Zwei Kieze, zwei Filme

Robert S. Plaul war unterwegs zwischen Neukölln und Kreuzberg

Murat und Hakan hängen und albern an ihrer Stra­ßen­ecke rum

Foto: Dirk LütterMurat und Hakan hängen und albern an ihrer Stra­ßen­ecke rum Foto: Dirk Lütter

Eigentlich bezeichnet das Wort »Kreuzkölln« den Reuterkiez und steht zugleich für einen Ort wie auch dessen Entwicklung, eine geo­gra­fi­sche und eine gesellschaftliche Lage gewissermaßen. Unter dem gemeinsamen Titel »Kreuzkölln« kommen jetzt aber auch zwei Filme ins Kino, von denen nur der erste, »Moruk«, zumindest teilweise in jenem nördlichen Zipfel Neuköllns spielt.

Die beiden Deutschtürken Murat (Oktay Özdemir) und Hakan (Burak Yigit) hängen die meiste Zeit an ihrer Straßenecke herum, kiffen, träumen und philosophieren. Ab und zu ziehen sie mal jemanden ab, der sie für Dealer hält. Da begegnen sie Irina (Irina Potapenko) und Klara (Klara Reinacher) und ihr Leben gerät ein wenig in Bewegung. Viel mehr passiert in dem 29minütigen Kurzfilm von Serdal Karaça eigentlich nicht. Trotzdem ein gelungener Blick über den soziokulturellen Tellerrand – und eine gute Einstimmung auf den ‚Hauptfilm‘, die Dokumentation »24 Stunden Schlesisches Tor«.

Einen Tag und eine Nacht lang waren die Regisseurinnen Eva Lia Reinegger und Anna de Paoli mit ihrem Team rund ums Schlesische Tor unterwegs und haben die Menschen dort beobachtet und interviewt. Anwohner und Ausgehwütige, Migranten und Müllwerker, Künstler und Kaputte – die Mischung der Gesprächspartner ist chaotisch und teilweise bizarr, aber irgendwie auch ziemlich treffend. Ohne störenden Erzählerkommentar aus dem Off portraitiert der Film eine Gegend und deren Menschen, die erstaunlich offen von ihrem Leben, ihren Problemen und Träumen oder ihren Ansichten erzählen.

Leider geht keiner der Filme auf das ein, was der Titel nahelegen würde: Das Problem der Gentrifizierung, der steigenden Mieten und der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsteile – dabei hätte sich das gerade am Beispiel des Schlesischen Tors gut zeigen lassen können. Nichtsdestotrotz aber zwei sehr stimmungsvolle Filme, die man auch und gerade jedem Neu-Berliner sehr ans Herz legen kann.

Ab 29. Oktober im Moviemento

Erschienen in der gedruckten KuK vom Oktober 2009.

Es geht voran

Die Bedeutung der Baucontainer im Kiez

Der Blick auf schutt­überladene Baucontainer beim Spaziergang durch den Kiez regt den Gedanken an, die Renovierung Kreuzbergs schreite voran. Da keimt die Hoffnung auf eine Zukunft in einer zentralbeheizten Altbauwohnung mit gefliestem Badezimmer, Geschirrspülmaschine und romantischer Aussicht auf die Hasenheide auf. Doch der Blick auf die Marktsituation zum Beispiel in der Bergmannstrasse lässt dieses Luftschloss zerplatzen wie eine Seifenblase. Eine solche Wohnung muss man sich heutzutage schon kaufen, dumm nur, dass sich das kaum einer leisten kann.

Wo wie hier gebaut wird steigen vermutlich bald die Mieten.

Foto: pskWo wie hier gebaut wird steigen vermutlich bald die Mieten. Foto: psk

Dass hier irgendetwas schiefläuft, fiel sogar der Wirtschaftswoche auf. Im März 2009 bescheinigte sie dem Berliner Immobilienmarkt den drittletzten Platz: Mäßige Wirtschaftskraft, sehr mäßige Standortqualität, stagnierende Sozialstruktur – alles durch die Brille des Kapitalanlegers gesehen.

Doch unverdrossen wird weiter renoviert, entmietet, die Miete erhöht und gebaut. Nun hat ein aktiv-kreativer Umgang der Kreuzberger mit gesellschaftlich wirtschaftlichen Gegebenheiten eine lange Tradition. Die Polit-Bewegung der 70er mündete fließend in die Hausbesetzer-Bewegung der 80er, die sich gegen spekulativ erzeugten Leerstand richtete, der Platz für schöne neue Betonbunker geschaffen hätte.

Paradoxerweise wird der Erfolg dieser Hausbesetzer-Bewegung dem Kiez jetzt zum Verhängnis. Das Blatt hat sich gewendet, trotz schlechter Bewertung in Kapital-Fachzeitschriften treten auf dem Kreuzberger Wohnungsmarkt vermehrt solvente Käufer auf, die schicke, szenenahe Altbau-Eigentumswohnungen zu horrenden Preisen erstehen. Aber keine Sorge, auch diese Käufer tragen ihr eigenes Paradoxon mit sich herum. Ist der Umzug ersteinmal überstanden, geht es an die Neustrukturierung des Wohnumfeldes. Wer zwischen zweihunderttausend und einer Million Euro für eine Eigentumswohnung hinblättert, toleriert keine Lärmbelästigung. Mit Hilfe des Ordnungsamtes wird genau die Szene, wegen deren Nähe der Preis gezahlt wurde, mundtot gemacht. Kiez und Kneipe berichtet seit geraumer Zeit über die einschlägigen Probleme der Wirte in dieser Hinsicht.

Trotz der aktuellen Maßnahmen zum Milieuschutz scheint der Raum für die lebendige Szene in Kreuzberg zu schwinden. Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen?

Die politischen Direktkandidaten fordern – je nach politischer Couleur – Veränderungen im Mechanismus der Vergleichsmieten (Wawzyniak), Mietpreisbindungen (Ströbele), Raumzuweisungen für Kulturschaffende (Böhning), flexiblere Handhabung amtlicher Auflagen (Löning) oder bedingungsloses Grundeinkommen (Lengsfeld). Ob irgendeine dieser Maßnahmen gegen einen Verdrängungswettbewerb wirkt, der über die Umwandlung in (oder »Schaffung von«) Eigentumswohnungen geführt wird, bleibt zu beobachten. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass überhaupt Schutzmaßnahmen durchgesetzt werden können.

Kultur und Szene werden von real existierenden, lebendigen Menschen gemacht. Falls die aktuellen Tendenzen anhalten, werden diese Menschen durch einen Typus verdrängt, der »Szene« als ein Produkt begreift, das man kaufen und konsumieren kann. Es bleibt die Frage, wie ein kreativer Umgang mit solchen Gegebenheiten aussehen könnte. Die ersten Flucht-Tendenzen nach Neukölln werden sichtbar – sollte sich die Geschichte dort wiederholen? Der gemeinschaftliche Kauf eines Bonner Stadtteils und anschließende Umwandlung à la Worpswede scheint wenig wahrscheinlich und es ist als Kreuzberger auch nicht einzusehen, weshalb man sich von seinem eigenen Publikum aus der Stadt jagen lassen sollte.

Erschienen in der gedruckten KuK vom September 2009.