Watschenfrau will nicht mehr

Es war ein glänzender Triumph für Dr. Franz Schulz, als er vor vier Jahren endlich wieder ins Amtszimmer des Bürgermeisters einziehen durfte und dann noch mit einer satten Mehrheit der Grünen im Rücken. Da kann man auch mal großzügig sein und jemanden ohne Parteibuch in die Verwaltungsspitze holen. Er holte eine ausgewiesene Expertin in das Ressort, das er so lange verwaltet hatte. Jutta Kalepky, Vorstandsmitglied in der Architektenkammer, Koordinatorin bei der Internationalen Bauausstellung und Gastprofessorin in Kassel. Dumm nur, dass diese Expertin soviel nicht zu sagen hatte, weil Schulz ja eigentlich auch Gefallen an den Aufgaben des Baustadtrates gefunden hatte – immerhin ein sehr kreatives Ressort. Wieviel sie tatsächlich zu sagen hatte, zeigte sich bald. Während sie noch mit dem Runden Tisch über die künftige Nutzung des ehemaligen Kasernengeländes hinter der Reinhardswaldschule als Jugendzentrum verhandelte, hatte Schulz das Gelände hinter ihrem Rücken bereits einem merkwürdigen Kunstverein zugeschlagen. Beim Streit um die Admiralbrücke war sie es, die die Kastanien aus dem Feuer holen sollte und sich dabei die Finger verbrannte. Zuletzt wurde ihr vorgeworfen, sie sei im Urlaub gewesen, als in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sekundarschule im Graefekiez der Baunotstand ausbrach. Immerhin stand zwei Tage später ihre Kollegin Monika Herrmann mediengerecht auf der Baustelle vor den rbb-Kameras und ließ an der Bezirksamtskollegin kein gutes Haar. Vielleicht hat Jutta Kalepky Fehler gemacht, vielleicht sogar viele oder gar haarsträubende. Trotzdem bleibt bei der Personalie ein merkwürdiges Gefühl zurück. Es scheint so, als habe sie von Anfang an im Bezirksamt die Rolle der Watschenfrau übernehmen müssen. Dank eines übermächtigen Bezirksbürgermeisters waren ihre Handlungsspielräume gering, aber um Prügel einzustecken war sie dann noch noch gut genug.

Gute Idee bringt bares Geld

Mediatorinnen loben Preis für Admiralbrückenbefriedung aus

Kommt nun Bewegung in den Streit um die Admiralbrücke? Im Mai wurde »Streit Entknoten – Büro für Mediation und Interkulturelle Kommunikation« vom Bezirksamt eingeschaltet, nachdem sich der Bezirk darauf geeignet hatte, den Konflikt durch eine Mediation zu lösen.

Sosan Azad und Doris Wietfeldt sollen nun erst einmal herausfinden, wo die Konfliktlinien verlaufen und wo Gespräche sinnvoll geführt werden können.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Mediation ist strikte Neutralität. Mediatoren sind dazu da, zwei Seiten miteinander ins Gespräch zu bringen, die bislang im gegenseitigen Umgang sprachlos waren.

Der Streit um die Admiralbrücke schwelt nun schon seit mehr als zwei Jahren. Zum ersten Mal drang er ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, als Stadträtin Jutta Kalepky ein Schild an der Admiralbrücke anbringen ließ. Darauf bat sie die Brückenbesucher höflich darum, die Brücke sauber zu halten, den Müll selbst zu entsorgen, ab 22 Uhr die Nachtruhe der Anwohner zu beachten und auf das Musizieren zu verzichten. Sie begründete dies mit dem denkwürdigen Satz: »Wasser ist ein guter Schallüberträger«. Das Schild hing nicht besonders lange.

Spätestens nun wurde jedem klar, dass die Admiralbrücke an lauen Sommerabenden eine der angesagtesten Feierlocations der Stadt ist.

Die Anwohner wehrten sich gegen Krach und Müll auf der Brücke, doch je höher sich der Streit aufschaukelte, desto mehr zog die eiserne Brücke im Jugendstil junge Leute zum abendlichen Sonnenuntergangs­spektakel mit Musik an. Inzwischen vergeht kaum eine Woche, an der nicht irgendein Fernsehteam an der Brücke auftaucht, um junge Menschen zu interviewen.

Einerseits ist hier eine Art Touristenattraktion entstanden, andererseits klagen die Anwohner ihr Recht auf Nachtruhe ein. Und hier wollen Sosan Azad und Doris Wietfeldt nun einen Weg finden.

Sie wählen nun eine für eine Mediation vielleicht etwas ungewöhnliche Methode: Sie haben einen Ideen-Wettbewerb ausgeschrieben. Wer glaubt, eine Methode zu kennen, den Frieden zwischen Anwohnern und Brückenbesuchern herzustellen, kann sich daran beteiligen. Die fünf besten Vorschläge werden mit 100 Euro prämiert. Das Geld kommt aus dem Resort von Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers (SPD), der »Streit Entknoten« mit der Mediation beauftragt hat. Sechs Monate soll das Mediationsverfahren dauern.

Die Vorschläge können formlos bis zum 31. August eingereicht werden. Alle Informationen zu den Teilnahmebedingungen gibt es auf der Webseite des Mediationsbüros.

Die Mediatorinnen hoffen auf eine rege Beteiligung. »Mit dem Ideenwettbewerb haben Sie die Möglichkeit, sich für ein konfliktfreies Miteinander auf der Admiralbrücke einzusetzen und das Leben im öffentlichen Raum mitzugestalten. Die Brücke soll als Ort der Begegnung bewahrt und der verantwortungsvolle Umgang soll gefördert werden«, heißt es in einer Mitteilung der Mediatorinnen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2010.

Schneller zapfen für die Sicherheit

Es ist ja eine alte Binsenweisheit, dass Regen die folkloristischen Maikrawalle deutlich abmildert. Insofern hat auch das feuchte Nass seine segensreiche Wirkung entfaltet. Und natürlich die erfolgreiche Verhinderung des Naziaufmarsches am Prenzelberg! Auch das trug sicherlich zum relativen Frieden bei. Und die Alkoholverknappungsstrategie des Bezirks? Ein komplett alkoholfreier 1. Mai findet wohl nur in Hardcore-Temperenzler-Kreisen ungeteilte Zustimmung. Gut – man könnte dem Bezirksamt zugutehalten, dass jede Flasche, die nicht da ist, auch nicht geworfen werden kann. Dass aber ein Bühnenbetreiber vom Bezirks­amt faktisch gezwungen wird, während des My-Festes alle neun Sekunden einen halben Liter Bier zu verkaufen, um die verordneten Ordner finanzieren zu können, ist schon kurios. Kein Wunder, dass der Physiker Dr. Franz Schulz in die Politik gegangen ist. Wenn er so gut rechnen kann…

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2010.

Ordnungsrechtliche Kleinkrämerei

Seit Jahren ist Kreuzberg alljährlich Schauplatz von Randale und Krawall. Jetzt hat das Bezirksamt den Übeltäter ausfindig gemacht: Alkohol, vor allem in Flaschen. Zweifellos enthemmt Alkohol, und zweifellos fliegen im Zuge der Konfrontationen mit der Polizei leere Flaschen oder meinetwegen auch volle Dosen. Und ja, der 1. Mai ist ein gesetzlicher Feiertag, an dem die Ladenöffnungszeiten per Gesetz eingeschränkt sind. Aber ein Straßenfest lebt auch und gerade von seiner Stellung als Ausnahmezustand: Wo sonst Autos fahren stehen Bühnen, und am Straßenrand gibt es Stände, und da gibt es dann eben auch – einmal im Jahr – Bier zu kaufen. Wenn jetzt das Bezirksamt durch ordnungsrechtliche Kleinkrämerei versucht, die Problematik des 1. Mais zu lösen, dann ist das vor allem eine Bankrotterklärung, die auch die trifft, die einfach friedlich feiern wollen und ihr Bier lieber trinken als es zu werfen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom April 2010.

Club im Clinch

Hausverwaltung kündigt dem SO36

Anstatt sein 30. Jubiläum in Ruhe zu feiern, muss sich das SO36 in der Oranienstraße mit immer neuen Problemen herumschlagen.

Mitte des Monats fanden die Betreiber des über die Grenzen der Stadt bekannten Veranstaltungsortes die Kündigung ihres Mietvertrags in der Post. Der Grund: die ausstehende August-Miete, die mitt­lerweile beglichen ist. Vorangegangen waren dem Schreiben diverse Auseinandersetzungen des Betreiberkollektivs mit der Hausverwaltung über vom Ordnungsamt geforderte Baumaßnahmen – eine 80.000 Euro teure Schallschutzmauer war die letzte Hoffnung gegen einen beständig über Lärm klagenden Nachbarn des Clubs.

Immerhin die Hälfte der immensen Kosten für die Mauer sind mitt­ler­wei­le durch Spenden und ein Benefizkonzert der Toten Hosen zusammengekommen, aber die Hausverwalterin Simone Stober scheint dem Vorhaben skeptisch gegenüber zu stehen. Zumindest ließ sie dem »Tip« gegenüber verlauten, dass sie bezweifelt, ob eine Mauer überhaupt etwas bringt. Auch ihre Äußerungen in der Berliner Zeitung erwecken den Eindruck, dass der legendäre Punk-Schuppen nicht ihr Traummieter ist. Sie wünscht sich eine »harmonischere« Oranienstraße, in der sich auch Familien wohlfühlen

Fünf der sieben Häuser in der »O-Straße«, die von der Firma Retus verwaltet werden und der Schwiegermutter von Simone Stober gehören, sind bereits saniert, und die Mieten wurden deutlich erhöht.

Auch die traditionsreiche Ecke rund um den Heinrichplatz ist inzwischen von der Gentrifizierungswelle überrollt worden. Die »Aufwertung« gewachsener Kiezstrukturen durch die Schaffung von höherwertigem und -preisigem Wohnraum für Familien und Besserverdienende hat schon für so manche kulturelle Institution das Aus bedeutet, Institutionen, die gerade das spezielle Flair und damit die Attraktivität des Kiezes ausmachen.

Im Falle der Institution SO36 gibt es noch eine leise Hoffnung. Immerhin redet man inzwischen wieder miteinander. Am 24. September saßen Betreiberverein, Hausverwaltung und Bezirksbürgermeister Franz Schulz zusammen am Runden Tisch, und sowohl im Bezirksamt als auch auf der Web­seite des SO36 ist man zuversichtlich, das Gespräch soll konstruktiv verlaufen sein.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2009.