solle es auch keinen Koalitionsvertrag geben, fordert die queere SPD.

Noch sind die Verhandlungen nicht beendet, doch bis zum 23. April sollen die Mitglieder darüber abstimmen. Der Ausgang ist ungewiss. »Das gibt jetzt einen richtigen Wahlkampf«, meint die Fraktionsvorsitzende der SPD in der BVV, Hannah Lupper, die sich ebenfalls gegen eine Koalition mit der CDU stemmt. Selbst wenn sich eine Mehrheit der Mitglieder für eine Koalition aussprechen sollte, ist das noch nicht entschieden. Offiziell muss das ein vorgezogener Landesparteitag beschließen. »Der Parteitag ist eines der höchsten Beschlussgremien. Aber natürlich muss er sich auch an ein Mitgliedervotum halten.«

Tendenziell votieren die SPD-Mitglieder bei einer Befragung eher etwas konservativer. Doch dieses Mal wagt kaum jemand eine Prognose abzugeben. Das Rennen scheint völlig offen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2023.

Zum Kandidieren verdammt

Der kommende Wahlkampf steckt voller Absurditäten

Lange Schlange vor einem WahllokalZwei Stunden anstehen für nichts. Die Berlin-Wahl vom September 2021 wird wiederholt. Foto: psk

»Ich freue mich ganz unglaublich darauf«, sagt Oliver Nöll und die beißende Ironie ist nicht zu überhören. Als Bezirksstadtrat unter anderem für Bürgerdienste fällt die Vorbereitung für die Wiederholung der Berlinwahl in sein Ressort. An der Person des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters lässt sich der ganze Irrsinn dieser Wahlwiederholung ziemlich gut verdeutlichen.

Der ehemalige Spitzenkandidat der Linken muss erneut für die BVV kandidieren, obwohl er als Bezirksstadtrat der BVV gar nicht angehören darf. Seinen Job im Rathaus wird er auch über den 12. Februar hinaus behalten können, denn im Gegensatz zum Senat bleiben die Bezirks­ämter in ihrer Besetzung erhalten – es sei denn, ein Bezirksstadtrat wird mit Zweidrittel-Mehrheit abgewählt. Eine solche Mehrheit scheint gegen keinen Bezirksstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg in Sicht.

Wie er allerdings Wahlkampf führen und gleichzeitig die Wahl vorbereiten soll, ist Oliver Nöll jedoch einigermaßen schleierhaft.

Auch Hannah Lupper muss erneut kandidieren. Die SPD-Kandidatin ist im Wahlkreis 1 angetreten, ausgerechnet gegen Katrin Schmidberger, die Stimmenkönigin der Grünen. »Alle Parteien haben die Wahlplakate schon vor dem Urteil des Landesverfassungsgerichts in Auftrag gegeben«, erzählt Hannah Lupper. Natürlich wird sie sich auch dieses Mal wieder voller Elan in den Wahlkampf stürzen. Ein mulmiges Gefühl hat sie diesmal allerdings schon. Sie wurde von einem Stalker verfolgt und hatte das in der Presse auch öffentlich gemacht. Und ausgerechnet nun wird ihr Gesicht bald wieder auf Hunderten von Wahlplakaten zu sehen sein. Sehr glücklich ist sie bei dem Gedanken nicht. Aber sie ist von Gesetzes wegen verpflichtet anzutreten.

Berlin droht nun der Dauerwahlkampf

Wäre es übrigens nach den gesetzlichen Fristen gegangen, dann hätten in der Heiligen Nacht die ersten Plakate aufgehängt werden dürfen. Die Parteien haben sich aber geeinigt: Nun darf erst ab 2. Januar plakatiert werden. Für Hannah Lupper ist das eigentlich immer noch zu früh. Sie denkt an Wahlkampfhelfer, die in das neue Jahr feiern »und am nächsten Tag auf Metallleitern klettern müssen.«

Wer den neuen Wahlkampf nun eigentlich finanziert, ist weder der SPD-Kandidatin noch dem Bezirksstadtrat von der Linken klar. Wie das mit der Wahl­kampf­kos­ten­rück­er­stattung aussieht, weiß derzeit wohl niemand genau.

Es ist nicht die einzige Frage, die bislang noch ungeklärt ist. Ist eine beantwortet, so scheinen sich gleich zwei neue zu stellen. Sowohl Hannah Lupper als auch Oliver Nöll erinnern allerdings auch daran, dass diese Situation einzigartig ist. Noch nie hat in Berlin eine komplette Wahl wiederholt werden müssen. »Es gibt einfach keinen Präzedenzfall«, meint Oliver Nöll.

Er kann zwar davon ausgehen, dass er Bezirksstadtrat bleibt, doch was geschieht, wenn die SPD die Linke überholt? Wird dann Kollege Andy Hehmke stellvertretender Bezirksbürgermeister? Oliver Nölls offene Antwort: »Ich weiß es nicht.«

Hannah Lupper treibt derweil noch eine ganz andere Frage um. Sie rechnet vor, dass nach der Berlinwahl im Jahr darauf die Europawahl, dann die Bundestagswahl und danach schon die nächste reguläre Berlinwahl folgen. »Wir haben dann fünf Jahre jedes Jahr Wahlkampf. Und im Wahlkampf wird keine Politik gemacht«, meint sie und befürchtet nun den völligen politischen Stillstand.

In einem sind sich parteiübergreifend wohl die meisten Akteure einig: Das ist ein Wahlkampf, den niemand wirklich will.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2022.