Digitalisierungsprobleme

Die Bezirksverordnetenversammlung versucht es mit Videokonferenz und Streaming – und scheitert

Gespanntes Warten an den heimischen Endgeräten auf den Beginn der Übertragung. Screenshot: cs

[Bitte das Update unten beachten!]

Noch vor nicht allzu langer Zeit wurden Video­kon­fe­ren­zen eher belächelt und Livestreaming galt vielen als Medium der Generation YouTube, nicht jedenfalls als ernstzunehmende Bezugsquelle von Kulturellem oder Informativem. Doch die Zeiten haben sich geändert: Der Umgang mit Video­kon­fe­renz­sys­te­men hat breite Schichten der Bevölkerung erreicht, und Livestreaming gibt es gewissermaßen auf allen Kanälen, von Kabarettbühne bis Philharmonie.

Und so hätte an dieser Stelle eigentlich eine Erlebnisreportage über eine Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung gestanden, die Ende Januar als Videokonferenz stattfand und live via YouTube übertragen wurde. Mit zwei Anträgen zur Abwahl von Bezirksstadtrat Florian Schmidt hätte auch ein Thema auf der Tagesordnung gestanden, das umso dringlicher nach der ohnehin vorgeschriebenen Öffentlichkeit verlangt hätte.

Doch die Öffentlichkeit wollte sich nicht herstellen lassen. Eine knappe Stunde lang verfolgten die anfangs um die 50 Zuschauer die verzweifelten Bemühungen, die Technik irgendwie an den Start zu kriegen. Immer wieder brach der Stream ab und wurde – unter einer neuen Adresse – neu gestartet. Bis kurz vor Schluss war kaum mal ein Wort zu verstehen, und auch was man auf dem Bildschirm zu sehen bekam – ein pixeliges Bewegtbild mit einem Neuntel der Auflösung eines halbwegs zeitgemäßen Fernsehers – gab kaum Anlass zur Hoffnung. Als dann endlich wenigstens der Ton funktionierte, hatte der Ältestenrat beschlossen, die noch offenen Tagesordnungspunkte später nachzuholen. Bis auf die Beschlussfassung zur sogenannten Konsensliste und die Bestätigung der Tagesordnung waren das: alle – inklusive, wohlgemerkt, der offenen TOPs der letzten Sitzung, die im Dezember wegen nicht funktionierender Technik vertagt wurde.

Dabei ist die Januar-Sitzung in technischer Hinsicht schon ein gro­ßer Fortschritt gegenüber dem Dezember-Versuch. Damals hatte noch nicht einmal das Kon­fe­renz­sys­tem funktioniert, so dass nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Bezirksverordneten selbst ausgesperrt waren. Für das neue Jahr hatte man sich dann entschlossen, die Open-Source-Software BigBlueButton zu verwenden, betrieben offenbar von der Berliner Politik-Agentur Werk 21. Warum nicht die erprobte Infrastruktur der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (»Lernraum Berlin«) verwendet wurde und was die Beauftragung einer Agentur gekostet haben mag, blieb bis Redaktionsschluss leider das Geheimnis des BVV-Büros.

Gegen die Verwendung beispielsweise des kommerziellen Dienstes Zoom (der selbst im kleinsten Bezahltarif direktes Streaming zu YouTube enthält) hatte es Vorbehalte einzelner Fraktionen gegeben, berichtet Ex-Pirat Felix Just, der für DIE PARTEI in der BVV sitzt. Offenbar hatte es Sorgen um den Datenschutz gegeben, die beim öffentlichen Streaming auf YouTube dann allerdings wohl keine Rolle mehr spielten.

Die miese Qualität des YouTube-Streams kann sich Just nur damit erklären, dass man versucht habe, direkt aus dem Rathaus zu streamen, dessen 16000er-DSL-Leitung ohnehin meist völlig überlastet sei.

»Das Hauptproblem ist: Es gibt niemanden im Rathaus, der Ahnung hat von IT«, sagt Just, der die Schuld für das Debakel auch nicht beim unterbesetzten BVV-Büro suchen mag. »Es gibt keinen bezirklichen Ansprechpartner für IT-Fragen, nicht mal einen IT-Ausschuss.« Außerdem hätte es das Land versäumt, eine zentrale Lösung zu schaffen, so dass jeder Bezirk auf sich selbst gestellt sei.

Sobald die Technik funktioniert, soll die BVV-Sitzung nachgeholt beziehungsweise fortgesetzt werden.

Weiterhin ungeklärt bleibt indessen die Frage, was mit den Sitzungen der Ausschüsse und des Ältestenrats ist, die dem Gesetz nach ebenfalls öffentliche Sitzungen sind. Wie interessierte Bürger daran teilnehmen können, ist den Webseiten des Bezirks jedenfalls nicht zu entnehmen, und eine entsprechende Anfrage blieb ebenfalls unbeantwortet.

Update: Zwischenzeitlich hat uns der Bezirk einige unserer Fragen beantwortet: Bei der derzeit verwendeten Videokonferenzlösung entstünden in der Probephase keine Kosten. Auf die Infrastruktur des Landes hätten die Bezirksverordnetenversammlungen keinen Zugriff. Die Nutzung von etablierten Diensten (wie beispielsweise Zoom) sei zwar erwogen worden, doch bestünde auch unabhängig vom Streaming die Anforderung, ein datenschutzkonformes Programm einzusetzen. Von der schlechten Bildqualität (Maximalauflösung: 360p) habe man bisher nichts gewusst. In dieser Woche soll es eine Sitzung des Ältestenrats geben, die sich mit dem Thema Streaming befasst. Und noch eine gute Nachricht für politikinteressierte Bürger: Öffentliche Gremiensitzungen werden zwar nicht gestreamt, jedoch besteht dort die Möglichkeit, sich direkt in die Videokonferenz zu schalten. Hierfür kann man sich per E-Mail an das BVV-Büro wenden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2021.

Von der Bühne auf den Bildschirm

Victor F. Breidenbach sondiert die Online-Theaterlandschaft

Notebook auf KüchentischKultur in pandemischen Zeiten findet unter anderem am Küchentisch statt. Foto: vfb

Spätestens seit dem 13. März und mindestens bis zum 19. April kann man nicht mehr ins Theater gehen. Doch der Spielbetrieb ist nicht gänzlich eingestellt. Viele Theater retten nicht unbeträchtliche Teile ihres Programms in den virtuellen Raum. Es folgt ein kursorischer Einblick in diese neue Theaterlandschaft.

Das Hebbel am Ufer etwa verlegte ein ganzes Festival auf YouTube: »Spy On Me #2 – künstlerische Manöver für die digitale Gegenwart«. »Im Theater forschen wir nach Auswegen aus Gefühlen der Ohnmacht und der Überforderung, die viele Nutzer*innen internetbasierter Technologien empfinden.« Ich berichte aus meiner Küche.

Obwohl die Videoaufnahmen nicht besonders interessant sind, übt James Bridles Kurzfilm »Se ti sabir« aufgrund der eigenwilligen Monologe des Künstlers auch einen eigenartigen Sog aus. Wir folgen ihm auf einem Spaziergang durch die belgische Provinz Limburg, wo er uns zuerst einen seismologischen Messapparat in einem Schieferbruch zeigt. Der Apparat soll feststellen, ob dieser Ort, der für seine geologische Stabilität ausgewählt wurde, tatsächlich stabil genug ist, um das geplante Einsteinteleskop zu beherbergen – ein Gerät, das sehr langsame Gravitationswellen misst und dadurch eine Art Echolokalisierung des Urknalls ermöglicht. Diese durch absolute Ruhe ermöglichte Sensibilität für subtile Prozesse ist für Bridle ein Vorbild der Entschleunigung: »Mich interessierteigentlichnur dieser Moment, in dem wir still genug werden, um die Vibrationen des Universums wahrzunehmen.« Bridle zeigt uns noch weitere Orte und führt ausufernde Monologe über, unter anderem, die einst auf dem Mittelmeer gängige Lingua Franca, das Gehirn von Cephalopoden und seine Vision für künstliche Intelligenz.

Auch »Future Tense: AI from the Margins«, ein poetischer Videovortrag von Nakeema Stefflbauer und Nushin Yazdani, lässt sich problemlos ins Internet übertragen. Wie beim Screensharing sieht man einen unaufgeräumten Desktop, auf dem Videodateien und Browserfenster nacheinander und übereinander geöffnet werden. Auf eingängige Weise kritisieren Stefflbauer und Yazdani die normativen Standards von Algorithmen und die Formen der Diskriminierung, die sie zur Folge haben: In der Justiz benutzte Algorithmen, die das Risiko einschätzen, ob jemand zum Wiederholungstäter wird, diskriminieren zum Beispiel Schwarze, weil sie an Weißen entwickelt wurden. Die künstliche Intelligenz spiegelt und reproduziert gesellschaftliche Vorurteile. Aufzeichnungen des gesamten Festivals sind auf dem HAU YouTube-Kanal abrufbar.

Noch zwei Empfehlungen: Die Schaubühne stellt derzeit für jeweils einen Tag Fernsehaufzeichnungen aus ihrem Repertoire online. Man kann also vieles sehen, wofür man nie Karten gekriegt hat, oder ältere Produktionen beispielsweise von Peter Stein. Auch das Berliner Ensemble stellt großartige Produktionen für jeweils eine Woche ins Netz.

Diese Angebote sind alle kostenlos. Wer es sich leisten kann, sollte deshalb darüber nachdenken, dem jeweiligen Theater etwas zu spenden oder bei bereits gekauften Karten auf Rückerstattung zu verzichten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2020.

Virenfreie Livekultur

Spätestens seit dem 13. März kann man nicht mehr ins Theater gehen. Victor F. Breidenbach gibt hier einen kursorischen Einblick in diese neue Theaterlandschaft.

Auch auf den Musik- und Kabarettbühnen des Kiezes herrscht derzeit so etwas wie Notbetrieb. Das BKA beispielsweise bietet einige seiner geplanten Veranstaltungen als Livestream »aus dem BKA Theater Hauptstadtstudio« an. So findet etwa Sigrid Grajeks Claire-Waldoff-Revue »Berliner Luft« wie geplant am 4. April statt – nur eben ausschließlich auf bka-theater.de beziehungsweise der Facebook-Seite der Bühne. Weitere Termine werden dort ebenfalls kurzfristig bekanntgegeben.

Einige der Stammmusiker des Yorckschlösschens haben ebenfalls eigene Streamingangebote ins Leben gerufen. Hier empfiehlt sich eine Suche auf den Facebook-Seiten der Künstler. Mit dabei sind unter anderem Jan Hirte (mit wechselnden musikalischen Gästen) und Andrej Hermlin, die regelmäßige Wohnzimmerkonzerte veranstalten.

Alle Angebote sind zwar kostenlos zugänglich, es besteht aber die Möglichkeit Ticket zu er- werben beziehungsweise Geldspenden zu überweisen.

Weitere online empfangbare Kulturangebote aus dem Kiez und anderswo sammeln wir hier auf kiezundkneipe.de/livekultur. Hinweise gerne an corona@kiezundkneipe.de