Kreuzberg wird fair

Bezirk soll zur »Fairtrade Town« werden

Angeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten.

Foto: rspAngeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten. Foto: rsp

»Bio« ist für Produkte in Friedrichshain-Kreuzberg fast schon Standard – jetzt soll der Bezirk auch zur »Fairtrade Town« werden. Hinter der Bezeichnung verbirgt sich eine Zertifizierung des Kölner TransFair e.V. für Kommunen, die sich für die Verbreitung von fair gehandelten Produkten einsetzen. Idealerweise werden dabei nicht nur gerechte Rohstoffpreise an die Erzeuger bezahlt, sondern auch direkte, langfristige und partnerschaftliche Beziehungen zu den Produzenten aufgebaut.

Nach einem entsprechenden Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, gab der Bezirk in einer Auftaktveranstaltung Ende November den Startschuss für die Kampagne. Dass Fair Trade »nicht nur Kaffee« ist, sondern auch eine politische Dimension hat, führte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann gleich bei der Begrüßung aus. Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, die auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, sei fairer Handel auch eine Möglichkeit »aktiv im Sinne der Menschen vor Ort« zu werden und Fluchtursachen zu minimieren.

Helena Jansen, die das Projekt als Promotorin für Kommunale Entwicklungspolitik unterstützt und auch beim Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael Del Sur mitarbeitet, moderierte die gut besuchte Veranstaltung im BVV-Saal und stellte klar, dass es durchaus wünschenswert sei, auch über die Mindestanforderungen der Kampgane hinauszugehen.

Was die Anforderungen sind und wie sie umgesetzt werden können, erläuterte anschließend Volkmar Lübke, langjähriger Akteur in der Fair-Trade-Bewegung. Neben dem obligatorischen (BVV-)Beschluss sowie einer hinreichend großen Zahl von Fair-Trade-Geschäften im Bezirk (in Friedrichshain-Kreuzberg: 38 Einzelhandelsgeschäfte, 19 Cafés/Restaurants), gehört dazu auch die Einbindung der Zivilgesellschaft. Produkte aus fairem Handel müssen also auch in Schulen und Kirchengemeinden verwendet werden.

Vor allem aber bedarf es der Bildung einer lokalen Steuerungsgruppe.

Über 380 Fairtrade Towns in Deutschland

Zu den Aufgaben dieser Steuerungsgruppe gehört die Koordination der Aktivitäten vor Ort.

Volkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns.

Foto: rspVolkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns. Foto: rsp

Tatsächlich fanden sich unter den gut 30 Besuchern der Veranstaltung neun Personen, die an einer Mitarbeit in einer Steuerungsgruppe interessiert wären. Wie sich in einer Vorstellungsrunde herausstellte, verfügten viele der Anwesenden bereits über einschlägige Erfahrungen im Bereich Fair Trade, beispielsweise durch jahrzehnte lange Mitarbeit in Eine-Welt-Läden.

Vorreiter in Sachen Fairtrade Town ist in Berlin der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, der sich bereits seit 2011 mit dem Titel schmücken darf. In den letzten Monaten hat es aber auch in vielen anderen Bezirken entsprechende Beschlüsse gegeben.

Die Idee der Fairtrade Towns wurde in der britischen Kleinstadt Garstang geboren, die sich 2001 zur »World’s First Fairtrade Town« erklärte. Seitdem gibt es weltweit über 1.700 Städte mit dem Siegel, über 380 davon in Deutschland.

Weitere Infos unter: fairtrade-towns.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2015.

Wiesbaden war der Vorreiter

Städtepartnerschaft feiert goldenes Jubiläum

Zehn nationale und internationale Partnerschaften pflegt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Da sind exotische dabei, wie San Rafael del Sur in Nicaragua oder noch recht junge wie mit Oborischte, einem Stadtbezirk von Sofia, die es erst seit 1999 gibt.
Eine Partnerschaft sticht jedoch heraus. Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden und der damalige Westberliner Bezirk Kreuzberg schlossen vor 50 Jahren eines Städtepartnerschaft – und das war die allererste.

Es war der Regierende Bürgermeister Willy Brandt, der die Idee der Städtepartnerschaften mit westdeutschen Städten anregte, und es war eine Idee, die unter dem Eindruck des Mauerbaus geboren wurde. Vor allem Berliner Kinder und Jugendliche sollten so die Chance haben, aus der eingeschlossenen Stadt herauszukommen.

Die Städtepartnerschaft mit Wiesbaden war somit Versuchsfeld und Vorbild für alles, was danach kommen sollte, auch wenn andere Partnerschaften ganz anders ausgestaltet sind.

Das ganze Jahr steht im Zeichen von gemeinsamen Veranstaltungen. Zwischen dem Berliner Bezirk und der hessischen Kapitale gibt es deshalb einen intensiven Reiseverkehr. So gibt es Fußballturniere, Kunstprojekte, Zeitzeugengespräche und natürlich einen offiziellen Festakt, für den zwei Tage in Wiesbaden eingeplant sind.

Es gibt nahezu kein Gebiet, in dem die beiden Kommunen nicht in irgendeiner Art miteinander kooperieren. So gibt es seit 20 Jahren einen Austausch von Azubis in der Verwaltung.

Mit Wiesbaden verbunden im Wein

Es wird auch fleißig miteinander gewandert. Dabei nehmen die Wiesbadener ihre Partner aus Berlin schon mal mit in andere Partnerstädte, wie Stettin. Im Gegenzug wandeln die Gäste vom Rhein dann auf den Spuren von Theodor Fontane, wenn zu literarischen Wanderungen durch die Mark Brandenburg eingeladen wird.

Auch Schulen beteiligen sich rege, wenn es darum geht, den Partnerschaftsgedanken mit Leben zu erfüllen. Immer wieder besuchen sich Schulen nicht nur gegenseitig, sondern sorgen auch mit gemeinsamen Projekten für Aufsehen, wie vor sechs Jahren, als ein Wiesbadener Gymnasium und das Leibniz-Gymnasium in Kreuzberg einen Fotowettbewerb mit dem Titel »Wie sehe ich meine Stadt?« organisierten.

Darüber hinaus gibt es natürlich auch noch eine ganze Menge Kontakte zwischen Vereinen, Verbänden oder auch Parteien, die über die Jahre hinweg gewachsen sind, und nicht jede dieser Begegnungen findet noch Eingang ins das offizielle Partnerschaftsprogamm. Insofern ist die Partnerschaft mit Wiesbaden im positiven Sinne schon fast eine Normalität oder gar Routine geworden.

Vieles, was zwischen Wiesbaden und Kreuzberg passiert, geschieht, wenngleich vielleicht nicht so intensiv, auch bei anderen Partnerschaften.

Aber da gibt es ja noch dieses wunderbare Alleinstellungsmerkmal, das die anderen neun Partnerstädte eben nicht haben. Das ganze läuft unter dem Code: »Kreuz-Neroberger«. Das ist der Wein, der in Kreuzberg wächst und den die Wiesbadener im Jahre 1968, also schon vier Jahre nach Gründung der Partnerschaft, nach Kreuzberg brachten.

Seither gedeiht der Riesling, ein Ableger des Wiesbadener Weins, der am Hausberg der Stadt, eben am Neroberg wächst, auch an den Hängen des Kreuzbergs.

Und das soll auch so bleiben. Deshalb hat Wiesbaden nun 70 neue Rebstöcke nach Kreuzberg geschickt.

Gekeltert werden die Trauben nach der Weinlese allerdings nicht in Berlin, sondern im Rheingau – unter der Aufsicht eines Mitglieds der Partnerschaftsvereins.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2014.