Linke Institution

Der Buchladen Schwarze Risse ist als Kollektiv organisiert

Was wäre die Welt ohne Bücher? Sicherlich ein ganzes Stück langweiliger und dümmer. In dieser Reihe stellen wir Orte vor, an denen es Literatur zum Anfassen und Erleben gibt: Ob Belletristik, Sachbuch, Kochbuch, Lyrikband oder Fachbuch – Kreuzberger Buchhandlungen haben für jeden die passende Horizont­erweiterung im Angebot.

Buchladen Schwarze Risse von außenHinter der unscheinbaren Tür verbirgt sich eine riesige Auswahl politischer Literatur. Foto: rsp

Den Buchladen Schwarze Risse als »Geheimtipp« zu bezeichnen, ginge wohl an der Realität vorbei, denn der Hinterhof, in dem sich das Souterrain-Geschäft verbirgt, ist der Meh­ring­hof, und zumindest in der politischen Linken ist der Laden eine feste Institution.

Die als Kollektiv organisierte Buchhandlung bietet so ziemlich alles an Literatur an, was zur außerparlamentarischen Opposition zu haben ist. Das sind ganz überwiegend Sach- und Fachbücher zu politischen und gesellschaftlichen Themen: Feminismus, Kommunismus und Anarchismus finden auf den rund 100 Quadratmetern ebenso ihren Platz wie Bücher, die sich mit Rassismus und Nationalsozialismus auseinandersetzen. Auch literaturwissenschaftliche und philosophische Titel gehören zum Sortiment, dazu kommen zahlreiche Zeitschriften sowie kleinere Abteilungen mit Comics, Belletristik und Krimis – auch hier mit einem klaren Fokus auf politische Themen.

Doch der Laden, in dem explizit kein Konsumzwang herrscht, versteht sich nicht allein als Buchhandlung: Fast jede Woche gibt es Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, die auch eine Schnittstelle bilden sollen zwischen Gruppen, die eher auf der Straße arbeiten, und theoriebildenden Zusammenhängen. Von vielen Events gibt es Mitschnitte, die man im Schwarze-Risse-Podcast nachhören kann.

Der Buchladen wurde vor über 40 Jahren gegründet und gehörte damals zu den ersten Mietern des linksalternativen Kulturzentrums Meh­ring­hof.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2023.

»Rassismus« muss sichtbar werden!

Eine Analyse von mog61 e.V. in Kooperation mit Betroffenen / Zusammengetragen von Marie Hoepfner

Der gewaltsame Tod des US-Bürgers George ­Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis schockierte Menschen weltweit und löste zu Recht Debatten aus. mog61 Miteinander ohne Grenzen e.V. möchte mit diesem Beitrag am Diskurs teilnehmen. Obwohl wir Diskriminierungen aller Art ablehnen, widmen wir uns hier überwiegend dem Thema »Rassismus«, insbesondere gegenüber Schwarzen. Es geht darum, »Rassismus« sichtbarer zu machen und die Menschen zu sensibilisieren. Mit diesem Ziel haben wir Menschen anderer Hautfarbe, mit denen wir zu tun haben, gebeten, mit uns diese Doppelseite zu gestalten.

Die Menschen auf der Erde sind genetisch betrachtet fast gleich. Es gibt keine biologische Grund­lage für »Rassen«. Das Wort »Rassismus« setzen wir deshalb in Anführungszeichen.

»Rassismus« ist die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie »Rasse«, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt. So lautet die Definition der Europäischen Kommission.

Schwarz, Schwarze, Schwarzer oder Schwarzer Mensch sind Begriffe, die wir als Selbstbezeichnung gerne benutzen. Schwarz ist ein politisches Statement! Schwarz sein ist ein Stück Identität! »Schwarz sein« bedeutet, dass Menschen durch gemeinsame Erfahrungen von »Rassismus« miteinander verbunden sind und auf eine bestimme Art und Weise von der Gesellschaft wahrgenommen werden.

Genau wie bei »Weiß« geht es bei »Schwarz« nie wirklich um die Farbe. Bezeichnet werden keine »biologischen« Eigenschaften, sondern gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten. »Weiß« ist auch ein politischer Begriff. Er bezeichnet Menschen, die Privilegien, nämlich weiße Privilegien haben.

Wir benutzen auch die Selbstbezeichnung PoC (People of Color; Singular: Person of Color) und BPoC (Black and People of Color) oder BIPoC (Black, Indigenous and People of Color). Dazu zählen alle Farben und Schattierungen dieser Welt, auch Menschen aus Lateinamerika, Südafrika oder Asien.

»Rassismus« auch in Europa

In vielen EU-Ländern gibt es »rassistische« Diskriminierung. Dieser »Rassismus« ist viel mehr als die Äußerungen und Aktionen einzelner »Rassisten«, »Rassismus« ist Teil einer Struktur, einer systematischen, zum Teil auch unterschwelligen Diskriminierung. Er ist historisch gewachsen und institutionell verankert. Vier Beispiele:

• In Frankreich sind Übergriffe der Polizei auf afrikanische und arabische Jugendliche fast alltäglich. Der gewaltsame Tod des 24 Jahre alten Adama Traoré sorgt seit 2016 für Proteste. Vor ihm starben Amine Bentousi, Zyed Benna und Bouna Traoré, Amadou Kouné, Hocine Bouras, Lamine Dieng, Malik Oussekine.

• In Belgien kennen viele Kinder Leopold II. aus ihren Schulbüchern bis heute nur als Beschützer des Christentums und großen Modernisierer. Aber nirgendwo war die europäische Kolonialherrschaft so grausam wie im Kongo unter Leopold II.

• In Großbritannien werden seit 2018 Zuwanderer abgeschoben, die zwischen 1948 und 71 als Arbeitskräfte vor allem aus der Karibik auf die britische Insel kamen, die sogenannte »Wind­rush-Generation« – weil sie nie formal eingebürgert wurden.

• Auch in Deutschland hat »Rassismus« eine lange Geschichte – von Kant über Hegel, die den »rassistischen« Gedanken kultivierten, zu Kolonialismus, den Nazis und über die Nachkriegszeit bis in die Gegenwart.

Klischees und Vorurteile

»Rassismus« hat viele Gesichter und reicht von subtilem Alltags-»Rassismus« über institutionellen »Rassismus« durch politische Entscheidungen bis zu rechter Gewalt. Viele Menschen leiden in der Schule, am Arbeitsplatz, im Bus, auf der Straße unter Beschimpfungen und Diskriminierung. Klischees und Vorurteile spielen dabei eine große Rolle. Das erleben wir oft in der U-Bahn, wenn sich Leute wegsetzen, weil Schwarze vermeintlich streng riechen oder das Portemonnaie klauen könnten. Ein/e Schwarz-Europäer*in wird in der Regel immer gefragt, wo er/sie ursprünglich herkommt. Das ist ein ständiger Hinweis, nicht »wirklich« dazuzugehören. Oder es heißt: »Du kannst bestimmt gut singen und tanzen! Ihr Schwarze habt den Rhythmus doch im Blut!«

Ob bei der Wohnungs- oder Jobsuche, in der Schule oder Universität, im Gesundheitswesen, vor Gericht oder bei Polizeikontrollen – in all diesen Bereichen leiden Minderheiten unter institutionellem »Rassismus«. Besonders einschneidend ist der Ausschluss von nicht anerkannten geflüchteten Menschen vom Arbeitsmarkt.

Auch »rassistische« Polizeigewalt ist ein Problem. Die Initiative »Death in Custody« hat seit 1990 177 Fälle recherchiert, bei denen BPoC in Gewahrsam ums Leben gekommen sind. Ein Bericht des Europarats vom März 2020 be­legt, dass »Rassismus« ein weit verbreitetes Phänomen in Deutschland ist. Es ist die Rede von zunehmendem »Rassismus«, Islamophobie, rechtsextremen Angriffen, Racial Profiling, zu wenig Vertrauen in die Polizei und viel zu wenig Aufklärungsarbeit. Ein bekannter Fall ist der Tod des Sierra-Leoners Oury Jalloh 2005 in Dessau, der nach 15 Jahren immer noch nicht aufgeklärt ist. Marie


Jahrelang angestaute Wut und Trauer

Die Protestbewegung »Black Lives Matter« (BLM) begann schon 2013 in sozialen Medien wie Twitter mit dem Hashtag #Black­LivesMatter als Reaktion auf den Freispruch des Mörders von Trayvon Martin, um gegen Gewalt gegen Schwarze bzw. BIPoC zu protestieren. Und das ist auch gut so!

Vor allem von Rechten wird dem oft mit dem Slogan »All Lives Matter« (Alle Leben zählen) entgegengetreten – unter dem Vorwand, dass BLM ein Angriff gegen Weiße wäre. Damit soll diese Bewegung gegen »Rassismus« und Polizeigewalt zerredet werden.

BLM bedeutet nicht, dass das Leben von Schwarzen und Minderheiten mehr wert ist als das von anderen. Es heißt ja nicht »Only Black Lives Matter«! Wir wollen nur die Botschaft vermitteln, dass Schwarze Leben wichtig und wertvoll sind, genauso wie jedes andere Leben.

BLM ist ein aufrüttelnder Aufruf, der auf die Ungerechtigkeit hinweist und Raum für jahrelang angestaute Wut und Trauer gibt. Es geht um ein konkretes Problem, nämlich darum, dass Schwarze aufgrund ihrer Hautfarbe benachteiligt werden. Es macht immer noch einen Unterschied, wenn man mit einer nicht-weißen Hautfarbe auf die Welt kommt. Es geht um Alltags-»Rassismus« und strukturellen »Rassismus«! Manu

Endlich breite Öffentlichkeit

Inzwischen gehen auch in vielen europäischen Ländern Menschen auf die Straße. Sie solidarisieren sich nicht nur mit den Demonstrant*innen in den USA, sondern setzen auch ein Zeichen gegen »Rassismus« im eigenen Land. Es macht uns Schwarze Menschen stolz, dass auch nicht Schwarze Menschen »Black Lives Matter« unterstützen.

Aber warum erreicht die Bewegung erst jetzt eine breite Öffentlichkeit? Vielleicht weil viele junge Weiße mitmachen, die »Fridays for Future«-Generation, die sich tatkräftig gegen Diskriminierung und für Chancengleichheit einsetzt. Auch die Corona-Pandemie hat ein Gefühl für Solidarität herbeigerufen. Erstmals wird über Polizeireformen und überall in Europa über strukturellen »Rassismus« nachgedacht! Marianna

Nicht nur im Osten unerwünscht

Als ich vor 42 Jahren nach West-Berlin zog, galt meine dunkle Haut als Indischstämmige nur als ungewöhnlich. Oft wurde ich auf der Straße gefragt, woher ich käme. Damals spürte ich reine Neugier, keine Ablehnung. Nach dem Fall der Mauer merkte ich rasch, dass eine dunkle Hautfarbe im Osten unerwünscht war. Es gab viele negative Reaktionen: aggressive Bemerkungen über Ausländer, ich wurde in Restaurants »übersehen« oder nicht bedient, in Warteschlangen absichtlich »herausgepickt«, um genauer kontrolliert zu werden.

Nach dem Zuzug vieler Flüchtlinge 2015 erlebe ich eine neue Welle der Feindseligkeit, nicht nur im Osten. In Berlin wiederholt sich nun die Ausgrenzung, die es in früheren Jahrhunderten in ganz Europa gab. Britt

Straßen erinnern an Gräueltaten

Immer noch erinnern einige Straßennamen in Berlin an das alte deutsche Kolonialreich in Afrika. Die Lüderitzstraße, die Petersallee und der Nachtigalplatz sollen umbenannt werden. Namen von Kolonialherren, die für schreckliche Gräueltaten in den deutschen Kolonien in Afrika verantwortlich sind.

Adolf Lüderitz (1834-1886) gilt als einer der Anstifter zum Genozid an den Hereros und Namas (1904-1907). Carl Peters (1856-1918) gründete durch Betrug und Brutalität die Kolonie Deutsch-Ostafrika. Gustav Nach­tigal (1834-1885) legalisierte als »Reichskommissar für Westafrika« die ungesetzmäßige Landnahme in Namibia, Kamerun und Togo. Die Straßen sollen Namen von afrikanischen Widerstandskämpfern bekommen: Hendrik Witbooi (1830-1905), Cornelius Fredricks (1864-1907) und Ana Mungunda (1932-1959).

In Mitte soll der U-Bahnhof Mohrenstraße umbenannt wer­den. Das Wort »Mohr« erinnert an die Verschleppung minderjähriger Afrikaner an den preußischen Hof in Berlin. Nun sollte der Bahnhof nach dem russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka heißen. Aber Glinka war wohl veritabler Antisemit. Otmane


Zwei Gedichte von Landouma Ipé

Landouma Ipé ist politische Aktivistin, SpokenWord-Künstlerin und Schwarze Feministin. Foto: privat

Wie befreiend das ist

nicht in diesem Ton / nicht auf die­se Art / nicht gerade jetzt / nicht vor Zuhörern
nicht übertreiben / nicht überreagieren / nicht überinterpretieren / nicht so eine Nichtigkeit
nicht so laut / nicht so radikal / nicht so direkt / nicht schon wieder das gleiche Thema
Umzingelt von dies nicht / und jenes nicht / erinnere ich mich
an den Moment / als ich / Deinen uralten Kerker für mich für immer verließ
an den Moment / als ich / von Deiner Verneinung ward / unabhängig
an den Moment / als ich / mein mich selbst wertschätzendes Ich / aus mir selbst gebar
Unabhängig von dies nicht / und jenes nicht / und wie befreiend das ist / wahrhaftig goldig

Black Lives Matter – An Avid Act

Weil Gewalt an unsren Körpern / für ein Gerücht gehalten wird / ein Gerücht
weil penible Beamte mich migrantisieren / mir einimpfen möchten mich zu integrieren / mich
weil mir täglich graut / vorm Grenzregime das Geschwistern / den Garaus macht gen Meeresgrund / den Garaus
weil deutsche Deals mir / meinen eigenen Vater vorenthielten / meinen Vater
darum ist dies Banner / »Black Lives Matter« / statt »FU Deutschland« / an avid act of anger management / an avid act

 

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2020.