PARTEI ebnet Jaath den Weg

BVV-Vorsteherin im dritten Versuch doch noch gewählt

Im dritten Anlauf wurde Kristine Jaath doch noch im Amt bestätigt.

Foto: rspIm dritten Anlauf wurde Kristine Jaath doch noch im Amt bestätigt. Foto: rsp

Kristine Jaath (Grüne) hat im Rathaus in Friedrichshain-Kreuzberg am 28. November die Wahl zur BVV-Vorsteherin gewonnen. 53 Stimmen wurden abgegeben und mit einem etwas niedrigen, aber eindeutigen Ergebnis wurde Jaath mit 29 Stimmen bei 12 Enthaltungen erneut zur BVV-Vorsteherin gewählt. Der Konkurrent von der Partei »Die Partei« Riza Cörtlen erhielt acht Stimmen. Vier Abgeordnete stimmten bei der geheimen Wahl mit Nein.

Das Bezirksparlament ist zehn Wochen nach der Wahl somit endlich wieder arbeitsfähig. Zuvor war die BVV-Vorsteherin Kristine Jaath für das Amt zweimal durchgefallen. Es war unklar, wie es jetzt weitergehen sollte. Die SPD und die Linke hatten Jaath nicht mitgewählt, obwohl die beiden Parteien einig waren, mit den Grünen für die nächsten fünf Jahre zu kooperieren. Die BVV-Vorsteherin hatte keine Mehrheit bekommen und die Sitzung war abgebrochen worden.

Mit seiner Kandidatur wollte Cörtlen die anderen Fraktionen zwingen, sich endlich zu einigen.

Kommentar: Ordnungsruf der Spaßpartei

Wenig Spannung im Titelkampf

Für kleinere Parteien sind Überraschungen bei der BVV-Wahl möglich

In vielen Teilen Deutschlands ist eine Kommunalwahl ein mühsames Geschäft. In Städten wie etwa Stuttgart kämpfen sich die Wähler durch wandtapetengroße Stimmzettel. Zudem wird von ihnen verlangt, sich mit Wahltechniken herumzuschlagen, die auf so schöne Namen wie Kumulieren, Panaschieren oder Unechte Teilortswahl hören. Das alles klingt mehr nach Kamasutra als nach demokratischem Urnengang.

In Berlin ist es dagegen denkbar einfach. Es gibt einen Stimmzettel und ein Kreuzchen für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Die 55 Sitze im Rathaus in der Yorckstraße werden dann proportional verteilt.

Klare Verhältnisse

Die Verhältnisse in der derzeitigen BVV ist sehr eindeutig. Bei momentan nur 51 Mitgliedern sind die Grünen mit ihren 22 Sitzen schon sehr nah an der absoluten Mehrheit. Dass nicht die volle Zahl der Bezirksverordneten ins Kommunalparlament einzog, lag einfach daran, dass die Piraten nach ihrem Überraschungserfolg nicht über genügend Kandidaten verfügten, um alle Sitze zu besetzen. Ihnen hätten neun zugestanden. Vier blieben frei.

Alle buhlten damals um die Gunst der Politikneulinge – und das hatte nicht nur mit Welpenschutz zu tun. Rein theoretisch hätten SPD, Linke und Piraten eine Zählgemeinschaft gegen die Grünen bilden können. Doch am Ende blieb es bei einer klassischen Rollenverteilung, die den Grünen im Bezirksamt drei von fünf Stadtratsposten bescherte.

Dass die Piraten ihren Überraschungserfolg von 2011 noch einmal wiederholen, ist sehr unwahrscheinlich. Auch die kleine Fraktion blieb nicht vom Zerfall der Gesamtpartei verschont. Statt fünf hat sie heute nur noch vier Mitglieder. Eine Bezirksverordnete verließ die Fraktion.

Das Erbe der Piraten

Es geht also bei der BVV-Wahl vermutlich um die Hinterlassenschaft der Piraten, das heißt um bis zu neun Sitze, die sich nun andere Parteien erobern können – mal ganz abgesehen von den üblichen Verschiebungen, die so eine Wahl sonst mit sich bringt. Doch ganz abschreiben kann man die Piraten auch nicht, denn um in die BVV zu gelangen, benötigen sie nur drei Prozent. Das ist etwa der Wert, den Demoskopen den Piraten berlinweit derzeit einräumen. Rechnet man den Kreuzberg-Bonus dazu – nirgendwo haben die Piraten vor fünf Jahren besser abgeschnitten – dann könnte es durchaus noch reichen.

Wer überrascht?

Monika Herrmann bleibt wohl im Amt.

Foto: Sedat Mehder Monika Herrmann bleibt wohl im Amt. Foto: Sedat Mehder

Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, dass eine andere Partei ebenfalls einen solchen Überraschungscoup landen könnte, und da geht der bange Blick automatisch auf die AfD. Eigentlich scheint es ausgeschlossen, dass eine so rechte Partei in Friedrichshain-Kreuzberg reüssieren könnte, denn in ganz Berlin gibt es keine linkere BVV. Wenn man die Piraten zum linken Block zählt, blieben dem rechts-bürgerlichen Lager gerade mal vier Verordnete der CDU.

Nun haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, dass die AfD bei allen Parteien wildern konnte. In den ostdeutschen Bundesländern wurde dabei aber ausgerechnet die Linke schwer gerupft.

Es ist also überhaupt nicht auszuschließen, dass die AfD mit einigen Bezirksverordneten in die BVV einzieht. Bei einem so meinungsfreudigen Parlament, das häufig große Zuschauermassen anzieht, dürfte das für noch wesentlich turbulentere Sitzungstage sorgen.

Bleibt das Bezirksamt?

Peter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim GernPeter Beckers, Spitzenkanddidat der SPD. Foto: Joachim Gern

Die wichtigste Aufgabe zu Beginn der neuen Legislatur wird die Wahl eines neuen Bezirksamtes sein. Derzeit stellen die Grünen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Baustadtrat Hans Panhoff und Kämmerin Jana Borkamp drei der fünf Posten. Dr. Peter Beckers (SPD), zuständig für Wirtschaft, und der Linke Knut Mildner-Spindler (Soziales), vervollständigen das Gremium.

Da die beiden letzteren als Spitzenkandidaten für ihre jeweilige Partei ins Rennen gehen und bei den Grünen wenig auf ein Abweichen von der bisherigen Rollenverteilung hindeutet, könnte das alte Bezirksamt wieder das neue sein.

Es gibt jedoch ein paar Unwägbarkeiten. Da ist zunächst die Bezirksbürgermeisterin. Monika Herrmann gilt als streitbar und hat vor allem in der Auseinandersetzung mit Innensenator Frank Henkel sehr an Profil gewonnen. Vor allem dem bürgerlichen Lager gilt sie als der Fleisch gewordene Gott­sei­mit­uns. Das hilft ihr in Kreuzberg ungemein und auch die eine oder andere innerparteiliche Auseinandersetzung ist inzwischen längst vergessen. Paradoxerweise könnte Frank Henkels unsägliches Verhalten in Sachen Rigaer Straße den Grünen am 18. September ein Rekordergebnis bescheren. Der eine oder andere Grüne träumt bereits von einer absoluten Mehrheit im Kreuzberger Rathaus.

Allerdings bröckelt auch die Grüne Wählerbasis in Kreuzberg. Immer wieder bläst der Fraktion von den Zuschauerrängen im Rathaus ein rauher Wind entgegen. Von alternativem Durchregieren und mangelnder Kompromissbereitschaft im Angesicht der eigenen Stärke ist da die Rede.

Die SPD als zweit­stärks­te Fraktion ist in der BVV nur halb so stark wie die Grünen. Dass der stellvertretende Bezirksbürgermeister Peter Beckers den Chefposten erobern könnte, gilt als nahzu ausgeschlossen. Für ihn wird es ein Erfolg sein, den großen Abstand zu den Grünen zu verringern.

Linke muss kämpfen

Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.Führt die Linke in den Wahlkampf: Knut Mildner-Spindler.

Während sich die beiden größeren Parteien kein ernsthaftes Duell liefern, sondern bestenfalls die eigene Position etwas verbessern oder verschlechtern werden, stehen die Linken vor einer sehr schweren Wahl. Schon vor fünf Jahren war die Partei auf Rang vier abgeruscht. Dabei stellte sie – damals noch als PDS – vor nicht allzu langer Zeit sogar noch die Bezirkbürgermeisterin. Ihre Verluste in Friedrichshain hat sie in Kreuzberg nicht kompensieren können. Allerdings hat sie bei Bundestagswahlen immer gut abgeschnitten – davon könnte sie auch jetzt profitieren. Mehr als sieben Sitze wären schon ein Erfolg. Doch wenn sich der Trend fortsetzt, wird sie im schlimmsten Fall vielleicht den einen oder anderen Sitz an die AfD verlieren.

Splitterpartei CDU

Bleibt noch die CDU, die schon vor vier Jahren denkbar schlecht abgeschnitten hat. Nirgendwo werden die Henkelschen Eskapaden eine so starke Auswirkung haben wie in Kreuzberg. Sein Versagen am Gör­litzer Park, die Tatenlosigkeit am Kotti und die Tricksereien in der Rigaer Straße dürften die CDU eher Stimmen kosten, zumal die feurigsten Law-and-Order-Anhänger es dieses Mal eher mit der AfD versuchen werden.

Am Ende wird es bei der BVV-Wahl wohl eher wie in der Fußball-Bundesliga zugehen. Wie es oben ausgeht, scheint klar, aber unten wird es spannend.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Wahlkreise wurden geschrumpft

Grüne schielen in Kreuzberg auf alle Direktmandate bei der Abgeordnetenwahl

Die wichtigste Neuerung bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus betrifft die Wahlkreise. Gab es bisher drei für Friedrichshain und drei für Kreuzberg, gibt es nun mehr fünf. Den spreeübergreifenden Wahlkreis 2 teilen sich nun beide Teilbezirke und er reicht von der Stralau in Friedrichshain bis zum Kotti im Herzen Kreuzbergs. Ein kleines Stück des nördlichen Graefekiezes ist ebenfalls noch dem Wahlreis 2 zugeschlagen worden. Im Süden Kreuzbergs liegt der Wahlkreis 1, der vom Chamissoplatz bis in den Graefekiez reicht. Aus dem massiven Block ist ein fast quadratisches Stück herausgeschnitten und dem Wahlkreis 3 zugeschlagen worden. Es wird von Gneisenau-, Zossener, Baerwald- und Johanniterstraße begrenzt.

In Friedridrichshain-Kreuzberg treten SPD, CDU, FDP, ÖPD, Bergpartei und die Violetten mit Bezirkslisten an, alle anderen Parteien gehen mit Landeslisten ins Rennen. Favorit sind, wie bereits bei den letzten Wahlen, die Grünen. Sie eroberten vor fünf Jahren fünf von sechs Wahlkreisen.

Grüne

Die Direktkandidaten der Grünen: Katrin Schmidberger (WK1), Marianne Burkert-Eulitz (WK2) und Dr. Turgut Altug (WK3).

Fotos: Grüne / Erik MarquardDie Direktkandidaten der Grünen: Katrin Schmidberger (WK1), Marianne
Burkert-Eulitz (WK2) und Dr. Turgut
Altug (WK3). Fotos: Grüne / Erik Marquard

Der »Tagesspiegel« titelte: »Grüner wird’s wirklich nicht«. In der Tat scheint der neue Zuschnitt der Wahlkreise die Grünen nicht gerade zu benachteiligen. Es hat sich allerdings einiges getan. Mit Heidi Kosche und Dirk Behrendt, die nicht mehr antreten, verlieren die Grünen in Kreuzberg zwei echte Zugpferde. Behrendt hatte für die Grünen sogar das beste Ergebnis überhaupt eingefahren.

Trotzdem, diejenigen Kandidaten, die in Kreuzberg diekt antreten, sollten auch alle das Duell gegen die Mitbewerber gewinnen.

Dr. Turgut Altug (WK3), Katrin Schmidberger (WK1) und Marianne Burkert-Eulitz (WK2) sitzen alle bereits im Abgeordnetenhaus und würden auch gerne in der nächsten Legislatur dabei sein. Abgesichert über die Landesliste ist hier keiner. Es sollte trotzdem reichen.

SPD

Die Direktkandidaten der SPD: Börn Eggert (WK1), Sven Heinemann (WK2) und Sevim Aydin (WK3).

Fotos: SPD Berlin/Joachim GernDie Direktkandidaten der SPD: Börn Eggert (WK1), Sven Heinemann (WK2) und Sevim Aydin (WK3). Fotos: SPD Berlin/Joachim Gern

Die SPD ist in ihrer einstigen Hochburg inzwischen klar und ungefährdet die Nummer zwei. Björn Eggert kandidiert für den Wahlkreis 1 und dürfte es hier sehr schwer haben, sich gegen Katrin Schmidberger durchzusetzen, ihm bleibt die Hoffnung auf die Bezirksliste. Das gilt auch für Sevim Aydin, die im Wahlkreis 3 antritt. Sven Heinemann kandidiert im neugebildeten Wahlkreis 2.

Auch für ihn wird es nicht leicht. Immerhin hat die SPD in Friedrichshain vor vier Jahren ein Direktmandat gewonnen, dass sich Susanne Kitschun auch diesmal wieder holen möchte.

Linke

Direktkandidaten der Linken: Gaby Gottwald (WK1), Pascal Meisner (WK2) und Jiyan Durgun (WK3).

Fotos: Linke BerlinDirektkandidaten der Linken: Gaby Gottwald (WK1), Pascal Meisner (WK2) und Jiyan Durgun (WK3). Fotos: Linke Berlin

Für die Linke ist es klar, dass sie ihre Position als dritte Kraft verteidigen will, und sie stützt sich dabei natürlich auch auf ihre traditionelle Stärke in Friedrichshain. Doch auch in Kreuzberg sind die Linken längst angekommen und profitieren vor allem von zwei Dingen: Einerseits betreibt die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak ein sehr engagiertes Bürgerbüro am Mehringplatz, andererseits verfügt sie mit Knut Mildner-Spindler auf kommunaler Ebene über einen rührigen Bezirksstadtrat. Trotzdem wird es für das Trio um den Kreisvorsitzenden Pascal Meisner, der selbst im Wahlkreis 2 antritt, sehr schwer werden. Er und Jiyan Durgun (WK3) müssten schon direkt durchkommen. Gaby Gottwald muss auf Platz 25 der Landesliste schon auf ein sehr gutes Abschneiden der eigenen Partei hoffen, um ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.

Piraten

Es war leider ein recht kurzes Intermezzo, das die Piraten im Preußischen Landtag gegeben haben. Immerhin sorgten sie dort für viel Unterhaltung – und mit dem Vorsitz im BER-Untersuchungsausschuss prägten sie auch die Legislatur entscheidend mit. Der bekannteste Bezirkspirat ist Fabio Reinhard, der im Wahlkreis 3 antritt.

Rest-Pirat: Fabio Reinhardt wird der Einzug ins Abgeordnetenhaus kaum wieder gelingen. Als Trostpreis winkt aber die BVV. Foto: B. StadlerRest-Pirat: Fabio Reinhardt wird der Einzug ins Abgeordnetenhaus kaum wieder gelingen. Als Trostpreis winkt aber die BVV. Foto: B. Stadler
Der Ewige Wansner Kurt Wansner wird als CDU-Minderheitenvertreter für Kreuzberg wohl wieder ins Abgeordnetenhaus kommen. Foto: pskDer Ewige Wansner
Kurt Wansner wird als CDU-Minderheitenvertreter für Kreuzberg wohl wieder ins Abgeordnetenhaus kommen. Foto: psk

CDU

Dass die Kreuzberger Christdemokraten eher eine Splitterpartei im Bezirk darstellen, wissen sie selbst am besten. Trotzdem hat es für den ewigen Kurt Wansner über die Liste ins Abgeordnetenhaus gereicht. Er führt die Bezirksliste an, und so sollte der streitbare Handwerksmeister, der angeblich schon selbst die Kanzlerin zur Weißglut getrieben hat, seinen Platz in der letzten Bankreihe der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus verteidigen zu können.

FDP

Vielleicht sorgt ja die FDP für eine Überraschung. Landesweit kämpft sie derzeit um die Fünf-Prozent-Hürde. Sollte sie die überschreiten, dann ist ein FDP-Abgeordneter für Friedrichshain-Kreuzberg nicht wahrscheinlich, aber denkbar.

AfD

Ganz undenkbar scheint vielen im multikulturellen und weltoffenen Kreuzberg, dass ein AfD-Abgeordneter den Bezirk verteten könnte. Ausgeschlossen ist das nicht. Die Stimmen kämen dann auch nicht, wie man sich zwischen Kotti und PladeLü dann gerne einreden würde, nur aus Friedrichshain. Auch in Kreuzberg gibt es Ecken, wo man die AfD gar nicht so schrecklich findet. Wer mal ein wenig in die Luisenvorstadt zwischen Linden- und Alexandrinenstraße reinhört, wird da Erstaunliches vernehmen.

Und der Rest …

Bunt ist die Mischung wie immer bei Wahlen in Friedrichshain-Kreuzberg, wenngleich der Exoten weniger sind. Für die Bergpartei geht zum Beispiel der gelernte Grabredner Jan Theiler ins Rennen, der als Beruf Clown angibt. Zudem treten im Wahlkreis 3 auch noch zwei Einzelkandidaten an.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2016.

Die Qualen vor den Wahlen

Probleme mit den Wählerregistern noch immer nicht gelöst / Bezirk sieht sich gerüstet

Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler sah das Unheil schon im Mai kommen. Da wurde schon mal die Berlin-Wahl simuliert. »Die Erfahrungen stimmen mich nicht optimistisch«, lautete sein höflich umschriebenes Fazit.

Um so größer war seine Überraschung, wie das Landeswahlamt die Trockenübung bewertete. In den Wahlämtern der Bezirke waren alle schockiert. Als dann der Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach so langsam klar wurde, dass eben noch nichts klar war, schlug sie Alarm. Und so war Anfang Juni überall zu lesen und zu hören, dass der Termin der Berlin-Wahl am 18. September zur Disposition stehe.

Nun lappte die ganze Geschichte ins Kuriose. Die Bezirksämter, die ursprünglich Alarm geschlagen hatten, sollten an der ganzen Misere schuld sein. So sah es zumindest Innenstaatssekretär Bernd Krömer. Er warf einigen Bezirken vor, sie hätten veraltete Hardware, und die hätte die Pannen verursacht. Insbesondere nannte Krömer veraltete Drucker in Reinickendorf und Treptow-Köpenick.

Es braucht nicht viel technischen Sachverstand, um zu erkennen, dass Krömer den Bezirken auf einigermaßen dämliche Art und Weise den Schwarzen Peter zugeschoben hatte.

Tatsächlich scheint es unwahrscheinlich, dass es sich um ein Hardwareproblem handelt. Doch auch die Software scheint nicht das Problem zu sein. Tatsächlich ist es so, dass der zentrale Server und die Rechner in den Bezirken sehr langsam miteinander interagieren. Mildner-Spindler berichtet, dass es manchmal zwei Minuten dauere, bis sich die Seite eines Datensatzes aufgebaut habe. Er vermutet eine Art »Flaschenhals« auf dem Datenweg, denn das Phänomen trete auch auf, wenn der zentrale Server gar nicht ausgelastet sei. Der Stau an diesem Flaschenhals führe nun auch dazu, dass manche Anfragen einfach abgebrochen würden – mit der Konsequenz, dass es dann zu fehlerhaften Daten etwa im Wählerregister komme.

Die Berichterstattung über die Schwierigkeiten mit den Wahlämtern hat auch an anderen Stellen zu einer gewissen Konfusion geführt. Konkret geht es um die Initiative »Fraenkelufer retten«, die am 5. Juli die Unterschriften für ihr Bürgerbegehren abgeben will. Hier fürchtete man, dass das Bürgerbegehren deshalb scheitern könnte, weil der notwendige Adressabgleich wegen der Schwierigkeiten mit dem zentralen Server nicht möglich sei. Doch da gibt Bezirksstadtrat Mildner-Spindler Entwarnung. Das werde sicher nicht passieren.

Der Bezirk, der übrigens hardwaretechnisch auf den neusten Stand ist, will den Problemen jedensfalls mit mehr Personal zur Wahl begegnen, und dann werde in Schichten gearbeitet.

Ob die Probleme allerdings bis zum Wahltag wirklich gelöst werden können, weiß Mildner-Spindler nicht. Und einen Plan B gebe es nicht.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Juli 2016.

Kreuzberg wird fair

Bezirk soll zur »Fairtrade Town« werden

Angeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten.

Foto: rspAngeregte Diskussion über fairen Handel und Wertschöpfungsketten. Foto: rsp

»Bio« ist für Produkte in Friedrichshain-Kreuzberg fast schon Standard – jetzt soll der Bezirk auch zur »Fairtrade Town« werden. Hinter der Bezeichnung verbirgt sich eine Zertifizierung des Kölner TransFair e.V. für Kommunen, die sich für die Verbreitung von fair gehandelten Produkten einsetzen. Idealerweise werden dabei nicht nur gerechte Rohstoffpreise an die Erzeuger bezahlt, sondern auch direkte, langfristige und partnerschaftliche Beziehungen zu den Produzenten aufgebaut.

Nach einem entsprechenden Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, gab der Bezirk in einer Auftaktveranstaltung Ende November den Startschuss für die Kampagne. Dass Fair Trade »nicht nur Kaffee« ist, sondern auch eine politische Dimension hat, führte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann gleich bei der Begrüßung aus. Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, die auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, sei fairer Handel auch eine Möglichkeit »aktiv im Sinne der Menschen vor Ort« zu werden und Fluchtursachen zu minimieren.

Helena Jansen, die das Projekt als Promotorin für Kommunale Entwicklungspolitik unterstützt und auch beim Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael Del Sur mitarbeitet, moderierte die gut besuchte Veranstaltung im BVV-Saal und stellte klar, dass es durchaus wünschenswert sei, auch über die Mindestanforderungen der Kampgane hinauszugehen.

Was die Anforderungen sind und wie sie umgesetzt werden können, erläuterte anschließend Volkmar Lübke, langjähriger Akteur in der Fair-Trade-Bewegung. Neben dem obligatorischen (BVV-)Beschluss sowie einer hinreichend großen Zahl von Fair-Trade-Geschäften im Bezirk (in Friedrichshain-Kreuzberg: 38 Einzelhandelsgeschäfte, 19 Cafés/Restaurants), gehört dazu auch die Einbindung der Zivilgesellschaft. Produkte aus fairem Handel müssen also auch in Schulen und Kirchengemeinden verwendet werden.

Vor allem aber bedarf es der Bildung einer lokalen Steuerungsgruppe.

Über 380 Fairtrade Towns in Deutschland

Zu den Aufgaben dieser Steuerungsgruppe gehört die Koordination der Aktivitäten vor Ort.

Volkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns.

Foto: rspVolkmar Lübke erläuterte das Konzept der Fairtrade Towns. Foto: rsp

Tatsächlich fanden sich unter den gut 30 Besuchern der Veranstaltung neun Personen, die an einer Mitarbeit in einer Steuerungsgruppe interessiert wären. Wie sich in einer Vorstellungsrunde herausstellte, verfügten viele der Anwesenden bereits über einschlägige Erfahrungen im Bereich Fair Trade, beispielsweise durch jahrzehnte lange Mitarbeit in Eine-Welt-Läden.

Vorreiter in Sachen Fairtrade Town ist in Berlin der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, der sich bereits seit 2011 mit dem Titel schmücken darf. In den letzten Monaten hat es aber auch in vielen anderen Bezirken entsprechende Beschlüsse gegeben.

Die Idee der Fairtrade Towns wurde in der britischen Kleinstadt Garstang geboren, die sich 2001 zur »World’s First Fairtrade Town« erklärte. Seitdem gibt es weltweit über 1.700 Städte mit dem Siegel, über 380 davon in Deutschland.

Weitere Infos unter: fairtrade-towns.de

Erschienen in der gedruckten KuK vom Dezember 2015.

Gesucht: Moderne Verwaltung

Einen echten Bürger­amts­termin­schwarz­handel gibt es anscheinend nicht – wohl aber einen Dienstleister, der gegen Entgelt genau das anbietet, was bereitzustellen eigentlich Aufgabe des Landes Berlin wäre: Eine bedienbare und funktionierende Online-Plattform zur kurzfristigen Terminvereinbarung. Man kann das privatwirtschaftliche Angebot praktisch finden oder verwerflich, im Endeffekt ist es doch nur ein Symptom. Der Senat stiehlt sich aus der Verantwortung, seinen Bürgern eine moderne Verwaltung zu bieten, die auch mit der wachsenden Einwohnerzahl zurechtkommt. Stattdessen schiebt man den Bezirken den Schwarzen Peter zu und fröhnt einer kontraproduktiven Sparwut. Andererseits sollten sich auch die Bezirke nicht damit bescheiden, auf den Senat zu schimpfen, sondern müssen selbst nach Lösungen suchen. Ideen wie das Ausbildungsbürgeramt sind schon mal ein Anfang.

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2015.

Wochenlange Warterei

In den Bürgerämtern sind Termine nur schwer zu bekommen

Die Berliner Bür­ger­äm­ter kommen derzeit nicht aus den Schlagzeilen: Termine für Ummeldungen oder Ausweisbeantragungen sind – wenn überhaupt – nur mit mehrwöchigem Vorlauf zu haben. Verschiedene Zeitungen berichteten gar über einen florierenden Schwarzhandel mit Bürgeramtsterminen.

Auch in den Kreuzberger Bürgerämtern ist die Situation keinen Deut besser als im Rest Ber­lins. Über die Online-Buchung auf berlin.de sind Termine meist nur kurz nach Mitternacht erhältlich, wenn der nächste Tag am Ende der Achtwochenfrist freigeschaltet wird, innerhalb der Reservierungen möglich sind.

Nicht jetzt...Nicht jetzt…

Laut Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler sei das leider kein neues Problem. »Letzten Sommer war die Situation noch schlimmer.«

Grund für den Rückstau sei vor allem der vom Senat 2012 beschlossene Stellenabbau in den Bezirksämtern. Allein in Friedrichshain-Kreuzberg sollten bis 2016 140 Stellen gestrichen werden, davon 12 in den Bürgerämtern. Mitte letzten Jahres wurde aus Personalmangel bereits das Bürgeramt in der Schlesisches Straße geschlossen, das im April als Ausbildungsbürgeramt wiedereröffnet werden konnte. Tatsächlich sind Ende letzten Jahres sogar zwei neue Stellen bewilligt worden.

An der leidigen Terminsituation hat das indessen noch nichts geändert, denn die Zahl der An- und Ummeldungen steigt auch beständig.

...und auch nicht später. Termine in Bürgerämtern sind derzeit Mangelware. Screenshot: berlin.de…und auch nicht später. Termine in Bürgerämtern sind derzeit Mangelware. Screenshot: berlin.de

Die Achtwochenfrist ist eine Vorgabe der Senatsverwaltung für Inneres. Wenn es nach Mildner-Spindler gehen würde, würde man die Frist wieder auf vier Wochen verkürzen, denn 20% der Terminkunden würden gar nicht erst zu den Terminen erscheinen. In die freien Slots werden momentan »Notfallkunden« geschoben, die ohne Termin beim Bürgeramt vorsprechen. »Niemand wird unverrichteter Dinge weggeschickt«, verspricht der Bezirksstadtrat. In »echten Notfällen« (z.B. Ausweisverlust) würde sofort geholfen werden, ansonsten gäbe es einen Terminvorschlag innerhalb der nächsten Tage.

Kartenzahlung ist im Bürgeramt verpflichtend

Einen Termin innerhalb der nächsten Tage verspricht auch der Dienstleister buergeramt-­termine.de – gegen Zahlung einer Provision von 25 bis 45 Euro. Den Vorwurf des Schwarzhandels weisen die Jungunternehmer weit von sich, und tatsächlich reserviert der Service nur konkrete Termine im Kundenauftrag, ist also eher mit einem Sekretariatsservice vergleichbar. »Echten« Schwarzhandel mit Terminen soll es laut Mildner-Spindler ohnehin nicht geben, zumindest nicht in Friedrichshain-Kreuzberg, denn die Termine sind immer personengebunden und nicht übertragbar.

Wer dann – auf welche Art und Weise auch immer – einen Termin beim Bürgeramt bekommen hat, sollte bei kostenpflichtigen Dienstleistungen seine EC-Karte nicht vergessen. Denn in Friedrichshain-Kreuzberg ist seit Mitte Juni regulär keine Barzahlung mehr möglich. Ausnahmen gäbe es nur für Bürger, die über keine Karte bzw. kein Konto verfügen, erklärt der Stadtrat. In solchen Fällen bestünde auch weiterhin die Möglichkeit, Gebühren bar zu begleichen.

Als Grund für die Umstellung wird vor allem die Problematik großer Bargeldbestände genannt. Insbesondere an den längeren Öffnungstagen Dienstag und Donnerstag hätte häufig der laufende Betrieb unterbrochen werden müssen, um einen Kassensturz zu machen, da die Sicherheitsgrenzen für die Tresore in den Zahlstellen überschritten wurden. Durch die Umstellung erhofft man sich so auch, rund 350 Kunden mehr pro Monat bedienen zu können.

Kommentar zum Thema: Gesucht: Moderne Verwaltung

Erschienen in der gedruckten KuK vom August 2015.

Notquartier oder Ferienwohnungen?

Monika Herrmann mit neuer Idee zur Flüchtlingsunterbringung

Notquartier: In dieser Turnhalle sind derzeit rund 30 Flüchtlinge untergebracht.

Foto: pskNotquartier: In dieser Turnhalle sind derzeit rund 30 Flüchtlinge untergebracht. Foto: psk

Die Zahl der Flüchtlinge wächst, und mit ihr die Probleme in punkto Unterbringung. Container werden aufgestellt, Turnhallen requiriert und Traglufthallen aufgeblasen. Und trotzdem, es reicht nicht.

Doch in Treptow, an der Trasse der künftigen A100 stehen 90 Wohnungen leer, die sofort bezugsfertig wären. Aber die beiden Häuser sollen abgerissen werden, für eine Autobahn, für die die Bauarbeiten an diesem Teilstück in sieben Jahren beginnen.

In der momentanen Situation wären sie buchstäblich Gold wert, doch für Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel ist das kein Thema. Eine Zwischennutzung kommt für ihn nicht in Frage.

Monika Herrmann, Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, hat diese Haltung so richtig in Harnisch gebracht. Sie hat gerade die Sporthalle »MariannenArena« an das Land weitergereicht, damit dort bis zu 80 Flüchtlinge, Frauen und Kinder, untergebracht werden. 30 sind es bis jetzt.

Dort gibt es zwar keinen Schulunterricht, aber viele Vereine müssen jetzt ausweichen. Herrmann fürchtet, dass die hohe Akzeptanz und Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen mit der Zeit schwinden könnte.

Die Unterbringung ist eigentlich auf wenige Wochen begrenzt. Und sehr viel mehr als Stockbetten gibt es für die Flüchtlinge auch nicht. Betreut werden sie von den Johannitern, die allerdings ein hohes Aufkommen an Sachspenden verzeichnen können. »Wir ertrinken beinahe in Kinderkleidung«, erklärt ein Mitarbeiter der Johanniter. Trotzdem sind Sachspenden durchaus willkommen.

Die Bezirksbürgermeisterin ist in einem Zwiespalt. Zwar will auch sie so viele Flüchtlinge wie möglich menschenwürdig unterbringen, aber sie hätte halt auch gerne ihre Turnhalle bald wieder zurück.

Sie hat nun eine ganz neue Idee ins Feld geführt: Warum sollte man nicht illegale Ferienwohnungen als Flüchtlingsunterkünfte nutzen? Der durchaus erwartete und eigentlich schon übliche Shitstorm fiel eher lau aus.

Justizsenator hat rechtliche Zweifel

Nicht einmal die CDU, die sich sonst sehr gerne und sehr schnell auf die grüne Bezirksbürgermeisterin einschießt, begehrte laut auf. Immerhin, Justizsenator Thomas Heilmann hält den Vorschlag für nicht praktikabel. Das ändert allerdings nichts daran, dass er jetzt zunächst rechtlich geprüft wird. Trotzdem steht das böse Wort von der »Enteignung« im Raum. Doch die sieht Monika Herrmann nicht. Einerseits würden die Eigentümer ja trotzdem Miete erhalten, andererseits sei eine Unterbringung von Flüchtlingen zeitlich begrenzt. Außerdem verweist sie darauf, dass es sich in diesem Fall ja um illegale Ferienwohnungen handele. Juristisch ist das möglicherweise knifflig, aber sie erklärt auch, dass jeder der legal eine Ferienwohnung besitzt oder betreibt, diese natürlich ebenfalls als Flüchtlingsunterkunft gegen eine entsprechende Miete zur Verfügung stellen kann.

Justizsenator Heilmann meldet unter anderem deshalb Zweifel an, weil ja auch viele öffentliche Gebäude leer stünden und nennt dabei das ICC.

Monika Herrmann rechnet vor, dass vom Liegenschaftsfonds des Landes, der über mehr als 100 Gebäude verfügt, gerade mal 13 Objekte als Flüchtlingsunterkünfte vorgeschlagen wurden, also etwa eines pro Bezirk.

Ein Gebäude, in dem eine ganze Menge Flüchtlinge untergebracht werden könnten, steht in der Kreuzberger Franz-Künstler-Straße. Das ehemalige Haus der Schreber-Jugend war auch schon einmal im Gespräch, die Flüchtlinge vom Oranienplatz, beziehungsweise von der Gerhart-Hauptmann-Schule aufzunehmen. Damals scheiterte es an der fehlenden Heizung. Inzwischen wäre eine Unterbringung, selbst mit Heizungsnachrüstung nicht mehr möglich. »Es fehlt der Brandschutz, und das Gebäude soll abgerissen werden«, erläutert die Bürgermeisterin.

Trotzdem hätte auch hier schon längst etwas passieren können. Wenn das Gebäude abgerissen worden wäre, dann hätte man auf dem Gelände wenigstens Wohncontainer aufstellen können.

Tatsächlich scheint es zumindest in der Theorie genügend Wohnraum für Flüchtlinge zu geben – aber auch hohe bürokratische Hürden.

Kommentar: Mehr Mut ist machbar

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2015.

Mehr Mut ist machbar

Eigentlich ist es unfassbar. Tausende von Berlinern gehen jeden Montag auf die Straße, demonstrieren für Fremdenfreundlichkeit und solidarisieren sich mit Flüchtlingen. Die Spendenlager der humanitären Organisationen quellen zum Teil schon über. Und dann verschärft der Senat die Situation noch künstlich, weil er nicht in der Lage ist, den Flüchtlingen genügend adäquaten Wohnraum – der da wäre – zur Verfügung zu stellen. Die Blockierer sitzen nicht etwa, wie man vermuten könnte, im Hause Henkel, sondern in der SPD-geführten Verwaltung für Stadtentwicklung. Was soll das? Sitzen da etwa Rassisten? Ist die Behörde Pegida- unterlaufen? Unsinn. Dahinter steckt die Furcht, die Geister nicht mehr los zu kriegen, die man rufen würde – siehe Gerhart-Hauptmann-Schule. Eine Entschuldigung ist das nicht. Feigheit ist keine Tugend. Mehr Mut würde manches Problem lösen.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Februar 2015.

Mit zweierlei Maß gemessen

Natürlich kann man sich, so wie es der Senat tut, schulterzuckend auf den Standpunkt stellen und zur Möckerkiez-Genossenschaft sagen: »Pech, verzockt.« Ausgerechnet der Senat, der König aller Zockervereine, der sich seit Jahren beim Flughafen ebenso verzockt hat wie bei der Abstimmung übers Tempelhofer Feld.

Bis zu 22.000 neue Wohnungen will der neue Regierende Michael Müller jedes Jahr aus dem Hut zaubern. Doch gegen viele Projekte regt sich Widerstand. Ob auf den Buckower Feldern oder der ehemaligen Kleingartenkolonie Oeynhausen.

Hier gab es keinen Protest, sondern engagierte Bürger. Und würde der Senat an die Genossenschaft die gleiche Messlatte anlegen, wie an BER, müsste er nicht nur eine Bürgschaft abgeben, sondern die Genossen mit Geld überschütten. Am Gleisdreieck wird sich zeigen, wie ernst es Müller mit seiner Wohnungspolitik ist.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2015.

Ein Projekt hängt in der Luft

Monika Herrmann hofft auf Landesbürgschaft für Möckernkiez

Stillstand: Derzeit geht auf den Baustellen am Gleisdreick nichts.

Foto: pskStillstand: Derzeit geht auf den Baustellen am Gleisdreick nichts. Foto: psk

Es hätte zumindest eine gute Antwort auf die Verdrängungsdebatte sein können: das Projekt Möckernkiez. Am Rande des Ostparks am Gleisdreieck sollte auf genossenschaftlicher Basis ein ganz neues Stadtviertel entstehen, mit bezahlbarem Wohnraum, einem Biosupermarkt, einem integrativen Hotel. Insgesamt 464 Wohnungen verteilt auf 15 Gebäude auf drei Hektar.

Die Rechnung klang zunächst recht vielversprechend: Die Genossen sollten 30 Prozent des Wertes der Wohnung einzahlen und nach dem Bezug eine vergleichsweise moderate Miete von im Schnitt acht Euro pro Quadaratmeter berappen. Das hätte – aus Sicht des Jahres 2010, als das Projekt startete – vielleicht auch funktioniert. Allerdings sind in Berlin in diesen vier Jahren die Mieten um satte 40 Prozent gestiegen. Das blieb auch nicht ohne Folgen für das Projekt Möckernkiez. War 2010 mit einem Quadratmeterpreis von 2000 Euro kalkuliert worden, liegt er jetzt bei 2750 Euro.

Doch damit noch nicht genug der Probleme. Weder das geplante Hotel, noch der Biosupermarkt werden nach jetzigem Stand realisiert werden.

Alles in allem fehlten der Genossenschaft Anfang Dezember noch rund fünf Millionen Euro, um das angestrebte Eigenkapital von 32,6 Millionen zu erreichen. Das Gesamtprojekt umfasst inzwischen ein Volumen von 124 Millionen Euro. Geplant waren 80 Millionen. Das Problem bislang: Die Banken wollen nicht mitmachen.

Für die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann sollte das Projekt an dieser Hürde nicht scheitern. »Eine Bürgschaft vom Senat fände ich nicht schlecht«, meint sie. »Man kann die Leute jetzt nicht hängen lassen. Da hängen Existenzen kleiner Leute dran. Hier sollte sich die Landesregierung einen Ruck geben.«

Doch im Moment scheint die Landesregierung noch gar nicht daran zu denken. Bau-Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup jedenfalls sagte dem rbb gegenüber klipp und klar: »Das Land bürgt nicht.«

Senatserinnerungen an das Tempodrom

Der Staatssekretär erinnert daran, dass der Senat gerade in Kreuzberg mit Bürgschaften schlechte Erfahrungen gemacht hat und verweist auf das Tempodrom, das ja in Sichtweite des Möckernkiezes liegt.

Die Empfehlung ist denn auch eine ganz einfache: Entweder soll sich die Genossenschaft irgendwie mit den Banken einigen oder eine größere Wohnungsgenossenschaft mit ins Boot nehmen.

Ob das allerdings die Lösung ist? Mit ihrer Planung wollten sich die Genossen ja gerade von anderen genossenschaftlichen Projekten abheben.

Das sieht auch die Bezirksbürgermeisterin so. Sie spricht von einem »sehr bezirklichen Herangehen.« Zwar räumt sie ein, dass die Planungen vielleicht etwas großzügig ausgefallen sind, erinnert aber daran, wer hier investiert. Hier gehe es um Menschen, die nicht zu den Besserverdienenden gehörten und die zum Teil ihre ganzen Ersparnisse als eine Art Alterssicherung in das Projekt gesteckt hätten.

Von den 15 geplanten Gebäuden stehen bislang vier im Rohbau, die vorerst alle winterfest gemacht worden sind. Ansonsten ist auf den Baustellen in den letzten Monaten nicht mehr sehr viel gelaufen.

Das heißt nicht, dass das Projekt am Ende ist, aber es hängt in der Schwebe. Derzeit hat die Genossenschaft etwa 1.300 Mitglieder und es kommen noch neue hinzu. Für die wird es allerdings deutlich teurer, als ursprünglich gedacht. Sie werden nun 40 statt 30 Prozent der Bausumme einbezahlen müssen. Bei einer vier Zimmer-Wohnung mit 100 Quadratmetern sind das trotzdem noch weniger als 100.000 Euro. Allerdings dürften dann die Mieten nicht mehr ganz so günstig sein, wie gedacht.

Letztlich hängt alles daran, was für einen Partner die Möckernkiez Genossenschaft am Ende finden wird und zu welchen Konzessionen die Mitglieder bereit sind. So scheinen derzeit noch viele Möglichkeiten offen. Allerdings wird die Situation neu bewertet werden müssen. Die Genossenschaft hat reagiert und den Vorstand zum Jahrebeginn auf fünf Mitglieder erweitert.

Das einzige was sicher ist: Eine Bauruine wird dort nicht stehen bleiben. Was jetzt schon steht ist ein gefundenes Fressen für Baulöwen und Immobilienhaie.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Januar 2015.

Rigider Sparer unterschätzt Bezirke

Bezirksbürgermeisterin Herrmann zieht Fazit nach Wowereit-Rücktritt

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, würdigte in einer Stellungnahme den scheidenden Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Gleichzeitig jedoch erinnerte sie daran, dass seine rigide Sparpolitik viele Menschen unmittelbar gespürt hätten und dass er die Bezirke unterschätzt habe. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme:

Bezirksbürgermeisterin Herrmann.

Foto: rspBezirksbürgermeisterin Herrmann. Foto: rsp

„Klaus Wowereit hat als Regierender Bürgermeister großes Engagement an den Tag gelegt, Berlin auf der ganzen Welt zu repräsentieren. Für diese Leistung gebührt ihm Anerkennung und Respekt.

Aus Sicht der Bezirke bleibt festzustellen, dass unter der Regierung Wowereit die Verwaltung einen enormen personellen Aderlass zu verbuchen hatte. Er scheint die Bedeutung der Bezirke für die Stadt unterschätzt zu haben. Die Auswirkungen der rigiden Sparpolitik bekommen die Menschen unmittelbar zu spüren, wenn sie lange Wartezeiten für Selbstverständlichkeiten wie einen neuen Personalausweis oder einen Kita-Platz in Kauf nehmen müssen.
Der Schwung seiner Anfangszeit hatte sich in den letzten Jahren verflüchtigt. Nun muss seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger die Baustellen zu einem guten Ende bringen, die Klaus Wowereit der Stadt hinterlassen hat.“

Wiesbaden war der Vorreiter

Städtepartnerschaft feiert goldenes Jubiläum

Zehn nationale und internationale Partnerschaften pflegt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Da sind exotische dabei, wie San Rafael del Sur in Nicaragua oder noch recht junge wie mit Oborischte, einem Stadtbezirk von Sofia, die es erst seit 1999 gibt.
Eine Partnerschaft sticht jedoch heraus. Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden und der damalige Westberliner Bezirk Kreuzberg schlossen vor 50 Jahren eines Städtepartnerschaft – und das war die allererste.

Es war der Regierende Bürgermeister Willy Brandt, der die Idee der Städtepartnerschaften mit westdeutschen Städten anregte, und es war eine Idee, die unter dem Eindruck des Mauerbaus geboren wurde. Vor allem Berliner Kinder und Jugendliche sollten so die Chance haben, aus der eingeschlossenen Stadt herauszukommen.

Die Städtepartnerschaft mit Wiesbaden war somit Versuchsfeld und Vorbild für alles, was danach kommen sollte, auch wenn andere Partnerschaften ganz anders ausgestaltet sind.

Das ganze Jahr steht im Zeichen von gemeinsamen Veranstaltungen. Zwischen dem Berliner Bezirk und der hessischen Kapitale gibt es deshalb einen intensiven Reiseverkehr. So gibt es Fußballturniere, Kunstprojekte, Zeitzeugengespräche und natürlich einen offiziellen Festakt, für den zwei Tage in Wiesbaden eingeplant sind.

Es gibt nahezu kein Gebiet, in dem die beiden Kommunen nicht in irgendeiner Art miteinander kooperieren. So gibt es seit 20 Jahren einen Austausch von Azubis in der Verwaltung.

Mit Wiesbaden verbunden im Wein

Es wird auch fleißig miteinander gewandert. Dabei nehmen die Wiesbadener ihre Partner aus Berlin schon mal mit in andere Partnerstädte, wie Stettin. Im Gegenzug wandeln die Gäste vom Rhein dann auf den Spuren von Theodor Fontane, wenn zu literarischen Wanderungen durch die Mark Brandenburg eingeladen wird.

Auch Schulen beteiligen sich rege, wenn es darum geht, den Partnerschaftsgedanken mit Leben zu erfüllen. Immer wieder besuchen sich Schulen nicht nur gegenseitig, sondern sorgen auch mit gemeinsamen Projekten für Aufsehen, wie vor sechs Jahren, als ein Wiesbadener Gymnasium und das Leibniz-Gymnasium in Kreuzberg einen Fotowettbewerb mit dem Titel »Wie sehe ich meine Stadt?« organisierten.

Darüber hinaus gibt es natürlich auch noch eine ganze Menge Kontakte zwischen Vereinen, Verbänden oder auch Parteien, die über die Jahre hinweg gewachsen sind, und nicht jede dieser Begegnungen findet noch Eingang ins das offizielle Partnerschaftsprogamm. Insofern ist die Partnerschaft mit Wiesbaden im positiven Sinne schon fast eine Normalität oder gar Routine geworden.

Vieles, was zwischen Wiesbaden und Kreuzberg passiert, geschieht, wenngleich vielleicht nicht so intensiv, auch bei anderen Partnerschaften.

Aber da gibt es ja noch dieses wunderbare Alleinstellungsmerkmal, das die anderen neun Partnerstädte eben nicht haben. Das ganze läuft unter dem Code: »Kreuz-Neroberger«. Das ist der Wein, der in Kreuzberg wächst und den die Wiesbadener im Jahre 1968, also schon vier Jahre nach Gründung der Partnerschaft, nach Kreuzberg brachten.

Seither gedeiht der Riesling, ein Ableger des Wiesbadener Weins, der am Hausberg der Stadt, eben am Neroberg wächst, auch an den Hängen des Kreuzbergs.

Und das soll auch so bleiben. Deshalb hat Wiesbaden nun 70 neue Rebstöcke nach Kreuzberg geschickt.

Gekeltert werden die Trauben nach der Weinlese allerdings nicht in Berlin, sondern im Rheingau – unter der Aufsicht eines Mitglieds der Partnerschaftsvereins.

Erschienen in der gedruckten KuK vom Mai 2014.

Schrumpfköpfe vom Senat

Manchmal möchte man vor Wut aus der Haut fahren. Die Stadt ist ziemlich pleite, Kreuzberg ist noch pleiter, das ist bekannt. Trotzdem gibt‘s in Kreuzberg eine kleine Bibliothek, die tatsächlich schwarze Zahlen schreibt. Das heißt, für den so klammen Bezirks bleibt sogar was hängen. Trotzdem muss der Bezirk die Bibliothek dichtmachen, weil der Senat ihm eine personelle Schrumpf­kur verordnet hat. Die Schrumpfkur muss sein, weil sich zum Beispiel ein Finanzgenie namens Thilo Sarrazin (»Es gibt mehr intelligente Männer als intelligente Frauen«) verzockt hat – er konnte leider den englischen Vertrag des Finanzhais nicht lesen und hatte auch niemand, der übersetzt. Sie ist nötig, weil auf dem leeren BER in Schönefeld 24 Stunden am Tag das Licht brennt, da es keinen Lichtschalter gibt. Aber Wowi will eine Bibliothek, die am Ende wohl eine halbe Millarde kostet!

Erschienen in der gedruckten KuK vom März 2014.