AGB soll Anhang kriegen

CDU stimmt für Erweiterungsbau am Blücherplatz

Als vor zehn Monaten der Berliner Senat bei der Volksabstimmung über die Zukunft des Tempelhofer Feldes eine krachende Niederlage einstecken musste, wurde gleichzeitig ein Projekt zu Grabe getragen, das das Land immerhin mehr als eine Viertelmilliarde Euro gekostet hätte: der Neubau einer Zentral- und Landesbibliothek. Es war eine Herzensangelegenheit des damaligen Regierenden Bürgermeisters, und es gibt nicht wenige, die Wowereits Rücktritt in Verbindung damit sehen, dass ihm der Bau seines »Klausoleums« auf dem Tempelhofer Feld verwehrt wurde.

Darüber wurde beinahe vergessen, dass die ZLB tatsächlich Probleme plagen. Eines davon heißt Platz, das andere die unterschiedlichen Standorte am Blücherplatz und in Mitte.

Der Parkplatz an der AGB soll einem Anbau der ZLB weichen.

Foto: pskDer Parkplatz an der AGB soll einem Anbau der ZLB weichen. Foto: psk

Mehrere Überlegungen wurden schon ins Spiel gebracht, wo denn eine künftige ZLB untergebracht werden könnte. 60.000 Quadratmeter braucht es mindestens. Die gäbe es zum Beispiel im ehemaligen Flughafengebäude, doch leider nicht zusamenhängend, sondern von anderen Mietern unterbrochen. Schon vor einem Jahr galt das dem Senat als unüberwindliches Hindernis.

Dann fiel ganz plötzlich auf, dass das ICC ja leersteht. Doch das hat ja seine Gründe, und die Probleme des im Unterhalt so teuren Baues würden durch den Einzug der ZLB ja auch nicht gelöst.

Seit längerem im Gespräch ist eine Erweiterung der Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz. Genau dafür setzt sich jetzt auch die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus ein und eröffnet damit die seltene Gelegenheit zu einer schwarz-grünen Koalition zumindest in einem Thema. Die Grünen sind für diese Lösung durchaus zu haben.

Allerdings gibt es eine ganz klare Einschränkung: »Es darf kein Quadratmeter Grünfläche verschwinden«, erklärt Bürgermeisterin Monika Herrmann kategorisch. Übersetzt heißt das, dass der Waterloo-Park nicht angetastet werden darf.

Umbau- und Sanierungskosten für Kongresszentrum und Flughafengebäude sind hoch

Doch daran sollte eine Einigung nicht scheitern, denn die CDU schielt wohl auch weniger in den Park, als eher auf den großen angrenzenden Parkplatz westlich der AGB.

Das ist auch eine Vorstellung, mit der die Grünen gut leben können. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek: »Die AGB war immer einer der drei am besten geeigneten Standorte für einen ZLB-Neubau.«

Einen Blankoscheck bedeutet das freilich noch nicht, denn die Grünen wollen zunächst einmal ein Konzept vom Senat sehen und dann auch wissen, ob sich das Ganze rechnet.

Allerdings dürfte da die AGB-Lösung gegenüber ICC und Flughafen Tempelhof zumindest Vorteile in punkto Infrastruktur haben. Immerhin war zwar das Dach des Flughafengebäudes einst so konstruiert, dass es bis zu 200.000 Menschen bei Flugshows hätte tragen können, das Innere des Gebäudes war aber nie als Bibliothek ausgelegt. Und so gibt es durchaus Experten, die glauben, dass es an der für eine Bibliothek notwendigen Statik mangeln könnte. Einfach einziehen und ein paar Bücher in die Regale stellen – damit ist es in Temeplhof keinesfalls getan. Auch hier würden aufwändige Baumaßnahmen nötig sein, die durch den Denkmalschutz auch nicht einfacher würden.

Das ICC als Bibliothek wird sich mancher nur schwer vorstellen können, andere fänden das eine bestechende Idee. Doch hier steht auf jeden Fall eine sehr teure Sanierung an, deren Kosten im Moment sowieso schwer zu beziffern sind. Zudem scheidet für die CDU die ICC-Lösung aus einem anderen Grunde aus. Sie will das ICC wieder zu dem machen, was es ja ursprünglich war – ein Kongresszentrum.

Und die SPD? Die würde vermutlich das Wort Zentral- und Landesbibliothek ganz aus ihrem Wortschatz streichen, ist es doch mit einer verheerenden politischen Pleite verknüpft. Sie hofft auf eine rasche, stille Lösung.

Die Chance, dass das ZLB-Problem bald gelöst ist, stehen also gar nicht so schlecht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2015.

Notquartier oder Ferienwohnungen?

Monika Herrmann mit neuer Idee zur Flüchtlingsunterbringung

Notquartier: In dieser Turnhalle sind derzeit rund 30 Flüchtlinge untergebracht.

Foto: pskNotquartier: In dieser Turnhalle sind derzeit rund 30 Flüchtlinge untergebracht. Foto: psk

Die Zahl der Flüchtlinge wächst, und mit ihr die Probleme in punkto Unterbringung. Container werden aufgestellt, Turnhallen requiriert und Traglufthallen aufgeblasen. Und trotzdem, es reicht nicht.

Doch in Treptow, an der Trasse der künftigen A100 stehen 90 Wohnungen leer, die sofort bezugsfertig wären. Aber die beiden Häuser sollen abgerissen werden, für eine Autobahn, für die die Bauarbeiten an diesem Teilstück in sieben Jahren beginnen.

In der momentanen Situation wären sie buchstäblich Gold wert, doch für Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel ist das kein Thema. Eine Zwischennutzung kommt für ihn nicht in Frage.

Monika Herrmann, Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, hat diese Haltung so richtig in Harnisch gebracht. Sie hat gerade die Sporthalle »MariannenArena« an das Land weitergereicht, damit dort bis zu 80 Flüchtlinge, Frauen und Kinder, untergebracht werden. 30 sind es bis jetzt.

Dort gibt es zwar keinen Schulunterricht, aber viele Vereine müssen jetzt ausweichen. Herrmann fürchtet, dass die hohe Akzeptanz und Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen mit der Zeit schwinden könnte.

Die Unterbringung ist eigentlich auf wenige Wochen begrenzt. Und sehr viel mehr als Stockbetten gibt es für die Flüchtlinge auch nicht. Betreut werden sie von den Johannitern, die allerdings ein hohes Aufkommen an Sachspenden verzeichnen können. »Wir ertrinken beinahe in Kinderkleidung«, erklärt ein Mitarbeiter der Johanniter. Trotzdem sind Sachspenden durchaus willkommen.

Die Bezirksbürgermeisterin ist in einem Zwiespalt. Zwar will auch sie so viele Flüchtlinge wie möglich menschenwürdig unterbringen, aber sie hätte halt auch gerne ihre Turnhalle bald wieder zurück.

Sie hat nun eine ganz neue Idee ins Feld geführt: Warum sollte man nicht illegale Ferienwohnungen als Flüchtlingsunterkünfte nutzen? Der durchaus erwartete und eigentlich schon übliche Shitstorm fiel eher lau aus.

Justizsenator hat rechtliche Zweifel

Nicht einmal die CDU, die sich sonst sehr gerne und sehr schnell auf die grüne Bezirksbürgermeisterin einschießt, begehrte laut auf. Immerhin, Justizsenator Thomas Heilmann hält den Vorschlag für nicht praktikabel. Das ändert allerdings nichts daran, dass er jetzt zunächst rechtlich geprüft wird. Trotzdem steht das böse Wort von der »Enteignung« im Raum. Doch die sieht Monika Herrmann nicht. Einerseits würden die Eigentümer ja trotzdem Miete erhalten, andererseits sei eine Unterbringung von Flüchtlingen zeitlich begrenzt. Außerdem verweist sie darauf, dass es sich in diesem Fall ja um illegale Ferienwohnungen handele. Juristisch ist das möglicherweise knifflig, aber sie erklärt auch, dass jeder der legal eine Ferienwohnung besitzt oder betreibt, diese natürlich ebenfalls als Flüchtlingsunterkunft gegen eine entsprechende Miete zur Verfügung stellen kann.

Justizsenator Heilmann meldet unter anderem deshalb Zweifel an, weil ja auch viele öffentliche Gebäude leer stünden und nennt dabei das ICC.

Monika Herrmann rechnet vor, dass vom Liegenschaftsfonds des Landes, der über mehr als 100 Gebäude verfügt, gerade mal 13 Objekte als Flüchtlingsunterkünfte vorgeschlagen wurden, also etwa eines pro Bezirk.

Ein Gebäude, in dem eine ganze Menge Flüchtlinge untergebracht werden könnten, steht in der Kreuzberger Franz-Künstler-Straße. Das ehemalige Haus der Schreber-Jugend war auch schon einmal im Gespräch, die Flüchtlinge vom Oranienplatz, beziehungsweise von der Gerhart-Hauptmann-Schule aufzunehmen. Damals scheiterte es an der fehlenden Heizung. Inzwischen wäre eine Unterbringung, selbst mit Heizungsnachrüstung nicht mehr möglich. »Es fehlt der Brandschutz, und das Gebäude soll abgerissen werden«, erläutert die Bürgermeisterin.

Trotzdem hätte auch hier schon längst etwas passieren können. Wenn das Gebäude abgerissen worden wäre, dann hätte man auf dem Gelände wenigstens Wohncontainer aufstellen können.

Tatsächlich scheint es zumindest in der Theorie genügend Wohnraum für Flüchtlinge zu geben – aber auch hohe bürokratische Hürden.

Kommentar: Mehr Mut ist machbar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2015.

Görlitzer Park kommt nicht zur Ruhe

Neue Taskforce soll die Situation verbessern

Mit der Gründung einer Taskforce reagiert nun die Politik auf die sich offenbar verschärfende Drogensituation im Gör­lit­zer Park. Pikant ist die Zusammensetzung des Gremiums. Mit Innensenator Frank Henkel, seinem Staatssekretär Bernd Krömer und Justiz­se­na­tor Thomas Heilmann sitzen drei CDU-Leute, die für Law-and-Order stehen, zwei Vertretern der Grünen, Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann und Bezirksstadtrat Hans Panhoff, gegenüber. Beide stehen naturgemäß für eine liberalere Drogenpolitik.

Der Görlitzer Park gilt schon lange als Umschlagplatz für meistens weiche Drogen. Doch seit geraumer Zeit ist die Zahl der Dealer enorm gewachsen. Zudem klagen vor allem Anwohner, dass das Auftreten der Rauschgiftverkäufer inzwischen auch ziemlich forsch geworden ist.

In wie weit das richtig oder eher eine subjektive Wahrnehmung ist, ist nur schwer zu überprüfen. Dass die Zahl der Dealer enorm gewachsen ist, lässt sich hingegen belegen. Auch ein Zusammenhang mit den Asylsuchenden in der nahegelegenen Gerhard-Hauptmann-Schule ist schlecht wegzudiskutieren.

So ergeben sich zwei Linien, wie dem Problem beizukommen sei. Der Innensenator sähe am liebsten eine Null-Toleranz-Politik mit hoher Polizeipräsenz in und um den Park. Und ihm geht der Umgang mit den Flüchtlingen in Kreuzberg entschieden zu weit.

Monika Herrmann dagegen hofft, mit einem legalen Coffeeshop den Dealern die Grundlage zu entziehen. Sie setzt mehr auf Dialog und glaubt, dass eine weniger restriktive Flüchtlingspolitik ohne Residenzpflicht und Arbeitsverbot hilfreich wäre.

Einig sind sich die beiden unterschiedlichen Lager in der Taskforce jedoch in einem: Die jetzige Situation im Gör­litzer Park ist so nicht mehr tragbar und den eigentlichen Nutzern des Parks auch so nicht mehr zuzumuten.

Mit den Anwohnern will die Grünen-Fraktion in der BVV im Januar ins Gespräch kommen.

Grünflächenamt vergrämt die Dealer

Bei einer Veranstaltung – so sie zustande kommt – sollen die Mitglieder der Taskforce ihre Vorstellungen kundtun.

Bis dahin ist die Taskforce allerdings auch schon tätig geworden. Zum Teil mit überraschenden Erfolgen. So hat Baustadtrat Hans Panhoff, das Grünflächenamt losgeschickt, um das Unterholz einmal so richtig auszuforsten – das Unterholz, in dem die Dealer auch schon mal gerne ihren Stoff deponieren.

Tatsächlich fanden die Mitarbeiter des Grünflächenamtes nicht nur weiche Drogen in Form irgendwelcher Cannabisprodukte, sondern auch richtig hartes Zeug wie Crystal Meth und Kokain.

Der Hohlweg am Spreewaldbad, den Panhoff einen »richtigen Angstraum« nennt, soll zugeschüttet werden. Durch solche und ähnliche Maßnahmen soll den Dealern die Lust am Dealen genommen werden.

Innensenator Frank Henkel setzt da auf eine andere Strategie. Er will die Grenze für den in der Regel nicht verfolgten Besitz von Cannabis-Produkten für den Eigenbedarf von 10 bis 15 Gramm auf sechs Gramm herabsetzen – und zwar nur für den Park und seine Umgebung.

Die Polizei sieht den Ruf nach größerer Präsenz mit sehr gemischten Gefühlen, denn personell arbeiten die Ordnungshüter am Park sowieso bereits am Anschlag. Noch mehr Präsenz ist angesichts der Personalsituation nur schwer darstellbar. Zudem gerät die Polizei auch immer wieder mit Anwohnern des Görlitzer Parks aneinander. Viele fühlen sich zwar durch die Dealer bedroht, doch die Festnahme eines Dealers wird andererseits auch gerne als unangemessene Polizeigewalt interpretiert.

Inwieweit die Maßnahmen wirklich greifen und welche Konzepte am Ende möglicherweise zum Erfolg führen, wird so schnell nicht festzustellen sein. In der kalten Jahreszeit und den kurzen Tagen, wenn Bäume und Büsche entlaubt sind, sind auch nicht nur weniger Parkbesucher, sondern auch weniger Dealer unterwegs.

Doch das Problem könnte sich im nächsten jahr auch ohne Tatort von selbst lösen. Die Polizei beobachtet, dass viele Dealer den Park verlassen, um andernorts zu dealen. Im Görli gibt es zuviele Kollegen. Das ruiniert die Preise.

Kommentar: Bringt das wirklich was?

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2014.

Wahlkämpfchen in Kreuzberg

Irgendetwas ist anders bei diesem Wahlkampf. Zumindest drei Wochen vor dem Urnengang ist alles verdächtig ruhig. Selbst auf den Magistralen, die sonst das Hauptschlachtfeld des Kampfes der Megaplakate sind, findet man kaum Werbebotschaften der Parteien. Aussagekräftige schon gar nicht. Auch beim gemeinen Volk ist von Wahlkampffieber so gar nichts zu spüren.

Eigentlich schade für die Kandidaten. Denn der Bezirk hat dieses Mal richtig Glück. Die großen Parteien plus die Piraten schicken dieses Mal richtige gute und zu ihrer mutmaßlichen Klientel kompatible Kandidaten an der Start. Das gilt vor allem für SPD und CDU, die sich vor vier Jahren mit ihren Kandidaten Böning und Lengsfeld mal so richtig vergriffen hatten.

So macht wählen doch richtig Spaß, auch wenn der Wahlkampf bislang eher Wahlkämpfchen ist.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Das Interesse verlagert sich

Kandidaten der Außenseiter locken mehr Zuhörer an als früher

Warten auf den Kandidaten: An sechs Abenden interviewte die KuK Abgeordnete und solche, die es werden wollen.

Foto: philsWarten auf den Kandidaten: An sechs Abenden interviewte die KuK Abgeordnete und solche, die es werden wollen. Foto: phils

Sechs Kandidaten innerhalb von zweieinhalb Wochen stellten sich der Kiez und Kneipe in sechs verschiedenen Kneipen. Etwas mehr als einen Monat vor der Bundestagswahl konnten sich die Leser der KuK selbst ein Bild von denen machen, die sie in den nächsten Bundestag schicken sollen. Hans-Christian Ströbele ist dort schon – und zwar seit drei Legislaturperioden als einziger Grüner, der bislang direkt in den Bundestag gewählt wurde. Vor vier Jahren ist neben ihm auch noch Halina Wawzyniak von den Linken für den Wahlkreis 83 ins Parlament eingezogen.

Zu den Veranstaltungen der beiden Abgeordneten waren diesmal etwas weniger Interessierte gekommen, als in den Vorjahren. Dafür zogen die Kandidaten von SPD, CDU und FDP mehr Besucher an. Wegen ihrer Präsenz in der BVV und im Abgeordnetenhaus wurde dieses Mal auch der Kandidat der Piraten eingeladen.

Es gibt nur wenige, die ernsthaft daran zweifeln, dass der Grüne Hans-Christian Ströbele auch ein viertes Mal den Wahlkreis Friedrichhain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost direkt erobern wird. Ob er es allerdings erneut mit nahezu 50 Prozent schaffen wird, ist nicht ganz so sicher. Dagegen gibt es zwei gute Gründe – und die sind beide nicht nur jung und charmant, sondern offenbar auch sehr kompetent.

Halina Wawzyniak hat nicht nur vier Jahre im Bundestag geackert, sondern auch mit ihrem Wahlkreisbüro sehr starke Präsenz im Kiez gezeigt. Das könnte sich nun in einem höheren Stimmenanteil auszahlen.

Cansel Kiziltepe von der SPD wirbt nicht nur damit, dass sie ein Kiezkind aus dem Wrangelkiez ist. Die Volkswirtin beim VW-Konzern ist der perfekte Gegenentwurf zu den umstrittenen Thesen ihres Parteigenossen Thilo Sarrazin. Auf Platz fünf der Landesliste stehen ihre Chancen gar nicht mal so schlecht.

Für sie gilt wie für Halina Wawzyniak, die als fünfte auf der Linken-Liste ist: Es kommt darauf an, wieviel Direktmandate die jeweilige Partei in Berlin erringt und wieviele Zweitstimmen abgegeben werden, die letztlich über die Listenkandidaten entscheiden.

Vor vier Jahren hatte die einstige Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld mit ihren tiefen Einblicken nicht nur Kanzlerin Angela Merkel irritiert, sondern mit ihren Ansichten auch konservative Wähler verstört. Der CDU-Fraktionsvorsitzende in der BVV Götz Müller könnte hier verlorenes Terrain ein wenig zurückerobern.

Nachdem vor vier Jahren der geschasste Landesvorsitzende der FDP, Markus Löning, im Wahlkreis 83 kandidierte, muss nun der einstige Büroleiter von Guido Westerwelle ran. Helmut Metzner stolperte über seine ganz persönliche Wikileaks-Affäre. Und so wird man das Gefühl nicht los, dass der 83er für die Liberalen so eine Art Strafwahlkreis darstellt.

Bleibt noch der Pirat Sebastian von Hoff – ein Schornsteinfeger. Wie er und seine Mitstreiter sich geschlagen haben, erfahren Sie in den folgenden Artikeln:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Götz Müller will keinen Coffeeshop

Der BVV-Fraktionsvorsitzende der CDU stellt sich im »Galander« der Diskussion

Götz Müller beim Redaktionsgespräch im »Galander«.

Foto: csGötz Müller beim Redaktionsgespräch im »Galander«. Foto: cs

»Politik für die Menschen« will er machen, das sagt er ganz am Anfang, und tatsächlich ist ein gutes Dutzend Besucher ins »Galander« gekommen, um sich anzuhören, wie die Politik von Götz Müller aussehen könnte. Seit 2006 ist der gebürtige Wiesbadener für die CDU in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, jetzt will er das Direktmandat erkämpfen – und rechnet sich dafür durchaus Chancen aus.

In der »B.Z.« outete sich Müller kürzlich als Gegner des Flüchtlingscamps am Oranienplatz. Flüchtlinge, sagt er, sähe er kaum noch am Oranienplatz, sondern vielmehr »Linksradikale«, die die Flüchtlinge für »eigene Zwecke« missbrauchten. Überhaupt handele es sich bei dem Gelände um eine öffentliche Grün- und Erholungsanlage, und schon deshalb sei das Camp nicht länger zu tolerieren.

Auch die politischen Forderungen der Flüchtlinge teilt er nicht. Die Residenzpflicht diene unter anderem dazu, zu verhindern, dass alle Flüchtlinge in die Großstädte strömen. Eine Arbeitserlaubnis für Asylbewerber lehnt er ab, da er befürchtet, dass damit ein neuer Niedriglohnsektor eröffnet würde. Außerdem könne ein potentieller Arbeitgeber mit Flüchtlingen nicht planen, da im Schnitt neun von zehn Asylanträgen abgelehnt werden würden.

Eine andere »Grünfläche«, die derzeit die Gemüter in Kreuzberg erhitzt, ist der Görlitzer Park, in dem teilweise ganz offen Drogen gehandelt werden. Den Vorschlag von Bezirksbürgermeisterin Herrmann, einen Coffeeshop einzurichten, um die Problematik zu entschärfen, hält er für ein Grünes Wahlkampfmanöver. Für einen Coffeeshop sieht er nicht nur keine Rechtsgrundlage, sondern befürchtet auch, dass Dealer dann auf den Verkauf von harten Drogen umsteigen. Stattdessen erhofft er sich von einer Verstärkung der Polizeipräsenz eine allmähliche Verdrängung der Dealer.

In fast allen Parteien – auch in der CDU – gibt es Arbeitskreise, die sich mit dem Konzept »Bedingungsloses Grundeinkommens« (BGE) beschäftigen. Als Anhänger des Satzes »Leistung muss sich lohnen« glaubt Müller, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, die aus Leidenschaft arbeiten. Damit würde es bald an Mitteln fehlen, ein BGE auszuzahlen. Und auch ein flächendeckender Mindestlohn, so Müller, »ist entweder wirkungslos oder vernichtet Arbeitsplätze.«

Gegen steigende Mieten hat Müller ein einfaches Rezept: Wohnungsneubau, gerne auch am Rande des Tempelhofer Feldes. Außerdem setzt er auf staatliche Förderprogramme, die es Mietern ermöglichen sollen, die von ihnen bewohnte Wohnung zu kaufen.

Mit seinen teils recht exklusiven Ansichten stößt Müller nicht auf ungeteilte Zustimmung, und so entwickelt sich in der anschließenden Fragerunde eine kontroverse Diskussion um Asyl- und Bildungspolitik.

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Der Kandidat der exklusiven Meinung

Kiez und Kneipe sprach mit dem CDU-Kandidaten Götz Müller

Gemütliche Runde: Götz Müller (CDU) beim Redaktionsgespräch mit der KuK.

Foto: csGemütliche Runde: Götz Müller (CDU) beim Redaktionsgespräch mit der KuK. Foto: cs

Ein wenig träumen wird ja noch erlaubt sein. Und so kann sich denn der CDU Kandidat Götz Müller vorstellen, dass er vielleicht doch den Wahlkreis erobern könnte, dann nämlich, wenn der unbesiegbar scheinende Hans-Christian Ströbele ganz viele Stimmen an die beiden Damen Wawzyniak und Kiziltepe verliert – dann könnte er als lachender Vierter da stehen. Daran glaubt er zumindest eher, als dass die Union eine so satte absolute Mehrheit erreicht, die ihn als zehnter auf der Landesliste noch in den Bundestag hieven würde.

Beim Treffen mit Kiez und Kneipe im »Galander« in der Großbeerenstraße macht Müller einen aufgeräumten Eindruck. Der Fraktionsvorsitzende seiner Partei in der BVV sieht sich dann auch mit jenen drei Aufregerthemen im Kiez konfrontiert, mit denen sich schon seine vier Mitbewerber auseinandersetzen mussten: Flüchtlingscamp am Oranienplatz, Drogendealer im Görlitzer Park und Gentrifizierung. Bei den beiden ersten Themen kultiviert Müller eine sehr exklusive Meinung. Das Flüchtlingscamp ist für ihn unter anderem ein Grünflächenproblem, und die Forderungen der Flüchtlinge nach Abschaffung der Residenzpflicht und Arbeitserlaubnis teilt er erwartungsgemäß nicht. Gegen eine Arbeitserlaubnis spräche seiner Ansicht nach auch, dass damit ein weiterer Niedriglohnsektor eröffnet würde.
Dass Müller gegen einen Coffee-Shop am Görlitzer Park ist, überrascht nun niemanden. In Sachen Mietpreissteigerungen und Verdrängung weiß er sich einig mit seinem Kollegen von der FDP, Helmut Metzner. Das Rezept heißt bauen, bauen und nochmals bauen.

Damit sind alle Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien von der KuK in einem öffentlichen Redaktionsgespräch befragt worden. Doch weil’s so schön war, gibt’s noch eine Zugabe: Die Piraten schienen vor zwei Jahren schon fast sicher im Bundestag angekommen zu sein – und in die BVV haben sie es geschafft. Derzeit liegen sei bei Umfragen zwischen drei und vier Prozent. Ein Sprung ins Parlament scheint also noch möglich. Dazu und zu vielem anderen werden wir heute ab 19 Uhr im »Martinique» in der Monumentenstraße den Kandidaten der Piraten, Sebastian von Hoff, befragen.

Hier kann noch einmal der komplette Mitschnitt des Gespräches angehört werden. Leider ließen sich die typischen Bargeräusche im Hintergrund nicht vermeiden.

KuK lädt die Kandidaten

Offene Redaktionsgespräche in sechs Kiez-Kneipen

An sechs Terminen werden wir mit den Direktkandidaten des Wahlkreises über ihre Positionen zu Bundes- und Lokalpolitik sprechen. Plakat: csAn sechs Terminen werden wir mit den Direktkandidaten des Wahlkreises über ihre Positionen zu Bundes- und Lokalpolitik sprechen. Plakat: cs

Die Bundestagswahl naht wieder. Am 22. September wird gewählt, und auch diesmal hat Kiez und Kneipe wieder die Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen. Es gibt dieses Mal allerdings eine Neuerung. Aufgrund ihres sensationellen Erfolges bei der Berlinwahl und der Tatsache, dass die Partei auch stark in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten ist, wollen wir in diesem Jahr auch mit dem Kandidaten der Piraten diskutieren.

Die Spielregeln sind die gleichen wie immer: Die Kandidaten werden von unseren Redakteuren etwa 45 Minuten lang befragt. Dann ist das Publikum dran. Auch hier sind ca. 45 Minuten eingeplant.

Der Auftakt gebürt dem Doyen in der Runde. Hans-Christian Ströbele wird am 7. August um 19 Uhr in das Too Dark in der Fürbringerstraße 20a kommen. Er kennt das Format und die Location bestens und kommt auch jedes Mal gerne, weil ihm nach eigenem Bekunden beides sehr gut gefällt.

Tradition hat auch die Cantina Orange als Treffpunkt mit dem Kandidaten der FDP. Das hat allerdings nichts mit der Präferenz der Wirtsleute zu tun, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass Baden-Württemberg als das Stammland der Liberalen gilt. Und so ist auch Helmut Metzner in das Schwäbische Lokal in der Mittenwalder Straße eingeladen. Er kommt am 13. August ebenfalls um 19 Uhr.

Einen Tag später ist Halina Wawzyniak an der Reihe. Vor vier Jahren zog sie über die Landesliste überraschend für den Wahlkreis als Kandidatin der Linken in den Bundestag ein. Sie kommt am 14. um 19 Uhr ins Dodo in der Großbeerenstraße 32.

Für die SPD will Cansel Kiziltepe in den Bundestag einziehen. Wie sie das machen will, wird sie am 15. August ab 19 Uhr im »Gasthaus Valentin« in der Hasenheide erklären.

Für die CDU geht Götz Müller ins Rennen. Die KuK hat ihn für den 20. August um 19 Uhr in die Bar »Galander« in der Großbeerenstraße 54 eingeladen.

Da Piraten und Karibik irgendwie zusammengehören, liegt es auf der Hand, dass der piratische Kandidat Sebastian von Hoff im passenden Ambiente befragt wird.Im »Martinique« in der Monumentenstraße 29 steht er am 21. August ab 19 Uhr Rede und Antwort.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2013.

Bürgerdeputierte und Baumscheibenvandalen

BVV-Sitzungen werden jetzt auch im Internet übertragen

Jeden letzten Mittwoch im Monat tagt die BVV Friedrichshain-Kreuberg, und seit Neuestem müssen kommunalpolitisch interessierte Menschen nicht einmal mehr die heimische Wohnküche verlassen, wenn sie wissen wollen, welche Themen im Bezirksparlament verhandelt werden. Auf Initiative der Piratenfraktion werden nämlich alle BVV-Sitzungen live als Audiostream im Internet übertragen und auch aufgezeichnet.

So kann man zum Beispiel Ohrenzeuge werden, wie eine von allen anderen Fraktionen als dringlich eingestufte Resolution gegen den Ausbau der A100 auf Antrag eines einzelnen CDU-Verordneten vertagt werden musste. Diese kann damit dann wohl nicht mehr rechtzeitig vor der bevorstehenden Räumung eines Neuköllner Baugrundstücks verabschiedet werden. Auch die längere und recht hitzige Debatte über den unsensiblen Umgang des Grünflächenamts mit Baumscheibengärtchen in der Reichenberger Straße war nicht ohne Reiz.

Außerdem war zu erfahren, dass die Einführung der Parkraumbewirtschaftung für die Kochstraße geplant und für Bergmann- und Chamissokiez mittelfristig ebenso angedacht ist.

Die Bürgerdeputierten und ihre Stellvertreter wurden (einstimmig via Konsensliste) gewählt, so dass jetzt alle Ausschüsse vollständig und arbeitsfähig sind.

Ebenfalls einstimmig beschlossen wurde, dass das Bezirksamt sich beim EU-Projekt »Linked Open Data 2« um eine kostenlose Beratung zur benutzerfreundlicheren Veröffentlichung ihrer Drucksachen und Verwaltungsdaten im Internet bewerben soll.

Transparenz, Bürgerbeteiligung und Verbesserung der IT-Infrastruktur sind derzeit ohnehin ein großes Thema im Bezirk. Ein großes Bündel von Anträgen zu diesem Themenfeld – vor allem aus der Grünen-Fraktion und von den Piraten, und in einem Fall sogar von der CDU – wurde zunächst zur weiteren Ausarbeitung und Beratung in die entsprechenden Ausschüsse verwiesen.

Wem zwei Stunden BVV-Sitzung nicht genug oder zuviel des Guten sind, dem sei – ergänzend oder alternativ – der Podcast »Nachsitzen« der Piratenfraktion ans Herz gelegt, in dem diesen Monat erstmals die Bezirksverordneten Felix Just und Ralf Gerlich sowie der Fraktionsmitarbeiter Malte Jan Kaffenberger in lockerer Runde beim Bier die Highlights der BVV-Sitzung aus piratischer Sicht resümierten und mit Hintergrundinformationen und Anekdoten aus den Ausschüssen ergänzten.

Hier geht’s zu den Audioaufzeichnungen der Piratenfraktion Friedrichshain-Kreuzberg. Der Podcast „Nachsitzen“ findet sich hier.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2012.

Ringen ums Rathaus

Bezirksamtsselbstfindung geht nicht ohne Querelen und Turbulenzen ab

Nach zähem Ringen um Wahlverfahren, Ressortverteilungen und Partnerschaften sieht es so aus, als ob Friedrichshain-Kreuzberg – als letzter der 12 Berliner Bezirke – nun doch in der BVV-Sitzung am 7. Dezember ein neues Bezirksamt wählen wird.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich aufgrund einer Gesetzesänderung in 2008 die Anzahl der Bezirksstadträte in allen Bezirken ab der aktuellen Legislaturperiode von sechs (inklusive Bezirksbürgermeister) auf fünf verringert. Dies führt nun dazu, dass den Grünen nach dem laut Gesetz anzuwendenden Sitzverteilungsverfahren nach d‘Hondt drei und SPD und Linkspartei je ein Stadtratsposten zusteht.

Diese Machtverhältnisse veranlassten die Piratenfraktion dazu, einen offenen Brief zu verfassen, in dem sie stattdessen die Verteilung der Posten nach Hare-Niemeyer vorschlugen – was dazu geführt hätte, dass die Grünen einen Stadtrat an die Piraten hätten abgeben müssen, die ja, wir erinnern uns, auf das Vorschlagsrecht für einen Bezirksstadtrat verzichten mussten, weil sie mangels Kandidaten nur fünf der neun bei der Wahl gewonnenen BVV-Sitze besetzen konnten.

Der Leiter des Rechtsamts jedoch sah das anders, so dass das Thema Piratenstadtrat für diese Legislaturperiode endgültig vom Tisch sein dürfte.

Als kleines Trostpflaster bot die Fraktion der Linken in Gestalt des derzeitigen und designierten Stadtrats Knut Mildner-Spindler den Bezirkspiraten eine »privilegierte Partnerschaft« an. In mehreren Gesprächen einigten sich die beiden Fraktionen auf Informationsaustausch, Zusammenarbeit beim Vorantreiben der Transparenz in der Bezirksverwaltung und gleichberechtigte Behandlung von Anträgen beider Parteien durch den Stadtrat. Die zeitweilig von den Piraten aufgestellte Forderung, Mildner-Spindler solle die Spenden aus seinen Stadtratsvergütungen zu gleichen Teilen unter beiden Parteien aufteilen, wurde hingegen von den Linken sowohl aus verwaltungsrechtlichen als auch aus moralischen Gründen abgelehnt.

Zu Irritationen bei den anderen Parteien führten Berichte in der Berliner Presse, denen zufolge Grüne und CDU eine Zählgemeinschaft zur Wahl des Bezirksamts beschlossen hätten, und Gerüchte, dass einige der SPD-Verordneten mit dem Gedanken spielten, zur Piratenfraktion überzutreten.

Letztendlich rauften sich dann doch die beiden stärksten Fraktionen zusammen und unterzeichneten eine Kooperationsvereinbarung zur Bildung des Bezirksamts und zur Zusammenarbeit bei Themen wie Jugend, Schule, Verkehr, Inklusion und Transparenz.

Schulz verzichtet auf Gleichstellung und macht Finanzen zur Chefsache

Ressort Stadtrat 2006 Stadtrat 2011
Stadtentwicklung Schulz (Grüne) Schulz (Grüne)
Personal Schulz (Grüne) Schulz (Grüne)
Gleichstellung Schulz (Grüne)
Wirtschaft Beckers (SPD) Beckers (SPD)
Bürgerdienste Beckers (SPD) Mildner-Spindler (Linke)
Ordnungsamt Beckers (SPD) Beckers (SPD)
Finanzen Stöß (SPD) Schulz (Grüne)
Kultur Stöß (SPD) Herrmann (Grüne)
Bildung Stöß (SPD) Herrmann (Grüne)
Sport Stöß (SPD) Beckers (SPD)
Bauen Panhoff (Grüne) Panhoff (Grüne)
Wohnen Panhoff (Grüne)
Immobilienservice Panhoff (Grüne) Panhoff (Grüne)
Gesundheit Mildner-Spindler (Linke) Herrmann (Grüne)
Soziales Mildner-Spindler (Linke) Mildner-Spindler (Linke)
Beschäftigung Mildner-Spindler (Linke) Mildner-Spindler (Linke)
Jugend Herrmann (Grüne) Herrmann (Grüne)
Familie Herrmann (Grüne)
Schule Herrmann (Grüne) Beckers (SPD)
Umwelt Panhoff (Grüne)
Verkehr Panhoff (Grüne)

Im Rahmen der Kooperationsgespräche verteilten Grüne und SPD dann auch gleich mal die Bezirksamtsressorts unter ihren Stadträten. Gleichstellung, Wohnen und Familie fallen weg, neu sind die Ressorts Umwelt und Verkehr, für die in Zukunft der Grüne Hans Panhoff verantwortlich zeichnet, der weiterhin für Wohnen und Immobilien zuständig ist. Um die Finanzen sorgt sich in Zukunft Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) persönlich, seine Parteikollegin Monika Herrmann übernimmt die Bereiche Kultur und Sport vom scheidenden SPD-Stadtrat Jan Stöß, dafür darf sich Peter Beckers künftig zusätzlich mit Schulbelangen beschäftigen. Ob der Wechsel von Knut Mildner-Spindler (Linke) aus dem Gesundheitsressort in den Bereich Bürgerdienste aus freien Stücken stattfindet, bleibt bestenfalls ungewiss.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2011.

So kann es gehen

Dass die Grünen die geplatzen Koalitionsverhandlungen noch teuer zu stehen kommen könnten, ist ja nun keine sehr weltbewegende Erkenntnis. Dass es aber den grünsten Bezirk gleich so heftig erwischen würde, ist nun schon bemerkenswert. Zugegeben, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, aber das Süppchen, das der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit da für das Kreuzberger Bezirksamt zusammengerührt hat, ist ziemlich  vergiftet. Ob und wie der Bezirk es auslöffeln wird, bleibt erst einmal dahin gestellt. Dem Bezirk soll die Amerika-Gedenkbibliothek geschenkt werden. Nun darf er damit aber nicht tun und lassen, was er will. Er muss das Gebäude für Bildung und Kultur nutzen. Niemand hat in Kreuzberg etwas dagegen. Nur, diese Frage drängt sich förmlich auf, woher soll das Geld kommen? Für das Gebäude in der Breitestraße soll eine solche Auflage nicht gelten. Das darf ein privater Investor kaufen. Merkwürdige Unterschiede.

Eine andere Frage ist dagegen sehr hypothetisch. Wäre das wohl genauso gelaufen, wenn die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen nicht gescheitert wären? Natürlich wollte Wowereit seine Bibliothek, und er wollte sie auf dem Tempelhofer Feld. Mit Kreuzberger Lokalpolitik hat das zunächst rein klein gar nichts zu tun. Aber dem lautesten A 100-Kritiker bei den Grünen, Dr. Franz Schulz,  so  im Vorbeigehen noch richtig eine überzubraten, konnte sich der Regierende dann offenbar doch nicht verkneifen. Es scheint fast, als habe Wowereit Schulz auf Mark und Pfenning zeigen wollen, wie teuer sein Nein zur A 100 war.

Ein vergiftetes Geschenk

AGB-Gebäude soll an der Bezirk gehen

Teures Geschenk? Die Amerika-Gedenk-Bibliothek in Kreuzberg. Foto: psk

Auf dieses Geschenk wird der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gerne verzichten. Ob er es kann steht auf einem anderen Blatt. Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU haben nämlich ein überraschendes Zwischenergebnis gebracht. Auf der Temeplhofer Feld soll eine neue Bibliothek entstehen, eine Metropolbibliothek. Knapp 70.000 Quadratmeter auf zehn Stockwerken soll das Gebäude umfassen – und damit die Kapazität von der Bibliothek in der Breitestraße in Mitte und der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) am Blücherplatz aufnehmen. Der CDU war das alles bislang viel zu teuer. Offensichtlich haben sich die künftigen Koalitionäre noch einmal hingesetzt und mit spitzem Bleistift genau nachgerechnet. 250 Millionen Euro soll das Ganze kosten. Das ist ein stolzer Preis, gewiss, aber nun hat die CDU zugestimmt. Die Begründung lautet: Eine dringend notwendige Sanierung der beiden Standorte in Mitte und in Kreuzberg würde teurer kommen. Der Neubau und damit die Zusammenlegung kämen billiger.

Nun stellt sich allerdings die Frage, was mit den Gebäuden passiert, die so heruntergekommen sind, dass eine Viertel Millarde Euro nicht ausreicht, sie ordentlich zu sanieren? Ganz einfach. Das Haus in der Breitestraße soll an einen privaten Investor verkauft werden. Davon ist in Kreuzberg allerdings nicht die Rede. Der alte und wohl auch neue Senat habe da offenbar ganz konkrete Vorstellungen, wie der Berliner Tagesspiegel zu berichten weiß: »Nach der Eröffnung soll die alte AGB dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg für Kultur- und Bildungszwecke überlassen werden.« Das klingt zwar zunächst sehr gut, aber die Sache hat dann doch einen kleinen, nicht unbedeutenden Haken. Der Bezirk ist chronisch klamm. Um das Gebäude für Bildungs- und Kulturzwecke zu nutzen, müßte es erst einmal umgebaut und renoviert werden. Selbst wenn man die spezifischen Ausgaben, die ein Umbau der Landesbibliothek gekostet hätte, abzeiht, bleiben immer noch Kosten von mehreren Millionen Euro in bedeutender zweistelliger Höhe übrig, die der Bezirk so nicht stemmen kann.  Auf die neugewählte BVV und das künftige Bezirksamt wartet eine spannende Aufgabe.

Haushalt ohne Plan

BVV lehnt mit großer Mehrheit den Haushaltsplan für 2010 und 2011 ab

Das war schon eine interessante Koalition, die den Bezirkshaushalt von Friedrichshain-Kreuzberg am 24. Februar in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einfach mal ablehnte. Die Grünen votierten mit der CDU, der FDP und der Linken gegen den Etat. Lediglich die SPD stimmte dafür.

JUGEND DEMONSTRIERT: Schon im Sommer wurde  für den Erhalt von Jugendeinrichtungen protestiert.  Das könnte bald wieder passieren.

Foto: pskJUGEND DEMONSTRIERT: Schon im Sommer wurde für den Erhalt von Jugendeinrichtungen protestiert. Das könnte bald wieder passieren. Foto: psk

»Wir können die Kürzungsvorgaben des SPD-geführten Senats für unseren Bezirk nicht verantworten«, erklärte Daniel Wesener, Fraktionssprecher der Grünen. Und er war sich darin einig mit der Linken, die immerhin im Senat mitregiert. Die Linken im Bezirk bekamen dabei unerwartet prominente Unterstützung, denn mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Halina Wawzyniak war immerhin erstmals eine amtierende Bundestagsabgeordnete ins Rathaus nach Kreuzberg gekommen. Und sie stärkt den Genossen den Rücken gegen den Senat. Dabei verweist sie auf einen bundespolitischen Aspekt der Entscheidung in der BVV: »Es gilt auf Bundesebene die Kommunalfinanzen neu zu gestalten. Aber auch der Senat muss sich entscheiden, ob er die Bezirke endlich ausfinanziert oder sie perspektivisch abschafft. Ein ‚weiter so‘ kann es nicht geben.«

Es ist nicht zum ersten Mal, dass sich die BVV einem Haushaltsplan einfach verweigert. Beim letzten Mal hat das auch ganz gut funktioniert, denn bei Nachverhandlungen mit dem Senat gab es dann auch mehr Geld. Doch damit rechnet Wawzyniak diesmal nicht. Der Bundestagsabgeordneten ist ebenso wie ihren Kollegen im Bezirk klar, was dies heißt. Friedrichshain-Kreuzberg wird unter vorläufige Haushaltswirtschaft gestellt und darf nur noch dafür Geld ausgeben, wozu der Bezirk gesetzlich verpflichtet ist.

Nach den Zuweisungen des Landes Berlin fehlen dem Bezirk noch fünf Millionen Euro. Laut Daniel Wesener bedeutet dies: »Wenn der Bezirk dieses Defizit auflösen würde, müssten leider auch Einrichtungen wie Bibliotheken oder Jugendclubs schließen.«

Schon im Herbst hatte es heftige Proteste gegen die Pläne des Bezirks gegeben, Jugendfreizeiteinrichtungen an freie Träger abzugeben. Die mögliche Schließung solcher Einrichtungen würde erst recht einen Sturm der Entrüstung hervorrufen.

Alles in Allem umfasst der abgelehnte Etat 560 Millionen Euro. Doch der Bezirk kann nur über einen kleinen Bruchteil davon verfügen. Den Löwenanteil verschlingen durchlaufende Posten wie zum Beispiel Transferleistungen, zu denen beispielsweise Sozialhilfe und Wohngeld gehören.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2010.

Ströbele scheitert knapp – an 50 Prozent

Halina Wawzyniak schafft Sprung in den Bundestag / Piraten mit Rekordergebnis

So sehen Sieger aus: Hans-Christian Ströbele gewinnt den Wahlkreis vor Halina Wawzyniak.

Foto: rsp/piSo sehen Sieger aus: Hans-Christian Ströbele gewinnt den Wahlkreis vor Halina Wawzyniak. Foto: rsp/pi

Man ist nie zu alt, um sich neue Ziele zu setzen. Zum Beispiel könnte es sich Hans-Christian Ströbele in vier Jahren, da ist er dann 74, zum Ziel setzen, als erster grüner Kandidat in seinem Wahlkreis die absolute Mehrheit zu holen. Dieses Mal ist er noch knapp daran gescheitert. Es fehlen ja nur noch 3,2 Prozent. Das sollte kein allzu großes Problem sein. Schließlich hat er sein Ergebnis von 2005 um satte 3,5 Prozent verbessert.

Bei dieser Bundestagswahl hat Ströbele im übrigen das drittbeste Ergebnis aller Kandidaten in Berlin eingefahren. Nur Gesine Lötzsch und Petra Pau von den Linken waren noch besser. Die dürfen sich auf eine Bereicherung ihrer Frauenriege aus Friedrichshain-Kreuzberg freuen: Halina Wawzyniak hat es über die Landesliste geschafft. Beim Treffen mit der KuK hatte sie noch über ihre Chance geflachst: »Ach, wir brauchen ja nur 20 Prozent der Zweitstimmen, dann schaffen wir es.« – Voila!

Zwar ist sie über Platz 5 der Landesliste in den Bundestag gekommen, doch auch im Bezirk hatte sie ein achtbares Ergebnis. Mit 17,5 Prozent eroberte sie Rang zwei im Wahlkreis, noch vor Björn Böhning von der SPD, der vier Prozentpunkte einbüßte und mit 16,7 Prozent ins Ziel ging.

Genau 15 Stimmen mehr als ihr Vorgänger Kurt Wansner hat Vera Lengsfeld gesammelt. Vielleicht schafft sie es ja auch noch in den Bundestag. Sie ist erste Nachrückerin.

Markus Löning konnte den Erststimmenanteil der FDP von 2,7 auf 4,1 Prozent fast verdoppeln.

Und dann gibt es da noch einen ganz besonderen Rekord zu vermelden: Das bundesweit beste Zweitstimmenergebnis feierte die neue Piratenpartei im Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Sechs Prozent holten die Piraten hier. Sie hatten auf einen Direktkandiaten verzichtet, um Hans-Christian Ströbele gewinnen zu lassen. Mit Erfolg: Ströbele erreichte an der Skalitzer Straße sein bestes je gemessenes Ergebnis mit 70,25 Prozent der Stimmen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2009.