Düster und extrem traurig

In Kreuzberg erlebte Nick Cave seine punkigen Zeiten

Geheimnisvoll und düster ist die Comic-Biografie, in der der Berliner Illustrator Reinhard Kleist Nick Cave portraitiert – zwei Adjektive mit denen ein jeder Cave-Fan sein Idol verbindet.

Ursprünglich in Australien geboren, zieht der Sänger erst nach São Paulo, später nach London, Berlin und Brighton. Obwohl er dort bereits ein Kind hat, das fortan bei Mutter und Vater abwechselnd lebt, liebt und genießt er die Zeit in Kreuzberg und Schöneberg. Dort treibt sich Cave oft im Ex’n’Pop herum, im Dschungel-Club und im Risiko in der Yorckstraße. In Berlin erlebt Cave seine lauten und punkigen Zeiten, orientiert sich an der Berliner Undergroundszene und lässt sich von den befreundeten Einstürzenden Neubauten, die ein großes Vorbild für ihn sind, beeinflussen. Mit deren Sänger Blixa Bargeld gründet er bald die mittlerweile sehr berühmte Band The Bad Seeds, in deren Begleitung man Cave noch heutzutage oft auf der Bühne antrifft.

Doch schon früh stellt er klar, dass in ihm mehr schlummert als nur Musik. Im Jahr 1989 ist er erstmals Co-Autor und Darsteller des Filmes »Ghosts … of the Civil Dead«. Und trotz seiner Heroinabhängigkeit schafft es Cave, im gleichen Jahr seinen ersten Roman »And the Ass Saw the Angel« zu veröffentlichen.
Nach dem Umzug in die Küstenstadt Brighton wird Cave ruhiger. Er gründet zusammen mit seiner Frau Susie Bick, die ihn aus der Sucht rettete, eine Familie und gibt sich zusammen mit den Bad Seeds immer mehr den Einflüssen von Blues, Gospel und Country hin. Nach anderen Projekten, wie Soundtracks, weiteren Drehbüchern, einem zweiten Roman und vielen Alben, wird Cave 2007 in die ARIA Hall of Fame aufgenommen und spätestens nachdem er sogar mit einem seiner Idole, Johnny Cash, ein Duett aufnimmt und 2015 zum Mitglied der National Academy of Design gewählt wird, erlangt er weltweiten, verdienten Ruhm.

Doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere erleidet Cave einen tragischen Schicksalsschlag: Im Alter von 15 Jahren stürzt sein Sohn Arthur unter Einfluss von LSD von einer der Klippen an der Küste von Brighton in den Tod. Dieser Verlust stellt einen unvorstellbaren Schmerz in Caves Leben dar, der fortan ein Teil des Sängers und seiner Musik ist. Auch der Film »One More Time With Feeling«, der im letzten Winter auch in den deutschen Kinos lief und die Entstehung des neuen Seeds-Album »Skeleton Tree« dokumentiert, hinterlässt beim Zuschauer eine zutiefst düstere und zugleich extrem traurige Stimmung. Eine Stimmung, die auch seine Musik vielleicht nie wieder verlassen wird.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2017.

Sex in the Cinema

Das Pornfilmfestival Berlin feiert seinen 10. Geburtstag / von Robert S. Plaul

Cineasten gilt das Genre »Pornofilm« nach wie vor meist ähnlich viel, wie dem Literaturwissenschaftler der Groschenroman – irgendwie schon ein Bestandteil der Populärkultur, aber meistens nichts, worüber man sich großartig Gedanken machen müsste. Dass diese Einschätzung grundfalsch ist, zeigte erneut das mittlerweile zehnte Pornfilmfestival Berlin, das Ende Oktober wieder fünf Tage lang im Kino Moviemento gastierte.

»Nova Dubai« – Rauer Sex auf den Gentrifizierungsbaustellen São Paulos.

Foto: Pornfilmfestival Berlin»Nova Dubai« – Rauer Sex auf den Gentrifizierungsbaustellen São Paulos. Foto: Pornfilmfestival Berlin

Schon der Name der Veranstaltung ist in gewisser Weise Provokation, Irreführung und Oberbegriff zugleich: Was hier gezeigt wird, ist eben nicht die uninspirierte und uninspirierende Standard-Schmuddelkost à la YouPorn & Co., sondern vielmehr eine facettenreiche Auseinandersetzung mit verschiedensten Formen der Sexualität. Feministische Herangehensweisen an das Thema finden sich hier ebenso wie künstlerisch-ästhetisch-experimentelle und dokumentarische sowie alle möglichen Kombinationen daraus.

»Wir hätten es auch ‚Festival der alternativen Sexualität‘ nennen können«, sagt Mit-Organisatorin Sirkka Möller gerne zu Leuten, die das Konzept noch nicht ganz verstanden haben und vielleicht etwas anderes erwartet haben, »aber wärst du dann gekommen?«

Tatsächlich sind viele gekommen, sehr viele sogar. Kaum eine Vorstellung ist nicht ausverkauft. Manche sind aus Neugierde da, die meisten aber wissen ganz offensichtlich schon, was sie erwartet. Viele Filmemacherinnen und Filmemacher sind anwesend und stehen nach den Screenings für Fragen aus dem Publikum bereit. Das besteht nicht nur seit Jahren zu gut 50 Prozent aus Frauen, sondern auch aus verschiedensten Altersstufen, irgendwo zwischen Student und Frührentnerin.

Die Filme und Kurzfilmprogramme sind im Programmheft mit Kürzeln versehen, um die Orientierung zu erleichtern. »X« und »NX« für explizites bzw. nicht-explizites Material, »D« für Dokus, »SW« für Sex Work. »H«, »L«, »S« und »T« stehen für »Hetero«, »Lesbisch«, »Schwul« und »Transgender«. Es ist ein wenig eigenartig, diese Schubladen zu sehen, hier beim Pornfilmfestival, das gerade davon lebt, eben nicht alles in Schubladen zu packen. Fast wirkt es wie eine Trigger-Warnung: »Achtung, wenn du in diesen Film gehst, wirst du dich vielleicht mit etwas auseinandersetzen müssen, das dir fremd ist.«

»Fuck the Police« nimmt die entsprechende Aufforderung wörtlich.

Foto: Pornfilmfestival Berlin»Fuck the Police« nimmt die entsprechende Aufforderung wörtlich. Foto: Pornfilmfestival Berlin

Tatsächlich zwingen die meisten Filme zur Auseinandersetzung mit Ungewohntem – und sei es, gemeinsam mit fremden Menschen einen expliziten Pornofilm zu sehen. Doch die Stimmung bei den Aufführungen ist gelöst. Es wird viel applaudiert und gelacht – nicht verschämt, sondern herzlich – und das nicht nur in der »Fun Porn«-Kurzfilmkategorie.

Für die meisten Zuschauer ebenso ungewohnt ist zweifellos das diesjährige Schwerpunktthema »Sex und Behinderung«. Hier sei vor allem der beachtenswerte spanische Dokumentarfilm »Yes, we fuck!« von Antonio Centeno und Raúl de la Morena erwähnt, der Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen und ihren Umgang mit Sexualität portraitiert. Weil das Moviemento gerade für Menschen im Rollstuhl schlecht erreichbar ist, gibt es einige Sonderscreenings in barrierefreien Räumlichkeiten – keine wirklich befriedigende Lösung, aber immerhin ein Anfang, das wissen auch die Veranstalter. Aber irgendwie gehört das Moviemento, seit Jahren Spielstätte des Festivals, inzwischen auch fest dazu.

Fünf Tage lang wird das Kino auch zu einem Treffpunkt sexueller Sub-Kulturen. Hier wird niemand blöd angemacht, weil er auf das falsche Geschlecht steht oder komisch aussieht. Das ist ein krasser Gegensatz nicht nur zu der Welt draußen vor der Tür am Kottbusser Damm, sondern auch zu den weltweiten politischen Entwicklungen.

»Schnick Schnack Schnuck« erinnert an den Pornofilm der Siebziger und ist Hommage und Persiflage zugleich.

Foto: Pornfilmfestival Berlin»Schnick Schnack Schnuck« erinnert an den Pornofilm der Siebziger und ist Hommage und Persiflage zugleich. Foto: Pornfilmfestival Berlin

Auch die sind Thema des Festivals. In Großbritannien beispielsweise ist seit Ende letzten Jahres der Vertrieb von Pornos verboten, die bestimmte BDSM-Praktiken zeigen oder auch nur weibliche Ejakulation. In Australien sieht die Lage noch düsterer aus für die Branche. In Deutschland gibt es außer dem Jugendschutzgesetz keine derartigen Vertriebsbeschränkungen – dafür drohen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern mit der geplanten Änderung des Prostitutionsgesetzes eine Zwangsregistrierung und weitere Gängelungen – von dem Protest dagegen (in der Berliner U-Bahn anlässlich des 40. Welthurentages) handelt der Kurzfilm »Underground Dance« aus dem »Political Porn«-Kurzfilmprogramm. Nicht erstaunlich ist es da, dass auch dem Gewinnerfilm des Festivals, »Nova Dubai« (→Trailer), ein höchst politisches Thema zugrundeliegt, nämlich die Gentrifizierung in einem Vorort von São Paulo.

Wenig überraschend geht der Preis für die beste Regie an Maike Brochhaus für ihren Film »Schnick Schnack Schnuck«, einen Film, der Hommage an und Persiflage auf den Pornofilm der Siebzigerjahre gleichermaßen ist und wie kaum ein anderer etwas vermittelt, das man bei allen gesellschaftspolitischen Diskussionen auch nicht geringschätzen sollte: Den Spaß am Sex, der – gerade vielleicht in der jüngeren Generation – keinen Halt macht vor Konventionen und Geschlechterbildern. Und das ist, ein knappes halbes Jahrhundert nach der sogenannten sexuellen Revolution, dann vielleicht auch einfach mal gut so.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2015.