100 Jahre Groß-Berlin

Wie aus Äckern Kieze wurden

Als vor hundert Jahren, am 1. Oktober 1920, das Groß-Berlin-Gesetz in Kraft trat, mit dem zahlreiche einst selbstständige Nachbarorte Berlins eingemeindet wurden, wuchs Berlin mit einem Schlag auf das 13-Fache seiner Fläche und auf unfassbare 3,9 Millionen Einwohner. Tatsächlich spiegelte der Verwaltungsakt nur wieder, was längst Realität war: Denn spätestens seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der unvorstellbar hohe Reparationszahlungen in Preußens Staatskasse gespült hatte und damit die Phase der Hochindustrialisierung vorantrieb, waren Berlin und das Umland immer mehr (zusammen-)gewachsen.

Überlegungen zu Eingemeindungen hatte es schon seit den 1820ern gegeben, als die Stadt Berlin gerade knapp über 200.000 Einwohner zählte und ihre Grenzen noch innerhalb der Akzisemauer lagen, nach deren Stadttoren noch heute zahlreiche Plätze benannt sind.

Doch mit den Nachbargemeinden war jahrzehntelang keine Einigung zu erzielen, wohl vor allem, weil die Gebiete, die zur Debatte standen, hinsichtlich der erzielbaren Steuereinnahmen sehr unterschiedlich aufgestellt waren.

1861 schließlich kam es dann doch zu einer großen Eingemeindung, die Berlin um Moabit, den Wedding, Tiergarten sowie Ackerflächen von Tempelhof und Schöneberg erweiterte. Mit der Tempelhofer Vorstadt, nach wie vor der offizielle Name in Kreuzberger Grundbüchern südlich des Landwehrkanals, war damit auch das heutige Kreuzberg komplett in Berlin integriert.

Die Geschichte des Bezirks Kreuzberg, der bekanntermaßen 2001 im Zuge der Bezirksreform in Friedrichshain-Kreuzberg aufging, beginnt allerdings tatsächlich 1920, wenn auch spitzfindige Menschen anmerken, dass er zunächst ein Jahr lang unter dem Namen »Hallesches Tor« firmierte.

Ist »100 Jahre Groß-Berlin« also auch »100 Jahre Kreuzberg«? Schwer zu sagen und in gewisser Weise eine Definitionsfrage. Völlig unstreitig hingegen ist, dass der Name »Kreuzberg« im nächsten Jahr sein Jubiläum feiert. Zur Einweihung des Nationaldenkmals im Viktoria­park am 30. März 1821 wurde der zuletzt »Tempelhofer Berg« genannte Hügel, auf dem das von Friedrich Schinkel gebaute Denkmal steht, nämlich ganz offiziell in »Kreuzberg« umbenannt.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2020.

Soziale Stadt für Alle

Info-Veranstaltung in der Heilig-Kreuz-Kirche

Flyer zur InfoveranstaltungFlyer zur Infoveranstaltung

»Gute Wohnungen für Alle – statt Notunterkünfte für immer mehr Menschen!« Das ist die zentrale Forderung des Bündnisses Wem gehört Kreuzberg. Am 4. Februar lädt die Initiative zu einer Infoveranstaltung in die Heilig-Kreuz-Kirche ein. »Dass in Berlin Wohnraum fehlt, wissen wir nicht erst, seit Menschen, die vor Hunger, Menschenrechtsverletzungen, Bürgerkrieg und Krieg fliehen, bei uns Schutz und menschenwürdige Lebensbedingungen suchen«, heißt es in dem Flyer zur Veranstaltung. »In einem der reichsten Länder, einem Land, das mitverantwortlich ist für Krisen und Kriege, werden sie in Massenunterkünften wie den Hangars in Tempelhof untergebracht.« Auch, so der Vorwurf an die Politik, würde weiterhin völlig ungenügend darauf reagiert, dass die Einwohnerzahl schon lange steige und Wohnraum für viele zunehmend unbezahlbar ist. Die Planungen des Senats sehen bis 2017 nur 30.000 neue Wohnungen vor, davon ca. 6500 geförderte. Für Flüchtlinge sollen an 60 Standorten sogenannte »Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge« gebaut werden, die jeweils bis zu 450 Menschen Platz bieten sollen – für Wem gehört Kreuzberg ist das kein akzeptables Wohnmodell.

Wie aber könnte eine lebenswerte Stadt für alle aussehen? Über die Frage will man bei der Veranstaltung am Donnerstag ins Gespräch kommen. Als Diskussionsanregung wird es dazu Beiträge zur Wohnungspolitik und zu alternativen Modellen in Kreuzberg geben. Über den ihren Alltag sowie Wünsche und Hoffnungen werden Geflüchtete aus Turnhallen und den Hangars berichten. Musikalische Beiträge wird es unter anderem von der Neuköllner Chanson-Punk-Band The Incredible Herrengedeck geben. An Infotischen verschiedener Initiativen besteht die Möglichkeit, sich über deren Arbeit zu informieren und persönlich ins Gespräch zu kommen.

Hier gibt es den Flyer zum Downloaden.

Termin: Donnerstag, 4. Februar, 18:30 Uhr (Einlass 18:00 Uhr), Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Str. 65, 10961 Berlin

Die Ironie der Geschichte

Bomben aus dem zweiten Weltkrieg haben Tausende von Kreuzbergern binnen einer Woche gleich zwei Mal aus ihren Häusern getrieben. Sie waren so etwas wie verspätete Kriegsflüchtlinge, für ein paar Stunden halt.

Etwa zur gleichen Zeit werden Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten im mittleren Osten im Flughafen Tempelhof untergebracht, just in dem Gebäude, in dem einst die gefürchteten Sturzkampfbomber JU87 gefertigt wurden. Über ihre Bombenlast hinaus verbreiteten die »Stukas« mit ihren »Jericho-Trompeten« eine grauenhafte psychologische Wirkung.  Sie galten als Symbol des Blitzkrieges.

Die Quittung war unter anderem jene Bombennacht vom 3. Februar 1945, dessen Nachlass nun zwei mal beseitigt wurde.

Ist das nun nur die Ironie oder ein Wink mit dem Zaunpfahl der Geschichte, dass wir  auf diese Weise an die eigene Zeit von Krieg und Flucht erinnert werden?

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2015.

Die Zeltstadt im Hangar

Flüchtlinge auf dem Flughafen Tempelhof untergebracht

Einst galt er als größtes Gebäude der Welt, der Flughafen Tempelhof. Kein Wunder, dass der 1,2 Kilometer lange Gebäuderiegel immer wieder Begehrlichkeiten weckt, wenn irgendwo Platzbedarf ist.  So ist es erstaunlich, dass erst jetzt Raum für Flüchtlinge geschaffen worden ist.

Ende Oktober zogen die ersten Flüchtlinge in den Hangar 1, in dem eine ganze Zeltstadt entstanden ist. 55 Zelte wurden hier aufgebaut, in den meisten stehen sechs Doppelbetten. In einigen gibt es mehr Platz. Hier sollen Familien untergebracht werden, die dann einen geschützten Raum finden.

Fragezeichen gab es zunächst bei den sanitären Einrichtungen. Toiletten sind zwar vorhanden, aber die reichen bei Weitem nicht, wenn zwischen 660 und 1.000 Flüchtlinge die Halle belegen sollten. Duschen gab es zunächst gar nicht. Die schnell angedachte Zwischenlösung im über den Winter geschlossenen Columbiabad zerschlug sich ebenfalls sehr schnell. Inzwischen gibt es mobile Duschen vor Ort.

Zunächst blieb der Ansturm allerdings aus, unter anderem deshalb, weil ein ganzer Zug mit Flüchtlingen, der eigentlich für Berlin bestimmt war, irrtümlich nach Eisenhüttenstadt umgeleitet worden war. Doch in den folgenden Tagen füllten sich die Zelte und Betten.

Ein Abebben des Flüchtlingsstromes ist in den nächsten Wochen nicht zu erwarten, und so ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch diese Notaufnahmekapazitäten erschöpft sind. Doch am Flughafen Tempelhof soll noch mehr passieren. Auch die Hangars 2 und 3 sollen für Neuankömmlinge hergerichtet werden.

Auf dem dahinterliegenden Flugfeld, wo sich auch bei herbstlichen Temperaturen viele Freizeitsuchende auf Skates, Fahrrädern oder mit Drachen herumtreiben, kommt nach einer Umfrage des Berliner Tagesspiegels die Flüchtlingsunterbringung gut an. Die meisten befürworten die Maßnahme. Ein Skater hat für die Freunde eine überaus einleuchtende Erklärung: Solange die im Flughafen untergebracht sind, kann die Politik hier keine andere Bebauungsidee umsetzen und alles bleibt so wie es ist.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2015.

Landet ooch in Tempelhof

Sportmaschine muss im neuen Park notlanden

Socata TB 10 landete in TempelhofErlebnispark Tempelhof. Foto: Felix Passenberg

Es ist ja nichts passiert, aber dem einen oder anderen Radler oder Skater ist dann doch ein wenig das Herz in die Hose gerutscht, als neben ihm an diesem strahlenden Sommertag eine einmotorige Socata TB 10 niederging. Die einen halten es für unerhört, mit einer Sportmaschine mitten in einem belebten Park zu landen, andere finden, dass es eine glückliche Fügung des Schicksals ist, dass es auf dem ehemaligen Cityairport Tempelhof noch intakte Landebahnen gibt.

Der Pilot der einmotorigen TB 10 hatte drei Passagiere an Bord und war mit ihnen zu einem 15minütigen Rundflug von Tegel aus gestartet. Als der Motor beim Pflichtmeldepunkt Echo 2 über Neukölln aus nicht geklärten Gründen zu stottern begann, landete der 31jährige, nach Absprache mit der Flugsicherung in Schönefeld auf der südlichen Landebahn des ehemaligen Flughafens.

Vorsichtshalber wurde die Feuerwehr in Marsch gesetzt, die jedoch nicht eingreifen musste. Die Polizei sperrte die Maschine ab.

Die ungeplante Landung fand bei den Besuchern der Parks ein unterschiedliches Echo. Die einen beschimpften den Flieger als »bescheuert«, eine andere fühlte sich gar an den Fliegerstreich von Mathias Rust erinnert, der vor 23 Jahren mit einer Cessna neben dem Roten Platz in Moskau landete.

Nun ist der Rote Platz definitv kein Flughafen, das Tempelhofer Feld war es aber bis vor kurzem. Viele Parkbesucher hatten dennoch gemerkt, dass es sich bei dieser unplanmäßigen Landung um einen Notfall gehandelt hatte.

Wenn die Maschine repariert und gecheckt ist, könnte sie theoretisch wieder abheben und zurückfliegen. So einfach ist das aber nicht, denn um abheben zu dürfen braucht der Pilot eine Sondergenehmigung vom Senat. Bekommt er die nicht, muss die Maschine mit einem LKW abtransportiert werden. Ohnehin dürfte sich die Reparatur des Motorschadens mangels Werkstatt schwierig gestalten.

Lange Nacht der Sachbeschädigung

Gestern und in der vergangenen Nacht sah sich die Polizei berlinweit mit einer Reihe offenbar politisch motivierter Straftaten konfrontiert, darunter zahlreiche Sachbeschädigungen.

Wie die Berliner Polizei berichtet, wurde bereits gestern in den frühen Morgenstunden das ver.di-Gebäude im Bona-Peiser-Weg in Mitte mit mehreren gewerkschafts- und polizeifeindlichen Schmierereinen verunziert.

In Mitte wurden fünf Autos – zwei Mercedes, zwei 3er BMW und ein Dodge – Opfer von Scratchings, die sich beispielsweise gegen „Bonzen“ richteten.

Auch am Abend gab es zahlreiche Fälle von Sachbeschädigung zu vermelden: In der Warschauer Straße in Friedrichshain etwa kam es zu Vandalismus im Vorraum einer Sparkassenfiliale, in Tempelhof wurde das Gebäude der Bundesagentur für Arbeit mit einem Schriftzug politischen Inhalts versehen, und auch in Kreuzberg in der Liegnitzer Straße mussten die Bewohner eines Gebäudes mit Loftwohnungen Sprünge in den gläsernen Haustüren beklagen.

In Mitte wurde ein Citroen mit französischem Kennzeichen in den Abendstunden Ziel eines Brandanschlags.

Bereits im Laufe des Nachmittags hatten sich 40 Personen unberechtigt auf einem umzäunten Gelände in der Rigaer Straße in Friedrichshain niedergelassen, vier Zelte aufgebaut und Transparente an den Zäunen angebracht. Die 27 Männer und 13 Frauen hatten Tische, Bänke, Lebensmittel und Kochgelegenheiten mitgebracht sowie Material zum Herstellen von Transparenten. Die Polizei räumte, stellte die Personalien fest und erteilte Platzverweise. Der Einsatz verlief ruhig.