Nach wochenlangem Verfahrenshickhack

Bezirksstadtrat Oliver Nöll abgewählt

Oliver Nöll bei einem Besuch des Dütti-Treffs im Februar 2025.Oliver Nöll bei einem Besuch des Dütti-Treffs im Februar 2025. Foto: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg

Mit 41 Ja- und 8 Neinstimmen stimmte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg am 26. März für die Abberufung des Bezirksstadtrats für Arbeit, Bürgerdienste und Soziales, Oliver Nöll. Die für ein solches Prozedere laut dem Berliner Bezirksverwaltungsgesetz (BezVerwG) notwendige Zweidrittelmehrheit (37 von 55 Abgeordneten) wurde in der geheimen Abstimmung damit erreicht.

Nöll, der nach der Berlinwahl im Herbst 2021 für DIE LINKE den Stadtratsposten und das Amt des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters übernommen hatte, war im Oktober 2024 aus der Partei aus- und Mitte Januar in die SPD eingetreten, der er bereits mit Unterbrechungen von 1987 bis 2004 angehört hatte.

Den Antrag zur Abberufung des Stadtrats hatte seine ehemalige Fraktion, DIE LINKE, bereits im Januar gestellt. Diesem vorangegangen war eine Aufforderung zum Rücktritt, der Nöll nicht nachgekommen war.

Bei der ersten Beratung in der Januar-BVV wurde über den Antrag noch nicht abgestimmt – laut §35 BezVerwG ist über einen Abberufungsantrag zweimal zu beraten, wobei zwischen den Sitzungen mindestens zwei Wochen liegen müssen.

Die zweite Beratung samt Abstimmung stand folglich auf der Tagesordnung der regulären Februar-Sitzung der BVV. 

Da wurde der Tagesordungspunkt dann aber auf  Antrag der LINKEN vertagt. Angesichts von Abwesenheiten in den Reihen der Grünen und der CDU bei dieser Sitzung hätte es eher keine Zweidrittelmehrheit für die Abwahl gegeben.

Bei der eigens anberaumten außerordentlichen BVV-Sitzung am 5. März standen die Mehrheitsverhältnisse erneut zu Ungunsten der abwahlwilligen Fraktionen. Ein Antrag der LINKEN auf Überweisung der Drucksache in den Haushaltsausschuss wurde in einfacher Mehrheit mit den Stimmen der Grünen und der CDU beschlossen.

SPD sieht Verfahrensfehler

Die SPD-Fraktion hält den Verlauf des Abwahlverfahrens für fragwürdig. Dieser »verstößt […] gleich an mehreren Stellen gegen die Geschäftsordnung der BVV und das Bezirksverwaltungsgesetz des Landes Berlin. So fanden nicht, wie vorgeschrieben, zwei Lesungen zum Abwahlantrag statt, sondern vier. Darüber hinaus wurde der Antrag in den PHIRW-Ausschuss überwiesen, was bei einem Abwahlantrag nicht möglich ist. Durch diese und weitere Vorgänge wurde das Verfahren mehrfach verzögert«, schreibt sie in einer Pressemitteilung.

Dass es bei der Abwahl nicht um inhaltliche Kritik der anderen Fraktionen an Nölls bisheriger Arbeit geht, sondern um die Mehrheitsverhältnisse der Fraktionen im Bezirksamt, legt das handschriftliche Begleitschreiben zu einer Kiste Bier nahe, die die SPD-Fraktion am Abend der BVV-Sitzung vor der Tür ihres Redaktionsbüros vorfand. »Wir hoffen, dass ihr trotz der kurzen Zeit, in der er ›euer‹ Stadtrat war, und aufgrund all der Zeit, in der er ›unser‹ Genosse war, wisst, dass da ein Guter gehen muss«, heißt es dort.

Die Fraktion der LINKEN wird nun vermutlich in den nächsten Wochen eine neue Person für den vakanten Stadtratsposten vorschlagen. Bis diese dann durch die Bezirksverordnetenversammung gewählt werden kann, dürften nochmal einige Monate ins Land gehen. 

Kommissarisch soll laut einem Bericht des Tagesspiegels zunächst Max Kindler (CDU) Oliver Nölls Abteilung leiten. Kindler ist als Bezirksstadtrat bereits für die Ressorts Jugend, Familie und Gesundheit zuständig.

Oliver Nöll ist als Beamter auf Zeit auch nach seiner Abberufung zunächst abgesichert und erhält bis zum Ende der Legislaturperiode 70% seiner Bezüge. Laut seiner Fraktion will er »sich weiterhin mit seiner Expertise für die Belange der Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg einsetzen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2025 (auf Seite 1).

Hilfe bei der Qual der Wahl

KuK lädt zu öffentlichen Redaktionsgesprächen mit den Direktkandidaten

Unübersehbar naht die Bundestagswahl, und auch wenn sich die mediale Berichterstattung derzeit vor allem auf die PR-Pannen der Kanzlerkandidaten konzentriert, geht es natürlich um viel mehr – zumal gleichzeitig ja auch noch die Berlin-Wahl ansteht.

Deshalb lädt die Kiez und Kneipe auch in diesem Jahr zu öffentlichen Redaktionsgesprächen mit den Direktkandidatinnen und -kandidaten der wichtigsten demokratischen Parteien ein.

Öffentliche Redaktionsgespräche erstmals auch als Livestream. Foto: rsp

Während Pascal Meiser (Linke), Cansel Kiziltepe (SPD) und die derzeitige Inhaberin des Direktmandats Canan Bayram (Grüne) bereits im Bundestag vertreten sind, begrüßen wir mit Ann Cathrin Riedel (FDP) und Kevin Kratzsch (CDU) auch zwei neue Gesichter.

Anders als bei vielen Podiumsdiskussionen konzentrieren wir uns an den insgesamt fünf Terminen jeweils auf eine Partei – wie wir finden, ein bewährtes Konzept, seit unsere Redaktionsgespräche 2005 das erste Mal stattgefunden haben. Eine Stunde lang müssen uns die Politiker zu aktuellen Themen Rede und Antwort stehen, danach geben wir die Bühne frei für Fragen aus dem Auditorium.

Zwei Neuerungen gibt es indessen schon: Zum einen haben wir die Kandidierenden gebeten, jeweils noch eine Person mitzubringen, die sich um einen Sitz in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) oder dem Abgeordnetenhaus (AGH) bewirbt. Davon erhoffen wir uns, noch ausführlicher auf lokalpolitische Themen eingehen zu können, die im Bezirks- und Landesparlament in den nächsten fünf Jahren eine Rolle spielen werden.

So nah, als wär man da

Die andere Neuerung betrifft die Form der Veranstaltung: Wie gehabt laden wir an fünf Terminen im August in verschiedene Kneipen und Restaurants ein, zumindest sofern uns die Pandemiebekämpfungsmaßnahmen keinen Strich durch die Rechnung machen (vgl. ­kiezundkneipe.de). Während wir die Gespräche vor vier Jahren bereits auf Video aufgezeichnet haben, werden wir dieses Jahr zusätzlich einen Livestream anbieten. Wer sich lieber nicht in geschlossenen Räumen aufhalten mag, kann die Veranstaltungen so via YouTube oder Facebook auch von zu Hause aus verfolgen – und sich via Chatfunktion am Ende auch mit Fragen einbringen.

Für alle, die vor Ort dabei sein wollen, gilt ein Hygienekonzept mit den üblichen Regeln: Zutritt nur mit Maske (außer am Platz) sowie einem Nachweis über Impfung bzw. Genesung oder mit tages­aktuellem negativem Corona-Test. Außerdem erfassen wir Kontaktdaten und achten auf Abstände.

Alle Termine im Überblick

FDP: Ann Cathrin Riedel + Michael Heihsel (BVV)

Di, 10.08., 19:00
unterRock, Fürbringerstraße 20A
Facebook-Event
Gespräch auf YouTube

Die Linke: Pascal Meiser + Oliver Nöll (BVV)

Mo, 16.08., 19:00
unterRock, Fürbringerstraße 20A
Facebook-Event
Gespräch auf YouTube

CDU: Kevin Kratzsch + Marita Fabeck (AGH)

Mi, 18.08., 18:00
Restaurant Split, Blücherplatz 2
Facebook-Event
Gespräch auf YouTube

Die Grünen: Canan Bayram + Clara Herrmann (BVV)

Do, 19.08., 19:00
Heidelberger Krug, Arndtstraße 15
Facebook-Event
Gespräch auf YouTube

SPD: Cansel Kiziltepe + Sebastian Forck (BVV)

Di, 24.08., 19:00
Gasthaus Valentin, Hasenheide 49
Facebook-Event
Gesspräch auf YouTube

Update: Ursprünglich waren Timur Husein (CDU) und Peggy Hochstätter (SPD) als »Begleitung« für Kevin Kratzsch bzw. Cansel Kiziltepe vorgesehen. Wir bitten um Entschuldigung für die kurzfristige Änderung.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2021.

»Schluss mit Bürgermeisterei«

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will fürs Abgeordnetenhaus kandidieren

Bezirksbürgermeisterin Monika HerrmannMonika Herrmann (bei ihrer Wiederwahl vor vier Jahren). Foto: rsp

Schon vor über einem Jahr hatte Monika Herrmann angekündigt, dass sie bei der Berlin-Wahl 2021 nicht mehr für das Amt der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg kandidieren werde. Damals klang das nach Rückzug aus der Politik, doch inzwischen ist klar, wo die Reise hingehen soll: ins Abgeordnetenhaus.

Eine Karriere in einem Leitungsjob, etwa als Senatorin, schwebt Herr­mann indessen nicht vor. »Wenn ich das wollte, könnte ich auch im Bezirk bleiben«, erklärt sie im Gespräch mit der KuK. Nach 15 Jahren als Bezirksstadträtin und (seit 2013) -bürgermeisterin sei »dann auch mal Schluss mit Bür­ger­meis­terei«.

Als inhaltlichen Schwerpunkt ihrer zukünftigen Arbeit sieht die Grünen-Politikerin die Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Anfang 2020 hatte sie im Bezirk die Zuständigkeit fürs Straßen- und Grünflächenamt von ihrem Parteikollegen Florian Schmidt übernommen und mit dem Konzept der Pop-up-Radwege im Frühjahr prompt für berlin-, wenn nicht bundesweite Schlagzeilen gesorgt – und Nachahmer in anderen Bezirken und Großstädten gefunden. Doch für eine echte Verkehrswende müssten alle Bezirke in die Planung miteinbezogen werden, insbesondere auch die Außenbezirke, damit die dortigen Bewohner auch ohne Auto in die Innenstadt kommen. Wenn es um die Neuverteilung von Räumen ginge, beispielsweise beim Entfernen von Parkplätzen zugunsten einer Busspur, gäbe es letztendlich überall die gleichen Diskussionen, egal ob in Rudow, Marzahn oder Friedrichshain. »Verkehr ist wie Wasser«, sagt Herrmann, die selbst in einer eher ländlichen Gegend in Südneukölln aufgewachsen ist. Einzelne Kieze für den Durchgangsverkehr zu sperren und alles durch die Hauptstraßen zu leiten, wie das zum Beispiel zwischen Columbiadamm und Gneisenaustraße geplant ist, sei deshalb für sich genommen auch noch keine Lösung.

Den Bedarf für ein besseres Zusammenwirken von Senat und Bezirken sieht Monika Herrmann nicht nur im Bereich Verkehrspolitik, wo die Umstrukturierung der Senatsverkehrsverwaltung im vergangenen Jahr »bisher noch zu wenig« gebracht habe. Im September hatte sie gemeinsam mit ihrem Pankower Amtskollegen Sören Benn (Linke) und dem Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung Frank Nägele (SPD) die Diskussion über eine Verfassungsänderung angestoßen. Das Ziel: Eine Verwaltungsreform, die hierarchische Strukturen durch Zielvereinbarungen ersetzt und vor allem Zuständigkeiten klärt, um das häufig anzutreffende Behörden-Ping-Pong zu beenden. »Elterngeld gibt’s nicht im Roten Rathaus«, sagt Herrmann, aber wie lange eine Antragsbearbeitung dauern darf – und wie man die Zeitvorgabe einhält –, sollte Bestandteil einer solchen Zielvereinbarung sein. Dafür müssten den Bezirken dann wiederum entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. »Senatsverwaltungen müssen Verabredungen einhalten und umsetzen.« Schon aus historischen Gründen gehe es dabei auch immer »ganz viel um Macht«, erklärt Herrmann mit Verweis auf die Gründung von Groß-Berlin vor 100 Jahren.

Über die künftige Machtverteilung im Abgeordnetenhaus kann sie nur spekulieren, präferiert selbst aber ganz klar eine rot-rot-grüne Koalition – egal in welcher Konstellation, solange das Dreierbündnis aufrechterhalten werde. Allerdings hielte sie es für »fatal, wenn die SPD wieder Bau und Verkehr zurückbekommt.« Schwarz-Grün erteilt sie eine eindeutige Absage. Die Berliner CDU sei arg nach rechts gerückt und agiere unglaubwürdig.

Und wer soll ihr im Bürgermeisteramt nachfolgen? »Vermutlich jemand U50«, hofft die 56-Jährige. Auf jeden Fall sollte es eine Person sein, die sich traut, angstlos Politik zu machen. »Wer zuviel Angst hat vor Restriktionen und schlechter Presse, ist in Friedrichshain-Kreuzberg falsch.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2021.