Drei Neue im Bezirksamt

Wahl der neuen Stadträte verläuft weitgehend reibungslos

Nachdem es im November in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) drei Anläufe bis zur Wahl der Vorsteherin Kristine Jaath (Grüne) und damit der Konstituierung der BVV gebraucht hatte, wurde in der letzten Sitzung vor Weihnachten endlich auch das neue Bezirksamt gewählt.

Bezirksbürgermeisterin bleibt Monika Herrmann (Grüne), die auch weiterhin das Jugendamt unter sich haben wird. Ebenfalls wiedergewählt wurde der Linke Knut Mildner-Spindler (Gesundheit, Soziales, Beschäftigung und Bürgerdienste), der zusätzlich den Vize-Bürgermeisterposten vom scheidenden Peter Beckers (SPD) übernimmt.

Das neue Bezirksamt (v.l.n.r.): Knut Mildner-Spindler, Monika Herrmann, Andy Hehmke, Clara Herrmann und Florian Schmidt. Foto: rsp

Neuer Stadtrat für Schule, Sport, Ordnungsamt und Wirtschaftsförderung wird der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Andy Hehmke.

Den vakant gewordenen Finanzstadtratsposten konnten die Grünen mit Clara Herrmann besetzen. Die 31-Jährige war zuletzt im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses tätig.

Der dritte Neuzugang des Quintetts ist der Stadtsoziologe Florian Schmidt, der erst kurz zuvor von den Grünen überraschend ins Rennen geschickt worden war. Schmidt leitet seit 2009 das »Projektbüro Kreativquartier Südliche Friedrichstadt« und ist Gründer der »Initiative Stadt Neudenken«.

Während die übrigen Wahlen ohne weitere Vorkommnisse über die Bühne gingen, gab es bei Schmidt vor dem Wahlgang Kritik aus den Reihen der SPD-Fraktion.

Der Bezirksverordnete John Dahl zweifelte nicht nur Expertise und Durchsetzungsvermögen des designierten Baustadtrats an, sondern sprach ihm auch die nötige politische Integrität ab. Für einen ehemaligen Investor des Dragoner­areals habe Schmidt auf Honorarbasis eine fragwürdige Bürgerbeteiligung durchgeführt und sich damit »zum Steigbügelhalter von Spekulanten« gemacht.

Auch wenn Dahl vor seinem Statement erklärt hatte, nicht für die SPD-Fraktion zu sprechen, sah sich deren Vorsitzender Sebastian Forck dennoch genötigt, noch einmal darauf hinzuweisen, dass seine Meinung nicht von der ganzen Fraktion geteilt werde. Im anschließenden Wahlgang erhielt der 41-jährige Kandidat trotz allem 37 von 53 Stimmen.

Monika Herrmann kündigte in ihrer Vorstellung an, sich für eine sozialere und gerechtere Politik im Bezirk einsetzen zu wollen. Dazu gehöre vor allem ein Stopp der stetig steigenden Mieten, die zu einer Verdrängung von Menschen führen. Im kleinsten Bezirk Berlins müsse beim Wohnungsbau aber auch geschaut werden, wo noch weiter verdichtet werden kann, um weiteren bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

In der Flüchtlingsfrage sprach sich die neue und alte Bezirksbürgermeisterin dafür aus, möglichst viele Menschen im Bezirk unterkommen zu lassen. Allerdings musste sie einräumen, dass es derzeit leider an Unterbringungsmöglichkeiten mangele.

Prioritär wolle sie auch die Verbesserung der Infrastruktur für Radfahrer vorantreiben. »Manchmal«, klagte sie aus eigener Erfahrung, »braucht man eigentlich ein Mountainbike, weil die Hügeligkeit dann doch sehr prägend ist.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2017.

Wenig Spannung im Titelkampf

Für kleinere Parteien sind Überraschungen bei der BVV-Wahl möglich

In vielen Teilen Deutschlands ist eine Kommunalwahl ein mühsames Geschäft. In Städten wie etwa Stuttgart kämpfen sich die Wähler durch wandtapetengroße Stimmzettel. Zudem wird von ihnen verlangt, sich mit Wahltechniken herumzuschlagen, die auf so schöne Namen wie Kumulieren, Panaschieren oder Unechte Teilortswahl hören. Das alles klingt mehr nach Kamasutra als nach demokratischem Urnengang.

In Berlin ist es dagegen denkbar einfach. Es gibt einen Stimmzettel und ein Kreuzchen für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Die 55 Sitze im Rathaus in der Yorckstraße werden dann proportional verteilt.

Klare Verhältnisse

Die Verhältnisse in der derzeitigen BVV ist sehr eindeutig. Bei momentan nur 51 Mitgliedern sind die Grünen mit ihren 22 Sitzen schon sehr nah an der absoluten Mehrheit. Dass nicht die volle Zahl der Bezirksverordneten ins Kommunalparlament einzog, lag einfach daran, dass die Piraten nach ihrem Überraschungserfolg nicht über genügend Kandidaten verfügten, um alle Sitze zu besetzen. Ihnen hätten neun zugestanden. Vier blieben frei.

Alle buhlten damals um die Gunst der Politikneulinge – und das hatte nicht nur mit Welpenschutz zu tun. Rein theoretisch hätten SPD, Linke und Piraten eine Zählgemeinschaft gegen die Grünen bilden können. Doch am Ende blieb es bei einer klassischen Rollenverteilung, die den Grünen im Bezirksamt drei von fünf Stadtratsposten bescherte.

Dass die Piraten ihren Überraschungserfolg von 2011 noch einmal wiederholen, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die kleine Fraktion blieb nicht vom Zerfall der Gesamtpartei verschont. Statt fünf hat sie heute nur noch vier Mitglieder. Eine Bezirksverordnete verließ die Fraktion.

Das Erbe der Piraten

Es geht also bei der BVV-Wahl vermutlich um die Hinterlassenschaft der Piraten, das heißt um bis zu neun Sitze, die sich nun andere Parteien erobern können – mal ganz abgesehen von den üblichen Verschiebungen, die so eine Wahl sonst mit sich bringt. Doch ganz abschreiben kann man die Piraten auch nicht, denn um in die BVV zu gelangen, benötigen sie nur drei Prozent. Das ist etwa der Wert, den Demoskopen den Piraten berlinweit derzeit einräumen. Rechnet man den Kreuzberg-Bonus dazu – nirgendwo haben die Piraten vor fünf Jahren besser abgeschnitten – dann könnte es durchaus noch reichen.

Wer überrascht?

Monika Herrmann bleibt wohl im Amt.

Foto: Sedat Mehder Monika Herrmann bleibt wohl im Amt. Foto: Sedat Mehder

Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei ebenfalls einen solchen Überraschungscoup landen könnte, und da geht der bange Blick automatisch auf die AfD. Eigentlich scheint es ausgeschlossen, dass eine so rechte Partei in Friedrichshain-Kreuzberg reüssieren könnte, denn in ganz Berlin gibt es keine linkere BVV. Wenn man die Piraten zum linken Block zählt, blieben dem rechts-bürgerlichen Lager gerade mal vier Verordnete der CDU.

Nun haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, dass die AfD bei allen Parteien wildern konnte. In den ostdeutschen Bundesländern wurde dabei aber ausgerechnet die Linke schwer gerupft.

Es ist also überhaupt nicht auszuschließen, dass die AfD mit einigen Bezirksverordneten in die BVV einzieht. Bei einem so meinungsfreudigen Parlament, das häufig große Zuschauermassen anzieht, dürfte das für noch wesentlich turbulentere Sitzungstage sorgen.

Bleibt das Bezirksamt?

Peter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim GernPeter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim Gern

Die wichtigste Aufgabe zu Beginn der neuen Legislatur wird die Wahl eines neuen Bezirksamtes sein. Derzeit stellen die Grünen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Baustadtrat Hans Panhoff und Kämmerin Jana Borkamp drei der fünf Posten. Dr. Peter Beckers (SPD), zuständig für Wirtschaft, und der Linke Knut Mildner-Spindler (Soziales), vervollständigen das Gremium.

Da die beiden letzteren als Spitzenkandidaten für ihre jeweilige Partei ins Rennen gehen und bei den Grünen wenig auf ein Abweichen von der bisherigen Rollenverteilung hindeutet, könnte das alte Bezirksamt wieder das neue sein.

Es gibt jedoch ein paar Unwägbarkeiten. Da ist zunächst die Bezirksbürgermeisterin. Monika Herrmann gilt als streitbar und hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Innensenator Frank Henkel sehr an Profil gewonnen. Vor allem dem bürgerlichen Lager gilt sie als der Fleisch gewordene Gott­sei­mit­uns. Das hilft ihr in Kreuzberg ungemein und auch die eine oder andere innerparteiliche Auseinandersetzung ist inzwischen längst vergessen. Paradoxerweise könnte Frank Henkels unsägliches Verhalten in Sachen Rigaer Straße den Grünen am 18. September ein Rekordergebnis bescheren. Der eine oder andere Grüne träumt bereits von einer absoluten Mehrheit im Kreuzberger Rathaus.

Allerdings bröckelt auch die Grüne Wählerbasis in Kreuzberg. Immer wieder bläst der Fraktion von den Zuschauerrängen im Rathaus ein rauher Wind entgegen. Von alternativem Durchregieren und mangelnder Kompromissbereitschaft im Angesicht der eigenen Stärke ist da die Rede.

Die SPD als zweit­stärks­te Fraktion ist in der BVV nur halb so stark wie die Grünen. Dass der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers den Chefposten erobern könnte, gilt als nahzu ausgeschlossen. Für ihn wird es ein Erfolg sein, den großen Abstand zu den Grünen zu verringern.

Linke muss kämpfen

Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.

Während sich die beiden größeren Parteien kein ernsthaftes Duell liefern, sondern bestenfalls die eigene Position etwas verbessern oder verschlechtern werden, stehen die Linken vor einer sehr schweren Wahl. Schon vor fünf Jahren war die Partei auf Rang vier abgeruscht. Dabei stellte sie – damals noch als PDS – vor nicht allzu langer Zeit sogar noch die Bezirkbürgermeisterin. Ihre Verluste in Friedrichshain hat sie in Kreuzberg nicht kompensieren können. Allerdings hat sie bei Bundestagswahlen immer gut abgeschnitten – davon könnte sie auch jetzt profitieren. Mehr als sieben Sitze wären schon ein Erfolg. Doch wenn sich der Trend fortsetzt, wird sie im schlimmsten Fall vielleicht den einen oder anderen Sitz an die AfD verlieren.

Splitterpartei CDU

Bleibt noch die CDU, die schon vor vier Jahren denkbar schlecht abgeschnitten hat. Nirgendwo werden die Henkelschen Eskapaden eine so starke Auswirkung haben wie in Kreuzberg. Sein Versagen am Gör­litzer Park, die Tatenlosigkeit am Kotti und die Tricksereien in der Rigaer Straße dürften die CDU eher Stimmen kosten, zumal die feurigsten Law-and-Order-Anhänger es dieses Mal eher mit der AfD versuchen werden.

Am Ende wird es bei der BVV-Wahl wohl eher wie in der Fußball-Bundesliga zugehen. Wie es oben ausgeht, scheint klar, aber unten wird es spannend.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Ringen ums Rathaus

Bezirksamtsselbstfindung geht nicht ohne Querelen und Turbulenzen ab

Nach zähem Ringen um Wahlverfahren, Ressortverteilungen und Partnerschaften sieht es so aus, als ob Friedrichshain-Kreuzberg – als letzter der 12 Berliner Bezirke – nun doch in der BVV-Sitzung am 7. Dezember ein neues Bezirksamt wählen wird.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich aufgrund einer Gesetzesänderung in 2008 die Anzahl der Bezirksstadträte in allen Bezirken ab der aktuellen Legislaturperiode von sechs (inklusive Bezirksbürgermeister) auf fünf verringert. Dies führt nun dazu, dass den Grünen nach dem laut Gesetz anzuwendenden Sitzverteilungsverfahren nach d‘Hondt drei und SPD und Linkspartei je ein Stadtratsposten zusteht.

Diese Machtverhältnisse veranlassten die Piratenfraktion dazu, einen offenen Brief zu verfassen, in dem sie stattdessen die Verteilung der Posten nach Hare-Niemeyer vorschlugen – was dazu geführt hätte, dass die Grünen einen Stadtrat an die Piraten hätten abgeben müssen, die ja, wir erinnern uns, auf das Vorschlagsrecht für einen Bezirksstadtrat verzichten mussten, weil sie mangels Kandidaten nur fünf der neun bei der Wahl gewonnenen BVV-Sitze besetzen konnten.

Der Leiter des Rechtsamts jedoch sah das anders, so dass das Thema Piratenstadtrat für diese Legislaturperiode endgültig vom Tisch sein dürfte.

Als kleines Trostpflaster bot die Fraktion der Linken in Gestalt des derzeitigen und designierten Stadtrats Knut Mildner-Spindler den Bezirkspiraten eine »privilegierte Partnerschaft« an. In mehreren Gesprächen einigten sich die beiden Fraktionen auf Informationsaustausch, Zusammenarbeit beim Vorantreiben der Transparenz in der Bezirksverwaltung und gleichberechtigte Behandlung von Anträgen beider Parteien durch den Stadtrat. Die zeitweilig von den Piraten aufgestellte Forderung, Mildner-Spindler solle die Spenden aus seinen Stadtratsvergütungen zu gleichen Teilen unter beiden Parteien aufteilen, wurde hingegen von den Linken sowohl aus verwaltungsrechtlichen als auch aus moralischen Gründen abgelehnt.

Zu Irritationen bei den anderen Parteien führten Berichte in der Berliner Presse, denen zufolge Grüne und CDU eine Zählgemeinschaft zur Wahl des Bezirksamts beschlossen hätten, und Gerüchte, dass einige der SPD-Verordneten mit dem Gedanken spielten, zur Piratenfraktion überzutreten.

Letztendlich rauften sich dann doch die beiden stärksten Fraktionen zusammen und unterzeichneten eine Kooperationsvereinbarung zur Bildung des Bezirksamts und zur Zusammenarbeit bei Themen wie Jugend, Schule, Verkehr, Inklusion und Transparenz.

Schulz verzichtet auf Gleichstellung und macht Finanzen zur Chefsache

Ressort Stadtrat 2006 Stadtrat 2011
Stadtentwicklung Schulz (Grüne) Schulz (Grüne)
Personal Schulz (Grüne) Schulz (Grüne)
Gleichstellung Schulz (Grüne)
Wirtschaft Beckers (SPD) Beckers (SPD)
Bürgerdienste Beckers (SPD) Mildner-Spindler (Linke)
Ordnungsamt Beckers (SPD) Beckers (SPD)
Finanzen Stöß (SPD) Schulz (Grüne)
Kultur Stöß (SPD) Herrmann (Grüne)
Bildung Stöß (SPD) Herrmann (Grüne)
Sport Stöß (SPD) Beckers (SPD)
Bauen Panhoff (Grüne) Panhoff (Grüne)
Wohnen Panhoff (Grüne)
Immobilienservice Panhoff (Grüne) Panhoff (Grüne)
Gesundheit Mildner-Spindler (Linke) Herrmann (Grüne)
Soziales Mildner-Spindler (Linke) Mildner-Spindler (Linke)
Beschäftigung Mildner-Spindler (Linke) Mildner-Spindler (Linke)
Jugend Herrmann (Grüne) Herrmann (Grüne)
Familie Herrmann (Grüne)
Schule Herrmann (Grüne) Beckers (SPD)
Umwelt Panhoff (Grüne)
Verkehr Panhoff (Grüne)

Im Rahmen der Kooperationsgespräche verteilten Grüne und SPD dann auch gleich mal die Bezirksamtsressorts unter ihren Stadträten. Gleichstellung, Wohnen und Familie fallen weg, neu sind die Ressorts Umwelt und Verkehr, für die in Zukunft der Grüne Hans Panhoff verantwortlich zeichnet, der weiterhin für Wohnen und Immobilien zuständig ist. Um die Finanzen sorgt sich in Zukunft Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) persönlich, seine Parteikollegin Monika Herrmann übernimmt die Bereiche Kultur und Sport vom scheidenden SPD-Stadtrat Jan Stöß, dafür darf sich Peter Beckers künftig zusätzlich mit Schulbelangen beschäftigen. Ob der Wechsel von Knut Mildner-Spindler (Linke) aus dem Gesundheitsressort in den Bereich Bürgerdienste aus freien Stücken stattfindet, bleibt bestenfalls ungewiss.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2011.