»Wenn wir immer einig wären, wären wir in einer Partei«

Die künftige Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihr Stellvertreter Oliver Nöll im Gespräch

Oliver Nöll (Linke) und Clara Herrmann (Grüne)Oliver Nöll und Clara Herrmann beim Gespräch mit Kiez und Kneipe. Foto: rsp

Ein Blick auf das Wahlergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg ließe vermuten, dass es im Bezirksamt genau so weitergehen könnte, wie in den vergangenen fünf Jahren. Tatsächlich ändert sich aber eine ganze Menge – und das liegt nicht nur daran, dass es künftig sechs statt fünf Stadträte und Stadträtinnen geben wird. Kiez und Kneipe hat sich mit der künftigen Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und ihrem neuen Stellvertreter Oliver Nöll getroffen, um zu erfahren, was die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten fünf Jahren vom neuen Bezirksamt erwarten können.

Die erste Erkenntnis aus diesem Gespräch ist: Zwischen der Grünen und dem Linken stimmt die Chemie. In vielen Bereichen sind die Ansichten nahezu deckungsgleich. Allerdings betont Oliver Nöll auch die Unterschiede: »Wenn wir alle einer Meinung wären, dann wären wir in der gleichen Partei.« Seine Partei, die Linke, profitiert im Übrigen von der Neuordnung, denn für sie gibt es einen Stadtratsposten mehr, den Regine Sommer-Wetter einnehmen wird. Für die Grünen rückt Annika Gerold nach. Clara Herrmann, Florian Schmidt und Andy Hehmke von der SPD gehörten dem Bezirksamt schon in den vergangenen fünf Jahren an.

Was den Zuschnitt der Ressorts bestrifft, wird sich einiges ändern: Clara Herrmann dazu: »Durch die neuen Regelungen sind wir in unseren Ressortzuschnitten eingeschränkt. Bestimmte Kombinationen sind nicht mehr möglich.« Trotzdem zeichnet sich ein Ressortzuschnitt ab: Der Bürgermeisterin fällt nun automatisch das Ressort Finanzen zu, das Clara Herrmann aber ohnehin schon in den letzten fünf Jahren verwaltet hat. An ihren Stellvertreter Oliver Nöll gehen Arbeit und Soziales sowie Bürgerdienste. Schulstadtrat Andy Hehm­ke wird das Ordnungsamt abgeben. Das geht wohl an Annika Gerold, die auch die öffentlichen Räume mit dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) verwalten soll. Jugendstadträtin wird Regine Sommer-Wetter.

Florian Schmidt bleibt Baustadtrat. Er war in der vergangenen Legislatur das umstrittenste Mitglied des Bezirksamts. Doch Oliver Nöll signalisiert, dass sich seine Fraktion dem Personalvorschlag der Grünen nicht entgegenstellen wird. Er legt auch Wert auf die Feststellung, dass die Linke sich nie gegen das Instrument des Vorkaufsrechts gestellt habe. Nur in der Umsetzung sei man nicht immer einer Meinung gewesen.

Doch das Vorkaufsrecht ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jetzt erst einmal Geschichte. Clara Herrmann nennt das »eine Katastrophe« und sieht nun die neue Bundesregierung in der Pflicht. Dem schließt sich ihr künftiger Stellvertreter ausdrücklich an.

Während auf vielen Gebieten nahezu Harmonie herrscht, gibt es einen Bereich, an dem die unterschiedlichen Standpunkte sehr deutlich werden. Es geht um das Thema Verkehr. Zwar sind sich beide einig, dass eine Verkehrswende im Bezirk umgesetzt wird, doch beim Wie gehen die Meinungen auseinander. Clara Herrmann setzt hier voll auf die Initiativen der Kiezblocks. Sie verweist darauf, dass es zwar auch bei der hochumstrittenen Umwandlung der Bergmannstraße sehr heftige Debatten gegeben habe, »aber am Ende hat das mit der Beteiligung sehr gut funktioniert. Wie wir das auf den letzten Metern gemacht haben, kann auch eine Blaupause dafür sein, wie man das in anderen Kiezen angeht.«

Hier widerspricht ihr Oliver Nöll. »In der Bergmannstraße wohnt jetzt nicht gerade das Prekariat«, meint er. Grundsätzlich sind die Linken der Meinung, dass die Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungen mehr mitgenommen werden muss.

Ein großes Thema in ganz Berlin sind die Bürgerdienste. Bürger, die monatelang auf einen Reisepass oder einen Personalausweis warten und dann von Kreuzberg möglicherweise auch noch nach Hellersdorf oder nach Spandau fah­ren müssen, sind keine Ausnahme, sondern fast schon die Regel. Bundesweit gilt das als Paradebeispiel für die dysfunktionale Verwaltung Berlins. Jüngst hatte ausgerechnet der ehemalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Bezirksämter für das Versagen verantwortlich gemacht.

Das macht die beiden Kommunalpolitiker gleichermaßen wütend. Tatsächlich sei die zentrale Terminvergabe ja unter Wowereits Regierung eingeführt worden, die gleichzeitig auch die Mittel so stark gekürzt habe, dass das Personal immer stärker zurückgefahren wurde.

Doch beide belassen es nicht bei Schuldzuweisungen, sondern haben auch ganz konkrete Vorschläge, wie die Situation entschärft werden kann.

»Beim Ausweis zum Beispiel«, meint Clara Herrmann, »würde ich mir wünschen, dass man einen Hinweis vom Bürgeramt bekommt, wenn er ausläuft, und gleichzeitig einen Terminvorschlag für die Verlängerung.«

Oliver Nöll regt an, den Antrag von Personalausweisen und Reisepässen zu digitalisieren. Der Abgleich von Bild und Unterschrift könne dann bei der Abholung geleistet werden.

Da dieser Bereich in die Zuständigkeit des Landes falle, könne der Bezirk aber immerhin versuchen, hier Einfluss zu nehmen. Für neue Verfahren könne der Bezirk auch Vorreiter sein, dazu sei er bereit.

Darüber hinaus glaubt Clara Herrmann, dass Dinge, die immer wieder neu beantragt werden müssen, nicht jedesmal mit einem Gang aufs Bürgeramt verbunden sein sollten. Sie nennt als Beispiel Anwohner-Park­ausweise. »Das könnte man machen wie mit einem Zeitungsabo, das sich auch immer wieder verlängert. Nur wenn sich etwas verändert, müsste man dann noch kommen.«

Um die Arbeit des Bezirks effektiver zu machen, benötigt es allerdings Geld. Und das ist ein Punkt, der ebenfalls beiden Sorgen macht. Während die Kommunen in den Flächenstaaten über eigene Steuereinnahmen, etwa über die Gewerbesteuer, verfügen, hängen die Bezirke Berlins komplett am Tropf des Senats. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit sogar immer wieder Bestrebungen gegeben, die Bezirke als un­ters­te Verwaltungseinheit komplett abzuschaffen. Ein sogenannter Verfassungskonvent soll in der neuen Legislaturperiode das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken klären. Bestrebungen hin zu mehr Zentralismus in Berlin erteilen beide eine entschiedene Absage. Clara Herrmann weist darauf hin, dass sowohl sie selbst als auch Oliver Nöll ja durchaus auf Erfahrungen auf Landes­ebene verweisen können, sie als ehemalige Abgeordnete und er als Bediensteter in der Senatsverwaltung für Soziales.

Allerdings droht jetzt erst einmal Ungemach: Es gibt noch keinen Haushalt, sondern nur einen Senatsbeschluss. »Wenn der zum Tragen kommt, müssen im Bürgeramt Stellen abgebaut werden«, meint Oliver Nöll und Clara Herrmann fügt hinzu: »Das betrifft nicht nur das Bürgeramt, sondern alle Bereiche.

Beide hoffen, dass es soweit nicht kommt. Oliver Nöll erinnert die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey an ihr Versprechen. »Sie hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht und versprochen, dass es allen Berlinern besser gehen wird. Das bedeutet, dass wir an dieser Stelle mehr Geld brauchen.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2021.

»Schluss mit Bürgermeisterei«

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will fürs Abgeordnetenhaus kandidieren

Bezirksbürgermeisterin Monika HerrmannMonika Herrmann (bei ihrer Wiederwahl vor vier Jahren). Foto: rsp

Schon vor über einem Jahr hatte Monika Herrmann angekündigt, dass sie bei der Berlin-Wahl 2021 nicht mehr für das Amt der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg kandidieren werde. Damals klang das nach Rückzug aus der Politik, doch inzwischen ist klar, wo die Reise hingehen soll: ins Abgeordnetenhaus.

Eine Karriere in einem Leitungsjob, etwa als Senatorin, schwebt Herr­mann indessen nicht vor. »Wenn ich das wollte, könnte ich auch im Bezirk bleiben«, erklärt sie im Gespräch mit der KuK. Nach 15 Jahren als Bezirksstadträtin und (seit 2013) -bürgermeisterin sei »dann auch mal Schluss mit Bür­ger­meis­terei«.

Als inhaltlichen Schwerpunkt ihrer zukünftigen Arbeit sieht die Grünen-Politikerin die Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Anfang 2020 hatte sie im Bezirk die Zuständigkeit fürs Straßen- und Grünflächenamt von ihrem Parteikollegen Florian Schmidt übernommen und mit dem Konzept der Pop-up-Radwege im Frühjahr prompt für berlin-, wenn nicht bundesweite Schlagzeilen gesorgt – und Nachahmer in anderen Bezirken und Großstädten gefunden. Doch für eine echte Verkehrswende müssten alle Bezirke in die Planung miteinbezogen werden, insbesondere auch die Außenbezirke, damit die dortigen Bewohner auch ohne Auto in die Innenstadt kommen. Wenn es um die Neuverteilung von Räumen ginge, beispielsweise beim Entfernen von Parkplätzen zugunsten einer Busspur, gäbe es letztendlich überall die gleichen Diskussionen, egal ob in Rudow, Marzahn oder Friedrichshain. »Verkehr ist wie Wasser«, sagt Herrmann, die selbst in einer eher ländlichen Gegend in Südneukölln aufgewachsen ist. Einzelne Kieze für den Durchgangsverkehr zu sperren und alles durch die Hauptstraßen zu leiten, wie das zum Beispiel zwischen Columbiadamm und Gneisenaustraße geplant ist, sei deshalb für sich genommen auch noch keine Lösung.

Den Bedarf für ein besseres Zusammenwirken von Senat und Bezirken sieht Monika Herrmann nicht nur im Bereich Verkehrspolitik, wo die Umstrukturierung der Senatsverkehrsverwaltung im vergangenen Jahr »bisher noch zu wenig« gebracht habe. Im September hatte sie gemeinsam mit ihrem Pankower Amtskollegen Sören Benn (Linke) und dem Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung Frank Nägele (SPD) die Diskussion über eine Verfassungsänderung angestoßen. Das Ziel: Eine Verwaltungsreform, die hierarchische Strukturen durch Zielvereinbarungen ersetzt und vor allem Zuständigkeiten klärt, um das häufig anzutreffende Behörden-Ping-Pong zu beenden. »Elterngeld gibt’s nicht im Roten Rathaus«, sagt Herrmann, aber wie lange eine Antragsbearbeitung dauern darf – und wie man die Zeitvorgabe einhält –, sollte Bestandteil einer solchen Zielvereinbarung sein. Dafür müssten den Bezirken dann wiederum entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. »Senatsverwaltungen müssen Verabredungen einhalten und umsetzen.« Schon aus historischen Gründen gehe es dabei auch immer »ganz viel um Macht«, erklärt Herrmann mit Verweis auf die Gründung von Groß-Berlin vor 100 Jahren.

Über die künftige Machtverteilung im Abgeordnetenhaus kann sie nur spekulieren, präferiert selbst aber ganz klar eine rot-rot-grüne Koalition – egal in welcher Konstellation, solange das Dreierbündnis aufrechterhalten werde. Allerdings hielte sie es für »fatal, wenn die SPD wieder Bau und Verkehr zurückbekommt.« Schwarz-Grün erteilt sie eine eindeutige Absage. Die Berliner CDU sei arg nach rechts gerückt und agiere unglaubwürdig.

Und wer soll ihr im Bürgermeisteramt nachfolgen? »Vermutlich jemand U50«, hofft die 56-Jährige. Auf jeden Fall sollte es eine Person sein, die sich traut, angstlos Politik zu machen. »Wer zuviel Angst hat vor Restriktionen und schlechter Presse, ist in Friedrichshain-Kreuzberg falsch.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2021.