Hans-Christian Ströbele hat noch was vor

Der Bundestagsabgeordnete der Grünen zu Gast im Too Dark

Hans-Christian Ströbele mit KuK-Redakteurin Manuela Albicker.

Foto: philsHans-Christian Ströbele mit KuK-Redakteurin Manuela Albicker. Foto: phils

Er ist sozusagen der seltenste Stammgast im Too Dark. Verlässlich alle vier Jahre kommt der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele in die Kellerkneipe in der Fürbringer Straße, nämlich immer dann, wenn er von der KuK zum öffentlichen Redaktionsgespräch mit Manuela Albicker und Peter S. Kaspar vor der Bundestagswahl eingeladen wird.

Es waren dieses Mal nicht ganz so viele Gäste da, wie vor den letzten beiden Wahlen. Trotzdem war das Too Dark gut gefüllt. Zeichen von allgemeiner Wahlmüdigkeit oder ein Zeichen für den Kandidaten? Hans-Christian Ströbele ist nun 74, und so musste er sich die uncharmante Frage von KuK-Chefradakteur Peter S. Kaspar nach dem Alter schon gefallen lassen. Doch er war natürlich nicht der erste, der sich erkundigt hat, und Ströbele ist viel zu sehr Profi, um sich dadurch aus dem Konzept bringen zu lassen. Lässig verweist er auf über 90 Prozent Zustimmung bei der Kandidatenaufstellung und vor allem auf die Unterstützung der jungen Grünen.

Trotzdem taucht die Frage in der Diskussion noch das eine oder andere Mal auf. Was drängt ihn, weiter zu machen und nicht in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen? Da wird er dann deutlicher. Er will einfach noch Dinge umsetzen und erreichen, für die er sich eingesetzt hat.

Im Moment, das spürt man, ist gerade auf den Themenfeldern, die seine Kernkompetenz ausmachen, so richtig was los: Menschenrechte, Geheimdienste, bürgerliche Freiheiten.

Einerseits ist da der NSU, andererseits die NSA. Zumindest bei ersterem ist jetzt gerade der Untersuchungsausschuss beendet worden. Kurz vor der Entdeckung des NSU hatte Ströbele 2009 eine kleine Anfrage zum Oktoberfestattentat in München gestellt. Auch hier wurden Akten geschreddert, verschwanden Zeugenaussagen. Ein Déjà-vu für Ströbele? Doch da hält er sich eher bedeckt. Eine rote Linie vom rechten Terror 1980 bis zu dem der NSU will er so nicht erkennen, wohl aber das Versagen der Inlandsgeheimdienste.

Und die NSA? Vier Jahre zuvor hatte Ströbele noch zum Druck durch die Straße gegen die Vorratsdatenspeicherung aufgerufen. Angesichts der monströsen Ausmaße des NSA-Skandals hat auch nach Ströbeles Ansicht die Vorratsdatenspeicherung nur noch Peanuts-Größe. Allerdings meint er verschmitzt: »Es gibt ja auch in der Union wohl keinen einzigen Politiker mehr, der sich für die Vorratsdatenspeicherung einsetzt. Dabei wollten sie das zum Wahlkampfthema machen.«

Trotzdem bleibt er natürlich wachsam, denn auch die europäische Datenkrake schläft nicht. Von bis zu 99 Jahren Speicherzeit ist die Rede.

Klar positioniert er sich zur Flüchtlingsfrage: Die Forderungen der Asylbewerber im Camp am Oranienplatz »sind alle absolut berechtigt.« Die Gründe für eine Residenzpflicht sind für Ströbele ebensowenig nachzuvollziehen, wie ein Arbeitsverbot.

Hier kann die Veranstaltung noch einmal nachgehört werden. Leider kam es bei der Aufnahme zu einer technischen Panne, so dass nur die zweite Hälfte aufgezeichnet wurde.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2013.

Talk im Too Dark

Die Kiez und Kneipe sprach mit dem Grünen-Kandidaten Hans-Christian Ströbele

Gesprächsrunde im Keller. Hans-Christian Ströbele beantwortet die Fragen von KuK und Publikum.

Foto: philsGesprächsrunde im Keller. Hans-Christian Ströbele beantwortet die Fragen von KuK und Publikum. Foto: phils

In unserer Reihe der Öffentlichen Redaktionsgespräche haben sich die KuK-Redakteure Manuela Albicker und Peter S. Kaspar mit dem Grünen-Direktkandidaten Hans-Christian Ströbele unterhalten.

Groß vorgestellt werden musste der inzwischen 74-Jährige den zahlreichen Besuchern des Too Dark nicht. Vor elf Jahren hatte er überraschend das Direktmandat im Wahlkreis gewonnen und es zwei weitere Male verteidigt. Jetzt kandidiert zum vierten Mal. Doch was sagen seine jüngere Parteikollegen dazu? Die, so erklärt er, seien durchaus zufrieden mit seiner Kandidatur und hätten ihn schließlich auch mit über 90% gewählt. Sie wissen, dass der Erfolg auch sehr konkret an der Personalie Ströbele hängt und dass er sich nicht einfach durch jemand anderes ersetzen lässt.

Das mag unter anderem daran liegen, dass er den Eindruck vermittelt, sich nicht nur der Bundespolitik verschrieben zu haben. In Sachen Görlitzer Park schließt er sich der Forderung seiner Parteikollegin Monika Herrmann an, die einen Coffeeshop als Modellprojekt aufbauen will, um das Dealer-Problem in den Griff zu bekommen. Überhaupt setze er sich schon lange für die Legalisierung von weichen Drogen ein.

Ein anderes Problem, das den Kiez bewegt, sind steigende Mieten und die damit einhergehende Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern. Beim Redaktionsgespräch vor vier Jahren hatte sich Hans-Christian Ströbele für gesetzliche Mietobergrenzen eingesetzt. Die gibt es zwar nach wie vor nicht, aber immerhin gehörten solche Obergrenzen inzwischen auch zu den Forderungen der Bundeskanzlerin – zumindest in der Wahlkampfphase.

War es beim letzten Mal unter anderem um die Vorratsdatenspeicherung gegangen, so beschäftigt derzeit eine weitaus größere Datensammlung Bürgerrechtler und Politiker: 500 Millionen Datensätze soll die NSA von Bürgern gesammelt haben. Ob die tatsächlich auch deutsche Bürger betreffen, vermag auch Ströbele, seit Jahren als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremium zuständig für die Kontrolle der Geheimdienste, auch nicht zu sagen. Allerdings verweist er darauf, dass es von Seiten der NSA nach Edward Snowdens Enthüllungen bislang auch kein Dementi gegeben habe.

Konkreter wird es dann, als ein Zuschauer die Frage nach einer möglichen schwarz-grünen Koalition stellt. Dafür sähe er keine Grundlage. Zwar höre man manchmal selbst bei der CDU Forderungen beispielsweise nach Mindeslohn, aber, so Ströbele, „Ich glaube doch nicht im Ernst, dass die CDU den Mindestlohn umsetzt.“

Ausführlicher werden wir in der September-KuK berichten, aber vorab kann hier schon unser Audio-Mitschnitt angehört werden. Leider kam es bei der Aufnahme zu einer technischen Panne, so dass wir an dieser Stelle nur die zweite Hälfte der Veranstaltung veröffentlichen können. Wir bitten, das zu entschuldigen und geloben Besserung.


Das nächste Redaktionsgespräch findet am heutigen Dienstag, 13. August in der Cantina Orange statt. Zu Gast ist der FDP-Direktkandidat Helmut Metzner. Los geht’s um 19 Uhr.

KuK lädt die Kandidaten

Offene Redaktionsgespräche in sechs Kiez-Kneipen

An sechs Terminen werden wir mit den Direktkandidaten des Wahlkreises über ihre Positionen zu Bundes- und Lokalpolitik sprechen. Plakat: csAn sechs Terminen werden wir mit den Direktkandidaten des Wahlkreises über ihre Positionen zu Bundes- und Lokalpolitik sprechen. Plakat: cs

Die Bundestagswahl naht wieder. Am 22. September wird gewählt, und auch diesmal hat Kiez und Kneipe wieder die Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen. Es gibt dieses Mal allerdings eine Neuerung. Aufgrund ihres sensationellen Erfolges bei der Berlinwahl und der Tatsache, dass die Partei auch stark in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten ist, wollen wir in diesem Jahr auch mit dem Kandidaten der Piraten diskutieren.

Die Spielregeln sind die gleichen wie immer: Die Kandidaten werden von unseren Redakteuren etwa 45 Minuten lang befragt. Dann ist das Publikum dran. Auch hier sind ca. 45 Minuten eingeplant.

Der Auftakt gebürt dem Doyen in der Runde. Hans-Christian Ströbele wird am 7. August um 19 Uhr in das Too Dark in der Fürbringerstraße 20a kommen. Er kennt das Format und die Location bestens und kommt auch jedes Mal gerne, weil ihm nach eigenem Bekunden beides sehr gut gefällt.

Tradition hat auch die Cantina Orange als Treffpunkt mit dem Kandidaten der FDP. Das hat allerdings nichts mit der Präferenz der Wirtsleute zu tun, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass Baden-Württemberg als das Stammland der Liberalen gilt. Und so ist auch Helmut Metzner in das Schwäbische Lokal in der Mittenwalder Straße eingeladen. Er kommt am 13. August ebenfalls um 19 Uhr.

Einen Tag später ist Halina Wawzyniak an der Reihe. Vor vier Jahren zog sie über die Landesliste überraschend für den Wahlkreis als Kandidatin der Linken in den Bundestag ein. Sie kommt am 14. um 19 Uhr ins Dodo in der Großbeerenstraße 32.

Für die SPD will Cansel Kiziltepe in den Bundestag einziehen. Wie sie das machen will, wird sie am 15. August ab 19 Uhr im »Gasthaus Valentin« in der Hasenheide erklären.

Für die CDU geht Götz Müller ins Rennen. Die KuK hat ihn für den 20. August um 19 Uhr in die Bar »Galander« in der Großbeerenstraße 54 eingeladen.

Da Piraten und Karibik irgendwie zusammengehören, liegt es auf der Hand, dass der piratische Kandidat Sebastian von Hoff im passenden Ambiente befragt wird.Im »Martinique« in der Monumentenstraße 29 steht er am 21. August ab 19 Uhr Rede und Antwort.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2013.

Fünf Kandidaten bei der KuK

Öffentliche Redaktionsgespräche zur Bundestagswahl

Fünf Termine mit fünf Kandidaten an fünf verschiedenen Orten. Die Beteiligten sind auch dieses Mal wieder zufrieden. Meist treffen sich die Bundestagsbewerber gemeinsam auf Podien, um ihre Standpunkte darzulegen. Das hat so seine Tücken. »Nach ein paar Wochen mit immer den Gleichen auf den Podien könnte jeder auch für die andere Partei Wahlkampf machen«, meint Hans-Christian Ströbele. Das Format, das Kiez und Kneipe wieder gewählt hatte, bietet dem Einzelnen mehr Freiraum und wird daher gut angenommen. Unsere Redakteure Manuela Albicker und Peter S. Kaspar trafen Markus Löning in der Cantina Orange, Vera Lengsfeld im Brauhaus Südstern, Hans-Christian Ströbele im Too Dark, Halina Wawzyniak im Mrs Lovell und Björn Böhning im Valentin.

Zu den Artikeln:

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

Löning will fröhlichen Wahlkampf

Der FDP-Landesvorsitzende in der Cantina Orange

Auch FDP-Politiker fahren in Kreuzberg manchmal Fahrrad, so zum Beispiel Markus Löning zur Cantina Orange, wo er als erster der fünf Direktkandidaten zum Kuk-Redaktionsgespräch antrat.

Der studierte Politikwissenschaftler arbeitete als Grafiker und hatte eine Werbeagentur, bevor er 2002 über die Landesliste der FDP in den Bundestag einzog. Mitt­lerweile ist der 49jährige Landesvorsitzender seiner Partei.

FDP-Kandidat Markus Löning im KuK-Redaktionsgespräch

Foto: rspFDP-Kandidat Markus Löning im KuK-Redaktionsgespräch Foto: rsp

Was treibt einen etablierten FDP-Politiker, der eigentlich aus Steglitz-Zehlendorf kommt dazu, ausgerechnet in einem Wahlkreis anzutreten, in dem das Wort »liberal« fast schon ein Schimpfwort ist? »Ich mache einen fröhlichen und siegesgewissen Wahlkampf und kämpfe natürlich dafür, dass die FDP insgesamt viele Stimmen bekommt und dass wir die Chance haben, in Deutschland insgesamt eine andere Politik zu machen«, sagt Löning.

Wie dies aussehen könnte, erklärt er am Thema Bildungspolitik: »Man sollte die Schulpflicht ein Jahr vorziehen, um die Kinder früher ans Lernen zu bringen, als es jetzt der Fall ist.« Weiter fordert er mehr Geld für Bildung und besonders eine bessere personelle Ausstattung von Hauptschulen.

Zum Themenkomplex Strukturwandel und Lärmempfindlichkeit neu zugezogener Kiezbewohner findet Löning deutliche Worte: »Wer hier hinzieht mit einem Fenster auf die Admiralbrücke, der kann sich nicht hinterher beschweren über den Lärm. Ich finde das ist einfach unlauter von Leuten, die da hinziehen und dann sagen, jetzt soll es hier aber so ruhig sein wie in Zehlendorf.« Die Festsetzung von Mieterhöhungen soll in der Hand der Vermieter liegen, ansonsten würden die Häuser verfallen. Eine Umsetzung der sozialen Marktwirtschaft sieht er mittels Genossenschaften, der Schaffung von Wohneigentum und – in Härtefällen – durch Mietzuschüsse des Sozialamtes.

Erwartungsgemäß liberale Ansichten hat Markus Löning zum Thema Rauchverbot und Ordnungsamtseinsätze. Die vielen Vorschriften und deren buchstabengetreue Auslegung und Durchsetzung schaden seiner Meinung nach insbesondere kleineren Betrieben und führen zum Verlust von Arbeitsplätzen. Chancen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sieht Löning am Spreeufer. Zwar trinkt auch er gerne mal ein Bier in einer der dortigen Strandbars, aber als Politiker müsse man abwägen, welche Nutzung der Flächen dem Land Berlin mehr Nutzen bringe.

Auf Schutz der Privatsphäre und der Rechte des Einzelnen legt die FDP nach Löning großen Wert. Die Themen Vorratsdatenspeicherung und Internetzensur würden mit wenig Sachkenntnis und viel Populismus diskutiert: »Ich denke auch daß das alles am Ende, nach dem Wahlkampf mit deutlich weniger Schaum vor dem Mund mal diskutiert werden muss…« auch hinsichtlich der Angemessenheit der zu ergreifenden Maßnahmen. »…wir brauchen ein Maximum an Freiheit, das Internet ist ein wahnsinnig wichtiges Forum auch zum Meinungsaustausch, da kann man nicht solchen Ideen von Vorgestern, wie das Herr Schäuble macht, kommen.«

Markus Löning findet, es gibt viel zuwenig Selbständige im Bundestag, weil das Risiko einer Geschäftsaufgabe zugunsten einer Kandidatur viel höher ist als zum Beispiel bei einem Beamten. Entsprechend schwierig gestaltet sich die tatsächliche Durchführung von Maßnahmen zum Bürokratie-Abbau.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

»Die CDU ist eine andere als vor 20 Jahren«

Vera Lengsfeld zu Gast im Brauhaus Südstern

Dass es überhaupt eine Kandidatin Vera Lengsfeld in Kreuzberg gibt, ist ihrem Kandidatenvorgänger Kurt Wansner zu verdanken. Der rief eines Tages bei ihr an und fragte sie in aller Unschuld, ob sie nicht die Kandidatin für den Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain werden wolle. Zunächst war sie verblüfft, dann aber dachte sie »Das ist aber ein nettes Angebot«.

Diese Aussage sollte nicht die einzige Überraschung an diesem Abend im »Brauhaus Südstern« sein. Die erste war, dass Vera Lengsfeld mit einem ausgesprochen wohlerzogenen Hund zur Fragerunde kam. Ein andere war ihre Reaktion auf die Reaktionen zu ihren umstrittenen Plakaten. Sie kann das Grumeln in der Partei gar nicht verstehen, erklärt aber, dass Frank Henkel, der neue Landesvorsitzende der Meinung sei, dass dieses Plakat der Landes-CDU 200.000 Euro Wahlkampfkosten gespart habe.

CDU-Kandidatin Vera Lengsfeld im KuK-Redaktionsgespräch

Foto: rspCDU-Kandidatin Vera Lengsfeld im KuK-Redaktionsgespräch Foto: rsp

Dass ihre Einstellungen häufig so gar nichts mit den Vorstellungen ihrer Partei zu tun haben, erklärt sie so: »Wenn ich heute hier rumgehe, habe ich das Gefühl, die Leute glauben, es sei noch die Partei wie vor 25 Jahren. Das kann ich ja verstehen, weil dieses Feindbild hatte ich vor 20 Jahren auch. Aber die Partei ist nicht mehr so. Den besten Beweis bietet mein Wahlplakat. Das wäre vor 20 Jahren unmöglich gewesen.«

Man wird an diesem Abend das Gefühl nicht los, als ob der einstmals treue Parteisoldat Kurt Wansner seiner CDU, die ihm vor vier Jahren so übel mitgespielt hat, einen Streich spielen wollte, der ihm noch besser geglückt ist, als er sich das vielleicht gedacht hat. Denn Vera Lengsfeld fand sich nach ihrer Wahlkreiskandidatur plötzlich auf einem einigermaßen aussichtsreichen Listenplatz wieder, nachdem die Basis gegen die Landesführung geputscht hatte.

Insofern hat Vera Lengsfeld wohl recht, dass sich ihre Partei geändert habe, doch als die Frage kommt, was ihre Partei für sie tue, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: »Nichts.«

Tatsächlich scheinen ihre Ansichten in vielen Fällen auch nicht gerade CDU-affin zu sein: in Sachen Vorratsdatenspeicherung findet die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, die selbst lange unter Observation gelitten hat, die Argumentation nicht schlüssig. »Ich habe Erfahrungen mit flächendeckender Überwachung gemacht. Ich bin nicht dafür, dass man die Bevölkerung entmündigt wegen einer Handvoll Terroristen.«

Nicht anders sieht es bei der Sperrung von Internetseiten aus. »Der Sperrung stehe ich sehr skeptisch gegenüber«, erklärt die CDU-Kandidatin zu dem Gesetz, das immerhin von der Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) stammt.

Die Piratenpartei will Vera Lengsfeld nicht unterschätzen. »Die beackert ein Feld, das von der Politik bisher vernachlässigt wird«, erklärt sie.

In der Diskussion überraschte Vera Lengsfeld schließlich noch mit ihrem klaren Bekenntniss zum bedingungslosen Grundeinkommen. Sie nennt es einen »Befreiungsschlag gegen die Überbürokratisierung, mit der wir zu kämpfen haben.«

Als es um die Mitbewerber ging, schnitt ausgerechnet Halina Wawzyniak von der Linken in den Augen der Unionspolitikerin am besten ab. Über ihren einstigen Mitstreiter Hans-Christian Ströbele zeigte sich die frühere Grüne dagegen verwundert. »Christian hat ganz zugeknöpft auf mein Plakat reagiert.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

»Jetzt muss der Druck der Straße her«

Hans-Christian Ströbele (Bündnis90/Die Grünen) zur Vorratsdatenspeicherung beim Besuch im Too Dark

Er ist der wohl prominenteste Kandidat, bekennender Fahrradfahrer, Cannabislegalisierungsbefürworter und Bürgerrechtler, und außerdem ist er der »Titelverteidiger« des Direktmandats im, wie er selbst sagt, »berühmtesten Wahlkreis Deutschlands«. Entsprechend groß war der Andrang im Too Dark in der Fürbringerstraße, entsprechend hoch auch die Erwartungen an den Grünen Hans-Christian Ströbele, den viele als ihren ganz persönlichen Kreuzberg-Vertreter im Bundestag sehen beziehungsweise gerne sähen.

Als Bundestagsabgeordneter ist er natürlich nicht für Lokalpolitik zuständig, setzt sich aber trotzdem mit den Angelegenheiten im Bezirk auseinander. Mit der Drückerstube am Kotti zum Beispiel, für die er bei Anwohnern um Verständnis wirbt. Nach seiner Meinung müsste auch der Senat mehr Geld zur Verfügung stellen, um längere Öffnungszeiten zu ermöglichen. Auch in Sachen Admiralbrücke will er sich für eine einvernehmliche Lösung einsetzen.

Grünen-Kandidat Hans-Christian Ströbele im KuK-Redaktionsgespräch

Foto: rspGrünen-Kandidat Hans-Christian Ströbele im KuK-Redaktionsgespräch Foto: rsp

Einige kiezspezifische Probleme ließen sich aber auch auf Bundesebene angehen: Zum Beispiel der Strukturwandel, der in Kreuzberg zu überhöhten Mieten führt. »Es muss auch Aufgabe des Gesetzgebers sein, bestimmte Mischungen der Bevölkerung erhalten zu können«, findet Ströbele und spricht sich für ein Bundesgesetz aus, das es der lokalen Verwaltung erlaubt, Mietobergrenzen festzulegen.

»Finanzmärkte entwaffnen!« heißt es auf seinem wieder von Seyfried gezeichneten Wahlplakat.

Aber wie soll das gehen? Sicher nicht mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das es der Regierung erlaubt, staatliche Unterstützungsgelder an die Banken zu zahlen, findet Ströbele. »Ich will als erstes das Parlamentsrecht wiederherstellen, dass über solche Summen wieder der Bundestag entscheidet und nicht ein Finanzminister alleine.« Außerdem soll die Regierung Rechenschaft über die Zahlungen ablegen und nicht, wie bisher bei Anfragen von Ströbele geschehen, die Geschäftsgeheimnisse der Banken vorschieben. Neben dem Afghanistan-Krieg, den Ströbele möglichst bald beendet wissen möchte, ist dies eine seiner Hauptmotivationen, wieder in den Bundestag zu wollen.

Zum Thema Vorratsdatenspeicherung und Webseitensperrung verweist Ströbele auf die Demo am 12. September. »Man darf nicht immer aufs Bundesverfassungsgericht hoffen, der Druck der Straße muss her.« Sperrungen von kinderpornografischen Webseiten findet er »ungeheuer gefährlich, weil man dadurch die Möglichkeit schafft, in Zukunft aus allen möglichen Gründen Internetseiten zu sperren.«

Von einer möglichen schwarz-grünen Koalition hält Ströbele nichts, will aber »nie ‚nie‘ sagen« – wie übrigens auch zur Frage, ob er sich vorstellen könnte, in vier Jahren erneut zu kandidieren. Schließlich ist der 70jährige schon jetzt einer der ältesten Politiker im Bundestag.

Eher philosophisch war dann die Publikumsfrage, woran man einen redlichen Politiker erkenne. Grundsätzlich sähe man das »an seinem Tun« – aber die Frage, wie sich Gewissen und etwa das Fortbestehen einer Koalition zueinander verhalten, dürfe man auch nicht unterschätzen. Auf jeden Fall sei es »nicht nur eine Frage des Charakters.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

»Mieter sollen am Mietspiegel beteiligt werden«

Halina Wawzyniak (die Linke) will ungewöhnliche Wege beim Strukturwandel gehen

Da Hans-Christian Ströbele mit dem Rad unterwegs ist, stellt sich auch bei den anderen Kandidaten die Frage, welches Verkehrsmittel sie präferieren. Halina Wawzyniak kommt zum Redaktionsgespräch mit der KuK im »Mrs Lovell« mit dem Motorroller. Tags zuvor hat sie sich beim Viertelmarathon schon laufenderweise durch den Kiez bewegt. Sportlich ist sie auf jeden Fall.

Die 36jährige ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, arbeitet als Justiziarin für die Bundestagsfraktion und gehörte der Programmkommission ihrer Partei an, das heißt sie bestimmt den Kurs ihrer Partei auch ganz maßgeblich mit.

Trotzdem sitzt da auf dem hohen Barhocker eine junge Frau, die die Probleme im Kiez nicht nur aus eigenem Erleben kennt, sondern sich sowohl positioniert, als auch engagiert. An der Admiralbrücke, so gesteht sie unumwunden, hat sie abends auch gerne gesessen und hat noch ein oder zwei Bierchen getrunken, als sie noch in Kreuzberg wohnte. Als das Thema auf das »SO 36« kommt, ruft sie gleich zum Besuch des Solidaritätskonzertes auf.

Ihre Rezepte gegen die Verdrängung aus den angestammten Wohngebieten, entnimmt sie dem Mietrecht. Miet­erhöhungen darf es nur im Rahmen des Erlaubten basierend auf dem Mietspiegel geben. An dem sollen in Zukunft aber auch Mieter beteiligt sein.

Direktkandidatin Halina Wawzyniak von der Linken im KuK-Redaktionsgespräch

Foto: piDirektkandidatin Halina Wawzyniak von der Linken im KuK-Redaktionsgespräch Foto: pi

Für ein anderes Problem, das der Strukturwandel mit sich bringt, hat die Juristin eine verblüffend einfache Lösung parat. Dass sich viele Zugezogene über den Lärm eingesessener Kneipen beklagten und bisweilen auch deren Aufgabe erzwingen können, ist in ihren Augen gar nicht nötig – wenn die Mietverträge anders ausgestaltet werden. »Zum Beispiel drin stehen würde: dem Mieter ist klar, dass er über eine Kneipe zieht, die Öffnungszeiten sind von da bis da. Dann würde es für ein Gericht schwieriger, zu Gunsten des Mieters zu entscheiden.«

Auf die Frage nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen bekennt sie, dass sie dafür eine gewisse Sympathie habe, räumt aber ein: »die Frage nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen ist bei uns in der Partei noch nicht ausdiskutiert.« Derzeit fordere die Linke laut ihrem Parteiprogramm, auf das sie verpflichtet sei, eine sanktionsfreie Mindestischerung von 800 Euro. Allerdings werde die Frage nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen nach der Wahl diskutiert werden.

Fragen ums Internet treffen bei Halina Wawzyniak ins Schwarze. Sie gibt zu, »süchtig« zu sein. Bei ihr wird getwittert und gechattet und gebloggt wann immer es geht.

Die Webseitensperre für kinderpornografische Seiten, der sich Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen verschrieben hat, nennt sie unverholen den Einstieg in die Zensur. Bayerns Innenminister Hermann versuche diese Zensur jetzt schon auf andere Bereiche zu übertragen. Halina Wawzyniak fordert dringend mehr Sachverstand in die Netzpolitik mit einzubringen und will sich dafür auch einsetzen.

Ihre persönlichen Chancen sieht sie realistisch. Sie glaubt nicht wirklich daran, Hans-Christian Ströbele gefährden zu können, schätzt aber, dass es zu einem interessanten Zweikampf zwischen ihr und Björn Böhning um den zweiten Platz geben wird. Und der Listenplatz: »Ich sammle ja fleißig Zweitstimmen und wenn wir 20 Prozent bekommen, dann bin ich im Bundestag.«

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.

Björn Böhning glaubt an seine Chance

SPD-Kandidat vermisst im Wahlkampf Inhaltliches

Er glaubt an seine Chance gegen Hans-Christian Ströbele. Björn Böhning ist mit 31 der jüngste aller Kandidaten, aber es ist nicht der jugendliche Übermut, der ihn das glauben lässt. Der ehemalige Jusovorsitzende weiß den mächtigen Parteiapperat hinter sich, was nun nicht gerade jeder seiner Mitbewerber von sich sagen kann.

Jetzt ist er Chef des Grundsatzreferats von Klaus Wowereit. Fasst man alles zusammen, dann sieht es so aus, als ob hier der Beginn einer großen Politikerkarriere zu bestaunen ist.

SPD-Kandidat Björn Böhning im KuK-Redaktionsgespräch

Foto: piSPD-Kandidat Björn Böhning im KuK-Redaktionsgespräch Foto: pi

Er selbst sieht seine Karriere als nicht so stringent an. Immerhin hat er sich auch schon für zwei Jahre aus der Politik zurückgezogen.

Doch inzwischen ist er wieder da und tritt im prominentesten Wahlkreis des Landes an. Da er immer schon im »politischen oder Politik nahen Bereich arbeiten wollte« ist davon auszugehen, dass sein Engagement nicht nach der Wahl aufhört.

Dieses politische Engagement findet auch im Kiez seinen Ausdruck. Er nennt beispielsweise die Sanierung des Baerwaldbads als Exempel dafür, wie die Bundespolitik durch Programme bis in den Kiez wirken kann. Aber es geht eben nicht alles über bundesgesetzliche Regelungen. »Ich habe das Gefühl, dass die Toleranzschwelle gesunken ist«, beklagt der bekennende Kreuzberger, der von der Katzbachstraße aus seinen Kiez im übertragenen Sinne ganz gut im Blick hat.

Gesetzliche Regelungen helfen aber auch nicht überall. Im Fall von unterschiedlichen Betrachtungsweisen zum Thema Lärmemissionen rät Böhning zum Gepräch und zur gegenseitigen Rücksichtnahme, wohlwissend, dass dies nicht immer funktionieren kann. »Ich weiß, dass das keine nachhaltige Lösung ist«, gibt er zu. Aber »ich kann ja auch nicht versprechen, dass wir die Dezibelgrenzen abschaffen.«

Beim umstrittenen Thema Admiralbrücke ist seine Haltung dagegen klar. Das hat nicht mehr viel mit dem Kreuzberger Lebensgefühl zu tun. »Die Admiralbrücke ist durch Lonely Planet und andere zu einem Anlaufpunkt für Leute geworden, die glauben, dort Party machen zu müssen.«

In Sachen Mediaspree gibt er zu bedenken, dass die SPD-Friedrichshain-Kreuzberg die einzige Partei in der BVV war, die das Bürgerbegeheren unterstützt habe. Björn Böhning outet sich auch nicht gerade als Fan des Mediaspree-Konzeptes. Allerdings muss er sich dann schnell die Frage gefallen lassen, was denn sein Chef Klaus Wowereit dazu sage, denn Böhnings Einstellung steht der des Regierenden diametral entgegen. Böhning kontert locker und charmant: »Haben Sie noch nie eine andere Meinung gehabt als Ihr Chef?«

Ein wichtiges Feld, das es im Bundestag in Zukunft zu beackern gibt, ist das Thema Internet. Das sieht auch Björn Böhning so, der aber darüber hinaus das Netz in Zukunft auch als wichtige Kommunikationsplattform mit den Bürgern sieht.

Die Vorratsdatenspeicherung lehnt Böhning ab. Er fordert, dass der Staat die gleiche Transparenz zeigen müsse, die er von seinen Bürgern erwartet.

Über 5.000 Hausbesuche habe er inzwischen gemacht, erklärt Böhning, der »die Ausgegrenzten zurück in die politische Arena holen« will. Seinen Mitbewerbern, die er persönlich schätzt, wirft er indes eine Schlemmerisierung des Wahlkampfes vor. Tiefer Ausschnitt und Pogeweih gäben keine politischen Inhalte wieder.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.