Gerangel und Gespräche um den letzten Stadtrat

Piraten lenken ein und wollen weiter verhandeln

Ist der Alte auch der Neue? Knut Mildner-Spindler von der Linken ist derzeit Bezirksstadtrat für Gesundheiot und Soziales. Foto: psk

Jetzt ist es wohl amtlich: Es wird keinen Stadtrat der Piratenpartei im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg geben. Am 30. September hatten die Piraten noch angekündigt, sie wollten das Vorschlagsrecht für einen Stadtratsposten in Anspruch nehmen. Das wäre dann der von Knut Mildner-Spindler von den Linken gewesen. Tatsächlich waren die Piraten als drittstärkste Partei in die neue Bezirksverordnetenversammlung eingezogen und hatten die Linke dabei deutlich überholt.

Allerdings waren die Piraten nicht in der Lage, alle ihnen zustehenden Sitze in der BVV zu besetzen, da sie zu wenig Kandidaten aufgestellt hatten, beziehungsweise drei von ihnen auch für das Abgeordnetenhaus kandidierten und nun in den Preußischen Landtag eingezogen sind. Diese Sitze für die Piraten sind nun verfallen, was wiederum die Linke zur drittstärksten Fraktion machte, die noch einen Stadtrat vorschlagen darf.

Nach der Auffassung der Piraten stand aber ihnen dieses Vorschlagsrecht zu, weil sie mehr Wählerstimmen erreicht hatte. Die BVV-Newcomer kündigten ab, um dieses Recht kämpfen zu wollen. Dabei fuhren sie eine Doppelstrategie. Einerseits verhandelten sie mit der Linken, andererseits prüften sie auch die juristische Sachlage.

Im Blog der Bezirks-Piraten heißt es seit Mittwoch: »Ihr hattet recht, wir hatten unrecht.« Trotzdem wollen sie weiter das Gespräch mit der Linken suchen, um möglicherweise einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin zu finden. Im Gespräch war bereits Anke Domscheidt-Berg, einstige Microsoft-Direktorin, Frau des Wikileaks-Mitbegründers Daniel Domscheidt-Berg und Unternehmerin. Doch der Vorschlag hat einen Haken. Sie ist Mitglied der Grünen. Das würde bedeuten, dass die Stadtratsposten mit einer Ausnahme alle von den Grünen besetzt würden. Von den Linken heißt es aus gutunterrichteten Quellen, dass sie Knut Mildner-Spindler wieder vorschlagen wollen.

Die SPD hat durch ihr schwaches Abschneiden einen Bezirksstadtrat eingebüßt. Noch ist nicht klar, ob Jan Stöß, der eigentlich Bezirksbürgermeister werden wollte, oder Peter Beckers das Feld räumt.

Grüne legen zu, SPD bricht ein

Es wird sich einiges ändern in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Doch das, was vor allem die SPD angestrebt hatte, bleibt beim Alten – der Mann auf dem Chefsessel. Zu gerne hätte Jan Stöß den durchaus nicht unumstrittenen Dr. Franz Schulz als Bürgermeister abgelöst. Mit einem Stimmenanteil von 20,8 Prozent dürfte das eher schwer werden. Die SPD büßte bei der BVV-Wahl fast fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein.

Die Grünen dagegen legten um 2,5 Prozent zu und kommen jetzt auf 35,5 Prozent. Sie sind damit noch eindeutiger die stärkste Fraktion in der BVV. Die Linke, die immerhin bis 2006 noch die Bezirksbürgermeisterin stellte, verliert weiter an Boden. Vier Prozent weniger als 2006 stehen für sie zu Buche. Für ihre 12,5 Prozent stehen der Linken noch sieben Sitze im Bezirksparlament zu. Damit wäre eigentlich Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler seinen Job los, denn die Piraten sind mit Glanz und Gloria ins Rathaus an der Yorckstraße eingezogen. 14,3 Prozent der Stimmen konnten sie auf sich vereinigen. Das bedeutet acht Sitze in der BVV und damit hätten die Piraten eigentlich auf eben jenen Stadtratsposten der Linken Anspruch. Die Sache hat allerdings einen Haken. Auf der Liste der Piraten standen gerade mal acht Namen. Drei davon kandidierten auch für das Abgeordnetenhaus. In das sind sie nun auch gewählt. Auf Landesebene gilt das gleiche. Die Piraten hatten 15 Kandidaten aufgestellt. Exakt so viele haben den Sprung in den preußischen Landtag geschafft. Für Friedrichshain-Kreuzberg heißt das nun, dass die Piraten auf drei Sitze in der BVV verzichten müssen und damit auch auf einen Bezirksstadtratsposten. Allerdings könnte einer der drei neuen Abgeordneten auch auf sein Landtagsmandat verzichten und stattdessen Bezirksstadtrat werden.

Nur noch eine Randnotiz ist die Tatsache, dass eine Partei aus der BVV rausgeflogen ist. Die FDP ist in Friedrichshain-Kreuzberg nicht mehr vertreten. Außer von den Piraten wurde sie im übrigen auch von Martin Sonneborns Spaßpartei »Partei« überholt (2,8%) , sowie von der BIG (1,6%) und NPD (1,0%).  Außerdem gab es mit 1,3% 0,4 Prozentpunkte mehr ungültige Stimmen, als Kreuzchen für die FDP.

Alle Ergebnisse der BVV-Wahl gibt es auf der Webseite der Landeswahlleiterin.

Die SPD schielt auf den Chefsessel

Sozialdemokraten wollen Bezirksrathaus zurückerorbern

Berlin hat wieder die Wahl. Am 18. September sind rund zweieinhalb Millionen Berlinerinnen und Berliner dazu aufgerufen, über ein neues Abgeordnetenhaus abzustimmen und sich in ihren Bezirken neue Bezirksverordnete zu wählen.

Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind rund 170.000 Bürger wahlberechtigt. Allerdings gingen vor fünf Jahren nur 55,9 Prozent von ihnen zur Wahl. Das waren noch einmal zwei Prozent weniger als im Landesschnitt.

Im Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg geht es jetzt um sechs statt um fünf Wahlkreise im Abgeordnetenhaus, drei in Kreuzberg und drei in Friedrichshain. Der große Gewinner bei der Wahl 2006 waren die Grünen mit 31,5, gefolgt von der SPD mit 28,1 Prozent. Die Linke, damals noch PDS, die bis dato in Form von Cornelia Reinauer noch die Bezirksbürgermeisterin gestellt hatte, landete bei der Abgeordnetenhauswahl mit 16,9 Prozent ebenso auf dem dritten Rang, wie bei den Wahlen zur BVV, so dass Franz Schulz die PDS-Politikerin beerben konnte.

Eine neue Komponente wird es dieses Mal geben. Die Piraten haben in Umfragen drei Wochen vor der Wahl die FDP überholt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte es für die Grünen im Bezirk eng werden, ihre Spitzenposition zu halten. Die SPD hätte Chancen, die Rathausführung zurückzuholen.

Siehe auch: Kommentar zur Piratenpartei

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2011.

Kein blauer Dunst mehr – nirgendwo!

Kreuzberg wird Europas erster Rauchverbotsmusterbezirk

Kreuzberg staunt über das neueste EU-Pilotprojekt unter der Schirmherrschaft des frischgebackenen EU-Kommissars Günter Öttinger. Ab 1. April 2011 gilt das absolute Rauchverbot im Kiez. Weder in Raucherkneipen, noch auf der Straße oder in Privatwohnungen wird der Genuss von Tabak erlaubt sein. Die BVV beschloss in ihrer letzten Sitzung die Zustimmung zu diesem Projekt, nicht ohne stolz auf die Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit zu verweisen, der Kreuzberg als geeigneten Bezirk für diesen Feldversuch favorisierte. »Kreuzberg ist für Europa der Vorzeigekiez hinsichtlich EU-Zuwanderung, insbesondere die schwäbischen Immigranten lassen eine hohe Akzeptanz des Rauchverbots erhoffen«, meint Günter Öttinger. Vorbild für dieses Projekt ist das amerikanische Belmont, Kalifornien, in dem das absolute Rauchverbot durchgesetzt wurde.

Erste Reaktionen sind harsch: »Das ist ein weiterer Anschlag der vergnügungsfernen Bildungsschichten auf die lebensfrohe Kreuzberger Art«, meint der Vorsitzende der Hedonistischen Union, Tobias Bouwer, voller Empörung.

Schlechte Zeiten für Raucher bedeuten in diesem Fall gute Zeiten für den Arbeitsmarkt. So plant Kreuzberg eine neue Abteilung Nichtraucherschutz mit einem Personalbedarf an 2.500 Ordnungshütern. Dienststellenleiter und Dezernent wird der bundesweit bekannte Oberregierungsrat Burkhard van Nelle, der mit zwei Mitarbeitern das Nichtraucherschutzgesetz in Lokalen mit aller Härte bereits in Kreuzberg umgesetzt hat. »Ich bin stolz, diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen zu dürfen« meint van Nelle, »wir werden unter meiner Führung nicht eine Zigarettenkippe im Kiez zulassen«. Bewerbungen sind erwünscht aus dem Beamtenpool, bevorzugt werden pädagogische Mitarbeiter aus dem Schulbereich, denn »Schulen können durchaus nach der erfolgreichen Etablierung des jahrgangsübergreifenden Lernens auf Lehrer verzichten«, so Bildungssenator Klaus Zöllner. »Die Schüler der ersten drei Klassen unterrichten sich nun qualifiziert gegenseitig«. Das Rauchen wird geahndet werden mit einer Geldstrafe bis zu 1000€, Denunziation ist erwünscht und wird mit einer Kopfprämie von 300€ belohnt.

Für die Tabak- und Zeitungsläden wird mit einem umfangreichen Entschädigungspaket geworben. So erhalten Läden, die sich für einen Umzug in einen anderen Stadtteil entscheiden ein großzügiges Startkapital, Umzugskostenhilfe und Mietfreiheit für ein Jahr, finanziert über die EU. Alternativ wird für verbleibende Geschäfte eine Produktumstellung gefördert. So hat man bereits Kontakt zum Brandenburger Bauernverband aufgenommen, um ungesunden Tabak und Zigaretten mit groß und stark machender Milch von Brandenburger Bauern zu substituieren. Der Brandenburger Bauernverband musste in diesem Vertrag lediglich auf das Jammern im Jahr 2011 verzichten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2010.

Haushalt ohne Plan

BVV lehnt mit großer Mehrheit den Haushaltsplan für 2010 und 2011 ab

Das war schon eine interessante Koalition, die den Bezirkshaushalt von Friedrichshain-Kreuzberg am 24. Februar in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einfach mal ablehnte. Die Grünen votierten mit der CDU, der FDP und der Linken gegen den Etat. Lediglich die SPD stimmte dafür.

JUGEND DEMONSTRIERT: Schon im Sommer wurde  für den Erhalt von Jugendeinrichtungen protestiert.  Das könnte bald wieder passieren.

Foto: pskJUGEND DEMONSTRIERT: Schon im Sommer wurde für den Erhalt von Jugendeinrichtungen protestiert. Das könnte bald wieder passieren. Foto: psk

»Wir können die Kürzungsvorgaben des SPD-geführten Senats für unseren Bezirk nicht verantworten«, erklärte Daniel Wesener, Fraktionssprecher der Grünen. Und er war sich darin einig mit der Linken, die immerhin im Senat mitregiert. Die Linken im Bezirk bekamen dabei unerwartet prominente Unterstützung, denn mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Halina Wawzyniak war immerhin erstmals eine amtierende Bundestagsabgeordnete ins Rathaus nach Kreuzberg gekommen. Und sie stärkt den Genossen den Rücken gegen den Senat. Dabei verweist sie auf einen bundespolitischen Aspekt der Entscheidung in der BVV: »Es gilt auf Bundesebene die Kommunalfinanzen neu zu gestalten. Aber auch der Senat muss sich entscheiden, ob er die Bezirke endlich ausfinanziert oder sie perspektivisch abschafft. Ein ‚weiter so‘ kann es nicht geben.«

Es ist nicht zum ersten Mal, dass sich die BVV einem Haushaltsplan einfach verweigert. Beim letzten Mal hat das auch ganz gut funktioniert, denn bei Nachverhandlungen mit dem Senat gab es dann auch mehr Geld. Doch damit rechnet Wawzyniak diesmal nicht. Der Bundestagsabgeordneten ist ebenso wie ihren Kollegen im Bezirk klar, was dies heißt. Friedrichshain-Kreuzberg wird unter vorläufige Haushaltswirtschaft gestellt und darf nur noch dafür Geld ausgeben, wozu der Bezirk gesetzlich verpflichtet ist.

Nach den Zuweisungen des Landes Berlin fehlen dem Bezirk noch fünf Millionen Euro. Laut Daniel Wesener bedeutet dies: »Wenn der Bezirk dieses Defizit auflösen würde, müssten leider auch Einrichtungen wie Bibliotheken oder Jugendclubs schließen.«

Schon im Herbst hatte es heftige Proteste gegen die Pläne des Bezirks gegeben, Jugendfreizeiteinrichtungen an freie Träger abzugeben. Die mögliche Schließung solcher Einrichtungen würde erst recht einen Sturm der Entrüstung hervorrufen.

Alles in Allem umfasst der abgelehnte Etat 560 Millionen Euro. Doch der Bezirk kann nur über einen kleinen Bruchteil davon verfügen. Den Löwenanteil verschlingen durchlaufende Posten wie zum Beispiel Transferleistungen, zu denen beispielsweise Sozialhilfe und Wohngeld gehören.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2010.