Unterschiedliche Perspektiven auf ein komplexes Problem Raumnutzungskonflikte am Südstern und im Graefe-Kiez / von Veit Hannemann

Nach einer Informationsveranstaltung zum Drogenkonsum rund um den Südstern mit der Berliner Polizei im August wurden am 27. Oktober andere Perspektiven des Themas beleuchtet. Unter dem Titel »Drogenkonsum, Obdachlosigkeit und Raumnutzungskonflikte« stellten Mitarbeiterinnen von Fixpunkt und Gangway ihre Arbeit vor. Die Suchthilfekoordinatorin des Bezirks, Romy Kistmacher, schilderte ihre Zuständigkeiten und aktuelle Veränderungen bei Unterstützungsleistungen für Dro­gen­kon­su­ment*innen.

Eingeladen hatten das Nachbarschaftshaus Urbanstraße und die BürgerGenossenschaft Südstern e.V. anlässlich zunehmender Raumnutzungskonflikte und des Wunsches vieler Bewohner*innen, besser zu verstehen, wer mit welchen Zuständigkeiten agiert und wie sie selbst in ihrer Nachbarschaft unterstützend wirken können. Anhand der Ausstellung »Die ideale Stadt«, die im Oktober im NHU und zuvor im Aquarium gezeigt wurde, erläuterte Francesca Guarascio vom Projekt NUDRA (Netzwerk zum Umgang mit Drogen und Alkoholkonsum und den Begleiterscheinungen im öffentlichen Raum)der Fixpunkt gGmbH die Wahrnehmungen und Erfahrungen der Dro­genkonsument*innen. Da sie ganz überwiegend keinen Wohnsitz oder zumindest temporäre Rückzugsräume haben, sind sie gezwungen, im öffentlichen Raum zu konsumieren. Das bringt sie selbst in unsichere und stressbelastete Situationen. Ebenso oft haben sie keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, keine Möglichkeit, eine Toilette zu nutzen oder sich die Hände zu waschen. Leider umso mehr Erfahrung haben sie dagegen mit Misstrauen oder Gewalt auf der Straße. Hätten sie die Möglichkeit, selbst ihre idealen Stadträume zu gestalten, fänden sich hier all die Kriterien, die auch andere Kiezbewohner*innen für wichtig hielten: Sichere, saubere und warme Rückzugsorte, eine berufliche Aufgabe, der Zugang zu eigentlich selbstverständlichen sozialen Leistungen, in guter Nachbarschaft mit anderen leben und respektiert werden.

Unterstützung im Alltag erfahren Dro­gen­ge­brau­cher*innen durch Fixpunkt, die in der Reichenberger Str. 131 eine Kontaktstelle mit Drogenkonsumraum betreiben. In die Diskussion wurde eingebracht, auch ein Drogenmobil auf den Südstern zu stellen. Da jedoch an anderen Orten weit mehr konsumiert wird und auch die Konfliktlagen wesentlich intensiver sind, ist davon auszugehen, dass dies wohl nicht finanzier-und durchsetzbar wäre. Für die Straßensozialarbeit im Gebiet sind die Straßensozialarbeiter*innen von Gangway (Drop-out XHain) zuständig. Deren Team wurde kürzlich auf vier Personen aufgestockt. Sie fahren Plätze in Kreuzberg ab, an denen sich Dro­genge­­braucher*innen und obdachlose Menschen aufhalten. Im Lastenrad haben sie warme Getränke und Hygieneartikel dabei. Sie versuchen, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, damit sie Schritt für Schritt bei der Lösung von Problemen bei Wohnungssuche, Krankenversicherung oder Jobsuche helfen können.

Die verschiedenen Hilfen für Dro­gen­ge­brau­cher*innen im Bezirk zu koordinieren, gehört zu den Aufgaben der seit Beginn dieses Jahres zuständigen Suchthilfekoordinatorin, Romy Kistmacher. Sie informiert, dass die Mittel für Drogenkonsumräume sowie Straßensozialarbeit auf Landes- und Bezirksebenen aufgestockt worden seien. Auf Nachfrage aus dem Publikum weist sie darauf hin, dass es aber derzeit schwierig sei, diese Mittel rasch einzusetzen, weil ausreichend qualifizierte Be­­wer­­ber­*in­­nen für die herausfordernde Tätigkeit fehlten. Ein weiteres Problem bestehe darin, Immobilien für Konsum- und Aufenthaltsräume zu finden – entweder, weil die Mieten zu hoch seien, oder weil Vermieter*innen solche Nutzungen nicht akzeptierten.

Nach Kistmachers Erfahrung ist ein respektvoller Umgang und offene Kommunikation mit Betroffenen wichtig. Mit vielen Dro­gen­kon­su­ment*innen ebenso wie mit obdachlosen Menschen könne man ganz normal ins Gespräch kommen. Nachbar*innen, die helfen wollen, wird empfohlen, vorab nachzufragen, welche Unterstützung gewünscht sei. Andererseits müsse nicht jedes Verhalten akzeptiert, sondern solle auch Kritik geäußert werden. Die Stadtgesellschaft müsse lernen, darin sind sich die drei Fachfrauen weitgehend auch mit dem Publikum einig, Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum zu führen, statt ihnen aus dem Weg zu gehen. Verdrängung durch polizeiliche Maßnahmen sei keine Lösung, sondern verschiebe die Drogenszene nur von einem Platz zum anderen.

Veit Hannemann (v.hannemann@nachbarschaftshaus.de)