Die Nacht ist nicht lang genug

Marcel Marotzke hat eine Filmidee

Ein Glas Grüne Berliner Weisse»Weisse mit Schuss. Gerührt, nicht geschüttelt.« Foto: cs

Man kann über die Corona-Pandemie und die Social-Distancing-Maßnahmen sagen, was man will, aber zu einem waren sie immerhin gut: Ich konnte mich endlich einmal mit dieser DVD-Box beschäftigen, die vor ein paar Monaten im Sonderangebot war: eine vollständige Sammlung sämtlicher James-Bond-Filme, die bislang erschienen sind und von denen ich tatsächlich einige noch nicht kannte.

Der Film-Marathon brachte im Wesentlichen drei Erkenntnisse:

Erstens: Eigentlich gibt es nur ein bis zwei wahre Bond-Darsteller.

Zweitens: Das ist aber egal. Heutzutage darf offenbar jeder Bond spielen.

Drittens: Die Handlung ist eigentlich genauso beliebig wie die Besetzung.

Aus all dem folgt zwingend, dass es auch genauso gut einen Kreuzberger Bond-Ableger geben könnte, um nicht zu sagen: sollte.

»Mein Name ist Grabowski. Günther Grabowski.« Als Doppelschrägstrichagent im Geheimdienst des Ordnungsamtes hat Grabowski, von den Kollegen nach seinem Stellenkürzel stets »//7« genannt, die Lizenz zum Abschleppen. Er berichtet direkt an M, die ihn als Bezirksbürgermeisterin mit den wirklich heiklen Aufträgen betraut.

Seine jüngsten Ermittlungen im Kneipenmilieu führen ihn auf die Spuren der mächtigen Geheimorganisation DEHOGA, die offenbar die Übernahme der kulinarischen Weltherrschaft plant. Nach einer wilden Nacht mit Punk-Mädchen Heike, Bedienung in einer widerständigen Alternativkneipe in SO 36, kommt es zu einer Verfolgungsjagd auf dem Landwehrkanal, bei der ein Ausflugsdampfer der Reederei Riedel kentert und einige Gitarren von Touristen auf der Admiralbrücke zu Bruch gehen. M ist not amused über //7s Vorgehensweise, die dem Bezirkshaushalt empfindlichen Schaden zugefügt hat. Auch Q, Bastler in einem Friedrichshainer Maker-Space, ist wenig erbaut vom Ablauf der Verfolgungsjagd, weil dabei das von ihm konstruierte schwimmende Dienstlastenfahrrad vollständig zerstört wurde.

M, eigentlich loyal zu ihrem Mitarbeiter, hat keine andere Wahl, als Grabowski vorübergehend freizustellen, auch weil seitens des Senats Vorwürfe laut wurden, Grabowski sei ein Maulwurf der Gegenseite. Doch beim Verlassen von Ms Büros überreicht ihre Sekretärin Gudrun Moneypenny //7 ein Dossier, aus dem sich ein Zusammenhang des Falles mit den Machenschaften der Immobilienbranche ergibt.

Während des Umzugs beim Karneval der Kulturen kommt es schließlich zum Showdown. Grabowski kapert eine Kameradrohne des rbb und gelangt nach einer spektakulären Stunt-Szene auf das Dach des Post-Towers, wo Oberschurke Christian Blofeld sein Hauptquartier bezogen hat. An seiner Seite: eine weiße Katze und ein buntes Punk-Mädchen. Heike ist die unfreiwillige Gespielin des Bösewichts!

Tja, und an dieser Stelle sollte jetzt eigentlich das ganze Gebäude einstürzen, dem Grabowski und Heike in letzter Sekunde mit Blofelds Privat-Gyrokopter entkommen. Leider war der Baustadtrat für die Einholung der Genehmigung telefonisch nicht erreichbar.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2020.

Kaufen statt Tauschen?

Bezirk besaß Vorkaufsrecht für Liegenschaft an der East-Side-Gallery

East Side Gallery von hinten: Im Vordergrund ein Pfeiler der Brommybrücke, dahinter das fehlende Mauerstück.

Foto: benEast Side Gallery von hinten: Im Vordergrund ein Pfeiler der Brommybrücke, dahinter das fehlende Mauerstück. Foto: ben

Selbst der berühmteste Bademeister der Welt versuchte das Mauerstück zu retten – indes vergeblich. In einer Nacht- und Nebelaktion wurden mehrere Elemente aus der Mauer genommen – und David Hasselhoff hat‘s verschlafen. Dafür versprach der Investor, die Stücke wieder einzusetzen, er brauche sie ja nur als Baustellenzufahrt.

Unterdessen wird die Rolle von Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz immer undurchsichtiger. Einerseits hatte er mit dem Investor angeblich über einen Grundstückstausch verhandelt, andererseits wurde kurz vor Ostern bekannt, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bis 31. Dezember auf eben jenes Grundstück ein Vorkaufsrecht gehabt habe, das er nun angeblich tauschen will.

Eigentlich hätte die Lücke in der Mauer noch größer werden sollen, doch auch da hatte es von Investorenseite geheißen, das sei für ihn überhaupt nicht nötig.

Spannend wird es allerdings, wenn man die East Side Gallery nicht von ihrer Schokoladenseite, sondern von der Rückseite betrachtet. Denn genau da, wo die Lücke in der Mauer klafft, würde ein Neubau der Brommybrücke beginnen, also eines Projektes, das vom Bezirksamt durchaus präferiert wird, allerdings derzeit auf Eis liegt.

Die Brücke soll eigentlich nur für Fußgänger, Radfahrer und Busse gebaut werden. Kritiker hingegen wollen das nicht recht glauben und fürchten den Ausbau zu einer vollwertigen Brücke, was dann in SO36 zu einem veritablen Verkehrsinfarkt führen könnte.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2013.

Die Einschläge kommen näher

Eigentlich gibt es ja gute Nachrichten vom rechten Rand. Korruptionsaffären und Führungskämpfe schwächen die Neonazis. Seit ihr wichtigster Geldgeber gestorben ist, scheint auch der Geldhahn zu zu sein, und von der heftigen Intergrationsdebatte können sie auch nicht profitieren.

Aber es gibt auch sehr schlechte Nachrichten. Die braunen Trupps wagen sich nun immer öfter dahin, wo für sie früher eine echte No-Go-Aerea war: Nach Kreuzberg SO 36. Natürlich tun sie es nachts und sie tun es feige, aber sie tun es. Die Einschläge kommen offenbar immer näher.

Vielleicht hat ja das eine mit dem anderen zu tun. Wenn die Führungsstrukturen erodieren, dann wird die Basis unberechenbar. Vielleicht zeigen die Anschläge im autonomen Herzen Kreuzbergs die wahre Verzweiflung der Neonazis. Doch wenn sie wirklich ihre letzte Schlacht schlagen, dann könnte es in den nächsten Wochen und Monaten eher schlimmer als besser werden.

Der Wrangelkiez entwickelt Perspektive

Erstaunliche Ergebnisse der Sozialstudie des Senats

Das Wort von Klaus Wowereit ist ja inzwischen schon ein geflügeltes, nach dem Berlin arm aber sexy sei. Wenn das stimmt, dann ist Kreuzberg zwar am ärmsten, sicher aber auch am sexiesten. Wer es nicht glaubt, soll sich nur einmal die jüngste Sozialstudie des Senats betrachten.

Danach ist Kreuzberg eigentlich ziemlich hoffnungslos. Doch wer sich die Karte bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mal genauer anschaut, der stutzt dann doch ein wenig.

Dass es dem Süden Kreuzbergs besser geht als dem Norden, ist eine Binsenweisheit, doch dass der Entwicklungsindex beispielsweise der Düttmannsiedlung so hoch wie der des Chamissoplatzes sein soll, erschließt sich dem kiezkundigen Bewohner dann doch nicht so schnell.

Ganz heimlich träumt ja so mancher Kreuzberger seinen kleinbürgerlichen Traum von einer schönen Wohnung am Fraenkel- oder Paul-Lincke-Ufer. Doch Vorsicht! Das Fraenkel-Ufer hat einen sehr niedrigen und das Paul-Lincke-Ufer immerhin noch einen niedrigen Entwicklungsindex. Überhaupt gibt es nördlich des Landwehrkanals nur einen kleinen Fleck, dem ein mittleres Entwicklungspotential zugestanden wird. In Kreuzberg ist das übrigens schon das allerhöchste der Gefühle und entspricht dann dem Chamissokiez.

Dieses kleine Fleckchen umfaßt den Wrangelkiez zwischen Görlitzer Park und Spree-Ufer. Manch einer mag sich nun fragen, ob es sich um den Wrangelkiez handelt, in dem die Polizei eine Hundertschaft braucht, um einen zwölfjährigen Handydieb festzunehmen. Wenn sich der Grafiker beim Erstellen der Karte nicht sehr getäuscht hat, dann handelt es sich genau um jenen Problemkiez.

Nun geht es bei der Studie um Entwicklungsperspektiven. So liegt es nahe, dass in diesem Fall vielleicht schon das Entwicklungspotential der Mediaspree eingepreist ist. Tatsächlich werden die Gebiete in SO 36 auf der Karte immer roter, je weiter sie von der Spree entfernt sind.

Zwischen Heinrich- und Oranienplatz, Wassertor und Engelbecken heißt es dann laut Senatsstudie alle Hoffung fahren lassen. Der Entwicklungsindex dort heißt: sehr gering!

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2010.