Wollen die eigentlich?

Jahrelang war der Konflikt zwischen Fundis und Realos ein stilbildendes Element der Grünen. In keiner Partei wurde so viel und so lustvoll gestritten wie bei der Ökopartei. Inzwischen scheinen sich die Grünen aber zum Ruhepol der Republik gewandelt zu haben. Nicht einmal die absehbare Bauchlandung bei Stuttgart 21 scheint die Partei im Inneren zu erschüttern – und das, wärend sich die Konkurrenz reihenweise innerparteilich zerlegt. Die Linken haben ihre Gesine und ihren bayerischen Springteufel, die SPD ihre Nahles und die Steinis, die FDP schafft sich selbst ab, und bei der CDU ist der latente Zwergenaufstand ein chronischer Zustand geworden. Vor einem knappen Jahr hatten die Grünen die SPD sogar erstmals in Umfragen überflügelt. Das müssen sie so gefeiert haben, dass der Restalkohol heute noch wirkt. Renate Künast, von der man wohl zu Recht behauptet, sie sei eine intelligente Frau, hat seit November – als sie in Umfragen gleichauf oder vor Wowi stand – alles, aber auch alles erdenkliche getan, um ja nicht auf dem unbequemen Bürgermeisterstuhl im Roten Rathaus Platz nehmen zu müssen. Ist ja auch ein undankbarer Job, eine Stadt mit 63 Milliarden Euro Schulden zu regieren. Das entspricht übrigens ziemlich exakt dem Bruttoinlandsprodukt der Slowakei. Wer will sich das schon ans Bein hängen? Aber auch auf den Senatsstühlen sitzt es sich offensichtlich sehr hart. Wie sonst ist es zu erklären, dass Volker Ratzmann den Verzicht auf den Ausbau der A 100 zur Bedingung für eine Koalition macht. Gerade die Grünen müssten doch wissen, dass Wowereit Koalitionsverhandlungen ganz schnell platzen lassen kann. Schon vor zehn Jahren hatten die Grünen hoch gepokert und am Ende alles verloren. Doch selbst auf den Abgeordnetenbänken scheint sich’s für die Grünen nicht bequem genug zu sitzen. Wenn Renate Künast davon spricht, die Piraten müssten »resozialisiert« werden, könnte das die Grünen ein bis zwei Sitze im Abgeordnetenhaus kosten.

Es scheint fast so, als wollten die Grünen um jeden Preis eine Regierungsbeteiligung vermeiden. Dann wird es eben Rot-Schwarz. Das wird alle Autobahnfetischisten freuen, weil die A 100 dann todsicher gebaut wird. Und wenn sich die Grünen weiterhin so dusselig anstellen, wird Wowi in 20 Jahren das Band durchschneiden und feierlich die Schließung des Autobahnrings verkünden. Danach können sich die Grünen ja überlegen, ob sie vielleicht doch wieder in eine Regierung einsteigen wollen. Aber wahrscheinlich haben die Piraten die Grünen dann schon so überflüssig gemacht, wie heute die FDP überflüssig ist.

Moment, Piraten!

Alles schien so fest gefügt, ja harmonisch, bis dann diese verdammte Piratenflagge am Horizont erschien. Sie könnte das Zeichen für eine Veränderung sein. »Die Grünen haben hier Wahlergebnisse wie die CSU am Starnberger See – und die benehmen sich auch so«, sagte jüngst ein enttäuschter Grünenwähler. Die Piraten könnten für ihn eine Alternative sein. Ob die Sozialdemokraten eine sind? Viele Grüne kennen diese Ecke aus ihrer Vergangenheit. Die Linke hätte gerade hier in diesem Bezirk davon profitieren können, doch die Uneinigkeit und Grabenkämpfe schrecken auch den streitlustigsten Ex-Grünen eher ab. Und die Piraten? Umfragen sehen sie auf fünf Prozent zumarschieren. Eine Stimme für die Partei wäre also keine verlorene. Das könnte das berühmte Momentum sein. Das erste Opfer der Piraten ausgerechnet die Grünen? Welch köstliche Ironie.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2011.

Die SPD schielt auf den Chefsessel

Sozialdemokraten wollen Bezirksrathaus zurückerorbern

Berlin hat wieder die Wahl. Am 18. September sind rund zweieinhalb Millionen Berlinerinnen und Berliner dazu aufgerufen, über ein neues Abgeordnetenhaus abzustimmen und sich in ihren Bezirken neue Bezirksverordnete zu wählen.

Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind rund 170.000 Bürger wahlberechtigt. Allerdings gingen vor fünf Jahren nur 55,9 Prozent von ihnen zur Wahl. Das waren noch einmal zwei Prozent weniger als im Landesschnitt.

Im Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg geht es jetzt um sechs statt um fünf Wahlkreise im Abgeordnetenhaus, drei in Kreuzberg und drei in Friedrichshain. Der große Gewinner bei der Wahl 2006 waren die Grünen mit 31,5, gefolgt von der SPD mit 28,1 Prozent. Die Linke, damals noch PDS, die bis dato in Form von Cornelia Reinauer noch die Bezirksbürgermeisterin gestellt hatte, landete bei der Abgeordnetenhauswahl mit 16,9 Prozent ebenso auf dem dritten Rang, wie bei den Wahlen zur BVV, so dass Franz Schulz die PDS-Politikerin beerben konnte.

Eine neue Komponente wird es dieses Mal geben. Die Piraten haben in Umfragen drei Wochen vor der Wahl die FDP überholt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte es für die Grünen im Bezirk eng werden, ihre Spitzenposition zu halten. Die SPD hätte Chancen, die Rathausführung zurückzuholen.

Siehe auch: Kommentar zur Piratenpartei

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2011.

Ströbele scheitert knapp – an 50 Prozent

Halina Wawzyniak schafft Sprung in den Bundestag / Piraten mit Rekordergebnis

So sehen Sieger aus: Hans-Christian Ströbele gewinnt den Wahlkreis vor Halina Wawzyniak.

Foto: rsp/piSo sehen Sieger aus: Hans-Christian Ströbele gewinnt den Wahlkreis vor Halina Wawzyniak. Foto: rsp/pi

Man ist nie zu alt, um sich neue Ziele zu setzen. Zum Beispiel könnte es sich Hans-Christian Ströbele in vier Jahren, da ist er dann 74, zum Ziel setzen, als erster grüner Kandidat in seinem Wahlkreis die absolute Mehrheit zu holen. Dieses Mal ist er noch knapp daran gescheitert. Es fehlen ja nur noch 3,2 Prozent. Das sollte kein allzu großes Problem sein. Schließlich hat er sein Ergebnis von 2005 um satte 3,5 Prozent verbessert.

Bei dieser Bundestagswahl hat Ströbele im übrigen das drittbeste Ergebnis aller Kandidaten in Berlin eingefahren. Nur Gesine Lötzsch und Petra Pau von den Linken waren noch besser. Die dürfen sich auf eine Bereicherung ihrer Frauenriege aus Friedrichshain-Kreuzberg freuen: Halina Wawzyniak hat es über die Landesliste geschafft. Beim Treffen mit der KuK hatte sie noch über ihre Chance geflachst: »Ach, wir brauchen ja nur 20 Prozent der Zweitstimmen, dann schaffen wir es.« – Voila!

Zwar ist sie über Platz 5 der Landesliste in den Bundestag gekommen, doch auch im Bezirk hatte sie ein achtbares Ergebnis. Mit 17,5 Prozent eroberte sie Rang zwei im Wahlkreis, noch vor Björn Böhning von der SPD, der vier Prozentpunkte einbüßte und mit 16,7 Prozent ins Ziel ging.

Genau 15 Stimmen mehr als ihr Vorgänger Kurt Wansner hat Vera Lengsfeld gesammelt. Vielleicht schafft sie es ja auch noch in den Bundestag. Sie ist erste Nachrückerin.

Markus Löning konnte den Erststimmenanteil der FDP von 2,7 auf 4,1 Prozent fast verdoppeln.

Und dann gibt es da noch einen ganz besonderen Rekord zu vermelden: Das bundesweit beste Zweitstimmenergebnis feierte die neue Piratenpartei im Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Sechs Prozent holten die Piraten hier. Sie hatten auf einen Direktkandiaten verzichtet, um Hans-Christian Ströbele gewinnen zu lassen. Mit Erfolg: Ströbele erreichte an der Skalitzer Straße sein bestes je gemessenes Ergebnis mit 70,25 Prozent der Stimmen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2009.