Schön sortiert von A bis Z

Tocotronic-Texter Dirk von Lowtzow verrät erneut Privates

Es ist Mittwoch, ich bin seit einer Woche wieder in Berlin und freue mich auf die »Aus dem Dachsbau«-Lesung von Dirk von Lowtzow im Kreuzberger HAU. In dieser Kolumne hier habe ich schon einmal über Dirk von Lowtzow erzählt, der als zauberhaftes Sprachtalent die so kunstvoll ausgestalteten, perfekt pointierten, lehrreich verwobenen und anmutig schönen Texte der Band Tocotronic schreibt und interpretiert.

Dirk von Lowtzow ist, obwohl im zugegebenermaßen recht kleinen Tocotronic-Kosmos eine gottähnliche Figur, eher eine Hintergrundperson. Im Gegensatz zu so manch anderen Stars weiß man praktisch nichts über ihn. Seine sexuelle Orientierung ist genauso unklar wie irgendetwas über seine Familie. Bis jetzt. Oder zumindest bis vor ein paar Jahren.

Mit dem Album »Die Unendlichkeit« thematisiert Dirk (wie er sich wohl selbst auch in Interviews nennen würde) neben der 25-jährigen, fühlbar unendlichen Bandgeschichte auch seine eigene Geschichte. Er singt erstmals über seine Homosexualität, einen unerwarteten Tod und seine Kindheit. Die Songs sind dabei so privat, als würde man mit dem Sänger ganz trinkselig vorm Kamin sitzen. Aber wer mehr dazu lesen will, guckt lieber noch einmal in die KuK vom Februar 2018.
Nun hat er unter dem Titel »Aus dem Dachsbau« ein Buch geschrieben, in dem Dirk den (bitte nicht falsch verstehen) im Unendlichkeits-Album noch nicht verarbeiteten Narzissmus in Form einer Autobiografie herauslässt.

Es wäre komisch, hätte der Sänger seine Autobiografie so einfach chronologisch über sein Leben verfasst. Es ist eine Enzyklopädie. Ein Wort, das wie kein anderes so hervorragend zur Dirk von Lowtzow passt. Und die Leserin erwarten kleine Lebensgeschichten, schön sortiert von A bis Z.
Im HAU beginnt er die Lesung mit einer Geschichte von seinem verstorbenen, langen und besten Freund Alexander. Eigentlich, so stellt er später heraus, drehe sich das ganze Buch um Alexander. Na ja, und eben ganz viel um Gitarre, Stimme, Schlagzeug, Bass. Und das alles in schönstem Tocotronic-Deutsch.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2019.

Disco, Feiern, Gesellschaftskritik

Frittenbude kommen mit einem neuen Album in den Festsaal


Wie viel macht eigentlich ein Name für eine Band aus? Im Falle von Led Zeppelin wäre der Erfolg wohl auch mit einer anderen Bezeichnung nicht ausgeblieben. Pink Floyd? Da wird’s schon interessanter. Und dann gibt es noch Frittenbude, die die Mischung auffallender Name und heftiges Debütalbum als Katapult in den Erfolg für sich entdeckt haben.

Das mit dem Debüt war vor mehr als zehn Jahren. Damals gründeten die drei Mitglieder Martin Steer, Johannes Rögner und Jakob Hägls­perger die Band während einer Autofahrt. Das Radio war kaputt und so wurden eben eigene Beats und Texte gezaubert. Zwei Jahre später kam das erste Album, mit dem sich die drei mit 120 bpm, Bass, Bass und Bass in den Elektropunkhimmel sangen. Ursprünglich aus Bayern kommend haben sie sich textlich und musikalisch ganz schnell dem klassischen Berliner Club-Hipster angepasst. Es geht also um Disco, Feiern gehen und ein bisschen Gesellschaftskritik.

Berühmt wurden Frittenbude allerdings vorerst mit ihren Remixen. Dabei verändern sie nicht nur wie üblich die Instrumentierung der Songs, sondern dichten ganz gern auch mal die eine oder andere Zeile dazu. Dabei kommen am Ende meist humorvollere oder politischere Texte als beim Original heraus.

Apropos politische Einstellung: hier heißt das Stichwort nämlich Audiolith. Dem stetigen Leser dieser Kolumne wird dieses herausragende Label bereits von der Band Egotronic bekannt sein. Mit ihrem Selbstverständnis einer linken, toleranten, antifaschistischen Weltanschauung nahmen sie Frittenbude, die diese Vorstellungen mehr als eindeutig in sich vereinen, 2010 unter Vertrag.

Und nun ist es endlich soweit: Frittenbude kommen mal wieder (fast) nach Kreuzberg. Am Tag des Redaktionsschlusses herausgekommen verspricht das neue Album mehr politische Haltung als je und nicht ganz so schnelle, basslastige Songs wie sonst. Sie präsentieren »Rote Sonne« am 30. März im Festsaal Kreuzberg (seit 2017 am Flutgraben in Treptow beheimatet und damit nur noch gefühltes Kreuzberg). Doch Achtung Uniform: bitte Bauchtasche und Hornbrille anlegen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2019.

Sommer, Sonne, WorldFolkBeat

Zargenbruch halten warm im Winter

Es ist Februar. Meiner Meinung nach der blödeste von allen Monaten. Irgendwie ist es dann ja auch schon lange kalt, aber auf den nächsten Monat kann man sich noch nicht so richtig freuen, weil der ja auch immer noch kalt und ein bisschen dunkel ist. Um dieser Wetterlethargie zu entfliehen, habe ich mittlerweile jedoch eine ganz passable Strategie gefunden: ignorieren. Weggucken, so tun als ob nichts wär’ – und stattdessen lieber Zargenbruch hören.

Die Band mit dem Namen, der auch von einer Tischlerei sein könnte, macht nämlich ganz viel in dem Musikgenre, das von mir auch liebevoll Sommermusik genannt wird. Und ist in meinem Kopf verknüpft mit einem warmen Spätnachmittag, an dem es gerade noch so warm ist, dass man ohne Jacke im Schatten sein kann und somit ohne viel Schwitzen mit genügend Platz um sich herum und einem kühlen Bier in der Hand so ein bisschen zu Gitarre, Geige und Akkordeon hüpfen kann. Wer beim Auftritt von Zargenbruch auf dem letzten Bergmannstraßenfest dabei war, dürfte sicherlich genau wissen, was für Glücksgefühle die Musiker und Musikerinnen in der warmen Abendsonne bei ihrem Publikum hervorgerufen haben. Es ist eine dieser Bands, die es schafft, dass jedem egal ist, ob einem jemand beim Tanzen zuguckt. Weil Stillstehen keine Option ist und die vielen unterschiedlichen Instrumente einfach zu großen Spaß machen. Halb aus Kreuzberg, halb aus Neukölln singen die Künstler auf Deutsch, Englisch und Französisch mit ihren von Hingabe und Leidenschaft gefüllten Stimmen übers Freisein, übers Querdenken und, natürlich, übers Tanzen. Dabei ist alles, die Texte, die Beats, die Melodien, maßgeschneiderte, professionelle Handarbeit, die sie selbst übrigens als »tanzbaren Liedermacher-WorldFolkBeat« bezeichnen.

Das neueste Album kommt aus der Oranienstraße, heißt »Ligne rouge« und ist toll. Den nächsten Auftritt gibt’s dazu dann hoffentlich auch bald hinterher. Bis dahin kann ich die Texte auswendig – versprochen!

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2019.

Der Vater aller Mütter

Nach neun Jahren endlich wieder ein Album von Dendemann

In der langen Tradition des Deutschrap wird ja bekanntlich gern mal hin und her gedisst und gezankt. Was läge dabei näher, als seine Heimatstadt zum Mittelpunkt der Selbstprofilierung zu machen?

Und obwohl mein Herz natürlich an Berlin hängt und die Stadt tausende guter Musiker hat, muss ich schmerzlich zugeben, dass die Trophäe in diesem Monat trotzdem an Hamburg geht. Denn neben Fettes Brot, Fünf Sterne Deluxe und Ferris MC spuckt die Stadt Ende Januar nach neun Jahren Wartezeit endlich das neue Album vom Wunderkind Daniel Ebel aka Dendemann aus. »Da Nich Für!« wird es heißen und die ersten Singleauskopplungen »Keine Parolen« und »Littbarski« versprechen feinsten deutschen Rap in Neuauflage.

Neun Jahre sind eine lange Zeit. Doch bevor nun noch jemand denkt, der Typ wäre faul oder hätte keine Lust, im Gegenteil: Songs produziere er nach eigener Aussage am laufenden Band. Doch im Zuge eines unglaublichen Perfektionismus schaffen es nur die Allerbesten auf das Album. So musste selbst ein Song mit einem Sample von Pianoikone Chilly Gonzales leider draußen warten.

Auch wenn die Vorstellung, Dendemann nicht zu kennen, für mich fast unbegreiflich ist, so will ich doch kurz in seine Vita einführen. Angefangen hat der Exklusivrapper in den 90er Jahren und wurde schnell durch seine wortspielreichen Texte und als Vorband von Fettes Brot bekannt. Es folgten zwei trotz (oder vielleicht gerade wegen) seiner Rauchstimme fein säuberlich gerappte Studio­alben, die mit perfekt pointierten Texten ein bisschen über alles erzählen. 2013 übernahm Dendemann dann mit »Die Freie Radikale« die Studioband der Late-Night-Show »Neo Magazin Royale« von Jan Böhmermann und erlangte auf diese Weise auch unter jüngeren Hörern einen gewissen Bekanntheitsgrad. Am 28. Februar beehrt »der Vater aller Mütter« uns auch in Kreuzberg und gibt ein schon jetzt fast ausverkauftes Konzert in der Columbiahalle. Und bevor der nächste Auftritt gegen Ende 2038 stattfindet, rate ich, doch noch schnell ein Ticket zu besorgen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2019.

Glück inmitten der Katastrophe

Liga der gewöhnlichen Gentlemen kommt ins Bi Nuu

Dezember ist so ein Monat, in dem ich am liebsten drei Kolumnen schreiben würde. Plötzlich spielen alle Konzerte und jedes von ihnen ist auch irgendwie besonders. Wer sich also über diese Kolumne hinaus noch mit weiteren Bands und deren Konzerten im weihnachtlichen Kreuzberg beschäftigen will, dem seien »Dota« (Songwriterin mit Band), »Die Wallerts« (Humppa aus Berlin) und das »Berlin Boom Orchestra« (Sonne und Reggae) ans Herz gelegt. Da »Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen« doch wohl als die größte Rarität aller Weihnachtskonzerte nach Kreuzberg kommt, haben sie den Platz hier verdient.

Für alle, die »Superpunk« kennen, dürfte ich im Folgenden nicht mehr viel erklären müssen. Für den Rest: Superpunk wurde irgendwann in den 90ern in Hamburg aus ein paar anderen Vorgängerbands gegründet und haben coole, von der Wikipedia als Punkrock, Garagenrock und Northern Soul bezeichnete Musik gemacht. Ich würde dazu allerdings ganz einfach New Wave Punk zwischen »Joy Division« und »Tocotronic« sagen, da weiß wenigstens jeder, was gemeint ist.

Nichtsdestotrotz geht es hier um »Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen«, die, und nun versteht man vielleicht meine lange Einleitung, irgendwann viel später aus den Überbleibseln von Superpunk in Berlin entstanden sind.

Sie singen auf Deutsch, sie singen fröhlich, sie singen ziemlich so wie Superpunk, aber vor allem singen sie genau nach meinem Geschmack: Intelligent, selbstironisch und witzig. Und sie verkünden ein glückliches Leben in der Katastrophe.

Das Allerbeste ist aber, dass sich die Herren dazu entschlossen haben, ein Weihnachtskonzert im Bi Nuu zu spielen, wo sie am 29. Dezember ihr neuestes Album auf die Bühne bringen. Mit von der Partie sind Hochkaräter der Szene: Botschaft, Timo Blunck und – Trommelwirbel – Andreas Dorau!

Nun aber, liebe Leserin, lieber Leser, überlasse ich Ihnen selbst wieder die vorweihnachtliche Qual-der-Wahl der wunderbaren Weihnachtskonzerte in Berlin. Zeit für Besinnung finden wir auch in den anderen elf Monaten.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2018.

Endlich sind sie wieder müde

Laing schmiegen sich aus der Vergessenheit ins Ohr der Hörer

Erinnert sich eigentlich noch jemand an Laing? Das war diese Gruppe, die Trude Herrs »Morgens bin ich immer müde« auf eine vergleichsweise laute, schrille, aber in erster Linie elektronische Art gecovert hat. 2011 war das, als die Berlinerin Nicola Rost, die als Leadsängerin, Produzentin und Songwriterin die ausgemachte Mutter der Band ist, diesen Track in die gierigen Hände der Öffentlichkeit entließ. Der Bundesvision Song Contest, bei dem die insgesamt vier Berlinerinnen aus unerfindlichen Gründen für Sachsen antraten, katapultierte die Gruppe dann zuerst auf Platz zwei des Wettbewerbs und in den Nachwehen in die ­Charts. Darauf folgten gleich noch zwei Alben und zwischendurch die eine oder andere Single und dann: nichts.

Gerüchte ließen verlauten, dass Geld fehle oder Ideen oder beides. Im Spätsommer dieses Jahres erschien dann allerdings ein Kinofilm. Der war zwar nicht über die Band, aber mit ihrer Musik. Und prompt erschien eine Woche später das neue Album »Fotogena«.

Den sogenannten »Elektro-Soul-Pop«-Stil behalten sie bei. Tatsächlich bin ich bei jedem Song aufs Neue überrascht, wie kraftvoll, sicher und gleichzeitig zart die Stimmen der drei Sängerinnen einzeln und zusammen ein kleines Kunstwerk bilden. Oder um es mit den Worten eines guten Freundes von mir zu sagen: »cremig und geschmeidig wie schmelzende Butter in deinem Ohr«.

Das besondere Gefühl für die deutsche Sprache, auch von der Klarheit der Gedichte Kästners und Tucholskys inspiriert, ist auffallend holperfrei mit den manchmal marschierenden, manchmal schwebenden Synthesizer-Beats kombiniert. So gut, dass ich mich tatsächlich frage, was zuerst war: Text oder Beat?
Für das Konzert, das die vier Frauen am 18. November im Lido geben, gibt’s leider keine Karten mehr. Aber wir haben Glück: Für den 31. Januar im Columbia Theater kann man sich noch schnell Tickets sichern, bevor Laing vielleicht wieder für vier Jahre in der Versenkung verschwinden.

Erschienen in der gedruckten KuK vom November 2018.

Zu schön, um wahr zu sein

Sophie Hungers Musik ist wie eine Wunderkiste

In Vorbereitung auf diesen Text höre ich mich seit nun vier Stunden durch das Gesamtwerk der Künstlerin, Songwriterin, Sängerin, Musikerin sowie begabten Instrumentalistin Sophie Hunger. Zum ersten Mal wurde ich auf sie vor ein paar Jahren durch meine Schwester aufmerksam, als sie mir die beiden ersten Alben mit dem Kommentar »meine liebe, tolle Sophie« zukommen ließ.

Jetzt erfährt die gebürtige Bernerin einen neuen Aufwind. Ein neues Album hat sie herausgebracht, und es ist, wie schon jedes Album zuvor, wieder neu, anders und besonders. Doch gehen wir chronologisch vor.

Als Diplomatentochter aufgewachsen, lebte Sophie Hunger noch vor ihrem Abitur in Bern, Bonn, London und Zürich. Sie lernte Klavier, ihr Vater führte sie in die Welt von Jazz und Punkrock ein. Während ihrer Studienzeit hatte sie eine Band und sammelte Musikerfahrungen auf Bühnen und Jams. Als die Band sich dann 2007 auflöste, erschien Hungers erstes Solo­album und ein Jahr später ihr erstes Studioalbum »Monday’s Ghost«, mit dem sie sich butterweich und zart für 46 Wochen auf den ersten Platz der Schweizer Charts gesungen hat. Alle weiteren Alben waren, mal auf Englisch, mal auf Deutsch oder Französisch, auch in Deutschland und Österreich lange sehr weit vorn.

Hungers Musik, ihr bisheriges Gesamtwerk, erinnert mich jetzt, da ich alles auf einmal höre, an eine Werbung, die ich neulich vernahm. Ein Klamottengeschäft warb damit, dass man dort unkompliziert hochwertige Kleidung für jeden Anlass (und das mit fünf Jahren Garantie) erwerben könne. Das hat auch die liebe, tolle Sophie zu bieten. Manche Tracks scheinen perfekt, um mit der Familie vorm Kamin zu sitzen. Mit anderen begleitet man lieber den ausschweifenden Koch- und Wein­abend mit Freunden. Und auf ihrem neuesten Album »Molecules« zeigt sie, dass auch elektronische Klänge keine Hürde sind, was auch die weitreichende Begeisterung der Besucher ihrer Konzerte im SO36 und im Columbiatheater bestätigte. Hunger ist wie die Coole auf dem Schulhof: Jeder mag sie, jeder will mit ihr befreundet sein. Und auf eine Reise lässt sich ein jeder von ihrer wunderschönen Wohlfühlstimme mitnehmen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2018.

Tradition en masse

Das SO36 wird in diesem Jahr 40

Süd-Ost 36, so so. Das jedenfalls ist die Bedeutungserklärung, die man von den Berlinern bekommt, wenn man (so wie ich) hierher zieht. Dass das SO36 ein traditionsreicher Ort sein muss, war mir ziemlich schnell klar, als ich mich wild fuchtelnd auf einer der monatlichen 80er-Partys dort wiederfand. Ziemlich viel Parkett, ziemlich viel Putz, ziemlich viel alt. Jetzt wird das SO (wie man es in der Szene nennt) 40 Jahre alt.

Ganz bescheiden, wie man diesen Veranstaltungsort so kennt, gibt es darum nicht viel Tumult. Die Betreiber haben ein T-Shirt herausgebracht, schwarz, Baumwolle, 15 Euro.

Viel passiert ist in und um den Club seit 1978. Anfangs war das SO eine Anlaufstätte für Fans der Punk- und Besetzerszene. Die Dead Kennedys haben hier gespielt, Exploited stand auf der Bühne, fertig war der Ruf um die außergewöhnlichen Konzerte.

Auf ihrer Website (www.so36.com) zählen die Betreiber einige der Künstlerinnen und Künstler auf, die sich bereits auf der traditionsreichen Bühne vergnügt haben – eine Liste, die sich sehen lassen kann. Zu meinen persönlichen Favoriten gehören die Ärzte, Beatsteaks, Atari Teenage Riot, The Offspring und, um einmal aus der Gitarren-Schrammel-Richtung abzuweichen, auch Freundeskreis und Blumentopf. Ziemlich viel wow! Irgendein Gefühl zwischen Bewunderung und Neid auf alle, die dabei waren, schleicht sich beim Lesen dieser Liste heimlich bei mir ein.

Der Bezirk hat sich mittlerweile ganz schön verändert, doch das SO präsentiert sich noch genau so, wie es meiner Vorstellung von damals entspricht. Wichtig ist, dass jegliche Form Rassismus, Sexismus und Homophobie verbannt wird.

Es scheint, als würden die Betreiber nie alt oder vielleicht auch nur nie langweilig. Der Verein (und nun Achtung, für alle die immer froh und munter die Bedeutung mit Süd-Ost erklärt haben) Sub Opus 36 e.V. fördert Kultur und fördert Diversität. Und das – so bleibt für mich zu hoffen – noch viele weitere 40 Jahre lang. Happy Birthday SO36, du liebes, schönes Stück Kultur.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2018.

Ausschweifungen mit Knochen

Die italienische Band »Esquelito« haut einen vom Stuhl

Wie lernt man eigentlich neue Musik kennen? Mal ganz von der wunderbaren Mundpropaganda abgesehen, ging es hier früher wohl sehr in die Richtung Plattenläden. Heute dreht sich ja bekanntlich alles um Musik-Streamingdienste. Dass man allerdings Musiker und Musikerinnen kennen lernt, die einem dann ihre Musik zeigen, die dann vielleicht auch noch gefällt, passiert ja schon eher selten.

Aber es passiert: Im letzten Monat war einer meiner Mitbewohner verreist und wir haben sein Zimmer an Kreuzberg-Besucher und -Besucherinnen untervermietet. Unter ihnen war ein junges Künstlerpaar aus Italien. Sie, Ilaria, ist Autorin in Rom und war hier, weil ihr Buch »Tu dir weh« jetzt auf Deutsch erscheint. Er, Dino, ist eigentlich Friseur, aber nur weil man laut eigener Aussage in Italien niemals Geld mit Musik verdienen wird. Denn, und der aufmerksame Leser ahnt nun sicherlich, wohin das geht, er macht Musik. Und zwar richtig gute.

So saßen wir eines Morgens zusammen und haben uns durch seinen YouTube-Kanal gehört und geschaut. Klar, dachte ich, ein bisschen Musiker sind wir doch alle, und habe mich noch mit Schlafsand in den Augen auf ein paar verkruschelte Proberaumaufnahmen à la Gitarre/Schlagzeug/Stimme/Bass eingestellt. Um dann voller Begeisterung fast vom Stuhl zu fallen. Dino macht auch alleine Musik, aber sein Herz gehört seiner Band Esquelito – Skelett.

Auf Italienisch und Englisch singen sie über Gott und die Welt, aber mit einem umwerfenden Sound, irgendwo zwischen Franz Ferdinand, Black Keys und John Frusciante. Auf ihrer Bandcamp-Seite (esquelito.bandcamp.com) beschreiben sie sich allerdings als Samba-Punk-Band. Auch ein paar sehr ordentlich produzierte Musikvideos findet man online: Herrlich selbstironisch geht es dabei einmal um Skelette, um mexikanische Skelette und, na ja, weitere Ausschweifungen rund ums Thema Knochen. Davon aber nicht abschrecken lassen – die Musik macht richtig Spaß. Hören, kaufen, weiterverbreiten.
Den nächsten Berlin-Besuch, da bin ich mir verdammt sicher, machen die beiden dann wegen eines Bandauftritts.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2018.

Von Zeitreisen und Blues

All Blue ist eine Perle der Kreuzberger Musikszene

Im letzten Monat wurde nach klassischer Junimanier viel im ganzen Kiez gefeiert. Eines der Feste fand, wie vielleicht einige mitbekommen haben, im backbord in der Gneisenaustraße statt. Der fünfzehnte Geburtstag der Kneipe wurde von viel Bier, guter Laune und Livemusik begleitet.

Den musikalischen Rahmen gestalteten die vier Männer der Kreuzberger Urgesteinband All Blue. Taki, Eberhard, Jascha und Fritz heißen die Musiker, die sich über zwei Sets hinweg klanglich der Musikgeschichte gewidmet haben.

Die Band gibt es laut eigenem Bekunden schon seit hundert Jahren. Viele Auftritte in Kreuzberg haben sie hinter sich und sogar einen in Weißensee.
Ich genoss die Musik von draußen, was der Qualität keinen Abbruch tat und manchmal sogar einen kleinen Abschweifer zuließ.
Es ging los mit einigen bekannten und unbekannten Bluessongs. Herausragend interpretiert machte sich bei mir infolgedessen oft das freie und unbeschwerte Gefühl eines Kneipenabends in einem in Amerika beheimateten Pub Mitte der 20er Jahre breit. Hierzu trugen besonders auch die selbstgemachten Lieder in Blues und Rock ihren Teil bei.

Kurz vor Ende des ersten Sets ging diese Zeitreise weiter und wurde vor allem sehr lokal. Stichwort ist hier: Hausbesetzer-Hausband. Ein guter »70er-Jahre-Ton-Steine- Scherben-Schrammel- Sound«, wie einer der Gäste lobend beschrieb, ertönte von drinnen. Sehr authentisch und zwar nicht nur wegen des Heimatbezugs.
Bier, Kippe, Verschnaufpause und weiter ging’s ins zweite Set, in dem die Vier, wie ein Freund von mir zu sagen pflegt, »nochma ordnlich een ham kiekn lassn«.
Zeitreisetechnisch ging es wieder weiter zurück in die Vergangenheit – nächster Stopp: 60er.

Psychedelische Klänge ganz nach Pink Floyd bestimmten den Part. Und auch vor der intensiven Verwendung von Synthesizern machten sie keinen Halt. Lang gezogene Gitarrenriffs hinterließen bei mir vor allem einen Eindruck: groovy!

Nach beiden Sets und diesem riesigen Repertoire an Musik tobte die Meute, der Laden bebte, das Publikum war begeistert – und hatte trotzdem nicht genug. Einen langen und lauten Applaus später brachte die Band noch einen letzten Hit. Der begann mit »Immer wieder Sonntag« und verwandelte sich langsam aber sicher (und davor sei der Hut gezogen) in Black Sabbath. Gesamteindruck des Abends: All Blue – unbedingt auf jeden Fall und unter allen Umständen merken.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2018.

Was will er mir sagen?

HipHop zum Mitdenken

Zwischen Karneval der Kulturen und Fête de la Musique ist im Juni musikalische Verwirrung in Kreuzberg angesagt. Wer noch den kubanischen Trommeln hinterhertrauert oder sich vorbereitend mit dicken Bässen umgibt, kann hier auch schon wieder aufhören zu lesen. Für den Rest gibt es: Hiphop.

Ein kleines Berliner Künstlerkollektiv um den Sänger und Schauspieler Robert Gwisdek aka Käptn Peng und seiner Band »Die Tentakel von Delphi« hat es mir diesen Monat besonders angetan. Für den Kontext und im weiteren Verlauf wichtig zu wissen ist, dass ich sonst gar nicht so gern gerapptes und gesprochenes Deutsch höre (schon für die seichte Poesie der Beginner habe ich Jahre gebraucht). Allerdings besingen die fünf Musiker, die sich nebenbei bemerkt schon aus Kindheitstagen kennen, genau das nicht, was ich sonst an Hiphop so missraten finde: Diss. Konsequentes Beleidigen anderer Menschen, anderer Städte, generell anderem Alles.

Bei Käptn Peng & den Tentakeln von Delphi habe ich eher das Gefühl, etwas zu lernen. Na ja, oder wenigstens einen Blick dafür zu bekommen, über was man sonst noch so alles Musik machen kann. Die sehr verkopften Tracks handeln von der Unmöglichkeit und Unwahrscheinlichkeit der menschlichen Existenz, einer Liebesgeschichte zweier Menschen, die sich in Füchse verwandeln und einer verqueren Vorstellung von Zeit und Raum. Der O-Ton: Nimm dich und dein Leben einfach nicht ganz so ernst, du bist auch nur ein kleiner Teil des Universums, lass dich fallen, leb spontan. Sarkastisch, ironisch, skurril sind die Worte, die die Lyrics wohl am besten beschreiben. Begleitet wird der MC dadurch von Beats, die konsequenterweise keinem normalen Schlagzeug entstammen, sondern wahlweise Koffern, einem Betonmischer oder dem Kontrabass.

Im Dezember erst hat die Gruppe im Lido ihr neuestes Werk vor einem schwitzenden, lachenden und komischerweise alle Texte mitrappenden Publikum zum Besten gegeben – Hut ab dafür, das ist nämlich in Anbetracht der hohen Wort­an­zahl pro Sekunde gar nicht so leicht.

In den nächsten Monaten gibt es leider erstmal kein Konzert in heimischen Gefilden. Schließlich steht, wie so üblich um diese Jahreszeit, ein langer Festivalsommer bevor. Gut für uns: genug Zeit, um unsere Zungen zu trainieren und beim nächsten Mal so richtig loszufeuern. Und vielleicht ist dann auch endlich der Moment gekommen, an dem wir alle Meta- und Betaebenen der gerappten Gedichte semantisch durchblicken können.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juni 2018.

Ziemlich glückselig

Die »Balkan Beats« mischen regelmäßig das Lido auf


Normalerweise bin ich ja auch eher dafür, Künstler zu empfehlen. Die haben die gleichen Songs, über die kann man reden und man kann sie wieder und wieder anhören. Bei Partys ist das schon etwas anderes. Da gibt es auch Künstler – unter Profis auch DJs genannt – aber die sind eben immer andere und haben auch immer andere Songs dabei, die sie manchmal auch nur einmal so spielen, wie genau dieses eine Mal.

Doch trotzdem hat sich eine Kreuzberger Party nun schon sehr oft als sehr gut und darin auch konstant bewiesen. Es geht um »Balkan Beats«. An jedem zweiten Samstag im Monat wird das Lido in der Cuvrystraße auf den Kopf gestellt: Verschiedene Musiker verwandeln die Besucher des Clubs – mit Instrumenten oder Mischpult – für einen Abend in eine riesige, tanzende, trinkende und ziemlich glückselige, bosnische Hochzeitsgesellschaft. Das Parkett des Lidos hüpft dabei gleichsam fröhlich auf und ab. Die Künstler verbinden die von Akkordeon, Dudelsack und Blasinstrumenten geprägte osteuropäische Musik mit viel Bass und einer Prise Elektroswing und heraus kommt eine Art, bei der mit Sicherheit kein Bein stehen bleibt.

Das nächste Mal kann man dieses nächtliche Tanz Work-Out am 14. April erleben. Vorher spielt noch die Band Marko Marković aus Serbien, die sich dem jungen Crossover des sogenannten Balkan Brass verschrieben hat. Ab 21 Uhr geht es los, 12 Euro kostet der Eintritt, wer erst nach Mitternacht kommt, zahlt nur noch 7 Euro.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2018.

Mit Perlenkette und Lippenstift

Ezra Furman ist mehr als ein genialer Musiker


Das Saallicht geht aus, vier komplett in weiß gekleidete Musiker betreten die Bühne des Festsaals Kreuzberg. Nach ihnen sieht man eine in langem, schwarzen Mantel gekleidete, schlaksige Person auf die Bühne wanken.

Als Ezra Furman mit seiner Musik be­ginnt, fühlt es sich nicht so an, als ob hier eine unglaublich berühmte Persönlichkeit spielen würde. Viel eher empfindet man, als fände das Konzert in einem Wohnzimmer unter Freunden statt. Der Künstler wirkt schüchtern, emotional und überhaupt nicht wie das, was man herkömmlich als Bühnenfigur bezeichnet. Allerdings ist er trotzdem voller Präsenz und Ausstrahlung. Furman interssiert sich für sein Publikum und versucht immer wieder beim Singen und Spielen inmitten des gedimmten Lichtes Gesichter auszumachen, Menschen zu erkennen. »Was sind das für Menschen, die meine Konzerte besuchen?« ist die Frage, die dem Künstler offensichtlich im Kopf umhergeistert. Vielleicht, weil er mehr verkörpert, als Popmusik. Mit rotem Lippenstift und einer großen, weißen Perlenkette um den Hals erinnert er ein wenig an den androgynen Bowie. In Zeiten der MeToo-Debatte ist das ein wichtiges Statement über Sexismus, sexuelle Orientierungen und das Sich-Definieren-Müssen. Doch nicht nur politisch sondern auch musikalisch und emotional überzeugt Furman auf ganzer Linie. Inmitten der in weiß gekleideten Musiker besingt er das Leben und wirkt teils zerissen von der eigenen Musik und den tiefgehenden Melodien. Performt die außergewöhnliche Formation auf der Bühne die schnellen und beschwingten Songs, die man teils auch bereits aus dem Radio kennt, springt Furman wie auf einem Trampolin auf der Bühne umher und steckt mit seinem strahlenden Lachen jeden und jede Einzelne bis in die hintersten Reihen an. Völlig verausgabt und mit Tränen in den Augen verabschiedet sich der aus Chicago stammende Musiker zusammen mit seiner Band »The Visions« nach drei Zugaben und unendlich vielen Danksagungen an das Publikum und hinterlässt es als einen ebenso emotionalen Haufen begeisterter Menschen.

In Ansätzen kann man das, was da auf der Bühne passiert ist auf dem neuesten Album »Transangelic Exodus« nachhören. Und auch wenn es nicht live ist: mitreißen tut die Musik so oder so.

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2018.

Deutschlands intelligenteste Band

Tocotronic auf dem Weg in die Ewigkeit


»Die Unendlichkeit« – so lautet der Titel des neuen, mittlerweile zwölften Studioalbums der Band Tocotronic. Seit 25 Jahren gibt es die Gruppe um Sänger Dirk von Lotzow nun schon – und das ist, nach eigener Aussage, der Unendlichkeit ja schon ziemlich nah.

Angefangen haben die Musiker als Dilettanten. Was sie machen wollten, war zwar schon so etwas wie Musik, Instrumente spielen konnte aber keiner von ihnen. Und das war auch nicht wichtig. Entscheidend war, was wie gesagt und gesungen wird. Das war früher schon neu und auch heute gibt es keine deutschsprachige Band, die ihren Texten so viel Inhalt mit auf den Weg gibt, wie Tocotronic. Mit einem ungetrübten, selbstironischen Blick behandeln sie Themen, die ein ganzes Leben mit Stoff zum Denken ausfüllen. Manchmal geht es um den Alltag, manchmal um Liebe, manchmal um Rebellion und oft kann man das auch gar nicht so genau sagen. Dabei würden sie dem Hörer jedoch niemals eine Meinung aufdrücken. Viel eher vermitteln sie eine Einladung zum Selbstdenken.

Manche der Liedzeilen sind im Tocotronic-Kosmos mittlerweile zu geflügelten Worten aufgestiegen und verkörpern jedenfalls ein bisschen den Geist der vier Musiker. »Pure Vernunft darf niemals siegen«, »Im Zweifel für den Zweifel« und »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« sind nur drei Perlen aus den Untiefen der ausgefeilten Texte. Würde man den Wunsch haben, die Band in eine Schublade zu stecken, so wäre es mit Sicherheit eine mit der Aufschrift »Hamburger Schule« – eine Musikrichtung, die sich durch meistens simple, aber gut durchdachte Musik aus Gitarre, Schlagzeug, Stimme und Bass mit Elementen aus dem Punk, Grunge und experimentellem Pop zusammensetzt und großen Wert auf kluge und sozialkritische Texte legt.

Neben ihrer musikalischen Arbeit unterstützen Tocotronic auch antifaschistische Kampagnen (z.B. »I Can’t Relax in Deutschland«) und setzen sich zusammen mit »Pro Asyl« für den Schutz von Geflüchteten ein.

Im April werden Tocotronic zwei Konzerte in der Columbiahalle spielen. Die ins Ohr gebrachte Unendlichkeit – ein Erlebnis, das sowohl für langjährige als auch ganz neue Fans und Bald-Fans sehr lohnenswert ist.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2018.