Drei aus dem Kiez in den Bundestag?

Die Chancen der Kandidaten sind unterschiedlich – aber für fast jeden gut

In einem sind sich alle Kandidaten einig: Der Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer-Berg-Ost ist der spannendste im ganzen Bundesgebiet. Das liegt zum einen daran, dass hier mit Hans-Christian Ströbele der einzige Grüne antritt, der bislang ein Direktmandat im Bundestag errungen hat. Zum anderen spielt sicherlich eine Rolle, dass die anderen Parteien durch die Bank weg starke Kandidaten ins Rennen geschickt haben.

Doch wer wird am Ende tatsächlich in den Bundestag einziehen? Theoretisch könnte der Wahlkreis in der nächsten Legislatur sogar von drei Abgeordneten vertreten werden. Wahrscheinlich ist das nicht – aber ganz ausgeschlossen eben auch nicht.

Grundvoraussetzung für dieses Szenario ist zunächsteinmal, dass ein Mann gewählt wird. Die Erklärung ist einfach und hat nichts mit männlichem Chauvinismus zu tun. Tatsächlich ist keiner der drei Männer über die Landesliste abgesichert.

Sichere Listenplätze haben Halina Wawzyniak (Linke) und Vera Lengsfeld (CDU) nun auch nicht gerade – aber aussichtsreiche. Die bürgerliche Kandidatin Lengsfeld beispielsweise ist auf Rang 6 platziert, der der CDU immer genügt hatte – nur vor vier Jahren eben nicht.

Halina Wawzyniak wurde auf Platz 5 der Landesliste gewählt. Vor vier Jahren hätte der ebenfalls knapp nicht gereicht. Auf ihre Chancen angesprochen, ob sie es über die Liste schaffen könnte, meint sie: »Wenn wir 20 Prozent schaffen.«

Eine der beiden könnte es also schaffen, wenn die SPD schwächelt und die Stimmen nicht alle bei den Splitterparteien landen.

Ohne Netz und doppelten Boden kämpfen die drei männlichen Kandidaten. Keine Rolle im Kampf um das Direktmandat wird Markus Löning (FDP) spielen, der noch vor vier Jahren über die Liste in den Bundestag einzog.

Es könnte also auf ein Duell Ströbele gegen Böhning hinauslaufen. Genau das hat der 31jährige Ex-Jusovorsitzende bereits beschworen. Und seine Unterstützerliste liest sich imposant: Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Andrea Nahles, Literaturnobelpreisträger Günter Grass und natürlich Böhnings direkter Chef. Der heißt übrigens Klaus Wowereit.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

»Die CDU ist eine andere als vor 20 Jahren«

Vera Lengsfeld zu Gast im Brauhaus Südstern

Dass es überhaupt eine Kandidatin Vera Lengsfeld in Kreuzberg gibt, ist ihrem Kandidatenvorgänger Kurt Wansner zu verdanken. Der rief eines Tages bei ihr an und fragte sie in aller Unschuld, ob sie nicht die Kandidatin für den Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain werden wolle. Zunächst war sie verblüfft, dann aber dachte sie »Das ist aber ein nettes Angebot«.

Diese Aussage sollte nicht die einzige Überraschung an diesem Abend im »Brauhaus Südstern« sein. Die erste war, dass Vera Lengsfeld mit einem ausgesprochen wohlerzogenen Hund zur Fragerunde kam. Ein andere war ihre Reaktion auf die Reaktionen zu ihren umstrittenen Plakaten. Sie kann das Grumeln in der Partei gar nicht verstehen, erklärt aber, dass Frank Henkel, der neue Landesvorsitzende der Meinung sei, dass dieses Plakat der Landes-CDU 200.000 Euro Wahlkampfkosten gespart habe.

CDU-Kandidatin Vera Lengsfeld im KuK-Redaktionsgespräch

Foto: rspCDU-Kandidatin Vera Lengsfeld im KuK-Redaktionsgespräch Foto: rsp

Dass ihre Einstellungen häufig so gar nichts mit den Vorstellungen ihrer Partei zu tun haben, erklärt sie so: »Wenn ich heute hier rumgehe, habe ich das Gefühl, die Leute glauben, es sei noch die Partei wie vor 25 Jahren. Das kann ich ja verstehen, weil dieses Feindbild hatte ich vor 20 Jahren auch. Aber die Partei ist nicht mehr so. Den besten Beweis bietet mein Wahlplakat. Das wäre vor 20 Jahren unmöglich gewesen.«

Man wird an diesem Abend das Gefühl nicht los, als ob der einstmals treue Parteisoldat Kurt Wansner seiner CDU, die ihm vor vier Jahren so übel mitgespielt hat, einen Streich spielen wollte, der ihm noch besser geglückt ist, als er sich das vielleicht gedacht hat. Denn Vera Lengsfeld fand sich nach ihrer Wahlkreiskandidatur plötzlich auf einem einigermaßen aussichtsreichen Listenplatz wieder, nachdem die Basis gegen die Landesführung geputscht hatte.

Insofern hat Vera Lengsfeld wohl recht, dass sich ihre Partei geändert habe, doch als die Frage kommt, was ihre Partei für sie tue, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Nichts.«

Tatsächlich scheinen ihre Ansichten in vielen Fällen auch nicht gerade CDU-affin zu sein: in Sachen Vorratsdatenspeicherung findet die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, die selbst lange unter Observation gelitten hat, die Argumentation nicht schlüssig. »Ich habe Erfahrungen mit flächendeckender Überwachung gemacht. Ich bin nicht dafür, dass man die Bevölkerung entmündigt wegen einer Handvoll Terroristen.«

Nicht anders sieht es bei der Sperrung von Internetseiten aus. »Der Sperrung stehe ich sehr skeptisch gegenüber«, erklärt die CDU-Kandidatin zu dem Gesetz, das immerhin von der Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) stammt.

Die Piratenpartei will Vera Lengsfeld nicht unterschätzen. »Die beackert ein Feld, das von der Politik bisher vernachlässigt wird«, erklärt sie.

In der Diskussion überraschte Vera Lengsfeld schließlich noch mit ihrem klaren Bekenntniss zum bedingungslosen Grundeinkommen. Sie nennt es einen »Befreiungsschlag gegen die Überbürokratisierung, mit der wir zu kämpfen haben.«

Als es um die Mitbewerber ging, schnitt ausgerechnet Halina Wawzyniak von der Linken in den Augen der Unionspolitikerin am besten ab. Über ihren einstigen Mitstreiter Hans-Christian Ströbele zeigte sich die frühere Grüne dagegen verwundert. »Christian hat ganz zugeknöpft auf mein Plakat reagiert.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

Vier gegen Ströbele

Kiez und Kneipe lädt Bundestagskandidaten zum Redaktionsgespräch ein

Die Klage, dass dem Bundestagswahlkampf die großen Themen fehlen, mag ja bundesweit berechtigt sein. Doch Kandidaten treten schließlich auch in einem Wahlkreis an, den sie im Erfolgsfall im Bundestag vertreten sollen. So gesehen gibt es natürlich in Kreuzberg eine ganze Menge Themen, mit denen Bundestagskandidaten konfrontiert werden können.

Bereits vor vier Jahren hatte die KuK alle Kandidaten der im damaligen Bundestag vertretenen Parteien zu öffentlichen Redaktionsgesprächen eingeladen. Alle waren dieser Einladung gefolgt. So auch in diesem Jahr, vor einem Wahlkampf, der zumindest in Kreuzberg einige Spannung verheißt.

Da ist zunächst einmal Hans-Christian Ströbele. Der einzige Grüne, der je durch ein Direktmandat in den Bundestag eingezogen ist, gilt nicht nur den Grünen inzwischen als Ikone. Bundesweit eher als kritischer Nachfrager in heiklen Untersuchungsausschüssen bekannt, ist er auch im Kiez sehr präsent. Ob als Vermittler im McDonaldsstreit, als Schlichter am Kotti oder als Mutmacher bei der Paddelparade. An Kreuzbergs bekanntestem Radler kommt kaum einer vorbei.

Das ist auch den anderen Parteien klar, die dieses Mal ausnahmslos Parteiprominenz ins Rennen schicken.

Die SPD setzt auf Björn Böhning. Der einstige Juso-Vorsitzende ist Sprecher der Partei-Linken und leitet in der Senatskanzlei das Grundsatzreferat. Er kann sich also der besonderen Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit sicher sein.

Die Mitbegründerin von Bündnis 90 ist heute bei der CDU. Mit der Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld will die Union in Deutschlands grünstem Wahlbezirk Punkte machen. Mit einem überraschend guten Listenplatz ausgestattet könnte ihr auch ohne Sieg der Sprung in den Bundestag gelingen.

Ein wenig pikant wirkt der Fall FDP. Für sie kandidiert im Wahlkreis kein geringerer als der Landesvorsitzende Markus Löning. Der sitzt bereits im Bundestag und wäre wohl als Spitzenkadidat auf der Landesliste wieder gewählt worden. Doch diesen Platz hat ihm der Berliner Fraktionsvorsitzende Markus Lindner erfolgreich streitig gemacht. Löning verzichtete auf einen Listenplatz und kämpft nun tapfer als Direktkandidat.

Halina Wawzyniak kann es zwar in Sachen lokaler Prominenz nicht ganz mit ihrer Vorgängerin, der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer aufnehmen, doch innerhalb der Linken spielt die Justitiarin der Bundestagsfraktion eine gewichtige Rolle. Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende und Bezirksvorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg.

11.08. 19h Cantina Orange Markus Löning (FDP)
12.08. 18h Brauhaus Südstern Vera Lengsfeld (CDU)
18.08. 19h Too Dark Hans-Christian Ströbele (B90/Grüne)
24.08. 19h Mrs. Lovell Halina Wawzyniak (Die Linke)
25.08. 18h Gasthaus Valentin Björn Böhning (SPD)

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2009.